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Archiv vom März 2017

Filmkritik: "Life"

Geschrieben am Sonntag 26 März 2017 um 19:53 von Roland Freist

Calvin nicht mehr allein zu Haus

"Blast das Ding ins Weltall", möchte man den Protagonisten dieses Films ein ums andere Mal zurufen. "Blast das Ding doch endlich ins Weltall." Denn das hat gut funktioniert in "Alien" Teil 1, 2 und 4, einer Filmreihe, mit der "Life" einiges gemeinsam hat. Doch die Crew, die hier versammelt ist, kennt die Alien-Filme offenbar nicht. Denn ansonsten wüsste sie, dass man außerirdische Monster am besten bekämpft, indem man sie ins Weltall hinausbläst.

Die Crew besteht aus sechs Personen: den beiden Amerikanern Rory Adams (Ryan Reynolds) und David Jordan (Jake Gyllenhaal), den Briten Miranda North (Rebecca Ferguson) und Hugh Derry (Ariyon Bakare) sowie der russischen Kommandantin Katerina Golovkin (Olga Dihovichnaya) und dem Japaner Sho Kendo (Hiroyuki Sanda). Ihre Aufgabe ist es, eine Sonde einzufangen, die mit einer Bodenprobe vom Mars zur Erde zurückkehrt. Man hat sie dazu auf die ISS geschickt, wo sie die gesammelten Erdbrocken auch gleich untersuchen sollen. Das dient vor allem der Sicherheit: Denn sollten die Wissenschaftler etwas Lebendiges und potenziell Gefährliches finden, könnte man auf dieses Weise vermeiden, dass es sich auf der Erde breitmacht.

Und tatsächlich: Die Sonde hat einen Passagier mitgebracht, einen Einzeller, der auf den Namen Calvin getauft wird. Nachdem Ryan Reynolds es ihm im Labor warm und gemütlich gemacht hat, beginnt er tatsächlich sich zu teilen. Schon bald wächst Calvin zu einem transparenten Glibberwesen mit erstaunlichen Kräften heran. Was nun folgt, ist weitgehend vorhersehbar: Ein Besatzungsmitglied nach dem anderen wird äußerst brutal getötet, bis zum Schluss nur noch einer übrig ist. Und niemand denkt daran, einfach mal eine Luke zu öffnen und das Ding ins Weltall zu blasen.

"Life" ist im Kern eine modernisierte Version von "Alien", mit einer realistischeren Umgebung und CGI-Effekten auf dem aktuellen Stand der Technik. Regisseur Daniel Espinosa ("Safe House") gelingt es nahezu von Anfang an, eine bedrohliche Atmosphäre zu schaffen. Von den Figuren an Bord der ISS erfährt man gerade so viel, dass man sich Sorgen um sie macht – und sich auch immer wieder über sie aufregt. Mit der Spannung und dem düsteren Gesamteindruck von "Alien" kann der Film jedoch nicht mithalten. Das liegt einerseits an dem Monster, dessen Gestalt man von Anfang an in der Entwicklung sieht, was einer der Grundregeln für Horrorfilme widerspricht: Zeige die Gestalt des Bösen immer erst ganz zum Schluss. Auf der anderen Seite enthält der Film so viele logische Ungereimtheiten und offensichtliche Fehlentscheidungen der Mannschaft, dass man sich nach einiger Zeit zu ärgern beginnt. Der Grusel tritt dabei leider etwas in den Hintergrund.

Die Riege der Schauspieler ist besser als es für solch einen Film eigentlich notwendig wäre. Allen voran natürlich Jake Gyllenhaal und Ryan Reynolds, doch auch der Rest der Darsteller macht seine Sache gut. Dass im Rahmen einer solchen Handlung keine differenzierte Charakterzeichnung möglich ist, ist aber ebenfalls klar.

"Life" ist alles in allem ein guter, wenn auch nicht herausragender Science-Fiction-Film. Studio, Drehbuchautoren und Regisseur sind auf Nummer Sicher gegangen und haben mit bewährten Mitteln einen soliden Weltraumhorror gestaltet. Originalität und Überraschungen darf man freilich nicht erwarten.

"Life" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Sonntag 26 März 2017 20:33

Filmkritik: "Moonlight"

Geschrieben am Mittwoch 15 März 2017 um 11:12 von Roland Freist

Schwarzes Drama

"Every nigger is a star" – der Film beginnt mit dem gleichen Sample wie Kendrick Lamars Album "To Pimp a Butterfly", eines der größten Hip-Hop-Alben aller Zeiten. Die Zeile, entnommen einem Song von Boris Gardiner, ist ein Ausdruck trotzigen schwarzen Selbstbewusstseins. Im Kontext von "Moonlight" erklärt sie die Fokussierung des Films auf den, wie man befürchten muss, nicht ungewöhnlichen Lebenslauf eines Jungen aus den weniger ansehnlichen Vierteln von Miami, wo auch die Farbfilter von "CSI: Miami" die Lebensumstände nicht mehr aufhübschen könnten.

"Moonlight" erzählt in drei weitgehend abgeschlossenen Teilen die Geschichte von Chiron (Alex Hibbert), der in einem schwarzen Viertel aufwächst und zur Schule geht. Im ersten Teil des Films ist er vielleicht sieben oder acht Jahre alt, still und verschüchtert. In seiner Klasse nennen sie ihn "Little", weil er klein und schmächtig ist. Seine Mutter (Naomie Harris, die aktuelle Miss Moneypenny aus den Bond-Filmen) ist cracksüchtig, ein Vater nirgendwo zu sehen. Durch Zufall lernt er den Dealer Juan (Mahershala Ali) und seine Freundin Teresa (Janelle Monáe in ihrer zweiten großen Rolle nach "Hidden Figures") kennen. Sie werden seine Ersatzfamilie, zu der er sich flüchtet, wenn er es bei seiner Mutter nicht mehr aushält. Sie sind es auch, denen als erstes auffällt, dass Chiron schwul ist.

Das zweite Kapitel spielt einige Jahre später, Chiron (Ashton Sanders) ist jetzt vielleicht 16. Juan ist mittlerweile tot, doch noch immer sucht der Junge Schutz bei Teresa. Die Drogensucht seiner Mutter hat sich noch verschlimmert, sie bettelt ihn um Geld an. An der Schule ist er ein Außenseiter, der von den anderen getriezt und tyrannisiert wird. Sein einziger Freund ist wie schon in der Kinderzeit der kubanischstämmige Kevin (Jharrel Jerome), mit dem er seinen ersten sexuellen Kontakt hat, der ihn jedoch wenig später verrät. Voller Wut wird Chiron gewalttätig und landet im Knast.

Drittes Kapitel: Chiron (Trevante Rhodes) ist Anfang 20 und lebt als Dealer in Atlanta. Er hat sich dicke Muskeln antrainiert, trägt Goldkette, goldenes Armband, goldene Grillz. Noch immer spricht er nicht viel. Seine Mutter ist in einer Klinik, aus der sie vermutlich nicht mehr herauskommen wird. Er verbirgt seine Homosexualität, macht einen auf Hetero-Macho. Doch nach einem Besuch bei seiner Mutter ruft er plötzlich Kevin an, den er jahrelang nicht gesehen hat und der jetzt in einem kleinen, billigen Restaurant als Koch arbeitet.

Regisseur Barry Jenkins lässt seinen Kameramann James Laxton ganz nah herangehen an die Gesichter, bis sie die komplette Höhe der Leinwand ausfüllen. Zwischendurch arbeitet er immer wieder mit einer wackeligen Handkamera. Zusammen mit dem exemplarischen Charakter der Geschichte entsteht daraus an vielen Stellen der Eindruck, als habe man es hier mit einem Dokumentarfilm zu tun, der dem Zuschauer etwas erklären will. Und tatsächlich liefert "Moonlight" eine plausible Erklärung, warum sich jemand in solch einen bizarren, goldumwickelten Muskelberg verwandelt.

Aber das ist nur einer von vielen Aspekten des Films. Es geht auch darum, wie es ist, in Armut aufzuwachsen, es geht um das Finden der eigenen Sexualität, es geht um Freundschaft und nicht zuletzt auch um Liebe. Geht es auch um die Situation der Schwarzen in den USA? Eher nicht. Denn der Film bewegt sich nicht aus der schwarzen Community hinaus. Die einzigen Weißen, die man überhaupt zu Gesicht bekommt, sitzen im dritten Kapitel Kevins Restaurant. Ansonsten bewegt sich Chiron ausschließlich unter Schwarzen. Eine Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe ist hier nicht das Thema, gehasst wird er wegen seiner schüchternen Homosexualität.

Alex Hibbert, Ashton Sanders und Travante Rhodes, die Chiron in den verschiedenen Altersstufen spielen, gelingt es, eine gewisse Kontinuität der Figur herzustellen. Auch wenn sich ihr Protagonist äußerlich stark verändert, erkennt man selbst in dem Dealer mit den aufgepumpten Muskeln immer noch Züge des dünnen, kleinen Little vom Anfang des Films wieder. Die beste schauspielerische Leistung kommt jedoch von Mahershala Ali, den ich bisher vor allem aus Fernsehserien wie "4400 – Die Rückkehrer", "House of Cards" oder "Luke Cage" kannte. Er macht aus der zwiespältigen Figur des Crack-Dealers Juan in der wenigen Zeit, die das Drehbuch ihm lässt, einen echten, glaubwürdigen Charakter mit beeindruckender Ausstrahlung. Den Oscar für den besten Nebendarsteller hat er völlig zu recht bekommen.

"Moonlight" ist kein großer, sensationeller Film, doch er ist vielschichtiger, als es die Story zunächst vermuten lässt. In einigen Momenten segelt er zwar knapp am Kitsch vorbei, dass diese Klippen dann doch sicher umfahren werden ist vor allem der Verdienst einer souveränen Regie und ausgezeichneten Kameraarbeit.

"Moonlight" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "Logan: The Wolverine"

Geschrieben am Freitag 03 März 2017 um 22:27 von Roland Freist

Das Ende einer Ära

Auch Superhelden werden alt. Das ist eine der interessantesten Erkenntnisse aus "Logan". Superman oder Batman sehen seit Jahrzehnten immer gleich aus. Die Schöpfer der X-Men hingegen trauen sich, uns zu zeigen, was mit Superhelden zum Ende ihres Lebens hin passiert. Ihre Kräfte schwinden, sie wollen nur noch in Ruhe und allein gelassen werden. Körper und Seelen sind vernarbt nach den Hunderten von Kämpfen, die sie ausgestanden haben. Sie wissen, es ist bald vorbei.

Es ist das Jahr 2029. Die Mutanten haben den Krieg verloren, sie wurden eingesperrt und getötet. Nur drei sind noch am Leben: Charles Xavier beziehungsweise Professor X (Patrick Stewart) ist mittlerweile 90 Jahre alt. Er hat die Kontrolle über seine Kräfte verloren, muss Tabletten schlucken und in einem rostigen Stahltank in der mexikanischen Wüste leben, um niemanden zu verletzen. Versorgt wird er von Caliban (Stephen Merchant), einem Mutanten, der andere Mutanten aufspüren kann. Und schließlich ist da noch Logan, Wolverine (Hugh Jackman), der sein Geld mit einem Limoservice verdient. Er ist nur noch ein Wrack, humpelnd, übersät mit Narben, seine Selbstheilungskräfte schwinden. Sein Adamantium-Skelett vergiftet seinen Körper.

Seit 25 Jahren sind schon keine Mutanten mehr geboren worden. Doch da kommt eine Frau (Elizabeth Rodriguez) zu Logan und bittet ihn um Hilfe. Er müsse ihrer Tochter helfen, müsse sie von Mexiko nach North Dakota bringen. Sie sei in Gefahr und werde von gefährlichen Männern verfolgt. Und es stellt sich heraus, dass Laura (Dafne Keen), so heißt die Tochter, tatsächlich von einer halben Armee gejagt wird. Doch bisher haben die Männer sie nicht fangen können, denn genau wie Logan kann sie Adamantium-Klingen aus ihren Händen ausfahren und sich selbst heilen.

Es liegt eine tiefe Melancholie über diesem Film. Von der Aufbruchstimmung, dem oft jugendlichen Übermut, mit dem die X-Men-Serie vor 17 Jahren begann, ist nichts übriggeblieben. Nur noch die Comics erinnern in "Logan" daran, dass es einmal Mutanten gab. Dies ist ohne Zweifel der düsterste und traurigste Superhelden-Film aller Zeiten. Gleichzeitig ist es auch einer der gewalttätigsten: Noch in keinem X-Men-Film hat man so viele Klingen durch Köpfe dringen sehen. Und Logans Wunden schließen sich nur noch sehr langsam, immer wieder bricht er blutüberströmt zusammen.

Und es ist einer der besseren Superhelden-Titel. Bereits im Vorfeld hatten Jackman und Stewart angekündigt, dass es für sie der letzte X-Men-Streifen sei. Von Anfang an spürt man, dass hier eine Ära zu Ende geht. Die X-Men-Reihe war immer eine der intelligenteren Comic-Verfilmungen, Regisseur Bryan Singer, der für vier der Filme verantwortlich zeichnet, hatte bereits im ersten Teil die Richtung vorgegeben. X-Men war in seinen besseren Momenten, und davon gab es viele, ein Plädoyer für Toleranz und den Schutz von Minderheiten, verschwieg aber gleichzeitig nicht die Konflikte, die innerhalb einer solchen Gruppe auftreten und das friedliche Zusammenleben mit den Normalos gefährden können. Ein sehr realistisches Bild, Beispiele dafür finden sich sowohl in der amerikanischen wie in der deutschen Gesellschaft.

Am Schluss von "Logan" müssen die Überlebenden aus den USA fliehen. Man darf gespannt sein, ob und wie es für sie weitergeht.

"Logan: The Wolverine" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Sonntag 26 März 2017 20:31

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