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Filmkritik: "Nymphomaniac Teil 2"

Hey Joe

Für den zweiten Teil von "Nymphomaniac" hatte ich mich innerlich auf den Absturz von Joe (Charlotte Gainsbourg) eingestellt. Schließlich schien sie am Ende von Teil 1 in der Beziehung zu ihrem Jugendfreund und Entjungferer Jerôme (Shia LaBeoef) zu einer gewissen Stabilität gefunden zu haben. Folgerichtig musste es nun abwärts gehen, worauf auch ihr ramponierter Zustand hinwies, als Seligman (Stellan Skarsgård) sie fand. Doch weit gefehlt. Stattdessen ist dieser zweite Teil deutlich leichter und auch heiterer als die Geschichte von Joes Werdegang zur Nymphomanin, was unter anderem damit zu tun hat, dass nun nicht mehr andere unter den Folgen ihrer Taten leiden müssen, sondern fast nur noch sie selbst.

Zu Anfang erfahren wir, dass Joe mittlerweile mit Jerôme zusammenwohnt, der sie tatsächlich liebt und den sie selbst zumindest gern hat. Ihr Leben könnte perfekt sein, wenn sie nicht gleich in den ersten Sekunden des Films ohne erkennbaren Grund ihre Fähigkeit zum Orgasmus verlieren würde. Lust auf Sex hat sie nach wie vor, sogar mehr als je zuvor, doch sie empfindet nichts mehr dabei. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt wird sie ungewollt schwanger mit einem Jungen, den sie nach neun Monaten per Kaiserschnitt zur Welt bringt und Marcel nennt. Eine besonders gute Mutter ist sie ihm allerdings nicht.

Stattdessen startet sie mehrere Versuche, wieder zu einem Orgasmus zu kommen. Jerôme, der weiß, dass seine Freundin eine Nymphomanin ist, lässt ihr dabei weitgehende Freiheit. In einem ersten Anlauf sucht sie sich einen schwarzen Afrikaner aus, den sie auf der Straße gesehen hat. Einem Dolmetscher trägt sie auf, ihn zu fragen, ob er mit ihr schlafen möchte. Das will er, und er bringt auch gleich seinen Bruder mit. Doch in einer wunderbar grotesken Szene bekommen die beiden Männer Streit miteinander, und während Joe ihnen verständnislos zuschaut – sie sprechen eine unbekannte afrikanische Sprache – kommt es zu einem zunehmend wütenden Wortwechsel zwischen den beiden, während sie Joe nicht mehr weiter beachten. Zum Schluss lässt sie die streitenden Brüder mit ihren halb erigierten Penissen einfach im Hotelzimmer zurück.

In einem zweiten Versuch versucht sie es bei einer Art Sadomaso-Therapeuten, der seine Kundinnen verprügelt oder auspeitscht. Bereits die erste Szene in seinem Wartezimmer ist bizarr: Vier Frauen sitzen da, die weder sich noch ihrem Peiniger in die Augen sehen. Alle starren unablässig zu Boden. Als Joe an der Reihe ist und von ihm schließlich als Kundin akzeptiert wird, macht er sie mit seinen Regeln vertraut, die unter anderem das Mitbringen einer eigenen Reitgerte einschließen. Aber auch seine Hiebe auf ihr nacktes Hinterteil lösen bei ihr keinen Orgasmus aus.

Schließlich versucht es Joe noch in der Gesprächsrunde einer Sexualtherapeutin. Nichts hilft. So wechselt sie schließlich den Beruf und wechselt ins Inkasso-Gewerbe, wo sie dank ihres Wissens um die Schwachstellen der Männer schnell erfolgreich ist. Sie beginnt sogar mit der Ausbildung einer Nachfolgerin. Doch dann trifft sie plötzlich wieder auf Jerôme, der sie mitsamt ihrem Sohn zwischenzeitlich verlassen hatte. Und damit beginnt der letzte Akt.

Nach all der Schwermut von "Antichrist" und "Melancholia" und auch des ersten "Nymphomaniac"-Films ist dieser Teil beinahe fröhlich zu nennen. Manche Kritiker vermuteten daher, dass Lars von Trier die Luft ausgegangen sei – er habe den roten Faden seiner Geschichte verloren und stattdessen aneinandergereihte Anekdoten produziert. Da ist auch etwas Wahres dran, denn der Story fehlt über weite Strecken die Tragik, und der Schluss ist einfach nur unbefriedigend. Auf der anderen Seite hat "Nymphomaniac Teil 2" mehr Komik zu bieten als alle Lars-von-Trier-Filme der letzten Jahre zusammen.

Nimmt man beide Teile zusammen, so entsteht ein recht genaues und auch mitfühlendes Portrait einer Sexsüchtigen. Lars von Trier gelingt es, das ganze Dickicht von Männerphantasien und billigen Witzen über Nymphomaninnen zu durchdringen und die über weite Strecken überzeugende Geschichte einer jungen Frau zu erzählen, mit allen Freuden, aber vor allem den Leiden, die ihre Sucht mit sich bringt. Daraus ist kein großer Film entstanden, dazu fehlt ihm die Tiefe, hinzu kommen einige Mängel bei der Konstruktion. So hätte man beispielsweise schon gerne erfahren, wer oder was Seligman eigentlich ist, was in ihm vorgeht, wie er denkt. Etwas überrascht ist man zwischenzeitlich auch, als man erfährt, dass Joe immer noch (oder wieder?) jede Nacht mit einem anderen Mann schläft. Obwohl der Film sehr lang ist, bleiben doch viele offene Fragen. Und der Schluss trägt nicht dazu bei, dass man mit dem Gefühl aus dem Kino geht, Joes Geschichte habe nun, so oder so, zu einem Abschluss gefunden.

"Nymphomaniac Teil 2" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Freitag 04 April 2014 um 23:10 von Roland Freist

Bearbeitet: Donnerstag 17 April 2014 23:19

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