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Filmkritik: "Die dunkelste Stunde"

Churchills hellste Stunde

Der Film hat den falschen Namen. Wenn es nicht schon im vergangenen Jahr einen Streifen mit diesem Titel gegeben hätte, müsste er eigentlich "Churchill" heißen anstatt „Die dunkelste Stunde“ („Darkest Hour“). Denn tatsächlich geht es erst in zweiter Linie um den kurzen Moment, in dem Englands Regierung nahe dran war, mit Hitler Verhandlungen über einen Friedensvertrag aufzunehmen. Im Mittelpunkt des Films des britischen Regisseurs Joe Wright ("Stolz und Vorurteil", "Wer ist Hanna?") steht ganz klar die Figur des britischen Premierministers jener Zeit, brillant verkörpert von Gary Oldman ("Léon – Der Profi", "Dame König As Spion").

Churchill kam 1940 an die Regierung, obwohl seine Partei, die britischen Konservativen, nicht viel von ihm hielt. Sein Vorgänger Neville Chamberlain, der gegenüber Hitler eine Appeasement-Politik gefahren hatte, war gescheitert. Deutsche Truppen hatten Polen besetzt und beginnen zu Beginn des Films mit dem Feldzug gegen die Niederlande, Belgien und Frankreich. Die aufs Festland übergesetzte britische Armee wird immer weiter an den Ärmelkanal und die Häfen von Calais und Dünkirchen zurückgedrängt. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die gesamten englischen Streitkräfte entweder tot oder in Gefangenschaft sind und die deutschen Armeen ohne Gegenwehr auf die britische Insel übersetzen können.

In dieser Situation war der ehemalige Militär Churchill eine Notlösung. Seine Partei und auch der englische König George VI. (Ben Mendelsohn) hätten den Außenminister Viscount Halifax (Stephen Dillane) als Premierminister vorgezogen, der jedoch lehnte ab. Halifax und einige Mitglieder des Oberhauses hatten im Hintergrund längst begonnen, vorsichtige Kontakte zu Italien aufzunehmen, das sie sich als Vermittler für den gewünschten Waffenstillstand mit Deutschland wünschten.

Churchill ist sich der Situation wohl bewusst. Er steht unter enormem Druck. Gary Oldman spielt ihn als nervösen, oft unsicheren alten Mann, der ständig in alle Richtungen gleichzeitig zu denken scheint. Das ist nicht der intellektuelle, arrogante Churchill, den man aus anderen Filmen und Serien kennt, der Mann, der allen anderen Politikern in seinem Kabinett um Längen überlegen ist. Dieser Churchill weiß lange Zeit nicht, was er tun soll, und ist in seiner schwärzesten Stunde nahe dran, den bequemen Ausweg über die Friedensverhandlungen zu gehen.

Gleichzeitig jedoch, und da wird es ärgerlich, präsentiert der Film die ganzen Marotten von Churchill so, als handele es sich um eine Komödie mit einem dicken, alten Mann als liebenswertem, leicht schusseligem Protagonisten. Während der gesamten ersten Stunde wirkt es so, als sei da draußen zwar irgendwie Krieg, wichtiger jedoch sind die Spleens des dicken Mannes, seine lustigen Sprüche, wie er seine Sekretärin (Lily James) verschreckt, wie er ihr, in der Badewanne liegend, seine Reden diktiert oder sein unkonventioneller Tagesablauf. "Die dunkelste Stunde" findet erst zum Schluss, als die Situation tatsächlich ausweglos scheint, zu einem ernsten Tonfall, und wechselt dann leider sofort zu einem schwer erträglichen, schmalzigen Pathos, Großaufnahmen von kleinen Kindern und weinenden Frauen inbegriffen. Und natürlich darf auch die dröhnende Musik nicht fehlen.

"Die dunkelste Stunde" kann zwei große Pluspunkte für sich verbuchen: die Darstellung von Gary Oldman als Winston Churchill und die tollen Bilder und Einstellungen des französischen Kameramanns Bruno Delbonnel, der zuvor beispielsweise "Die fabelhafte Welt der Amelie" gedreht hatte. Doch ansonsten ist sehr viel schiefgegangen. Vergleicht man diesen Film etwa mit "The King’s Speech", der ungefähr zur gleichen Zeit spielt, so werden die Qualitätsunterschiede überdeutlich. Ein Oscar für Gary Oldman wäre mehr als verdient, mehr jedoch nicht.

"Die dunkelste Stunde" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Freitag 19 Januar 2018 um 21:49 von Roland Freist

Bearbeitet: Freitag 19 Januar 2018 22:50

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