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Filmkritik: "The Wolf of Wall Street"

Spaß an der Börse

Jeder neue Film von Martin Scorseses gehört zum Pflichtprogramm aller Filmliebhaber. Dieser Regisseur hat im Laufe der Jahrzehnte immer wieder Meisterwerke geschaffen, die aus dem üblichen Mittelmaß herausragen und heute zum kulturellen Kanon gehören. Einige seiner berühmtesten Filme, "GoodFellas", "Casino" oder "Departed", beschäftigen sich mit der Mafia, erforschen ihre Anziehungskraft, die Charaktere ihrer Mitglieder und ihren Umgang miteinander. Und in gewisser Weise führt Scorsese diese Forschung mit "The Wolf of Wall Street" weiter fort.

Der Film erzählt die Geschichte von Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio), einem Börsenmakler, der in den späten 80er und frühen 90er Jahren mit dem Verkauf von Penny-Stocks reich wird. Belfort ist ein Verkaufsgenie. Nach seiner Ausbildung zum Broker bei einer großen New Yorker Firma wechselt er nach dem Börsencrash 1987 zu einem kleinen Laden auf Long Island, der sich eben auf diese Penny-Stocks spezialisiert hat. Es handelt sich dabei um Aktien von kleinen und oft nahezu wertlosen Firmen, die an der Börse nur wenige Cent wert sind. Entsprechend einfach ist es, ihre Kurse zu manipulieren: Bereits mit einigen zehntausend Dollar kann man zigtausende von Anteilen erwerben und damit den Kurs in die Höhe treiben. Belfort verkauft dieses Aktien mit erfundenen Renditeversprechen an Kleinanleger, der Kurs steigt, und er selber beziehungsweise seine Firma, die sich zuvor selbst ein großes Aktienpaket gesichert hat, kassiert ab. Daraufhin stürzt der Kurs ab und das Geld der Kleinanleger ist futsch. Belfort jedoch, der sich nach einigen Monaten selbstständig gemacht hat, verdient Millionen mit diesen Geschäften.

Jordan Belfort gibt das Geld mit vollen Händen aus: Er kauft sich einen weißen Ferrari, eine Jacht, ein riesiges Haus in den Hamptons. Er nimmt kiloweise Drogen aller Art, Crack, Kokain, Valium und diverse exotische Beruhigungs- und Aufputschmittel. Mittlerweile leitet er seine eigene Firma, deren Angestellte zusammen mit ihm rauschende Feste mit Champagner, Koks und Prostituierten feiern. Seine erste Frau hat er mittlerweile gegen ein Mädchen mit dem Aussehen eines Supermodels ausgetauscht. Es ist eine einzige, große, nicht enden wollende Party. Doch dann beginnen sich die Börsenaufsicht und das FBI für ihn zu interessieren.

Es gibt einige Parallelen zwischen diesem Film und "GoodFellas": Belfort erzählt diese Geschichte im Rückblick aus dem Off, beschreibt die Glücksgefühle, die sich mit dem Geld und der damit verbundenen Macht einstellten. Gleichzeitig lernt man die Broker als primitive, ungebildete Menschen kennen, denen jegliche Sozialkompetenz fehlt und die nur ihrer Gier nach Geld und Sex folgen. Die Gründungsmitglieder von Belforts Firma sind kleine, eher unterdurchschnittliche Vertreter und Verkäufer, die noch nie in ihrem Leben mit Aktien gehandelt haben. Einer der Höhepunkte des Films ist erreicht, als die gesamte Belegschaft nach einer von Belforts Motivations-Ansprachen eine Art rituellen Tanz aufnimmt und Kampfschreie ausstößt. Alles wird hier mit dem Streben nach Geld beziehungsweise Reichtum rechtfertigt, andere Werte existieren nicht. Belfort und seine Anhänger wähnen sich in einem Kosmos außerhalb der Gesellschaft, Recht und Gesetz der Vereinigten Staaten gelten nicht mehr für sie.

Martin Scorsese hat "The Wolf of Wall Street" als Komödie gedreht, und es ist tatsächlich einer der lustigsten Filme des Jahres geworden. Man lacht über diese Broker, ihre Dreistigkeit, aber im weiteren Verlauf der Handlung auch immer mehr über ihre Drogen- und Sexexzesse, diese völlig überdrehten Mir-kann-keiner-was-Spiele der frisch gebackenen Millionäre. Die Szenen mit dem unter Drogeneinfluss herumtorkelnden Belfort erinnern an die Drogenorgien in "Angst und Schrecken in Las Vegas". Aber auch die Geschichte, wie Belfort aus Furcht vor dem FBI Millionen von Dollars in die Schweiz zur Bank von Jean Jacques Saurel alias Jean Dujardin (Hauptrollen-Oscar für "The Artist") schmuggelt, sind hochgradig komisch. Das funktioniert natürlich nur, weil Scorsese einen Kunstgriff anwendet, wie ihn schon Coppola in "Der Pate" benutzte: Man sieht nie die Opfer der betrügerischen Machenschaften von Belfort & Co., erfährt nie etwas über die Menschen, denen er und seine Mitstreiter die gesamten Ersparnisse abgenommen haben.

Leonardo DiCaprio liefert eine der besten darstellerischen Leistungen seiner Karriere ab. Sein Belfort ist ein siegesgewisser Temperamentbolzen mit jugendlicher Frische und einer sehr überzeugenden Rhetorik, der sich um die Moral seines Tuns noch nie Gedanken gemacht hat. Um seine Figur herum gibt es zwei weitere, große Performances: Im ersten Drittel des Films spielt Matthew McConaughey den Ausbilder von Jordan Belfort. Er hat einen großen Auftritt mit einer Rede, die er an den jungen Nachwuchs-Broker richtet und die den ganzen Zynismus und die Funktionsweise dieser Branche schön zusammenfasst. In der eigenen Firma wird dann Donnie Azoff alias Jonah Hill ("Moneyball") zur Vertrauensperson von Belfort. Hill beweist wieder einmal, dass er immer noch ein stark unterschätzter Schauspieler ist, sein Azoff ist das Musterbeispiel für den leitenden Angestellten, der alles tut, um ein Abziehbild seines Chefs zu werden. Weitere Rollen, die im Gedächtnis bleiben, sind Rob Reiner als Jordan Belforts Vater Max, Kyle Chandler als FBI-Agent Patrick Denham und die sehr schöne Margot Robbie als Benforts zweite Frau Naomi Lapaglia.

"The Wolf of Wall Street" ist nicht so gut wie "GoodFellas" oder "Casino", dazu bringt er die Dinge nicht präzise genug auf den Punkt. Doch er fügt dem ewigen Gleichnis von Scorsese, nämlich dem Vergleich der amerikanischen Gesellschaft mit dem Mob, dem organisierten Verbrechen, einen weiteren Blickwinkel hinzu, der dieses Mal allerdings mit einer Laufzeit von drei Stunden arg lang geworden ist. Und ohne Frage ist dies einer der großen Filme des Jahres.

"The Wolf of Wall Street" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Sonntag 19 Januar 2014 um 10:58 von Roland Freist

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