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TV-Kritik: "Mad Men"

Verrückte 60er

Neben "Breaking Bad" (hier meine Kritik) ist "Mad Men" die zweite große und wichtige TV-Serie der letzten Jahre. Beide laufen in den USA beim Pay-TV-Sender AMC, der auch die Zombie-Serie "The Walking Dead" ausstrahlt.

"Mad Men" spielt in der fiktiven Werbeagentur Sterling Cooper Anfang der 60er Jahre. Von diesem Umfeld leitet sich auch der Titel ab: Einige der größten amerikanischen Agenturen haben ihren Sitz in der New Yorker Madison Avenue, Mad Men ist die Bezeichnung, die sich die dort arbeitenden Werbeleute selbst gerne geben. Hauptperson der Serie ist der Kreativdirektor von Sterling Cooper, Don Draper, gespielt von Jon Hamm. Seine Erlebnisse in der Agentur und außerhalb mit seiner schönen Frau Betty (January Jones, die beste Grace-Kelly-Darstellerin seit Grace Kelly selbst) und den beiden Kindern sind der rote Faden, der sich durch die Serie zieht. Dazu kommen verschiedene Nebenhandlungen rund um andere Beschäftige der Agentur.

Zwei Aspekte sind es, die bei dieser Serie einen "Wow!"-Effekt verursachen: zum einen die Ausstattungsorgie, die sich der Sender geleistet hat. Es gibt keine Krawatte, keinen Manschettenknopf, keine Halskette, kein Kleid, kein Hemd und keinen Anzug, der nicht der Mode Anfang der 60er Jahre entspricht. Auch jedes Detail der Büro- und Wohnungseinrichtung, jeder Stuhl, jeder Tisch, jede Vase, jede Lampe ist entweder ein Original aus der damaligen Zeit oder bis ins kleinste Detail originalgetreu nachgebaut. Zusammen mit der hohen Qualität der Bilder, in Farbe und Aufbau phantastisch komponierte Aufnahmen der Akteure und ihrer Umgebung, entsteht ein hochgradig realistischer Eindruck von dieser Zeit. Er wird noch verstärkt durch gelegentlich zu sehende Fernsehbilder etwa von Reden Martin Luther Kings oder von zeitgenössischen Werbespots.

Diesen Realismus machen sich die Autoren von "Mad Men" rund um den Produzenten Matthew Weiner zunutze, um den zweiten "Wow!"-Effekt zu erzielen: Der Zuschauer zieht unwillkürlich Vergleiche zwischen dem Verhalten der Akteure in den frühen 60ern und den heute üblichen Verhaltensweisen. Aufgrund der teilweise krassen Unterschiede wird man immer wieder mit der Nase darauf gestoßen, welche großen gesellschaftlichen Veränderungen in den letzten Jahren vonstattengegangen sind, wie stark sich die Bewertungen vieler Sachverhalte verändert haben.

Einige Beispiele: In "Mad Men" wird völlig selbstverständlich gesoffen was die Leber hergibt. Unter dem Führungspersonal gehört es zum guten Ton, jedem Kollegen, der das Büro betritt, einen Whisky oder Gin anzubieten, und sei es auch erst zehn Uhr vormittags. Zu diesem Zweck stehen überall kleine Zimmerbars bereit. Mittags und nach der Arbeit schüttet man zusätzlich Martinis in sich hinein. Und es wird geraucht: Don Draper ist genauso wie seine Frau kaum jemals ohne Zigarette zu sehen. Man raucht in jedem Büro, jeder Wohnung, während geschäftlicher Besprechungen, aber auch im Fahrstuhl und in Gegenwart der Kinder. Ein Gesundheitsbewusstsein existiert nicht, der ständige Genuss harter alkoholischer Getränke gilt als ein Zeichen von Weltläufigkeit.

Auffällig ist auch die Rolle der Frauen. Zu Beginn der ersten Staffel sind sämtliche Texter und das gesamte Führungspersonal bei Sterling Cooper männlich. Weiblich sind lediglich die Assistentinnen, die vor den Büros sitzen und für ihre männlichen Kollegen die Telefonverbindungen herstellen. Lediglich Peggy Olson (Elisabeth Moss) gelingt es, von der Sekretärin zur Texterin mit eigenem Büro aufzusteigen. Dafür muss sie jedoch disziplinierter sein und härter arbeiten als die Männer. Und sie bezahlt einen hohen Preis für ihren Aufstieg: Nachdem ihr Kollege Pete Campbell (Vincent Kartheiser) sie geschwängert hat, muss sie die Schwangerschaft verbergen, darf niemandem etwas davon erzählen und gibt das Kind schließlich zu Pflegeeltern. Hätte jemand etwas von dem unehelichen Kind erfahren, wäre das wohl das Ende ihrer Karriere gewesen.

Immer wieder gibt es Szenen, in denen die Frauen privat und beruflich gedemütigt und von den Männern als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Das geschieht noch nicht einmal in böser Absicht – es ist einfach der gesellschaftliche Konsens und reine Gedankenlosigkeit. Aber in den Augen der Frauen kann man sehen, dass sie beginnen, sich eigene Gedanken zu machen, und dass es anfängt zu gären. Das Großartige an "Mad Men" ist dabei, dass die Serie dem Zuschauer die Gedanken der Menschen verrät, ohne dass sie ausgesprochen werden.

Weitere Themen, die die Serie aufgreift, umfassen beispielsweise den Umgang mit Homosexuellen – der Chefgrafiker Salvatore Romano (Bryan Batt) ist schwul und verbirgt das hinter der Fassade einer bürgerlichen Ehe – oder auch mit Afroamerikanern. Und immer verrät einem "Mad Men" mindestens genauso viel über die heutige Zeit wie über die Epoche, in der die Serie spielt.

ZDF neo zeigt derzeit jeden Mittwochabend Wiederholungen der zweiten und dritten Staffel von "Mad Men". Ab 13. Februar soll die vierte Staffel ausgestrahlt werden.

"Mad Men" in der IMDB

Das folgende Video versammelt sämtliche Trinkszenen der Serie und demonstriert, welche unglaublichen Mengen Alkohol die Darsteller in sich hineinschütten:

Das nächste Video verspricht einen Zusammenschnitt aller Szenen, in denen bei "Mad Men" geraucht wird. Aber das stimmt nicht, es sind erheblich mehr.

Geschrieben am Freitag 11 Januar 2013 um 16:25 von Roland Freist

Bearbeitet: Montag 14 Januar 2013 17:21

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