Geschrieben am Mittwoch 25 Juni 2014 um 17:32 von Roland Freist
Bereits seit Ende letzten Jahres bin ich Besitzer eines Kindle
Paperwhite der zweiten Generation. Zum Einsatz kam das Gerät allerdings
erst im Griechenland-Urlaub
vor einigen Wochen, und da hat es sich bestens bewährt. Insgesamt habe
ich in den zwei Wochen zehn Bücher mit zusammen rund 3500 Seiten
gelesen. Während sich mein Lesestoff in früheren Jahren auf mehrere Kilo
Gewicht summierte, musste ich in diesem Jahr lediglich ein kleines
Tablet mit knapp über 200 Gramm ins Handgepäck stecken. Als zweiten
Vorteil kann der Reader für sich verbuchen, dass einem nie die Lektüre
ausgeht, was ich in der Vergangenheit mit Büchern mehrfach erlebt habe.
Man findet heute in nahezu jedem Urlaubsort Hotels und Restaurants, die
für ihre Gäste ein WLAN installiert haben, und kann dort nach Lust und
Laune weitere Titel nachladen.
Das Display des Kindle ließ sich übrigens auch unter der grellen
griechischen Sonne problemlos ablesen, neue Titel waren auch bei
schlechter Internet-Verbindung in Sekundenschnelle überspielt. Ärgerlich
waren lediglich die großen Lücken im Angebot: Die deutschen
Übersetzungen der Romane von Thomas Pynchon beispielsweise, einem meiner
Lieblingsautoren, sind nicht als eBooks erhältlich, bei John Updike und
Philip Roth sieht es ähnlich mau aus.
Geschrieben am Mittwoch 20 Juli 2011 um 10:21 von Roland Freist
Ein Gastbeitrag von Michael Schäfer:
In der letzten Ausgabe der Fußballzeitschrift "11
Freunde" gab es eine Liste
mit den zehn bemerkenswertesten nicht zustande gekommenen Transfers im
deutschen Fußball. Da erfährt man zum Beispiel, dass der VfB Stuttgart
als erster europäischer Verein am jungen Ronaldo interessiert war, aber
keine acht Millionen Mark für einen 16jährigen zahlen wollte, dass
Ronaldinho 2001 ein Angebot von Borussia Dortmund hatte, den Verein aber
für eine Nummer zu groß hielt, und dass Hannover 96 nach dem Aufstieg in
die Bundesliga 1964 allen Ernstes versuchte, Pelé zu kaufen. Meine Top 3
sind aber diese Nicht-Transfers:
Platz 3: 1969 sollte Udo Lattek Trainer von Werder Bremen werden,
doch Bremen wollte dann doch nicht, obwohl Lattek noch zwei
Nachwuchsspieler namens Paul Breitner und Uli Hoeneß mitgebracht hätte.
Platz 2: 1997 verpflichtete Werder Bremen den ukrainischen
Spieler Juri Maximow. Dynamo Kiew wollte den Bremern noch einen jungen
Stürmer zum Schnäppchenpreis dazugeben, einen gewissen Andrej
Schewtschenko. Werder wollte nur Maximow.
Platz 1: 1976 machte ein 20jähriger Spieler vom AS Nancy im
benachbarten Saarland ein Probetraining. Doch der Trainer des 1. FC
Saarbrücken meinte: "Den können wir nicht brauchen". Wen der 1. FCS 1976
nicht brauchen konnte? Michel Platini !
Geschrieben am Freitag 07 Januar 2011 um 15:52 von Roland Freist
Ich lese derzeit die Millennium-Trilogie von Stieg Larsson und bin
mittlerweile etwa bei Seite 250 von "Verdammnis" angekommen. Mal
abgesehen von einigen stilistischen Schwächen, logischen Ungereimtheiten
und dem unrealistischen Detail, dass die Hacker Apple-Rechner benutzen,
gefällt mir das alles sehr gut - die Stories sind spannend und flüssig
erzählt, die Bücher echte Page Turner für lange Winterabende. Was jedoch
zunehmend nervt, ist die ständige Notgeilheit der Hauptpersonen, die
schätzungsweise alle 50 Seiten eine weitere überflüssige Sexszene nach
sich zieht.
Geschrieben am Freitag 06 August 2010 um 0:13 von Roland Freist
1. The Velvet Underground & Nico: The Velvet
Underground & Nico (1967)
Eine Methode, um eine solche Liste zusammenzustellen, besteht darin sich
zu fragen, welche Platten man bis heute immer noch hören kann, ohne dass
sie sich abgenutzt haben und man selber sich langweilt. Bei den meisten
Alben geht das bei mir sehr schnell. Ich höre sie zwei, vielleicht auch
drei Mal von vorne bis hinten durch und wähle anschließend nur noch
meine Lieblingstitel an.
Zu den Ausnahmen zählt "The Velvet Underground & Nico". Die Platte habe
ich gekauft als ich 15 Jahre alt war, und ich lege sie bis heute immer
wieder gerne auf (beziehungsweise ein, irgendwann habe ich mir das
komplette Werk der Gruppe nochmal auf CD zugelegt). Und noch immer
faszinieren mich die Soundeffekte dieses Albums. Andy Warhol, der die
Gruppe gepusht und die Platte produziert hatte, kannte sich mit
Aufnahmetechnik kaum aus. Entsprechend klingt das Ergebnis. Die Bässe
saufen ab, Übersteuerungen sind der Normalfall, die Höhen sind entweder
kaum vorhanden oder unnatürlich in den Vordergrund gerückt. Worauf sich
Warhol jedoch verstand, das waren spektakuläre Effekte und ihre Wirkung.
Bei "I’m Waiting for the Man" etwa ist der Gesang von Lou Reed zu Anfang
extrem in den Vordergrund gemischt, aufnahmetechnisch ist der Song eine
Katastrophe. Doch der Effekt ist großartig. Die schneidende, metallisch
scharfe Stimme kommt umso besser zur Geltung, da im Hintergrund der Bass
nur als dumpfes Grollen zu vernehmen ist. Gleichzeitig hebt sie sich mit
der coolen, die Vokale dehnenden Intonation ab von dem gleichbleibenden
Hämmern von Klavier und Rhythmus-Gitarre. Dieser beinahe schon
schmerzhaft in den Vordergrund gemischten Stimme hört man an, dass sie
in der Großstadt aufgewachsen ist, mit all ihrem Slang, den
Insider-Witzen und dem coolen, die Silben und Wörter verschluckenden
Sound der Typen, die in den dunkleren Vierteln von New York Tag und
Nacht die Straßen bevölkern. Entsprechend sind die Themen der Songs:
Hier geht es nicht um Mädchen und Romantik, Tanzen und unglückliche
Liebe. "I’m Waiting for the Man" ist der Song eines Drogensüchtigen, der
auf seinen Dealer wartet, "twenty-six dollars in my hand".
Auch bei den anderen Songs vertraute Warhol weniger auf Melodie und
Komposition, als vielmehr auf Soundeffekte: Die Peitschenhiebe von John
Cales elektrischer Viola in "Venus in Furs" und der galoppierende
Pulsschlag des Junkies in "Heroin" sind Beispiele dafür. Dazu kam Nico,
ein deutsches Fotomodell, geboren in Köln als Christa Päffgen, die
Warhol der Gruppe aufs Auge gedrückt hatte, wohl um ihr etwas mehr
Glamour zu verschaffen. Sie sah fantastisch aus, schlank, groß und mit
langen, blonden Haaren, sang jedoch mit einer dunklen, alt und müde
klingenden Stimme. "All Tomorrow’s Parties" und "Sunday Morning" wurden
durch sie zu Geschichten aus der Gruft.
Warhol hat aus "The Velvet Underground & Nico" mehr als eine Platte
gemacht, das Album ist ein auf den Effekt setzendes Kunstwerk. Die Songs
sind grell und effekthascherisch wie ein Comic, eine Sammlung von
Pop-Bomben in giftigen Farben, abgeworfen im gleichen Jahr, in dem die
Love & Peace-Bewegung der Hippies ihren Höhepunkt erreichte. Ich werde
die CD wohl auch dann noch einlegen, wenn eines Tages die ersten
Rentenüberweisungen auf meinem Konto eintreffen.
Es gibt nur wenige Videos von The Velvet Underground, vor allem Filme
aus der Zeit mit Nico (die nach dem ersten Album wieder verschwand) sind
absolute Mangelware. Das folgende Video, in dem die Gruppe "Venus in
Furs" spielt, hat Warhol wohl selbst gedreht. Es handelt sich eher um
ein Musikvideo als um den Film von einem Live-Auftritt, die Musik wurde
offensichtlich erst später über die Bilder gelegt:
2. The Beach Boys: Pet Sounds (1966)
Wenn "The Velvet Underground & Nico" Über-Pop ist, so ist "Pet Sounds"
Pop in seiner perfekten Form. Das habe ich allerdings erst recht spät
festgestellt. Bis in die 70er, 80er Jahre verband ich mit den Beach Boys
Titel wie "California Girls", "I get around" und "Barbara Ann" – Fun-Pop
von ewig gut gelaunten, bronzefarben gebräunten Surfern aus Kalifornien.
Um es vorsichtig auszudrücken: Das ist nicht meine Welt.
"Pet Sounds" und seine Geschichte lernte ich, wie gesagt, erst recht
spät kennen, irgendwann in den 90er Jahren. Aber je öfter ich diese
Platte höre, und ich höre sie ziemlich regelmäßig, desto klarer wird ihr
Konzept. Denn das macht "Pet Sounds" aus – es ist nicht nur eine
Zusammenstellung der musikalischen Produktion der Gruppe aus den
vorangegangenen Monaten. Stattdessen drehen sich alle Songs auf der
Platte um die gleichen Themen. Es geht um frühe Liebe, den Verlust der
Unschuld und ersten Liebesschmerz. Zugegeben, das ist nichts, was einen
heute noch vom Hocker haut. Aber es war ein deutlicher Fortschritt
gegenüber der früheren Politik der Plattenfirmen, die einfach wahllos
die zehn letzten Stücke einer Band auf Vinyl pressten und damit
kalkulierten, dass vielleicht zwei davon hitparadentauglich waren,
während der Rest teils Ausschuss, teils einfach nur unkommerziell war
und dem Käufer mehr oder weniger aufs Ohr gedrückt wurde.
Die erste Platte, die sich diesem Konzept nicht fügen wollte, war
"Rubber Soul" von den Beatles. Die Gruppe hatte die Stücke für dieses
Album sorgfältig ausgewählt. Die Songs sollten eine Einheit bilden und
nicht einfach wahllos auf eine Platte gepresst werden. Der Legende nach
hörte Brian Wilson, der Mastermind der Beach Boys, das Album und sagte:
"Es ist brillant. Aber das kann ich besser." Die Beach Boys standen
damals kurz vor einer Tournee durch Japan und nach Hawaii. Wilson hatte
ohnehin keine Lust mitzukommen und mietete stattdessen ein Studio an. In
den folgenden Wochen komponierte er sämtliche Songs für "Pet Sounds" und
arrangierte die Musik. Ein junger Lyriker namens Tony Asher, den Brian
Wilson erst einige Monate zuvor kennengelernt hatte, schrieb nach seinen
Vorgaben die Texte. Wilson lud Dutzende von Studio- und
Orchester-Musikern ein, um die Stücke einzuspielen, sang zunächst alles
selbst und mischte alles ab. Als seine Jungs von der Tournee
zurückkamen, übergab er bei einigen Songs noch den Lead-Gesang an Carl
Wilson und nahm mit der Band die Background-Gesänge auf. Das Album war
fertig.
Die ersten Reaktionen waren negativ. Die anderen Beach Boys hatten halb
im Spaß gesagt, die Musik höre sich an wie die Geräusche von Haustieren
(pet sounds) – prompt übernahm Brian das als Titel des Albums. Die
Plattenfirma weigerte sich zunächst gar, die Platte überhaupt zu
veröffentlichen, da sie nicht dem Fun & Surf-Image der Gruppe entsprach.
Und das stimmte sogar: Auf "Pet Sounds" gibt es mit "Wouldn’t it be
nice" gerade noch einen Song, der in Rhythmus und Machart den
Surf-Hymnen der früheren Jahre entspricht. Hinzu kam die erfolgreiche
Single-Auskopplung "Sloop John B", im Original ein Folksong von den
Westindischen Inseln, den Brian Wilson neu arrangiert und im Text
verändert hat. Der Rest der Songs jedoch entsprach absolut nicht dem,
was man bis dato mit den Beach Boys verbunden hatte. Es sind großartige
Balladen, nachdenklich, teils philosophisch, mit wunderschönen Harmonien
und in der Aufnahmetechnik ihrer Zeit weit voraus. "Pet Sounds" ist
perfekter, intelligenter Pop, niemals übertroffen. Im Video spielen die
Beach Boys "God Only Knows", einen der besten Songs des Albums. Carl
Wilson übernimmt den Lead-Gesang, der Typ mit der Pelzmütze ist sein
Cousin Mike Love. Brian Wilson trat zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr
live auf.
3. John Cale: Paris 1919 (1973)
Eine weitere Platte, die ich seit Jahrzehnten besitze und mir immer noch
anhören kann. Was vielleicht daran liegt, dass "Paris 1919" ein sehr
zeituntypisches Werk ist. Auf dem Cover sieht man John Cale in einem
altmodischen, weißen Dreiteiler am Fenster sitzen, das Foto wirkt leicht
vergilbt. Die Schrift scheint irgendein Jugendstil-Font zu sein.
Die Songs passen dazu. Es sind Erinnerungen an die Kindheit ("Child’s
Christmas in Wales") und ferne Orte ("Andalucia", "Half past France" und
"Paris 1919" selbst), verträumt und sehnsuchtsvoll. Was die Musik vor
dem Abgleiten in den Kitsch bewahrt, ist zum einen Cales heisere Stimme,
zum anderen aber auch die Texte, die alle einen leicht surrealen Touch
aufweisen: "As the crowds begin complaining / How the Beaujolais is
raining / Down on darkened meetings on the Champs Elysée" (aus "Paris
1919"). Der "Rolling Stone" schrieb damals, die Platte verzerre "die
gesamte europäische Hochkultur durch eine dadaistisch-surrealistische
Perspektive".
Hinzu kommen die Arrangements, abwechslungsreich zwischen Hardrock und
Klassik hin und her wechselnd. Mit beidem kannte sich Cale aus. Er hatte
mit einem Leonard-Bernstein-Stipendium die Berkshire School of Music in
der Nähe von Boston besucht, später gehörte er zur Ur-Besetzung von
Velvet Underground. John Cale war Mitte der 70er Jahre, zu einer Zeit
also, als die Popmusik einen fürchterlichen Durchhänger hatte, einer der
wenigen Künstler, die Platte auf Platte gute Qualität ablieferten
(zusammen mit David Bowie und, mit Einschränkungen, Lou Reed). "Paris
1919" ist sein Meisterstück.
Das Video zeigt Cale mit "Paris 1919" bei einem Konzert im Paradiso in
Amsterdam, vermutlich in den 90er Jahren:
4. The Go-Betweens: Liberty Belle and the Black Diamond Express (1986)
Nachdem ich meine Top 10 zusammen hatte, habe ich die Titel etwa eine
halbe Stunde lang hin und her geschoben, bis mir die Reihenfolge richtig
schien. Als ich dann sah, dass The Go-Betweens auf Platz 4 gelandet
waren, begann ich zu zweifeln: Gehören die da wirklich hin? Sooo oft
habe ich die Platte nun auch wieder nicht gehört.
Aber doch, die Go-Betweens gehören dahin. Sie waren eine der besten
Gitarrenpop-Bands der 80er, wurden allerdings Zeit ihres Bestehens
chronisch unterschätzt. Ihre Songs bohrten sich nahezu unmerklich ins
Unterbewusstsein, so lange, bis sie die Herrschaft übernommen hatten und
man, ohne es selbst zu bemerken, auf der Straße wie ein Idiot die
Basslinie von "The Wrong Road" vor sich hin summte. Doch doch, die
Platzierung passt.
Hier ist das Video zu "Spring Rain", dem ersten Stück auf der Platte,
das erfolgreich als Single veröffentlicht wurde:
5. A Tribe Called Quest: Midnight Marauders (1993)
Von Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre habe ich viel Hiphop gehört,
vor allem Jungle Brothers, Boogie Down Productions, Gang Starr, Cypress
Hill und De La Soul. Am unterhaltsamsten und abwechslungsreichsten fand
ich jedoch A Tribe Called Quest. Schon auf ihrem ersten Album, "People’s
Instinctive Travels and the Paths of Rhythm", hatten sie mit "Can I kick
it?" einen der besten und witzigsten Hiphop-Tracks aller Zeiten
vorgelegt. Ihr Meisterwerk war jedoch das dritte Album "Midnight
Marauders", ein perfekter, schwarzer Rhythmusteppich, in den sie
Dutzende kleiner Melodien verwoben hatten. Eine weibliche Stimme führt
durch CD und gibt den einzelnen Songs einen Zusammenhalt. Ein tolles
Album.
Nur zu einem Song aus "Midnight Marauders" wurde ein Video gedreht,
nämlich zu "Oh My God". Hier ist es:
6. Jefferson Airplane: Surrealistic Pillow (1967)
"Surrealistic Pillow" war die zweite Platte von Jefferson Airplane und
die erste mit Sängerin Grace Slick. Sie brachte von ihrer vorherigen
Gruppe The Great Society die beiden größten Hits der Platte mit,
"Somebody to love" und "White Rabbit". Wichtiger war jedoch, dass sie
einer Gruppe von eher laschen Hippies mehr Aggressivität injizierte.
Slick sorgte immer wieder für Skandale – einmal wollte sie Ronald Reagan
bei einem Besuch in ihrem früheren College LSD in sein Wasser kippen,
scheiterte jedoch an der Security. Solche Sachen eben, albern und
letztlich harmlos. Trotzdem, sie provozierte und war sarkastisch.
Gleichzeitig sah sie sehr gut aus, und sie wurde das Sexsymbol der
amerikanischen Hippie-Bewegung.
Auf "Surrealistic Pillow" stoßen diese beiden Welten erstmals
aufeinander, die Aggressivität von Grace Slick und die ruhigen,
melodischen Songs der Ur-Besetzung der Gruppe. Jefferson Airplane
wussten zu dieser Zeit offensichtlich noch nicht so recht, wie es
weitergehen sollte. Auf dem Cover sind die Bandmitglieder mit
akustischen Instrumenten und dem Gesichtsausdruck von ernsthaften
Musikern zu sehen, die Gruppe wirkt wie eine Folkband. Die Platte jedoch
bietet überwiegend elektrisch verstärkte Musik, aufgepusht mit
bombastischen Halleffekten.
Ich mag das Album, eben weil es aufgrund dieser Gegensätze eine gewisse
Spannung ausstrahlt. Auf der einen Seite Grace Slick, die die Refrains
ihrer Songs intoniert wie die Parolen einer Anti-Kriegs-Demo, auf der
anderen Seite die ruhigen, schönen Balladen wie "Today" oder "How do you
feel". Eine Platte aus einer Zeit, als Hippies noch einen Ruf zu
verlieren hatten.
Jefferson Airplane waren 1967 einer der Haupt-Acts auf dem Monterey Pop
Festival, das zum großen Love & Peace-Happening der Hippies wurde. Dort
entstand auch die folgende Aufnahme von "Somebody to Love".
7. The Fall: This Nation’s Saving Grace (1985)
The Fall war, ist und wird immer sein Mark E. Smith, der Sänger und
Songschreiber der Gruppe. Alle anderen Positionen haben mehrfach
gewechselt, bloß Smith ist immer geblieben. Mitte der 70er Jahre
gründete er The Fall in Manchester als reine Punk-Band. In den 80er
Jahren entwickelte die Gruppe eine Art gitarrenlastigen Garagen-Punk in
der Tradition von Spät-60er-Jahre-Gruppen wie The Seeds oder The 13th
Floor Elevators. Aber auch Einflüsse von Velvet Underground und den
deutschen Avantgarde-Elektronikern von Can sind spürbar.
Mitte der 80er Jahre war Mark E. Smith auf dem Höhepunkt seines
musikalischen Könnens. Alben wie "The Wonderful and Frightening World of
the Fall" und eben "This Nation’s Saving Grace" wechselten von Song zu
Song den Charakter und die Stimmung, waren abwechslungsreich, witzig,
ironisch und intelligent. Dazu beigetragen hat vielleicht auch, dass
Mark E. Smith zu dieser Zeit verheiratet war mit der amerikanischen
Sängerin und Gitarristin Laura Elisse Salenger, die sich in der Folge
Brix Smith nannte und bei The Fall die Gitarre übernahm. Mit ihr kam
eine popartige Leichtigkeit in die Songs, was der Gruppe sehr gut tat.
Trotzdem hatte The Fall nie großen kommerziellen Erfolg. Bis heute gilt
die Gruppe als Insider-Tipp von Musikern und Journalisten, für das
breite Publikum lagen die oftmals schrägen Akkorde und der wie durch ein
Megaphon verzerrte Sprechgesang von Mark E. Smith zu sehr neben dem
Mainstream. Auf der anderen Seite konnte die Gruppe dadurch eine
verschworene Fangemeinde aufbauen, was sich zum Beispiel in einer so
unglaublich detailverliebten Website wie The Fall Online (www.visi.com/fall)
ausdrückt. Übrigens: Das dort in der Gigography abgebildete Ticket vom
6. Februar 1987 stammt von mir.
Nahezu jedes Konzert von The Fall wird von ihren Fans heimlich
mitgeschnitten, von vielen Auftritten existieren auch Videos. Und nahezu
alle zeichnen sich durch eine schauderhafte Bild- und Tonqualität aus.
So auch das folgende. The Fall spielen hier "I am Damo Suzuki",
natürlich aus "This Nation’s Saving Grace". Kenji "Damo" Suzuki, das
muss man wohl erklären, war einige Zeit Sänger der deutschen Band Can
und genießt heute Kultstatus:
8. Roxy Music: Roxy Music (1972)
Nachdem die Popmusik in den späten 60er Jahren förmlich explodiert war,
herrschte in den 70ern zunächst Flaute. Die alten Bands hatten sich
entweder aufgelöst (wie die Beatles), verloren an Qualität (Rolling
Stones, Who, Kinks etc.), flüchteten sich in die Gigantomanie (Pink
Floyd, Genesis, aber auch Gitarrenbands wie Led Zeppelin) oder begannen
mit Klassik-Experimenten (Emerson, Lake & Palmer, Deep Purple). Der
nächsten Generation von Jugendlichen blieb nur simpler Mainstream-Pop à
la The Monkeys, The Sweet oder Bay City Rollers. Eine neue, coole
70er-Jahre-Musik fehlte.
Doch dann entwickelten in England David Bowie auf der einen und Roxy
Music auf der anderen Seite ein völlig neues Pop-Universum. Es war im
Grunde eine Gegenbewegung gegen die alten Rocker mit ihren phallischen
Gitarrenhälsen, den verdreckten Jeans-Klamotten und T-Shirts. Aber auch
mit der neu aufkommenden Folk- und Songwriter-Bewegung und ihrer
Beschwörung des einfachen, natürlichen Lebens auf dem Lande wollte sie
nichts zu tun haben. Gefragt waren stattdessen schummrige Diskotheken,
sorgfältig geschminkte Gesichter, Klamotten mit Kunstpelzbesatz und
Glitzereffekten, hochhackige Schuhe und gegelte Frisuren. Die
Protagonisten dieser Szene nahmen offen Anleihen bei der Schwulen- und
Transvestiten-Bewegung, David Bowie, der sich öffentlich zu seiner
Bisexualität bekannte, wurde ihr Superstar.
Die Musik auf der ersten LP von Roxy Music passt perfekt dazu. Am Anfang
hört man die Geräusche einer Party, Small Talk und Gläserklirren, es
folgen einige Klavierakkorde, dann beginnt ein Beat, trocken wie ein
Martini. Bryan Ferrys pathetischer und zugleich leicht affektierter
Gesang setzt ein, dazu kommen wildes Gitarren-Geschrammel, Andy Mackays
Saxophon und die Synthesizer von Brian Eno. In den weiteren Stücken
erzeugen die sphärischen Synthesizer-Klänge und die Oboe (!) von Andy
Mackay eine seltsam abgehobene, leicht entrückte Stimmung, bevor die
Songs von dem nüchternen Schlagzeug und dem Gesang wieder auf den Boden
zurückgeholt werden.
Roxy Music sahen nicht nur aus wie Paradiesvögel, auch ihre Musik war
komplett abgedreht. Die Songs haben kaum eingängige Melodien, es sind
eher kleine, plüschige Kunstwerke, denen man in jedem Moment anhört,
dass ihre Schöpfer viel Zeit in teuren Nachtclubs und auf ausgeflippten
Partys verbracht haben. Stärker noch als Bowie gelang es Roxy Music, mit
ihren ersten beiden Platten die Mode und Kultur des England der frühen
70er Jahre in Musik umzusetzen.
Das Video zeigt einen Auftritt der Gruppe im London Art College im Jahr
1972. Sie spielen "Re-Make/Re-Model", den ersten Song der Platte:
9. Phoenix: Alphabetical (2004)
Entweder Air oder Phoenix, eine der beiden Gruppen musste in diese Liste
mit rein. Beides sind französische Bands, die ich in den vergangenen
zehn, zwölf Jahren recht häufig gehört habe. Sie spielen leichten,
angenehmen Independent-Pop, der sich auch nach mehreren Jahren nicht
abnutzt. Letztlich habe ich mich für Phoenix entschieden, Air zu sind
mir auf Dauer dann doch etwas zu lieblich und verliebt in ihre
altmodischen Synthesizer. "Alphabetical" ist mein Lieblingsalbum von
ihnen, wunderschöne Songs für Zeiten, in denen es einem gut geht. Es
folgt das Musikvideo zu "Run Run Run", einem der größten Hits der Gruppe:
10. The Flaming Lips: The Soft Bulletin (1999)
Die Flaming Lips fingen in den frühen 80er Jahren als gitarrenlastige
Hardrock-Band an und entwickelten sich bis Mitte der 90er zu einer
experimentierfreudigen Indie-Rock-Gruppe mit von Synthesizern geprägtem,
orchestriertem Sound und versponnenen Texten. Bestes Beispiel dafür ist
die CD "The Soft Bulletin", die mit einem Gongschlag beginnt und
anschließend zu einer Art musikalischem Tetris wird. Das Album lässt
immer neue, bunte Melodien, Tempi und Instrumente auf den Hörer
herabregnen, in einer Vielfalt, die sich schon bald nicht mehr ordnen
lässt. Der englische New Musical Express erklärte es 1999 zum "Album of
the Year", für mich ist es eine der besten CDs der 90er Jahre. Hier das
Video zu "Race for the Prize", das genauso rätselhaft ausfällt wie die
Texte der Gruppe.