« September 2013 | Startseite | November 2013 »

Archiv vom Oktober 2013

Filmkritik: "Ender's Game – Das große Spiel"

Geschrieben am Freitag 25 Oktober 2013 um 22:43 von Roland Freist

Tod den Ameisen!

Kinder und Jugendliche sind potenziell bessere Autofahrer als die meisten Erwachsenen. Sie reagieren erheblich schneller, sind aufnahmefähiger und können komplexe Situationen in kürzerer Zeit erfassen. Dennoch dürfen sie noch nicht den Führerschein machen, und das aus gutem Grund. Ihnen fehlt das nötige Verantwortungsbewusstsein, sie haben noch nicht verinnerlicht, dass sie durch leichtsinniges Verhalten andere Menschen in Gefahr bringen und sogar töten können, und ihnen ist noch nicht klar, was das bedeutet.

In "Ender’s Game" setzt sich das Militär über solche Skrupel hinweg. Der Film spielt einige Jahrzehnte in der Zukunft. 50 Jahre zuvor haben die Formics, ameisenähliche Aliens, die Erde angegriffen und beinahe erobert. Nur dem legendenumwobenen Einsatz des Flottenkommandeurs Mazer Rackham (Ben Kingsley) war es zu verdanken, dass die Menschen überlebten – in einem immer wieder gezeigten, kurzen Filmausschnitt sieht man ihn wie einst Russell Casse in "Independence Day" heldenhaft in das gegnerische Mutterschiff aufsteigen, das anschließend von einer gigantischen Explosion zerstört wird. Seither sucht das Militär in Gestalt von Colonel Hyram Graff (Harrison Ford) nach einem Nachfolger für Rackham und konzentriert sich dabei eben auf Kinder und Jugendliche.

Schließlich scheint der Richtige gefunden zu sein. Ein Hänfling mit dem seltsamen Namen Ender Wiggin (Asa Butterfield, "Hugo Cabret") zeigt bei den Auswahltests eine außergewöhnliche strategische Begabung. Nach seiner Aufnahme in die Militärakademie besteht er denn auch eine Prüfung nach der anderen und lässt die übrigen Schüler hinter sich. Zunächst in einer Schule in den Rocky Mountains, später auf einer Raumstation über der Erde setzt er sich Mal um Mal gegen ältere und stärkere Mitschüler durch. Zu Hilfe kommen ihm dabei seine Fähigkeit, sich in sie hineinversetzen zu können sowie seine eiskalte Entschlossenheit, wenn er einen Weg gefunden hat, um einen Kampf für sich zu entscheiden. Colonel Graff ist begeistert und schlägt die Warnungen seiner Assistentin Major Gwen Anderson (Viola Davis), dass Ender durch die Ausbildung dauerhaft Schaden nehmen könnte, in den Wind.

Schließlich wird Ender auf eine Raumstation in der Nähe des Heimatplaneten der Formics versetzt, wo er mit seinem Team in Kampfsimulationen wochenlang auf den Krieg gegen die Aliens vorbereitet wird. Doch beim letzten Test kommt es zur Katastrophe.

Der Film ist, das muss man leider so sagen, über weite Strecken langweilig. Zwar ist Ender Wiggin eine Figur, mit der sich vermutlich viele gehänselte und getretene Jungen in seinem Alter identifizieren können. Doch sein Aufstieg in der Hierarchie, so befriedigend er für auf Rache sinnende Jugendliche auch sein mag, folgt immer dem gleichen Muster: Ender kommt in eine neue Gruppe, ist dort der jüngste, kleinste und schwächste, steigt dann dank seines strategischen Geschicks und der ständigen Ermunterungen durch Colonel Graff auf zu ihrem Anführer und wechselt aufs nächste Level, wo er zunächst wieder der jüngste, kleinste und schwächste ist. Es gibt keine Rückschläge, kein Hinterfragen dieser Entwicklung. Nur einmal, nachdem er einen Fiesling aus Versehen fast getötet hätte, nimmt er eine Auszeit. Doch ein Bootsausflug mit seiner Schwester (Abigail Breslin, "Little Miss Sunshine") bringt ihn schnell wieder zur Vernunft. Erst zum Schluss, in den letzten zehn bis fünfzehn Minuten, kippt die Tonart des Films.

Die Romanvorlage zu "Ender’s Game", auf Deutsch "Das große Spiel", von Orson Scott Card gilt als ein Kultbuch und wurde mehrfach ausgezeichnet. Ich habe das Buch nicht gelesen, erfahre jedoch aus der Wikipedia, dass das Hauptmotiv dort die ständige Manipulation von Ender durch das Militär ist. Diese Manipulationen schildert auch der Film, ohne sie jedoch überzeugend als Ursache für Enders Aufstieg und Verhalten darstellen zu können. Auf der Leinwand sieht es so aus, als seien dafür in erster Linie die Anlagen des Jungen verantwortlich, die von den Militärs lediglich ausgenutzt werden.

Der Film war mit einem Budget von 40 Millionen Dollar für Hollywood-Verhältnisse verhältnismäßig günstig. Die Special Effects sind daher größtenteils nur Durchschnitt. Am besten gelungen sind die Kampfübungen auf der Raumstation, in einer großen, gläsernen Kugel, in der die Teams schwerelos schwebend in wechselnden Formationen aufeinander treffen. Jedoch zeichnen sich weder die Aliens noch die Raumschiffe durch sonderliche Originalität aus. Regisseur Gavin Hood ("X-Men Origins: Wolverine") hat ausgezeichnete Schauspieler um sich versammelt, die vermutlich allesamt auf ein höheres Honorar verzichtet haben, um hier mitspielen zu können. Doch mit Ausnahme von Asa Butterfield, der die ganze Zeit aussieht wie Elijah Wood als Hobbit, und seiner von Hailee Steinfeld ("True Grit") gespielten Freundin Petra bleiben sie allesamt blass in ihren Rollen.

Man hätte aus "Ender’s Game" vermutlich mehr machen können. Mit ein paar Kürzungen bei der Handlung und einigen besser ausgearbeiteten Szenen wäre schon viel gewonnen gewesen. So wirkt der Film zuweilen wie arg unter Zeitdruck und oberflächlich, was ihn, wie gesagt, über weite Strecken langweilig macht.

"Ender's Game" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Montag 28 Oktober 2013 10:45

"Es ist nur eine Katze"

Geschrieben am Dienstag 15 Oktober 2013 um 11:21 von Roland Freist

Katzen können einen zu Tode erschrecken. Hier kommt eine Sammlung von Filmausschnitten, in denen die Regisseure einen kurzen Schreckmoment erzeugen, indem sie eine protestierende Katze aus irgendeiner Ecke springen lassen. Die Szene verfehlt nur selten ihre Wirkung.

Wie Telekinese wirklich funktioniert

Geschrieben am Freitag 11 Oktober 2013 um 17:41 von Roland Freist

In einem New Yorker Cafe baut ein Filmteam ein Set, um die telekinetischen Fähigkeiten einer jungen Frau zu demonstrieren. Versteckte Kameras filmen die Reaktionen der Gäste – offensichtlich wirkt die Szene sehr überzeugend. Dahinter steckt allerdings nur eine Marketing-Aktion für die Neuverfilmung von "Carrie", des Bestsellers von Stephen King.

Filmkritik: "Liberace – Zu viel des Guten ist wundervoll"

Geschrieben am Mittwoch 09 Oktober 2013 um 23:03 von Roland Freist

Der König von Las Vegas

Das bekannteste Foto von Liberace hat Annie Leibovitz für den Rolling Stone gemacht (hier gibt es eine Kopie). Es zeigt ihn und Scott Thorson vor einer weißen Limousine, sie ist beklebt mit Spiegelsteinen. Liberace ist eingehüllt in einen weißen Pelzmantel, darunter erkennt man eine Rüschenbluse und eine Hose von undefinierbarer Farbe. Und natürlich dürfen die dicken Ringe nicht fehlen, ebensowenig wie die Brosche am Hals. Thorson überragt ihn beinahe um Haupteslänge. Er trägt eine hellblaue Phantasieuniform, die der eines Pagen nachempfunden ist, dazu silbern glänzende Stiefel und ebenfalls mehr als auffällige Ringe. Thorson strahlt wie ein Honigkuchenpferd, während Liberace, mit Zigarette zwischen den Fingern, das milde Lächeln eines Mannes zeigt, der schon alles erlebt hat in seinem Leben. Er sieht aus wie der Herrscher eines märchenhaften Königreichs, unermesslich reich.

Der Originaltitel des Films lautet "Behind the Candelabra", was deutlich besser passt als der hiesige Verleihtitel "Liberace". Denn es geht nicht um die Geschichte von Władziu Valentino Liberace, seinen Aufstieg vom Wunderkind der klassischen Musik zum gefeierten Entertainer und reichsten Klavierspieler der Welt. Stattdessen erzählt er von dem, was sich im Hintergrund ereignete, hinter dem Kandelaber, der auf dem Piano von Liberace stand und eins seiner Markenzeichen war. Es geht um die Beziehung zwischen zwei Männern, zwischen dem damals bereits 56-jährigen Liberace (Michael Douglas) und dem 39 Jahre jüngeren Scott Thorson (Matt Damon). Thorson stammte aus ärmlichen Verhältnissen und wuchs bei Pflegeeltern in Wisconsin auf. Im Film kommt er 1977 über eine Kneipen-Bekanntschaft (Scott Bakula) in Kontakt mit Liberace, der zu dieser Zeit eine gefeierte Show in Las Vegas bestreitet. Dem gefällt der gut aussehende Junge, und er macht ihn zu seinem Privatsekretär und Geliebten.

Thorson wechselt in eine Welt, wie es sie so nicht noch einmal gibt. Liberace ist reich, und er liebt es, shoppen zu gehen. Er gibt sein Geld aus für riesige Häuser, Autos, exzentrische Kostüme, Essen, unglaublich kitschige Einrichtungen und Schmuck, sehr viel Schmuck. Er ist wie ein Kind, ohne Stil und Geschmack, das einfach alles haben will, was es sieht. Er will auch Thorson besitzen und erhebt 24 Stunden am Tag Ansprüche auf ihn. Sein neuer Liebhaber muss die Kleidung tragen, die er vorgibt, den Schmuck, und schließlich muss er auch so aussehen wie er. Ein Schönheitschirurg (Rob Lowe), der auch Liberace selbst regelmäßig verjüngt, bekommt den Auftrag, Thorson wie einen Sohn von ihm zu gestalten.

Auf die Dauer geht das natürlich schief. Thorson versucht auszubrechen, trinkt und nimmt Drogen, was Liberace nicht versteht. Schließlich kommt es nach fünf Jahren zum Bruch und in der Folge zu einem hässlichen Prozess um Geld und Versprechungen.

Eigentlich ist das eine recht kitschige und nicht sonderlich originelle Geschichte. Interessant und sehenswert macht den Film vor allem das schwule und plüschige Milieu, in dem er spielt. Liberace lebt in einer eigenen Welt, einem Pop-Universum, und ist beinahe ausschließlich von Männern umgeben. Er hat sich einen Hofstaat aus Vertrauten zusammengestellt, die ihn gegen die Realität abschirmen. Die einzigen Frauen in seiner Umgebung sind das Hausmädchen und seine Mutter, die er allerdings auch nur sporadisch besucht. Es ist eine Welt, in der Homosexualität etwas Normales ist, in der Liberace keine Angst haben muss, dass er wegen seiner sexuellen Orientierung verletzt und gedemütigt wird. Er will von allen Menschen geliebt werden und hat vor nichts mehr Angst, als dass seine Homosexualität in der Öffentlichkeit bekannt wird. Er befürchtet, dass sich sein Publikum von ihm abwenden könnte. Um das zu verhindern, ist er sogar eine Scheinheirat mit einer Frau eingegangen und verklagt jeden, der es wagt, ihn als schwul zu bezeichnen. Als Thorson versucht, zumindest einen Teil Eigenständigkeit zurückzugewinnen, ist das nicht nur Liebesentzug, sondern auch eine Bedrohung seiner heilen, vollständig von ihm kontrollierten Welt.

Man merkt Michael Douglas deutlich den Spaß an, mal wieder eine große, anspruchsvolle Rolle spielen zu können. Er hat ein umfangreiches Repertoire an tuntiger Gestik und Mimik einstudiert und setzt es mit seiner eigenen, persönlichen Note ein. Sein Liberace sieht keine Sekunde lang aus wie eine Karikatur oder Witzfigur, sondern wirkt wie ein zwar exzentrischer, aber eben auch sehr verletzlicher und kindlicher Charakter.

"Liberace" ist ein klassischer Liebesfilm. Las Vegas, das Ambiente in der Liberace-Villa und die Tatsache, dass es um zwei schwule Männer geht, schaffen eine Verfremdung, die das Grundmotiv zeitweilig vergessen lassen. Doch letztlich gelingt es dem Film, und das ist seine große Leistung, dass man hinter dem Kandelaber die Menschen entdeckt und beginnt sie zu mögen.

"Liberace – Zu viel des Guten ist wundervoll" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Freitag 01 November 2013 22:26

Filmkritk: "Rush – Alles für den Sieg"

Geschrieben am Sonntag 06 Oktober 2013 um 22:51 von Roland Freist

Niki und James

Die Formel 1 ist eine der letzten Macho-Sportarten auf diesem Planeten. Selbst wenn heute ein Milchgesicht wie Sebastian Vettel jahrelang die Meisterschaft beherrschen kann, ist die Mehrheit der Fahrer trotzdem noch von dem Schlag, der gerne seine Model-Freundinnen vorzeigt und Uhren mit dem Gewicht einer Kanonenkugel am Handgelenk trägt. Dabei hat sich der Sport gewandelt und ist vor allem längst nicht mehr so gefährlich wie früher. Nicht zuletzt dank massiver Proteste der Fahrer und Rennteams sind die Strecken erheblich sicherer geworden, und auch die Fahrzeuge sind heute so konstruiert, dass sie dem Insassen auch bei einem Crash mit 300 km/h maximalen Schutz bieten.

In den 70er Jahren sah das noch anders aus. Damals starben im Schnitt zwei Fahrer pro Saison, und bei einem Rennen gab es für jeden von ihnen eine zwanzigprozentige Wahrscheinlichkeit, dass er verunglücken würde. Eins der Verdienste von "Rush", dem neuen Film von Ron Howard ("Apollo 13"), ist, dass er zeigt, wie die Fahrer damals mit ihrem Macho-Gehabe ihre ständige Angst überdeckten. Das Steuern eines Rennwagens erforderte viel Mut und zog einen ganz bestimmten, nach außen hin sehr selbstsicheren und oft großspurig auftretenden Männertyp an.

James Hunt, im Film gespielt von Chris "Thor" Hemsworth, war ein archetypischer Vertreter dieses Typs. Mit seiner großen, kräftigen Figur, den markanten Gesichtszügen und den langen, blonden Haaren sah er aus wie jemand, der dem Tod ins Gesicht blickt und dabei noch grinsend einen Spruch ablässt. Er war beliebt bei den anderen Fahrern und bei den Frauen, und er genoss es. Er machte gern Party, trank gern und viel und rauchte. Und er war ein hervorragender Rennfahrer. Sein stärkster Konkurrent war Niki Lauda, der nahezu das genaue Gegenteil darstellte. Daniel Brühl ("Good Bye Lenin!") spielt ihn als selbstbezogenen, überheblichen Außenseiter, mit einer beinahe schon autistischen Unfähigkeit und vielleicht auch dem Unwillen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Lauda war in der Formel-1-Community extrem unbeliebt, nahm das aber als Preis für seine, wie er meinte, professionelle Berufsauffassung hin. Hunt und Lauda waren sich bereits in der Formel 3 begegnet. Nach ihrem nahezu zeitgleichen Aufstieg in die Formel 1 verschärfte sich der Konflikt zwischen ihnen.

"Rush" zeigt den Weg der beiden Fahrer bis zur Saison 1976 und konzentriert sich dabei auf Lauda. Er war 1975 mit Ferrari zum ersten Mal Weltmeister geworden, während sich der Rennstall des unterlegenen Hunt zum Schluss der Saison aufgrund finanzieller Probleme aus der Formel 1 zurückziehen musste. Im folgenden Jahr wechselte Hunt zu McLaren, doch bei den ersten Rennen lag zunächst wieder Lauda vorn. Dann kam am 1. August 1976 der Unfall auf dem Nürburgring, bei dem Niki Lauda 40 Sekunden lang hilflos eingeklemmt in seinem brennenden Auto saß. In den folgenden Wochen gewann Hunt Rennen um Rennen, während Lauda im Krankenhaus in Mannheim mit dem Tod rang. Doch bereits nach 42 Tagen kam er mit verbranntem Gesicht und blutigen Verbänden zurück, und die Entscheidung über die Weltmeisterschaft wurde noch einmal aufgeschoben bis zum letzten Rennen der Saison in Japan.

Die Geschichte ist perfekt für einen spannenden Spielfilm, Drehbuchschreiber Peter Morgan ("The Queen") musste nicht viel daran verändern. Der Film setzt voll auf die Darstellung der beiden gegensätzlichen Charaktere. Er erzählt eine Episode aus der Formel 1, aber er würde auch funktionieren, wenn es die Geschichte zweier Tennisspieler wäre. Es sind zwei sehr verschiedene Charaktere, die hier aufeinandertreffen, zwei Männer, die in ihrem Sport absolute Ausnahmetalente darstellen. James Hunt, dem sein Leben lang scheinbar alles zugeflogen ist, gegen Niki Lauda, einen pedantischen Arbeiter, der seine Umgebung teilweise bis zur Weißglut reizt. Es gibt kein Gut und kein Böse in diesem Film, nur zwei unterschiedliche Berufsauffassungen, zwei mögliche Wege, zum Erfolg zu kommen. Es ist auch ein Film über die Formel 1, natürlich, aber in erster Linie handelt "Rush" von zwei Rennfahrern. Das macht ihn dann auch sehr emotional, wobei es Ron Howard zum Schluss hin vielleicht sogar einen Tick übertreibt.

Der Film versucht, die Atmosphäre der 70er Jahre an den Rennstrecken möglichst authentisch wiederzugeben. Die Bilder scheinen direkt aus jener Zeit zu stammen. Die Farben leuchten, das Bildmaterial weist eine deutlich sichtbare Körnung auf. Obwohl beide Effekte vermutlich erst bei der Nachbearbeitung entstanden, fühlt man sich in eine vergangene Zeit zurückversetzt. Es wird deutlich, dass die Geschehnisse längst Teil der Geschichte sind. Auch bei der Ausstattung hat man darauf geachtet, dass die Details stimmen. Die Rennwagen entsprechen dem Regelwerk der damaligen Zeit, bei den Boxenstopps dauert es eine halbe Ewigkeit, bis ein Reifen gelöst und durch einen neuen ersetzt ist. Es gibt eindrucksvolle Kameraeinstellungen von den Rennen, aus dem Cockpit, von der Seite ins Cockpit oder auch knapp über dem Boden mit Blick auf die Auspuffanlagen des Vordermanns. Der Film hat nur rund 40 Millionen Dollar gekostet. Offensichtlich hat man das Geld vor allem für ein originalgetreues Ambiente ausgegeben und beim Cast auf die ganz großen Namen verzichtet.

Chris Hemsworth ist kein schlechter Schauspieler, mit seiner Ausstrahlung jedoch auf eine relativ kleine Auswahl von Typen festgelegt. Die jedoch spielt er überzeugend, so auch den Sunnyboy James Hunt. Daniel Brühl hat da schon mehr Möglichkeiten, wirkt jedoch zu Anfang des Films noch etwas gehemmt. Sein österreichischer Akzent klingt jedoch bereits da sehr überzeugend. Je länger der Film dauert, desto besser wird er. In den Szenen nach dem Unfall spielt er sogar groß auf und zeigt, was für ein guter Charakter-Darsteller er ist. Für einen Oscar wird es vermutlich nicht reichen. Doch wahrscheinlich wird man ihn jetzt noch häufiger in großen Hollywood-Produktionen sehen. Die beiden Frauen, Olivia Wilde (die 13 aus "Dr. House") als Hunts schöne Frau Suzy Miller und Alexandra Maria Lara als Marlene Lauda, bleiben leider farblos.

Ich habe aus "Rush" viel gelernt über eine Saison, von der ich nicht viel mehr wusste, als dass Niki Lauda damals seinen Unfall hatte. Der Film beschreibt zudem recht gut die Formel-1-Szene der 70er Jahre, eine Übergangszeit zwischen den Pionierzeiten und den heutigen, von der Technik bestimmten Rennen. Wichtiger ist jedoch die spannende Geschichte zweier Fahrer, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, und ihren jahrelangen Konkurrenzkampf.

"Rush – Alles für den Sieg" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Sonntag 19 Januar 2014 11:48

Filmkritik: "Gravity"

Geschrieben am Donnerstag 03 Oktober 2013 um 21:30 von Roland Freist

Upside down you’re turning me

Wir sind es gewohnt, den Himmel, Sonne, Mond und Sterne über uns zu verorten. Sie sind oben, während wir selbst unten auf der Erde stehen. Selbst wenn wir einen Kopfstand machen, ist der Himmel immer noch über uns. Wir stehen auf der Erde, sie ist unter uns. Doch sobald man die Erde verlässt, also richtig verlässt und mehrere Hundert Kilometer aufsteigt, löst sich diese Ordnung irgendwann auf. Es wäre einmal eine interessante Aufgabe für Anthropologen herauszufinden, in welcher Höhe das geschieht. Abhängig vom Blickwinkel und der eigenen Lage im Raum kann die Erde vom Weltall aus gesehen auch einmal über uns schweben. Eine Definition für oben und unten gibt es nicht mehr, diese Begriffe ergeben keinen Sinn mehr.

Das ging mir wenige Minuten nach dem Beginn von "Gravity" durch den Kopf. Gravity heißt auf Deutsch Schwerkraft oder Anziehungskraft. Eigentlich ist dieser Titel falsch, denn es ist genau diese Kraft, die nahezu während des gesamten Films fehlt, wodurch überhaupt erst seine atemberaubenden Bilder möglich werden. Die Kräfte, die hier wirken, sind ganz andere.

Ein Space Shuttle hat einige Astronauten in die Nähe der internationalen Raumstation ISS gebracht, darunter die Wissenschaftlerin Ryan Stone (Sandra Bullock) und den NASA-Veteranen Matt Kowalski (George Clooney). Plötzlich kommt aus Houston der Befehl, die Mission sofort abzubrechen. Ein Trümmerfeld, Hunderte Teile Weltraumschrott, nähert sich mit einer Geschwindigkeit von mehr als 33000 Kilometern pro Stunde. Es ist entstanden aus einer Kettenreaktion. An und für sich harmlose Schrottteile sind auf einen Satelliten geprallt, haben ihn zerstört, wodurch dessen Überreste wiederum weitere Satelliten zerschossen haben. Die Flugbahnen der Metallfetzen lassen sich nicht mehr vorhersehen. Bis zum Eintreffen der Teilewolke bleiben nur noch wenige Sekunden.

Es folgen einige der spektakulärsten Szenen des Films. Ryan wird durchs All geschleudert, ist völlig hilflos den Flieh- und Trägheitskräften ausgesetzt. Die Kamera zeigt sie kopfüber, kopfunter, sie wird von den Trümmern des Shuttle, an denen sie noch hängt, mit unglaublicher Wucht um alle drei Achsen gedreht. Die Bewegungen erinnern an eine der modernen Magenschleudern auf dem Oktoberfest. Nur mit Mühe gelingt es Kowalski, sie zu retten – er ist mit einem Jetpack ausgestattet, mit dem er unabhängig navigieren kann. Als es vorbei ist, sind nur noch sie beide übrig, die anderen Crewmitglieder sind tot. Das Space Shuttle wurde von den Trümmern durchlöchert, die ISS ist ebenfalls stark beschädigt. Die dortige Besatzung hat sich mit einer Sojus-Kapsel in Sicherheit gebracht, die zweite Kapsel kann die Erde nicht mehr erreichen. Und da die Fernmeldesatelliten ebenfalls getroffen wurden, ist auch die Verbindung mit Houston abgebrochen. Ryan und Kowalski sind auf sich allein gestellt.

Einen großen Teil seiner Wirkung verdankt "Gravity" der Kamera von Emmanuel Lubezki, dem Standard-Kameramann von Regisseur Alfonso Cuarón ("Children of Men") und, seit "The New World", auch von Terrence Malick. Er zeigt in langen Sequenzen die wilden Bewegungen, die sich durch die Abwesenheit der Schwerkraft ergeben. Lubezki findet immer neue, originelle Perspektiven und scheut sich auch nicht, mal eben hinter Sandra Bullocks Visier zu schlüpfen und das Chaos um sie herum aus ihrem Blickwinkel zu betrachten. Genau wie sie verliert auch der Zuschauer mehrfach den Halt und die Orientierung. Die Wirkung entspricht der einer Achterbahn, die vorübergehend in den freien Fall übergeht – an einigen Stellen wird’s im Magen flau. Doch die spannende Story und der Überlebenswille der Hauptpersonen pressen einen immer wieder in den Sitz zurück. Um den räumlichen Eindruck noch zu verstärken, wurde der Film in 3D gedreht. Doch der Effekt ist minimal, in 2D funktioniert er genauso gut. Und apropos Story: Einige Details sind unglaubwürdig oder physikalisch sogar falsch. (Bei einem Beschleunigungsmanöver fallen Gegenstände in einem Raumfahrzeug zu Boden und schweben nicht weiter durch die Luft). Doch angesichts der Qualität der gesamten 90 Minuten kann man das großzügig übersehen.

"Gravity" ist ein brillanter Abenteuerfilm. Cuarón zeigt, wie man aus einer einfachen Story mit gerade einmal zwei Darstellern etwas Besonderes macht. Letztlich ist das beste Hollywood-Tradition: Man bringt eine kleine Gruppe Menschen in eine Extremsituation, in einem Fort im Westen, auf einem Schiff oder in einem Raumfrachter, und spielt die Möglichkeiten durch, was alles passieren könnte. Eine alte, bewährte Erfolgsformel. "Gravity" zeigt, dass dieses Konzept auch auf der ISS aufgehen kann und für bildgewaltige Momente gut ist.

"Gravity" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

« September 2013 | Zurück nach oben | November 2013 »