« Dezember 2013 | Startseite | Februar 2014 »

Archiv vom Januar 2014

Martin Scorseses New York

Geschrieben am Dienstag 28 Januar 2014 um 16:52 von Roland Freist

Die Werbeagentur House of Nod in Brooklyn hat einen schönen Zusammenschnitt mit New Yorker Szenen aus den Filmen von Martin Scorsese ins Netz gestellt. Erkannt habe ich Bilder aus "Hexenkessel" ("Mean Streets"), "Taxi Driver", "Wie ein wilder Stier" ("Raging Bull"), "GoodFellas", "Zeit der Unschuld", "Bringing out the Dead", "Gangs of New York" und sogar "The Wolf of Wall Street".

Filmkritik: "Nebraska"

Geschrieben am Sonntag 19 Januar 2014 um 21:46 von Roland Freist

Seitenwege

Schwarzweiß-Filme, vor allem wenn sie die Weite einer Landschaft zeigen, verbreiten immer eine melancholische Stimmung. Selbst wenn sie Szenen im strahlenden Sonnenschein präsentieren, bleibt immer eine leichte Traurigkeit zurück, die sofort verschwunden wäre, würde man die gleichen Bilder in Farbe sehen. Es wundert daher nicht, dass Alexander Payne ("Sideways", "The Descendants") seinen neuen Film in Grautönen auf die Leinwand bringt – das verleiht dem ansonsten über weite Strecken sehr komischen Streifen deutlich mehr Tiefe. Außerdem trägt es dazu bei, dass man die Geschehnisse aus einer gewissen nostalgischen Distanz betrachtet.

Die Hauptperson heißt Woody Grant (Bruce Dern), ein schätzungsweise etwa 80-jähriger Mann an der Grenze zur Senilität. Er lebt mit seiner Frau Kate (June Squibb) in Billings, Montana, wo auf den Straßen noch die Schneereste des letzte Winters liegen. In der ersten Einstellung sieht man ihn, wie er leicht schwankend, aber offenbar fest entschlossen eine typisch amerikanische Ausfallstraße entlanggeht, gesäumt von Fastfood-Läden, Tankstellen und kleinen Firmen aller Art. Er will nach Lincoln, Nebraska, um seine Million Dollar abzuholen.

Woody hat nämlich ein Schreiben bekommen, dass er in einer Lotterie gewonnen hat. Dass es sich um eine Werbeaussendung handelt und er die Million nur erhält, wenn eine Zahlenkombination im Brief mit den Zahlen übereinstimmt, die bei der versendenden Firma gezogen wurden, ignoriert er hartnäckig. Und da man ihm seinen Führerschein abgenommen und er sowieso keinen Wagen hat, macht er sich eben zu Fuß auf den Weg. Erst bringt ihn die Polizei wieder nach Hause, nach einem zweiten Ausbruchsversuch holt ihn sein Sohn David (Will Forte) zurück. Doch Woody bleibt hart: Er will nach Lincoln, um sein Geld zu holen. Schließlich willigt David ein, ihn die 900 Meilen zu fahren.

Unterwegs machen sie Halt in dem kleinen Ort, in dem die Familie früher lebte, ein Kaff mit 1300 Einwohnern irgendwo im Nichts der amerikanischen Prärie. Sie übernachten bei der Familie von Woodys Bruder, und plötzlich sind die ganzen alten Geschichten wieder präsent: Woodys Affären als junger Mann, der frühe Tod eines seiner Brüder, seine Zeit in der Gefangenschaft während des Koreakriegs, sein Alkoholismus. Einige seiner alten Freunde leben noch, und sie nehmen die Nachricht von seinem Millionengewinn teils mit echter Freude, teils aber auch mit Neid und Missgunst auf. Einige freuen sich auch einfach nur über die Lokalrunden, die sie ihn beziehungsweise seinen Sohn bezahlen lassen. Der Höhepunkt ist erreicht, als Kate und Davids Bruder Ross (Bob Odenkirk aus "Breaking Bad") mit dem Bus anreisen und es zum großen Familientreffen kommt.

"Nebraska" ist ein Roadmovie und handelt von einem alten Mann, der sein Ende kommen spürt, und seinem Sohn, der ihn besser kennenlernen will. Das ist nicht einfach, denn zum einen funktioniert Woodys Gedächtnis nicht mehr ganz störungsfrei, zum anderen war er noch nie ein großer Erzähler. Seinen einfachen, lakonischen Antworten auf die Fragen seines Sohns machen einen großen Teil der Komik dieses Films aus. Es ist aber auch die Umgebung des Mittleren Westens, dieser tiefsten aller Provinzen mit ihren endlosen Dustroads, einsamen Häusern und vor allem den Menschen, die wie aus der Zeit herausgefallen zu sein scheinen, die den Reiz von "Nebraska" ausmachen. So wie Alexander Payne seine Figuren zeichnet und filmt, genügen wenige Sekunden, bis die Zuschauer anfangen zu kichern. Diese langen Einstellungen von Menschen, die starr auf Fernseher schauen, stumm und mit unbewegten Gesichtern Bier trinken oder einfach nur die Autos beobachten in einer Straße, wo praktisch keine Autos fahren – das ist hochgradig komisch. Man wirft Payne immer wieder vor, dass er sich über einfache Menschen lustig mache, und tatsächlich hat er diese Bilder erkennbar mit viel Freude an den Motiven zusammengestellt. Doch sein Humor ist niemals von oben herab oder abwertend, es ist immer eine wehmütige Liebe zu diesen Charakteren spürbar. "Fargo" von den Coen-Brüdern hat vergleichbare Qualitäten.

Bruce Dern ist der Vater von Laura Dern ("Jurassic Park") und ein alter Routinier des amerikanischen Kinos. 1979 war er für seine Rolle in "Coming Home" für einen Nebenrollen-Oscar nominiert, 1982 bekam er in Berlin den Silbernen Bären für "Champions". In diesem Jahr hat er erneut Chancen auf einen Oscar, dieses Mal sogar als bester Hauptdarsteller. Und er ist wirklich gut: Wie er diesen Woody Grant spielt, der zwischen geistiger Klarheit und, sagen wir mal, schläfrigen Phasen hin und her schlingert, das ist sehr schön anzusehen. June Squibb ist ihm jedoch in jeder Beziehung ebenbürtig. Ihre Kate ist mit ihrer Lautstärke und Schlagfertigkeit in jeder Szene, in der sie auftritt, sofort der Mittelpunkt und zieht unwillkürlich die Blicke auf sich. Auch sie hat eine Oscar-Nominierung bekommen. Der Rest des Ensembles mit dem ehemaligen "Saturday Night Live"-Darsteller Will Forte, Bob Odenkirk und "Mike Hammer" Stacy Keach macht seine Sache ebenfalls beeindruckend gut.

"Nebraska" ist ein kleiner Film mit wenig Handlung, aber viel Gefühl. Zusammen mit dem ähnlich gelagerten "Sideways" ist er das Beste, was Alexander Payne bisher gemacht hat.

"Nebraska" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Sonntag 19 Januar 2014 22:59

Filmkritik: "The Wolf of Wall Street"

Geschrieben am Sonntag 19 Januar 2014 um 10:58 von Roland Freist

Spaß an der Börse

Jeder neue Film von Martin Scorseses gehört zum Pflichtprogramm aller Filmliebhaber. Dieser Regisseur hat im Laufe der Jahrzehnte immer wieder Meisterwerke geschaffen, die aus dem üblichen Mittelmaß herausragen und heute zum kulturellen Kanon gehören. Einige seiner berühmtesten Filme, "GoodFellas", "Casino" oder "Departed", beschäftigen sich mit der Mafia, erforschen ihre Anziehungskraft, die Charaktere ihrer Mitglieder und ihren Umgang miteinander. Und in gewisser Weise führt Scorsese diese Forschung mit "The Wolf of Wall Street" weiter fort.

Der Film erzählt die Geschichte von Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio), einem Börsenmakler, der in den späten 80er und frühen 90er Jahren mit dem Verkauf von Penny-Stocks reich wird. Belfort ist ein Verkaufsgenie. Nach seiner Ausbildung zum Broker bei einer großen New Yorker Firma wechselt er nach dem Börsencrash 1987 zu einem kleinen Laden auf Long Island, der sich eben auf diese Penny-Stocks spezialisiert hat. Es handelt sich dabei um Aktien von kleinen und oft nahezu wertlosen Firmen, die an der Börse nur wenige Cent wert sind. Entsprechend einfach ist es, ihre Kurse zu manipulieren: Bereits mit einigen zehntausend Dollar kann man zigtausende von Anteilen erwerben und damit den Kurs in die Höhe treiben. Belfort verkauft dieses Aktien mit erfundenen Renditeversprechen an Kleinanleger, der Kurs steigt, und er selber beziehungsweise seine Firma, die sich zuvor selbst ein großes Aktienpaket gesichert hat, kassiert ab. Daraufhin stürzt der Kurs ab und das Geld der Kleinanleger ist futsch. Belfort jedoch, der sich nach einigen Monaten selbstständig gemacht hat, verdient Millionen mit diesen Geschäften.

Jordan Belfort gibt das Geld mit vollen Händen aus: Er kauft sich einen weißen Ferrari, eine Jacht, ein riesiges Haus in den Hamptons. Er nimmt kiloweise Drogen aller Art, Crack, Kokain, Valium und diverse exotische Beruhigungs- und Aufputschmittel. Mittlerweile leitet er seine eigene Firma, deren Angestellte zusammen mit ihm rauschende Feste mit Champagner, Koks und Prostituierten feiern. Seine erste Frau hat er mittlerweile gegen ein Mädchen mit dem Aussehen eines Supermodels ausgetauscht. Es ist eine einzige, große, nicht enden wollende Party. Doch dann beginnen sich die Börsenaufsicht und das FBI für ihn zu interessieren.

Es gibt einige Parallelen zwischen diesem Film und "GoodFellas": Belfort erzählt diese Geschichte im Rückblick aus dem Off, beschreibt die Glücksgefühle, die sich mit dem Geld und der damit verbundenen Macht einstellten. Gleichzeitig lernt man die Broker als primitive, ungebildete Menschen kennen, denen jegliche Sozialkompetenz fehlt und die nur ihrer Gier nach Geld und Sex folgen. Die Gründungsmitglieder von Belforts Firma sind kleine, eher unterdurchschnittliche Vertreter und Verkäufer, die noch nie in ihrem Leben mit Aktien gehandelt haben. Einer der Höhepunkte des Films ist erreicht, als die gesamte Belegschaft nach einer von Belforts Motivations-Ansprachen eine Art rituellen Tanz aufnimmt und Kampfschreie ausstößt. Alles wird hier mit dem Streben nach Geld beziehungsweise Reichtum rechtfertigt, andere Werte existieren nicht. Belfort und seine Anhänger wähnen sich in einem Kosmos außerhalb der Gesellschaft, Recht und Gesetz der Vereinigten Staaten gelten nicht mehr für sie.

Martin Scorsese hat "The Wolf of Wall Street" als Komödie gedreht, und es ist tatsächlich einer der lustigsten Filme des Jahres geworden. Man lacht über diese Broker, ihre Dreistigkeit, aber im weiteren Verlauf der Handlung auch immer mehr über ihre Drogen- und Sexexzesse, diese völlig überdrehten Mir-kann-keiner-was-Spiele der frisch gebackenen Millionäre. Die Szenen mit dem unter Drogeneinfluss herumtorkelnden Belfort erinnern an die Drogenorgien in "Angst und Schrecken in Las Vegas". Aber auch die Geschichte, wie Belfort aus Furcht vor dem FBI Millionen von Dollars in die Schweiz zur Bank von Jean Jacques Saurel alias Jean Dujardin (Hauptrollen-Oscar für "The Artist") schmuggelt, sind hochgradig komisch. Das funktioniert natürlich nur, weil Scorsese einen Kunstgriff anwendet, wie ihn schon Coppola in "Der Pate" benutzte: Man sieht nie die Opfer der betrügerischen Machenschaften von Belfort & Co., erfährt nie etwas über die Menschen, denen er und seine Mitstreiter die gesamten Ersparnisse abgenommen haben.

Leonardo DiCaprio liefert eine der besten darstellerischen Leistungen seiner Karriere ab. Sein Belfort ist ein siegesgewisser Temperamentbolzen mit jugendlicher Frische und einer sehr überzeugenden Rhetorik, der sich um die Moral seines Tuns noch nie Gedanken gemacht hat. Um seine Figur herum gibt es zwei weitere, große Performances: Im ersten Drittel des Films spielt Matthew McConaughey den Ausbilder von Jordan Belfort. Er hat einen großen Auftritt mit einer Rede, die er an den jungen Nachwuchs-Broker richtet und die den ganzen Zynismus und die Funktionsweise dieser Branche schön zusammenfasst. In der eigenen Firma wird dann Donnie Azoff alias Jonah Hill ("Moneyball") zur Vertrauensperson von Belfort. Hill beweist wieder einmal, dass er immer noch ein stark unterschätzter Schauspieler ist, sein Azoff ist das Musterbeispiel für den leitenden Angestellten, der alles tut, um ein Abziehbild seines Chefs zu werden. Weitere Rollen, die im Gedächtnis bleiben, sind Rob Reiner als Jordan Belforts Vater Max, Kyle Chandler als FBI-Agent Patrick Denham und die sehr schöne Margot Robbie als Benforts zweite Frau Naomi Lapaglia.

"The Wolf of Wall Street" ist nicht so gut wie "GoodFellas" oder "Casino", dazu bringt er die Dinge nicht präzise genug auf den Punkt. Doch er fügt dem ewigen Gleichnis von Scorsese, nämlich dem Vergleich der amerikanischen Gesellschaft mit dem Mob, dem organisierten Verbrechen, einen weiteren Blickwinkel hinzu, der dieses Mal allerdings mit einer Laufzeit von drei Stunden arg lang geworden ist. Und ohne Frage ist dies einer der großen Filme des Jahres.

"The Wolf of Wall Street" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "12 Years a Slave"

Geschrieben am Freitag 17 Januar 2014 um 21:57 von Roland Freist

Vom Mensch zum Sklaven und zurück

Neben den Massakern an den amerikanischen Ureinwohnern ist die Sklaverei das große, dunkle Kapitel in der amerikanischen Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Thema von Filmen war sie jedoch nur verhältnismäßig selten, zumindest nicht in dem Sinne, dass sie die ganze Unmenschlichkeit der Sklavenhaltung zeigten. Im vergangenen Jahr beschrieb Quentin Tarantino in "Django Unchained" mit aus der Popkultur entlehnten Bildern die Foltern und Erniedrigungen, die die rechtlosen schwarzen Arbeiter erleiden mussten. Steve McQueen geht das Thema in diesem Jahr in Form eines Dramas an.

"12 Years a Slave" basiert auf dem gleichnamigen Buch von Solomon Northup. Er erzählt darin, wie er, ein Bürger aus der Mittelschicht von Saratoga, New York, im Jahr 1841 entführt und in Louisiana als Sklave verkauft wurde. Erst zwölf Jahre später gelang es ihm, einen reisenden Handwerker zu überreden, einen Brief an seine Heimatgemeinde zu schicken, um die örtlichen Behörden über sein Schicksal zu informieren. Das führte schließlich zu seiner Freilassung.

Der Film ist schonungslos. Nacheinander demonstriert er die verschiedenen Praktiken der körperlichen Züchtigung und psychischen Erniedrigung, mit denen die weißen Herren ihre schwarzen Sklaven traktierten. Immer wieder sieht man, wie Menschen auf unglaublich brutale Weise ausgepeitscht und geschlagen werden, wie sie gedemütigt und wie leblose Dinge behandelt werden. Sie leben in einem konstanten Angstzustand, in Apathie und Hoffnungslosigkeit.

Solomon Northup wird gespielt von Chiwetel Ejiofor ("Children of Men", "2012"), der die Hauptrolle in diesem Film zur bislang besten Performance seiner Karriere nutzt. Sehr glaubwürdig und überzeugend zeigt er den allmählichen psychischen Zerfall seiner Figur: Zu Anfang ist Northup ein selbstbewusster, gebildeter Mann, ein Geigenspieler, der sich zunächst auch gegen seine Versklavung wehrt. Doch im Laufe der Jahre passt er sich den übrigen Sklaven immer mehr an. Er leugnet seine Fähigkeit zu lesen und zu schreiben, da ihm das immer nur Misstrauen und Prügel einbringt. Er zerbricht die Geige, die ihm sein weißer Herr geschenkt hat, da er darauf immer wieder die Begleitmusik zum Leiden der anderen Sklaven spielen muss. Und schließlich nimmt er auch den typischen, schleppenden Gang der schwarzen Arbeiter und ihren ständig auf den Boden gerichteten Blick an.

Auch die anderen Rollen sind sehr gut besetzt. Benedict Cumberbatch ("Sherlock") spielt Northups ersten weißen Herrn, einen Mann, der sogar Mitleid mit ihm zeigt, ihn jedoch andererseits auch nicht in die Freiheit entlässt. Einer seiner Aufseher ist Paul Dano ("Little Miss Sunshine"), ein primitiver Sadist, der Angst hat vor Northups wachem Verstand und seiner Beliebtheit bei seinem Chef. Sehr eindrucksvoll ist mal wieder Michael Fassbender ("Prometheus", "The Counselor") als Northops zweiter Sklavenhalter, dessen unkontrollierte Wutausbrüche regelmäßig in brutale Gewalt umschlagen. Zum Schluss taucht dann auch noch Brad Pitt auf, der als kanadischer Zimmermann die nicht mehr für möglich gehaltene Rettung von Northup einleitet.

"12 Years a Slave" sieht sehr genau hin. Die Bilder zeigen die Grausamkeit und Bestialität der blutigen Bestrafungen, Vergewaltigungen und Hinrichtungen mit teilweise überscharfen Kontrasten und zumeist ohne Tiefenschärfe, so dass die Details immer im Fokus des Zuschauers bleiben. Viele Szenen sind auf der großen Leinwand kaum zu ertragen. Es ist kein einfacher, aber ein notwendiger Film, da er zeigt, was die Sklaverei aus einem Menschen macht, wie sie ihn genau zu dem willenlosen Roboter formt, den die Sklavenhalter in ihm sehen.

"12 Years a Slave" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "All is Lost"

Geschrieben am Donnerstag 09 Januar 2014 um 21:55 von Roland Freist

Der alte Mann und das Meer

Wohl nur selten hat man so mitgefiebert mit einer Filmfigur, von der man so wenig erfährt. Der mittlerweile 77-jährige Robert Redford spielt einen namenlosen Segelboot-Kapitän, der bei einer Fahrt auf dem Indischen Ozean eines Nachts von einem lauten Krachen geweckt wird. Ein treibender Frachtcontainer, vermutlich von einem Schiff gefallen, hat sein Boot gerammt und ein Loch in die Seitenwand gerissen. Zwar liegt es oberhalb des Meeresspiegels, trotzdem schwappt immer wieder Wasser hinein und drückt den Segler langsam nach unten.

Der Käpt’n bleibt ruhig und besonnen, keinen Moment gerät er in Panik. In einem ersten Schritt trennt er Boot und Container voneinander, anschließend gelingt es ihm, das Leck mit einem Reparaturkit notdürftig abzudichten. Leider ist wegen der Feuchtigkeit die Wasserpumpe des Boots nicht einsatzbereit (wobei man sich fragt, zu was eine Wasserpumpe gut sein soll, die bei eindringendem Wasser nicht mehr funktioniert). Doch mithilfe eines zurechtgeschnitzten Holzstocks kann er zumindest manuell pumpen. Nur das Funkgerät und das Satellitentelefon bleiben tot, trotzdem scheint zunächst alles noch einmal gut gegangen zu sein. Doch dann rollt vom Horizont der erste Donner eines aufkommenden Unwetters heran.

Wer ist dieser Mann? Wir erfahren so gut wie nichts über ihn. Es gibt Hinweise, dass er Familie hat oder zumindest hatte – das lässt sich schließen aus dem Text eines Briefs, der er zu Beginn aus dem Off vorliest. Außerdem hat er einen Sextanten an Bord, den er offensichtlich geschenkt bekommen hat. Dem Paket liegt eine Grußkarte bei, die er jedoch nicht lesen will.

Der Film ist ein Ein-Personen-Stück, in dem so gut wie nicht gesprochen wird. Das Erzähltempo ist mittelschnell, auf hektische Actionszenen hat Regisseur J. C. Chandor ("Margin Call") verzichtet. Der Rhythmus passt sich dem Ozean an, mit seinem Wechsel zwischen ruhigen, nahezu windstillen Phasen und dramatischen Unwettern. Immer wenn man meint, dass es der Segler jetzt geschafft hat, braut sich neues Unheil zusammen. Auf den diversen Höhepunkten des Films gelingen Kameramann Frank G. DeMarco beeindruckend klaustrophobische Bilder von dem in seine Kabine eingeschlossenen Mann.

Redford verschmilzt förmlich mit diesem Charakter, man kann sich gut vorstellen, dass er sich hier zu einem guten Teil selber spielt. Er trifft klare, logische Entscheidungen, dennoch wird die Lage immer schlimmer. Man versetzt sich in ihn hinein und überlegt sich, ob man sich genauso unter Kontrolle hätte wie er. Und als er später dann doch kurzzeitig zusammenbricht, kann man es nur zu gut verstehen. Das ist große Schauspielkunst. "All is Lost" ist generell sehenswert, doch Robert Redford in einer der besten Rollen seines Lebens veredelt ihn noch einmal.

"All is Lost" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "Only Lovers Left Alive"

Geschrieben am Donnerstag 02 Januar 2014 um 22:42 von Roland Freist

Vampire unter sich

Wie muss es sich wohl anfühlen, wenn man Jahrhunderte alt ist? Was wird aus einem Menschen, der sich bereits mit Shakespeare unterhielt, mit Schubert musizierte und Eddie Cochran auf der Bühne sah? Wie würde er leben, wie würde er sich ausdrücken? Wäre er ein fröhlicher Mensch, mit wem würde er heute verkehren?

Das sind Fragen, wie sie sich Jim Jarmusch in seinem neuen Film stellt. Es geht um zwei Vampire, die wohl nicht ganz zufällig Adam (Tom Hiddleston, der Loki aus "Thor") und Eve (Tilda Swinton) heißen. Sie sind ein Liebespaar, vermutlich bereits seit Jahrhunderten, doch sie leben weit voneinander entfernt. Adam hat ein heruntergekommenes Haus in einem der aufgegebenen Außenbezirke von Detroit bezogen, wo er sich ein professionelles Aufnahmestudio eingerichtet hat. Er ist Musiker und Sammler alter E-Gitarren, zieht es jedoch vor, seine Werke nicht mehr zu veröffentlichen. Eve wohnt in einem kleinen Apartment in der Altstadt von Tanger in Marokko, zusammen mit Hunderten alter Bücher. Sie halten per Videotelefonie Kontakt miteinander, Eve mit ihrem iPhone, Adam mit einer selbstgebastelten Kombination aus Festnetztelefon und altem Röhrenfernseher. Sie verbringt ihre Nächte in einer kleinen Bar, wo sie Christopher Marlowe (John Hurt) trifft, den genialischen Dichter aus dem 16. Jahrhundert. Eine Verschwörungstheorie behauptet, er habe die Werke von William Shakespeare geschrieben, was er im Film mit dem schönen Satz "Ich wünschte, ich hätte diesen Kerl getroffen, bevor ich Hamlet geschieben habe" bestätigt. Adam dagegen hat lediglich mit Ian (Anton Yelchin, der Chekov in "Star Trek") Kontakt, einem langhaarigen Fan seiner Musik, der ihm alles besorgt, was er zum Leben benötigt.

Bei einem ihrer Telefongespräche erwacht erneut die Sehnsucht in ihnen, und Eve kommt Adam in Detroit besuchen. Sie bleiben für sich, reden über alte Zeiten, tauschen Erinnerungen an Menschen aus, denen sie begegnet sind, an Lord Byron oder Mary Shelley. Sie tragen Kleidungsstücke, die sie teilweise bereits seit Jahrhunderten besitzen, und Eve neckt Adam damit. Beide schlafen lange, man merkt ihnen an, dass sie alt sind und ihre Kräfte schwinden. Blut nehmen sie nur noch wenig zu sich, am liebsten Null negativ, "das gute Zeug", wie Eve es nennt, das Adam im Krankenhaus bei einem korrupten Arzt kauft.

Es liegt eine unglaubliche Melancholie über diesen Szenen. Die Vampire, ohnehin allergisch gegen Tageslicht, bevorzugen schummrige Beleuchtung. Steigt die Wattzahl, setzen sie sofort ihre Sonnenbrillen auf. Adam ist leicht depressiv, die meiste Zeit sitzen oder liegen Eve und er in seinem Wohnzimmer, hören Musik und tauschen ab und zu ein paar Sätze aus. Es geschieht so gut wie nichts, sie lassen einfach nur die Zeit vergehen. Doch eines Tages taucht Eves Schwester Ava (Mia Wasikowska, "Alice im Wunderland") auf, sie ist jünger und leicht punkig, und zerstört das schwermütige Idyll.

Der Film lebt von der Stimmung seiner Bilder, den Blicken in die zerfallenden Behausungen der beiden Protagonisten, vollgestopft mit Erinnerungsstücken an zwei Leben, die bereits viel zu lange dauern. Adam spielt mit dem Gedanken, seine Existenz zu beenden, und lässt sich eine Revolverkugel aus Hartholz anfertigen. Eve und er sind hochgebildet, wissen von jeder Pflanze und jedem Tier den lateinischen Namen, haben unendlich viel gelesen und gelernt. Doch wenn sie nicht auffallen und die Aufmerksamkeit der Menschen erregen wollen, können sie ihr Wissen nur untereinander teilen. Sie sind Freaks mit dem Aussehen und dem Weltschmerz einer Gothic-Rock-Gruppe und haben die Menschheit schon lange aufgegeben.

Wie gesagt, es geschieht nicht viel in den 123 Minuten dieses Films. Man kann noch nicht einmal von einer Liebesgeschichte sprechen, da man weder erfährt, wie, wann und warum Adam und Eve zusammengefunden haben, noch warum sie so weit voneinander entfernt wohnten. "Only Lovers Left Alive" ist ein Stimmungsbild und zeigt zwei, nun ja, Lebewesen, die von der Menschheit so enttäuscht sind, dass sie sich so weit wie möglich von ihr zurückgezogen haben. Mehr nicht. Doch wer sich auf die verträumten und düsteren Bilder einlässt, lernt hier eine ganz neue Interpretation des alten Vampir-Mythos kennen.

"Only Lovers Left Alive" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Freitag 03 Januar 2014 11:49

« Dezember 2013 | Zurück nach oben | Februar 2014 »