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Filmkritik: "The Artist"

Großes Kino in 4:3

Wenn ich an moderne Stummfilme denke, dann fällt mir an erster Stelle "Silent Movie" von und mit Mel Brooks ein. Gedreht 1976, war es ein Film über einen erfolglosen Regisseur, der in der heutigen Zeit einen Stummfilm drehen wollte und dafür ein Filmstudio suchte. Unvergessen die Szene, als Mel Brooks alias Mel Funn dem Produzenten mit großer Geste seine Pläne vorstellte: "It’s… A SILENT MOVIE!" Der Film war eine Verbeugung vor den rasanten Slapstick-Filmen der 10er und 20er Jahre, gedreht in Form eines Stummfilms, und hatte damit einiges gemein mit "The Artist", dem diesjährigen Oscar-Favoriten von dem französischen Regisseur Michel Hazanavicius.

Auch bei "The Artist" geht es um den Stummfilm, doch nicht in Form einer Komödie – obwohl vor allem der Hund Uggie, Gewinner der Palm Dog für den besten Hundedarsteller, für einige wirklich witzige Szenen sorgt – sondern als Melodram. Wie es sich für einen Stummfilm gehört, erscheinen die wichtigsten Dialoge auf eingeschobenen Texttafeln, zudem ist er stilecht in schwarzweiß und mit der für die Zeit typischen leichten Unschärfe gedreht. Und das Format ist natürlich 4:3.

Der Film ist eine Hommage an die große Stummfilmzeit, an die 20er Jahre. Und er ist ein Melodram, da in den fünf Jahren von 1927 bis 1932, die "The Artist" abdeckt, der Stummfilm einen schnellen, von niemandem bedauerten Tod starb, was auch das Ende für viele große Stars dieser Epoche bedeutete. Im Film ist George Valentin (Jean Dujardin) einer von ihnen. Zu Beginn ist er noch ein Superstar, von jedermann geliebt und bejubelt, nicht zuletzt von sich selbst. 1927 kreuzt sein Weg den einer jungen Tänzerin namens Peppy Miller (Bérénice Bejo), die nach kurzer Zeit in den Schauspielerberuf wechselt und dort reich und berühmt wird, während er, der den Tonfilm verachtet, zusammen mit ihm untergeht.

Jean Dujardin – er heißt wirklich so – ist großartig in dieser Rolle. Er hat ein Lächeln drauf, das mit "einnehmend" nur unzureichend beschrieben ist. Er besitzt eine wunderbare Geschmeidigkeit in den Bewegungen und mit seiner Gestik eine breite Skala an Ausdrucksmöglichkeiten. Dujardin ist die perfekte Besetzung für einen Film, in dem sich die Schauspieler nicht über Worte, sondern in erster Linie über ihr Gesicht mitteilen. Aber auch Bérénice Bejo in der weiblichen Hauptrolle ist ausgezeichnet. Wie sie sich verändert von der unsicheren, etwas kecken Tänzerin hin zu dem selbstsicheren, reichen Leinwandstar, den sie am Ende darstellt, das ist schon gut gemacht. Umrahmt sind die beiden von vorzugsweise amerikanischen Schauspielern, allesamt Leute, die man gerne sieht, darunter John Goodman als Studioboss, James Cromwell, Penelope Ann Miller und, in einem kleinen, feinen Cameo-Auftritt, Malcom McLaren.

"The Artist" ist großes, altmodisches Hollywood-Kino, gedreht mit den Mitteln einer Zeit, in der die Kinosäle noch riesig und die technischen Möglichkeiten bescheiden waren. Eins der Verdienste dieses Films ist, dass er eine Vorstellung davon vermittelt, wie aufwändig die Planung und das Schreiben eines Drehbuchs damals gewesen sein müssen: Wenn keine Dialoge und anderen Geräusche zu hören sind, muss man sich umso genauer überlegen, ob die Story für die Zuschauer noch verständlich ist, ob die Bilder die Geschichte noch tragen. "The Artist" erzählt damit auch von der Liebe zu einem Kino, bei dem die Beteiligten noch länger über die Handlung eines Films nachdachten als über seine Special Effects.

"The Artist" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Sonntag 29 Januar 2012 um 22:48 von Roland Freist

Bearbeitet: Donnerstag 28 August 2014 23:04

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