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Filmkritik: "Nymphomaniac"

PorNO

Damit das gleich zu Anfang geklärt ist: "Nymphomaniac" ist weit weniger pornographisch, als es die Ankündigungen und ersten Rezensionen vermuten ließen. Tatsächlich ist es kein Porno. Es ist keine einzige Szene dabei, die auch auf Youporn stehen könnte oder die es nicht so oder so ähnlich schon in anderen Filmen gegeben hätte. Man sieht etliche primäre Geschlechtsteile, vor allem Penisse, viele davon verschrumpelt, doch man sieht sie nicht beim Akt. Die Sexszenen sind, mit einer Ausnahme, weitgehend frei von Erotik. Wer einen Porno kucken will, muss sich also weiterhin in einen Sexshop bemühen oder im Internet umsehen. Sorry, Jungs.

In "Nymphomaniac" geht es nicht um die Darstellung von Sex, sondern um die Geschichte eines Mädchens, das zur Nymphomanin wird. Und das ist ein großer Unterschied. Zu Anfang findet sie ein Mann namens Seligman (Stellan Skarsgård) in einem Innenhof auf dem Boden liegend. Offenbar wurde sie zusammengeschlagen, was genau passiert ist, erfährt man (noch) nicht. Er nimmt sie mit nach Hause, und sie erzählt ihm ihre Geschichte, versucht ihm begreiflich zu machen, warum sie sich selbst für einen schlechten Menschen hält. Joe, so heißt sie (gespielt von Charlotte Gainsbourg), beginnt bei der Erzählung in ihrer Kindheit, die Regisseur Lars von Trier in Rückblenden sichtbar macht. Sie erinnert sich an ihre kalte, abweisende Mutter (Connie Nielsen) und ihren Vater (Christian Slater), zu dem sie eine enge Beziehung hatte. Sie berichtet von ihrer gezielt in die Wege geleiteten Entjungferung durch den coolen Nachbarsjungen (Shia LaBoeuf) und den Wetten mit der besten Freundin (Sophie Kennedy Clark), wer etwa während einer Zugfahrt mit mehr Männern schlafen kann. Einige dieser Anekdoten haben teilweise sogar ganz witzige Anspekte.

Seligman sitzt während der ganzen Zeit wie ein Psychotherapeut, der er vielleicht sogar tatsächlich ist, neben ihr, relativiert ihre Urteile über sich selbst, kommentiert, ordnet ein, stellt Vergleiche an. Von ihm erfährt man nichts, was er von Beruf ist, ob er Familie hat, doch er ist eindeutig ein Intellektueller. Er hört Bach, erzählt Joe von den Besonderheiten in dessen Musik, er liest Edgar Allen Poe und zitiert Latein. Gainsbourg und Skarsgård spielen das sehr gut, es liegt echte Spannung in der Luft.

Allmählich wird Joes Geschichte dramatischer. Was am Anfang nicht mehr ist als ein harmloses Spiel von pubertierenden Teenagern, wird mit der Zeit tatsächlich zu einem moralisch fragwürdigen Lebensstil. Die Wende kommt, als Joe in einer quälend langen Szene miterlebt, wie einer ihrer Sexpartner (Hugo Speer), in den sie noch nicht einmal verliebt ist, von seiner verlassenen Ehefrau (Uma Thurman) und ihren drei gemeinsamen Kindern aufgesucht wird. Die Sequenz, die am Anfang noch komische Züge trägt, endet in einem tieftraurigen Finale, als die Familie ihren Vater verlässt, der Joe offensichtlich komplett verfallen ist.

In "Nymphomaniac" wird viel philosophiert und moralisiert, es geht um Schuld, Liebe und Tod, Macht und Verführung, Sünde und Erlösung, und wie alles miteinander zusammenhängt. Das hat etwas arg protestantisch Selbstquälerisches, erinnert andererseits aber auch an französische Beziehungsfilme aus den 70er Jahren. Es wird viel geredet und analysiert – wenn sich Charlotte und Seligman nicht gerade unterhalten, kommentiert ihre Stimme aus dem Off die gezeigten Rückblenden. Die sind leider weitgehend spannungsfrei. Das mag vielleicht beabsichtigt sein, damit der Film nicht aussieht wie ein intellektuell etwas aufgemotzter Wichsstreifen. Doch wenn auch die Geschichte von Charlotte keine großen Überraschungen bietet, fragt man sich, warum man sich das überhaupt anschauen sollte. Doch dies war nur der erste Teil eines insgesamt rund vier Stunden langen Werkes. Der zweite Teil startet bei uns im April, und vielleicht ändert sich mit ihm auch noch einmal die Gesamtsicht auf diesen Film.

"Nymphomaniac" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Meine Kritik zu "Nymphomaniac Teil 2" finden Sie hier.

Geschrieben am Dienstag 25 Februar 2014 um 22:32 von Roland Freist

Bearbeitet: Mittwoch 23 April 2014 11:03

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