« Die Kunst des Vorspanns | Zurück zur Startseite dieses Blogs | Filmkritik: "Under the Skin" »

Filmkritik: "A Most Wanted Man"

Kein sicherer Hafen für Spione

John Le Carré hat mit seinen Spionage-Romanen seit den frühen 60er Jahren eine neue Perspektive auf die Agentenszene eröffnet. Anstatt smarten, sportlichen Superhelden à la James Bond erscheinen in seinen Büchern traurige ältere Männer, hochintelligent, loyal, aber im ständigen Zwiespalt mit sich selbst aufgrund der unmoralischen Entscheidungen, die der Beruf immer wieder von ihnen fordert. Die Arbeit eines Spions ist alles andere als ein Traumberuf. Und Le Carré muss es wissen, schließlich war er selber im Geheimdienst ihrer Majestät tätig. "A Most Wanted Man" entstand nach seinem Roman "Marionetten".

Günther Bachmann ist ein typischer Le-Carré-Spion: alt und melancholisch, ein starker Trinker und Kettenraucher. Er wird gespielt von Philip Seymour Hoffman, dazu weiter unten noch ein paar Worte mehr. Er ist Leiter einer geheimen deutschen Antiterror-Einheit mit Sitz in Hamburg. Sein Team entdeckt auf einem Überwachungsvideo einen Tschetschenen namens Issa Karpov (Grigoriy Dobrygin), der der Mitgliedschaft in einer islamischen Terrororganisation verdächtigt wird. Von nun an verfolgen sie jeden seiner Schritte. Nachdem die junge Menschenrechts-Anwältin Annabel Richter (Rachel McAdams) auf ihn aufmerksam geworden ist, übernimmt sie sein Mandat und will einen Asylantrag für ihn stellen. Karpov jedoch ist zunächst einmal auf der Suche nach dem Bankier Tommy Brue (Willem Dafoe), dessen Vater dem Vater von Karpov einst geholfen hat, einen zweistelligen Millionenbetrag Schwarzgeld zu waschen und auf einem sicheren Konto zu verstecken. Doch außer Bachmanns Leuten haben auch andere Dienste die Ankunft von Karpov registriert, darunter die CIA, die in Gestalt der eleganten Martha Sullivan (Robin Wright) auftritt. Und jede Gruppe verfolgt ganz eigene Interessen mit Karpovs Person.

"A Most Wanted Man" ist nicht nur ein Spionage-Thriller, sondern zumindest zum gleichen Teil das Porträt eines alternden Agenten, der zwar auch schon mal ein paar Gesetze bricht, jedoch nach einem Ehrenkodex handelt, zu dem unter anderem Ehrlichkeit und das Einhalten von Versprechen gehört. Günther Bachmann wird von Philip Seymour Hoffman brillant gespielt, wortkarg, übergewichtig, mit Asthma-Problemen. Er kennt das Geschäft in- und auswendig, legt Wert auf gute, altmodische Ermittlungsarbeit und hegt eine gesunde Verachtung gegenüber Behörden und Politikern. Doch man kann sich diesen Film nicht anschauen, ohne an Seymours Tod durch eine Überdosis im Februar dieses Jahres zu denken. Unwillkürlich zieht man Parallelen zwischen seinem realen Leben, der Drogensucht, die er nicht in den Griff bekam, und der Alkoholsucht seines Günther Bachmann. Und wenn er zwischendurch Momente hat, in denen seine Augen einen leeren Blick bekommen, fragt man sich, ob das noch der Agent ist oder bereits Hoffman selbst. Dennoch wird noch einmal klar, dass mit ihm einer der ganz Großen gegangen ist. Man wird ihn vermissen, seine brummige Bärbeißigkeit und diesen massigen und dennoch so aussagekräftigen Körper.

Rund um Hoffman hat Regisseur Anton Corbijn ("Control", "The American") eine ganze Reihe weiterer guter Schauspieler geschart, darunter Nina Hoss und Daniel Brühl. Beide arbeiten in Bachmanns Team. Während Brühls Rolle keine großen Entfaltungsmöglichkeiten bietet, gibt Hoss sehr überzeugend die nach außen hin freundliche, innerlich jedoch kühle und effiziente Analystin Irna Frey ab. Und wie sie ihren Chef zum Schluss ansieht, voller Mitleid, gleichzeitig aber auch mit dem Wissen, dass ihm und ihr gar nichts anderes übrig bleiben wird als in die Zukunft zu blicken – das ist schon sehr gut. Auch Willem Dafoe als Bankier, der trotz all seiner Angst bemüht ist, Haltung zu bewahren, ist eine der prägenden Figuren dieses Films.

Corbijn ist gelernter Fotograph und hat zunächst Musikvideos gedreht. Das sieht man dem Film an, die Kamera findet im grauen, herbstlichen Hamburg immer wieder stimmungsvolle Bilder und interessante Perspektiven. Außerdem hatte Corbijn einen guten Location Scout, der ihn zu den Ecken geführt hat, wo auf den Hauswänden mehr Graffiti als Putz sitzt und tätowierte Männer auf den Tischen heruntergekommener Eckkneipen zusammengesackt sind. Wer schon einmal durch Hamburg gestreift ist, weiß, dass diese Ecken viel zum Charakter der Stadt beitragen.

Doch man muss auch auf die deutlich erkennbaren Schwächen hinweisen. Da sind zum einen die Dialoge, die dringend einer Überarbeitung bedurft hätten. Beispiel: Eine Szene mit Bachmann und Irna Frey, sie beobachten die Anwältin Annabel Richter.

Frey: "Attraktiv."
Bachmann: "Nicht mein Typ."
Frey: "Was ist denn dein Typ?"
Bachmann: "Na, du natürlich."

Selbst wenn der letzte Satz ironisch gemeint ist – so darf man Menschen nicht reden lassen, wenn sie glaubwürdig erscheinen sollen.

Zum zweiten ist deutlich erkennbar, dass die Chemie zwischen den Schauspielern nicht stimmt. Sie werden nicht warm miteinander, was vor allem bei den gemeinsamen Auftritten von Deutschen und Amerikanern spürbar wird. Hoffman und auch Dafoe können darüber hinweg spielen, es scheint sie nicht zu kümmern, was um sie herum vorgeht. Doch ansonsten ist die Stimmung oft so grau wie der Hamburger Himmel. Ein Grund könnte sein, dass der Film komplett auf Englisch gedreht wurde. Am Set mussten auch die Deutschen Englisch sprechen, sie wurden später nicht synchronisiert. Andererseits hatten die amerikanischen Darsteller teilweise offenbar Schwierigkeiten mit der Aussprache der deutschen Namen. Beides könnte für eine gewisse Distanz gesorgt haben. Zum Schluss tritt übrigens noch Herbert Grönemeyer in einer kleinen Nebenrolle auf. Er lebt seit Jahren in London, spricht also vermutlich fließend Engllisch und scheint auch der Einzige zu sein, der beim Dreh wirklich Spaß hatte.

"A Most Wanted Man" hat keine großen Spannungshöhepunkte, sondern erzählt seine Geschichte ruhig, geradlinig und ohne große Änderungen bei Tempo und Rhythmus. Doch mehr noch als die Story oder die Machart ist der wahre Grund, warum man sich diesen Film ansehen sollte, Philip Seymour Hoffman in seiner letzten großen Rolle.

"A Most Wanted Man" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Donnerstag 11 September 2014 um 22:23 von Roland Freist

*
blog comments powered by Disqus

« Die Kunst des Vorspanns | Zurück nach oben | Filmkritik: "Under the Skin" »

Impressum/Kontakt