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Filmkritik: "Melancholia"

Melancholie überkommt die Erde

Den Weltuntergang sieht man bereits zehn Minuten nach Beginn des Films, es ist eine Außenansicht aus dem All. Von schwerer Wagner-Musik untermalt, kollidiert die Erde im Zeitlupentempo mit dem um ein Vielfaches größeren Planeten Melancholia, bricht auf und wird von ihm verschluckt. Wer sich auf die Effekte eines Science-Fiction-Films freute: Hier waren sie.

Zuvor gibt es jedoch noch eine Hochzeit. Justine (Kirsten Dunst), die Schwägerin des reichen Unternehmers John (Kiefer Sutherland), heiratet Michael (Alexander Skarsgård), einen gut aussehenden, netten jungen Mann. Es ist keine Frage, dass die beiden sich lieben, alles scheint perfekt. Die Feier wird organsiert von einem Hochzeitsplaner der Luxusklasse (Udo Kier), der nicht ein einziges Ritual auslässt: Reden von den beiden Vätern und vom Bräutigam, der erste Tanz des Brautpaars, gemeinsames Anschneiden des Kuchens, Papierballons mit den besten Wünschen der Gäste. Doch je weiter der Abend voranschreitet, desto mehr wird sichtbar, dass Justine überfordert ist. Sie setzt sich immer wieder ab, flieht in den weitläufigen Park oder schläft ein im Bett ihres Neffen oder nimmt ein Bad und weigert sich, wieder herauszukommen. Sie reagiert empfindsam auf die Zumutungen ihrer Umgebung, auf ihren Chef, den Leiter einer PR-Agentur, der einen Slogan für die neue Kampagne von ihr verlangt, auf das streng durchgeplante Programm, auf John, der ihr die Kosten für die Veranstaltung vorhält, ihren Mann, der bereits die nächsten Jahre ihres gemeinsamen Lebens plant. Man erkennt, Justine hat Depressionen, und das, wie man von ihrem Bräutigam erfährt, nicht erst seit diesem Tag. Und dann ist da dieser neue Stern am Himmel, leicht rötlich leuchtend, heller als alle anderen.

Plötzlich ist alles vorbei. Justine trinkt Cognac aus der Flasche, schreit ihren Chef an, beleidigt ihn, kündigt. Sie schläft mit einem anderen Mann, und ihr frisch gebackener Ehemann verschwindet. Damit endet der erste Teil des Films.

Im zweiten Teil geht es um Justines Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg), die ebenfalls bei der Hochzeit war und sich dort ständig um die Einhaltung des Programms sorgte. Er spielt einige Zeit nach den geschilderten Ereignissen. Justine geht es jetzt deutlich schlechter. Sie ist schwer depressiv, schläft die meiste Zeit, isst kaum etwas und ist noch nicht einmal in der Lage, ohne fremde Hilfe auch nur ein Bad zu nehmen. Außer den beiden Schwestern sind noch John, Claires Sohn Leo und ein Butler im Haus. Claire hat Angst, vor allem vor dem neu entdeckten Planeten, von dem man nun weiß, dass er der Erde gefährlich nahekommen wird. Obwohl John es ihr verboten hat, sucht sie im Internet nach Informationen, gibt "Melancholia" und "death" in die Suchmaschine ein. Und über Google und Wikipedia erfährt sie, wie der Weltuntergang ablaufen wird, es ist von einem Totentanz der beiden Planeten die Rede, bevor Melancholia die Erde schließlich zerstören wird. John, Vertreter des allzeit positiven Denkens, behauptet jedoch, die Wissenschaftler hätten berechnet, dass es nur zu einem Vorbeiflug kommen werde. Doch im gleichen Maße, wie Melancholia am Himmel immer größer wird, wachsen auch Claires Ängste.

Gleichzeitig kommt Justine langsam wieder auf die Beine. Zum Schluss wirkt sie gefasst, beinahe erleichtert, stützt ihre Schwester und deren Sohn und beobachtet voller Staunen die Naturphänomene, die bei der Annäherung der beiden Planeten auftreten, die Elmsfeuer, die aus Telegraphenmasten und schließlich sogar ihren Händen in den Himmel steigen, das bläuliche Licht, als die Erde in die Atmosphäre von Melancholia eintaucht.

Regisseur Lars von Trier hat im Interview erzählt, er habe in den vergangenen Jahren Depressionen gehabt und viel getrunken. Beides habe er mittlerweile überwunden. "Melancholia" ist die meisterhafte künstlerische Aufarbeitung seines früheren Gemütszustands: Der Planet, der unaufhaltsam wie eine Gemütsverstimmung auf die Erde zukommt und alles verschlingt. Das Leiden an der Welt bei der blonden Schwester, die Angst vor dem Chaos bei der Dunkelhaarigen. Justines Sensibilität für die Gedankenlosigkeit und die Unverschämtheiten ihrer Umgebung. Claire Angst um ihren Sohn und ihre angedeutete Tablettensucht. Justines angedeuteter Alkoholmissbrauch.

Aber "Melancholia" entfaltet auch wegen seiner Schauspieler eine ungeheure Wirkung. Neben den bereits genannten tritt auch noch Charlotte Rampling als die frustrierte, ausgebrannte Mutter der beiden Schwestern auf, John Hurt spielt ihren Ex-Mann und damit den leiblichen Vater der Mädchen, und Stellan Skarsgård ist Justines Chef. Überragend ist jedoch Kirsten Dunst. Sie hat bereits als Achtjährige ihre ersten Rollen in Hollywood bekommen, nachdem sie bereits als Dreijährige in Werbespots aufgetreten war. Sie ist mittlerweile also mehr als 20 Jahre im Filmgeschäft, und noch nie war sie so gut wie hier. Ich wusste beispielsweise nicht, dass sie so eiskalt und hasserfüllt schauen kann. Und gleichzeitig ist sie in den Hochzeitsszenen schöner als jemals zuvor.

"Melancholia" ist im Kern ein Film über seinen Regisseur. Das könnte eine uninteressante Nabelschau sein, wäre da nicht diese grandiose Umsetzung in ein vielschichtiges Science-Fiction-Drama. Dieses langsam aufgebaute Gefühl eines unausweichlichen Todes, der immer größer werdende Planet mit seinem kalten, blauen Licht und den sich verschiebenden Wolkenmustern auf der Oberfläche – das vergisst man nicht so schnell.

"Melancholia" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Freitag 07 Oktober 2011 um 14:25 von Roland Freist

Bearbeitet: Freitag 04 April 2014 23:40

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