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Filmkritik: "Spotlight"

Im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit

Unter den Filmen über herausragende Beispiele journalistischer Arbeit ist "Die Unbestechlichen" immer noch das Maß aller Dinge. Der Film über Carl Bernstein und Bob Woodward, gespielt von Dustin Hoffman und Robert Redford, die den Watergate-Skandal aufdeckten und damit Richard Nixon zu Fall brachten, ist bis heute das große Vorbild für die filmische Umsetzung einer investigativen Recherche. Das gilt auch für "Spotlight": Der Film von Regisseur Tom McCarthy übernimmt zahlreiche Stilmittel von "Die Unbestechlichen", ergänzt sie jedoch um etliche emotionale Elemente, die man bei dem Watergate-Film mit der Lupe suchen musste. Dass "Spotlight" erheblich stärker auf das Gefühlsleben der Zuschauer abzielt, ist allerdings auch kein Wunder, denn es geht nicht um hohe Politik, sondern um ein komplett andersgeartetes Thema, nämlich die über Jahrzehnte hinweg vertuschte Misshandlung von Kindern durch Priester der katholischen Kirche.

Der Schauplatz ist zum Großteil die Redaktion des Boston Globe, eine der großen und angesehensten Tageszeitungen der USA. Sie leistet sich seit 1970 eine Investigativ-Abteilung namens Spotlight, bestehend aus vier Redakteuren: dem Chef Walter "Robby" Robinson (Michael Keaton) und den drei Journalisten Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams), Mike Rezendes (Mark Ruffalo) und Matt Carroll (Brian d’Arcy James). Es ist das Jahr 2001. Die Lokalredaktion hat gerade über einen Bostoner Priester berichtet, der im Verdacht steht, 80 Jugendliche missbraucht zu haben. Normalerweise hätte der Globe das als Einzelfall abgetan und nicht weiter nachverfolgt, geschweige denn, dass sich das Spotlight-Team darum gekümmert hätte. Doch der neue Herausgeber Marty Baron (Liev Schreiber) vermutet hinter der Meldung eine größere Geschichte, und zusammen mit Chefredakteur Ben Bradlee (John Slattery, "Mad Men") setzt er das Team darauf an.

In den kommenden Monaten recherchieren die Journalisten eine Geschichte von jahrzehntelangem Missbrauch und Vertuschung durch höchste Kirchenkreise. Die alteingesessene Bostoner Bevölkerung ist zum größten Teil irisch-katholisch, bei jedem Schritt stoßen die Redakteure auf Widerstand. Es ist nicht so, dass die Kirchenoberen selbst ihnen Steine in den Weg legen würden. Doch ihr Einfluss reicht in Boston bis in jedes Amt, jedes Gericht und jedes Archiv, das Akten zu den Fällen vorhält. Und die Kirche hat alles getan, um die Fälle unter den Tisch zu kehren und die pädophilen Priester zu schützen.

Die wichtigste Aussage von "Spotlight" ist, dass wichtiger als die Bestrafung der Einzeltäter die Aufdeckung des dahinterstehenden Systems ist. Nur so lässt sich der Missbrauch dauerhaft beenden, erklärt Marty Baron der Redaktion und untersagt eine Veröffentlichung des Falls bevor nicht die Mitwisserschaft der Kirchenspitze nachgewiesen ist.

"Spotlight" ist eine 128 Minuten lange Lehrstunde in unabhängigem Journalismus. Mehrfach kommt es zu Gesprächen mit Vertretern der Kirche, mit katholischen Richtern oder Kirchenanwälten, die allesamt versuchen, den Ermittlungseifer des Boston Globe zu bremsen und den Redakteuren Informationen vorzuenthalten. Auf der anderen Seite sieht man das Spotlight-Team immer wieder mit den Betroffenen reden, mit den Opfern, die ihnen von den psychischen Verletzungen erzählen, die ihnen die Priester im Kindesalter zugefügt haben. Und es wird deutlich, dass auch der Boston Globe Schuld auf sich geladen hat, da er die Hinweise von Opfern und Rechtsanwälten jahrelang ignoriert hat.

Der Film ist toll gespielt, das Ensemble ein All-Star-Team. Um das Namedropping zu Ende zu führen, seien auch noch Stanley Tucci ("Die Tribute von Panem") als Opferanwalt und Billy Crudup ("Almost Famous") als von der Kirche bestellter Vermittler erwähnt. Aus dieser durchweg guten Darstellerriege ragen vor allem Michael Keaton und Mark Ruffalo heraus. Keaton erlebt seit seinem Auftritt in "Birdman" ein spätes, verdientes Comeback. Er ist großartig als der nüchtern denkende, durch kaum etwas zu beeindruckende Profijournalist. Ruffalo dagegen gibt sehr beeindruckend den ungestümen und emotionalen Rechercheur. Liev Schreiber und Rachel McAdams nehmen sich stark zurück und wirken dadurch nur umso beeindruckender in ihren Rollen.

Zum Ende drückt "Spotlight" etwas mehr auf die Tränendrüse als es notwendig gewesen wäre. Doch auf der anderen Seite lässt das Thema des Films auch keine rein distanzierte Betrachtungsweise zu. Und die emotionalen Momente tun ihm gut, machen ihn vielleicht sogar noch etwas besser als "Die Unbestechlichen". Großes Hollywood-Kino ist er allemal.

"Spotlight" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Nachtrag: Aus Anlass des Films hat der Boston Globe einen kurzen Film zusammengestellt, in dem ehemalige Mitarbeiter des Spotlight-Teams zu Wort kommen und die damaligen Ereignisse sowie die Wirkung ihrer Berichterstattung aus ihrer Sicht schildern:

Geschrieben am Sonntag 28 Februar 2016 um 22:31 von Roland Freist

Bearbeitet: Montag 29 Februar 2016 14:48

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