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Filmkritik: "Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)"

Verführerischer Vogelmensch

Alejandro Iñárritu muss das moderne Superhelden-Kino wirklich hassen. Sein "Birdman", die Figur, die der Protagonist Riggan Thomson (Michael Keaton) einst in zwei Hollywood-Blockbustern spielte, ist eine weitgehend lächerliche Erscheinung, ein Mann in einem wenig eindrucksvollen Vogelkostüm. Dennoch ist Thomson immer wieder seinen Einflüsterungen ausgesetzt, der Birdman erzählt ihm vom großen Geld, das er beim Film verdienen könnte, von dem guten Leben, das er dort hätte. Doch Thomson hat sich fürs Theater entschieden.

Der Film spielt nahezu komplett in den Räumen eines New Yorker Theaters am Broadway. Riggan Thomson inszeniert dort ein Stück nach einer Kurzgeschichte von Raymond Carver und spielt auch selber die Hauptrolle. Gleichzeitig ist er auch der Finanzier, obwohl seine Ersparnisse aus den Hollywood-Jahren mittlerweile aufgebraucht sind und er jetzt sogar sein Haus in Malibu verkaufen muss, um zu überleben. Das Stück muss also ein Erfolg werden, und entsprechend nervös ist er. Michael Keaton spielt das sehr gut, bis nahezu zum Schluss macht er einen nervösen, abgehetzten Eindruck, auch wenn sein Riggan Thomson versucht, wenigstens zwischendurch zeitweise zur Ruhe zu kommen. Doch vergeblich. Ständig werden seine Ruhepausen unterbrochen, von seiner Tochter Sam (Emma Stone), die frisch aus dem Entzug kommt und schon wieder kifft, seiner Ex-Frau Sylvia (Amy Ryan), die ihm vorwirft, sich nicht genügend um eben diese Tochter zu kümmern, seiner neuen Freundin Laura (Andrea Riseborough), die ihm sagt, dass sie schwanger ist, von seinem Manager Brandon (Zach Galifianakis) oder den anderen Schauspielern, darunter der Star Mike Shiner (Edward Norton) und seine alte Freundin Lesley (Naomi Watts). Kein Wunder also, dass Riggan Thomson müde, alt und ausgelaugt wirkt. Die Kamera zeigt uns jede kleine Falte in seinem Gesicht, und davon gibt es bei dem mittlerweile 63-jährigen Keaton eine ganze Menge.

Aber man versteht auch, was den Reiz des Theaters für ihn und wohl auch für Regisseur Iñárritu ausmacht. Die gemeinsame Arbeit am Stück, die Intrigen und Techtelmechtel in den Garderoben und zwischen den Kulissen, die Spannung vor dem Auftritt, die Reaktion des Publikums – man sieht, dass diese Arbeit anstrengend ist, aber eben auch künstlerisch und menschlich befriedigend. Der Film baut das oft arme, aber dafür intellektuell anspruchsvolle Theater an der Ostküste gezielt als Gegenstück zu den flachen, aber mit dreistelligen Millionen-Budgets ausgestatteten Superhelden-Filmen aus Los Angeles auf. In einer kurzen Sequenz zitiert Iñárritu diese Form des Kinos sogar, und für einen kurzen Moment schaut man dabei einer Figur in die Augen, die verdächtig an einen Transformer erinnert.

Eines der bestimmenden Merkmale dieses Films, an das man sich vermutlich auch in einigen Jahren noch erinnern wird, ist seine seltsam unwirkliche, wie ein Traum wirkende Atmosphäre. Iñárritu erreicht das vor allem durch zwei Maßnahmen. Zum einen baut er unvermittelt immer wieder irreale Szenen ein, die den Zuschauer zweifeln lassen, ob er es hier mit Magie oder den Wahnvorstellungen der Hauptperson zu tun hat. Gleich in der ersten Szene sieht man Michael Keaton meditierend etwa einen Meter über dem Boden schweben. Eine Erklärung bleibt der Film schuldig, am wahrscheinlichsten ist, dass es sich um die Phantasien von Riggan Thomson handelt.

Zum anderen haben Iñárritu und sein brillanter Kameramann Emmanuel Lubezki ("Gravity") den Film so gedreht und geschnitten, dass es aussieht, als wäre er in einem einzigen, langen Take aufgenommen. Die Schauspieler mussten sich an Bodenmarkierungen orientieren, die ihnen bei jeder Szene anzeigten, wo sie zum Schluss stehenbleiben sollten. Das Ergebnis wirkt wiederum wie ein Traum oder wie ein ununterbrochen fließender Bewusstseinsstrom, wobei die Zeit mal langsamer, teilweise aber auch, als Timelapse gedreht, sehr schnell vergeht.

Viel ist in den letzten Wochen geschrieben worden über "Birdman" und die Parallelen zu Michael Keatons Karriere mit den beiden Auftritten als "Batman". Fast ebenso oft ging es um die neun Oscar-Nominierungen und die Sympathien in Hollywood für Filme, die sich mit der eigenen Branche auseinandersetzen. Doch kein Film wird besser oder schlechter dadurch, dass man um die Vergangenheit des Hauptdarstellers weiß oder Mutmaßungen über die Vorlieben der Jury bei den Academy Awards anstellen kann. Wenn man diese Aspekte daher einmal beiseitelässt, bleibt ein zwar guter, aber keineswegs überragender Film übrig. "Birdman" ist zu stark gekünstelt, zu sehr konstruiert, um als Meisterwerk durchzugehen. Er trägt beinahe schon Züge einer Parabel, so wie er den Gegensatz zwischen Theater und Kino, Intellekt und Geld aufbaut. Eine solche Konstruktion ist jedoch nicht dazu geeignet, den Zuschauer wirklich zu fesseln. Und obwohl wir ihn beinahe die gesamten zwei Stunden Laufzeit über begleiten und viel über sein Leben und seine Vergangenheit erfahren, bleibt Riggan Thomson dennoch ein Fremder, über dessen Motive man letztlich nur mutmaßen kann. Das gilt insbesondere für den Schluss, der zudem auch nicht so gestaltet ist, dass er einen inneren Nachhall erzeugt.

"Birdman" besitzt neben aller kompositorischen Strenge viel Humor und kann vor allem auf ein großartiges Ensemble verweisen. Neben Michael Keaton kann vor allem Emma Stone überzeugen, die bereits seit mehreren Jahren kontinuierlich gute Arbeit abliefert. Genau wie Keaton und Edward Norton ist auch sie für einen Oscar nominiert. Außerdem startet "Birdman" in den Kategorien "Bester Film", "Beste Regie", "Bestes Drehbuch", "Beste Kamera", "Bester Sound" und "Beste Soundbearbeitung". Der Film wird sicherlich einige Preise gewinnen, denn er ist eines der interessantesten Werke dieses Kinojahres. Aber alle, wie einige Kritiker prophezeien – das wäre eindeutig zu viel.

"Birdman" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Donnerstag 29 Januar 2015 um 22:37 von Roland Freist

Bearbeitet: Donnerstag 12 März 2015 22:20

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