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Filmkritik: "The Descendants"

Trübes Wetter auf Hawaii

Selten zuvor ist Hawaii so nüchtern und realistisch gezeigt worden wie in "The Descendants". Die meiste Zeit ist es dunstig, oft ist der Himmel grau, und wie man an den massiven Schweißflecken auf George Clooneys T-Shirt erkennen kann, nachdem er in einer Szene ein paar Meter gerannt ist, liegt die Luftfeuchtigkeit oft unglaublich hoch. Das ist nicht das Hawaii aus "Magnum", mit dem stets blauen Himmel, dem allgegenwärtigen Grün der Bäume und Wiesen und den grellen Farben der Blüten. Dieser Film zeigt Hawaii so, wie es wohl auch seine Bewohner wahrnehmen: Eine Gruppe von Inseln mit einigen unglaublich schönen Ecken, wo es aber auch die gesichtslose Hochhaus-Architektur von Honolulu gibt und eben auch öfter mal einen trüben Tag.

In dieser Umgebung übt George Clooney alias Matt King seinen Beruf als Anwalt aus. Er arbeitet viel, vielleicht zu viel, und wohnt mit seiner Frau Elizabeth (Patricia Hastie) und der zehnjährigen Tochter Scottie (Amara Miller) in einem Obere-Mittelschicht-Haus. Doch gleich zu Beginn des Films geschieht ein Unglück, das das Leben der Familie zum einen aus der Bahn wirft, letztlich jedoch zu einem neuen, engeren Zusammenhalt führt. Elizabeth wird bei einer Bootstour am Kopf verletzt und fällt ins Koma. Schon bald darauf erklärt der behandelnde Arzt Matt, dass seine Frau nicht mehr aufwachen wird. Und da sie eine Patientenverfügung unterschrieben hat, ist es nur noch einige Tage hin, bis das Krankenhaus die Maschinen abschalten wird, die den Körper am Leben erhalten.

Parallel dazu steht eine weitere große Veränderung an. Matts Familie entstammt der Ehe zwischen einem weißen Siedler und einer Frau aus der hawaiianischen Königsfamilie (das englische Wort "descendants" bedeutet so viel wie "Nachkommen" oder "Nachfahren"). Matt und seine Cousins haben auf den Inseln große Flächen Land geerbt und die letzten 160 Jahre sehr gut davon gelebt. Jetzt soll die letzte noch verbliebene, bislang unberührte Bucht an Investoren verkauft werden, die das Land für den Tourismus erschließen wollen. Das wird der Familie noch einmal einige Hundert Millionen Dollar einbringen, worauf sich vor allem die Cousins freuen, die ihren Teil des Familienvermögens größtenteils verschleudert haben. Auch Matt will eigentlich verkaufen, aber nur eigentlich.

Doch die meiste Zeit geht es um Matts engere Familie, von der sich nach und nach zeigt, dass sie schon seit längerem nicht mehr funktioniert hatte. Die Ehepartner hatten sich entfremdet, Elizabeth hatte Alkoholprobleme. Scottie hat zunehmend Probleme in der Schule, zeigt sich widerborstig. Und dann gibt es da noch ihre ältere Schwester Alexandra (Shailene Woodley), die auf einer Nachbarinsel in ein teures Nobelinternat geht, aufsässig ist und Drogen nimmt. Von ihr erfährt Matt, dass seine Frau ein Verhältnis hatte und sich von ihm scheiden lassen wollte.

Auch wenn einige Ausschnitte des Trailers und der bescheuerte deutsche Verleihtitel "Familie und andere Angelegenheiten" es nahelegen, ist "The Descendants" keine Komödie. Der Film ist im Gegenteil tieftraurig, und zum Schluss öffnet Regisseur Alexander Payne dann auch alle Tränenschleusen. Bis dahin setzt er einen alten Trick ein: Wenn du eine sentimentale Geschichte zu erzählen hast, sorge zwischendrin für etwas Komik, sonst ist es nicht auszuhalten. Die bittere Pointe in der Story von "The Descendants" ist, dass die verbleibende Familie erst durch die Konfrontation mit dem Tod der Mutter wieder zusammenfindet. Wäre der Unfall nicht passiert, hätte sich die Gemeinschaft wohl endgültig aufgelöst. Matt ist nun in der Pflicht und beginnt, Verantwortung zu übernehmen, und das nicht nur für seine Nachkommen.

George Clooney zeigt in "The Descendants" eine der besten Performances seiner Karriere. Das ist nicht mehr der smarte, charmante Gentleman-Verbrecher Danny Ocean, sondern ein gealterter Mann, dem sein Schwiegervater (Robert Forster) zu Recht vorwirft, dass er im Unterschied zu seiner Frau noch nichts erlebt hat. Das Erstaunliche ist, dass er jetzt trotzdem in den entscheidenden Momenten alles richtig macht. Dabei wird er unterstützt von seiner älteren Tochter Alexandra, die wohl in der Vergangenheit von der gesamten Familie stark unterschätzt wurde – neben Clooney gelingt Shailene Woodley die beste darstellerische Leistung in diesem Film.

Sieben Jahre nach "Sideways" liefert Alexander Payne mit "The Descendants" wieder einen brillant inszenierten Film ab, der die beteiligten Schauspieler zu Höchstleistungen bringt. Doch es fehlt ihm etwas die Leichtigkeit und auch Albernheit, die "Sideways" und sogar den Vorgänger "About Schmidt" auszeichnete. Natürlich ist die Story nach dem Roman von Kaui Hart Hemmings noch einmal tiefschürfender und kunstvoller konstruiert. Trotzdem gefällt mir dieser Nachkomme nicht so gut wie seine Vorgänger.

"The Descendants" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Sonntag 29 Januar 2012 um 11:04 von Roland Freist

Bearbeitet: Samstag 12 Januar 2013 16:18

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