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Filmkritk: "Der große Crash – Margin Call"

Krise? Welche Krise?

Als am 15. September 2008 die Investmentbank Lehman Brothers zusammenbrach, löste das eine verheerende Kettenreaktion im Bankensektor und nahezu zeitgleich eine Wirtschaftskrise aus. Die Börsenkurse implodierten, Institute wie die Commerzbank, die Hypo Real Estate und selbst gigantische amerikanische Hypothekenfinanzierer wie Fanny Mae und Freddie Mac konnten nur dank Milliarden an Staatshilfen überleben. Millionen von Menschen verloren ihre Jobs, ihre Ersparnisse und ihre Häuser, Staaten verschuldeten sich so sehr, dass sie bis heute kaum noch handlungsfähig sind.

"Der große Crash" baut auf diesen Ereignissen auf und zeigt die letzten 24 Stunden in einer fiktiven amerikanischen Investmentbank, bevor es zum Zusammenbruch kommt. Die Parallelen zu Lehman Brothers sind offensichtlich, doch werden weder die Bank noch das Datum jemals genannt. Es beginnt mit einer Kündigungswelle: Einige Dutzend Mitarbeiter werden entlassen und müssen das Haus sofort verlassen. Darunter ist auch der Analyst Eric Dale (Stanley Tucci, "Road to Perdition", "Terminal"), der im letzten Moment einem seiner Kollegen (Zachary Quinto, "Heroes", "Star Trek") einen USB-Stick mit den Daten seiner letzten Arbeit zustecken kann. Der schaut sich das nach Feierabend tatsächlich noch an und schlägt Alarm: Aufgrund der Entwicklung auf dem Hypothekenmarkt droht die Bank pleite zu gehen, und zwar schon innerhalb der nächsten Stunden.

Es beginnt die hektische Suche nach einer Lösung. Sämtliche leitenden Mitarbeiter werden noch in der Nacht in ihre Büros zurückgerufen. Da ist Sam Rogers (Kevin Spacey, "Sieben", "American Beauty"), seit mehr als 30 Jahren im Unternehmen, frustriert und erschöpft, sein Chef Jared Cohen (Simon Baker, "The Mentalist"), der nur seinen eigenen Kopf retten will, Will Emerson (Paul Bettany, "Master and Commander", "Priest"), der zynische und kalte Analyst, Sarah Robertson (Demi Moore, "Eine Frage der Ehre", "Enthüllung"), skrupellos für ihre Karriere kämpfend, und schließlich John Tuld (Jeremy Irons, "Die Affäre der Sunny von B.", "Wiedersehen in Brideshead"), der CEO der Firma, der Finanzkrisen und ihre Folgen für die Menschen schulterzuckend als zyklisch auftretendes Problem betrachtet.

Bei diesem Cast ist es kein Wunder, dass "Der große Crash" ein Schauspieler-Film geworden ist. Die Darsteller haben spürbar Spaß an ihren Rollen, es gibt viel Text, reihenweise kurze Monologe, Großaufnahmen von Gesichtern – ein Traum. Vor allem bei den Szenen, in denen die beiden Oscar-Preisträger Irons und Spacey aufeinandertreffen, merkt man, dass die beiden mit echter Vorfreude vor die Kamera treten. Unterstützt wird die Konzentration auf die Schauspieler noch durch die begrenzte Zahl und die Art der Schauplätze. Der Film spielt fast ausschließlich in einem nüchternen Büroumfeld in den oberen Etagen eines New Yorker Wolkenkratzers. Es ist über weite Strecken ein Kammerspiel, das der junge Regisseur J. C. Chandor hier inszeniert, gut geeignet auch für eine Umsetzung am Theater.

Doch genauso wie die Büros hier über der Stadt zu schweben scheinen, hat auch das Skript ein wenig die Bodenhaftung verloren. Man erfährt nichts über das Marktgeschehen, das die Krise auslöste, oder wie es kommen konnte, dass eine zuvor äußerst erfolgreiche Bank plötzlich vor dem Ruin steht. So wie "Der große Crash" es darstellt, sind die Fehler hausgemacht. Zwar ist dies kein Dokumentarfilm, dennoch wundert man sich ein wenig. Auf der anderen Seite fragt man sich, warum man mit irgendeinem der Protagonisten Mitgefühl haben sollte. Tatsächlich gibt es keine positiv besetzte Figur, alle auftretenden Personen sind mehr oder minder unsympathische, geldgierige Mistkerle. Wenn später im Film wegen der zu erwartenden Kündigung Tränen fließen, erinnert man sich an die Millionen von mittellosen, oftmals überschuldeten Arbeitslosen, die der Lehman-Crash produzierte, und ist von der Wehleidigkeit der Figuren eher abgestoßen.

"Der große Crash" lohnt sich in erster Linie wegen der tollen schauspielerischen Leistungen, auch ist er über weite Strecken durchaus spannend. Doch für einen Spielfilm fehlt ihm die emotionale Nähe zu seinen Protagonisten, als Dokumentarfilm wiederum ist er aufgrund der eher oberflächlichen Darstellung der Krise nicht geeignet.

"Der große Crash – Margin Call" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Samstag 01 Oktober 2011 um 10:23 von Roland Freist

Bearbeitet: Samstag 12 Januar 2013 16:15

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