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Filmkritik: "Big Eyes"

Mit Kulleraugen zum Glück

"Die 50er waren eine großartige Zeit – wenn man ein Mann war". Mit diesem Satz und den Bildern einer amerikanischen Hausfrau, die ihre Koffer packt und gemeinsam mit ihrer Tochter das Haus verlässt, beginnt der neue Film von Tim Burton. Und der unsichtbare Erzähler erklärt weiter, dass es zu dieser Zeit nicht üblich war, dass eine Frau ihren Mann sitzen ließ. Damit ist das Thema dieses Films abgesteckt, obwohl es auch noch eine andere Geschichte gibt.

Es geht um Margaret D. H. Keane, eine bis heute aktive Malerin, die in den späten 50er Jahren begann, Bilder von Straßenkindern zu malen und sie mit sehr großen Augen auszustatten. Sie wird gespielt von Amy Adams ("American Hustle"), in einer der besten Rollen ihrer Karriere. Nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hat, zieht sie nach San Francisco, nimmt einen Job als Dekorateurin in einer Möbelfabrik an. Nebenbei malt sie und versucht, ihre Werke auf Straßengallerien zu verkaufen, meist ohne viel Erfolg. Dort lernt sie jedoch Walter Keane (Christoph Waltz) kennen, der ebenfalls Gemälde anbietet, allesamt Straßenansicht von Paris. Schon bald heiraten sie.

Keane ist ein Marketing- und Verkaufsgenie. Er mietet die Wände eines Jazzklubs an, um seine und die Bilder seiner Frau auszustellen, und bemerkt sehr schnell, dass die kitschigen Bilder seiner Frau erheblich Kunden anziehen. In seiner Ehre gekränkt, gibt er sie als seine eigenen Werke aus und erklärt ihr das mit den Worten "Bilder von Frauen verkaufen sich nicht", was in der damaligen Zeit vermutlich sogar stimmte. Schon bald blüht das Geschäft, wenn auch einige Kunstkritiker die mindere Qualität der Porträts bemängeln. Ausstellungen werden organisiert, berühmte Persönlichkeiten kaufen die Bilder. Die Keanes verdienen viel Geld. Und sie machen noch mehr Geld, als Walter feststellt, dass sich zwar viele Menschen für die Gemälde interessieren, sie sich jedoch nicht leisten können. Also beginnt er, massenhaft Kopien drucken zu lassen, und verkauft sie für wenige Cent. Margaret und er werden reich und können sich eine prachtvolle Villa im Grünen leisten.

Noch immer glaubt alle Welt, dass die Bilder von Walter stammen. Sogar Margarets Tochter Jane, die sie mit in die Ehe gebracht hat, redet das Ehepaar ein, dass ihr Stiefvater der Künstler ist. Margaret macht einige schwache Anstalten, die wahren Verhältnisse aufzuklären, doch immer wieder kann Walter sie überzeugen, alles so zu lassen wie es ist. Bei den Vernissagen sonnt er sich im Ruhm, während sie unbeachtet in der Ecke steht. Doch mehr und mehr wird ihr klar, dass er nicht nur die Öffentlichkeit belogen hat, sondern auch ihr nicht die volle Wahrheit über sich erzählt hat. Und Schritt für Schritt löst sie sich von ihm.

Der Film funktioniert auf mehrere Ebenen. Zum einen als Biopic einer Künstlerin, die es mit ganz entsetzlichen Bildern zu Ruhm und viel Geld gebracht hat. Aus der Wikipedia ist zu erfahren, dass Tim Burton ein Fan von Margaret Keane ist und in den 90er Jahren sogar ein Porträt seiner damaligen Freundin Lisa Marie, einem Fotomodell, bei ihr bestellte (hier ein Foto von ihr mit dem Gemälde, hinter der Leinwand schaut Tim Burton hervor).

Zum zweiten geht es um die Frage, was Kunst eigentlich ist und was einen Künstler ausmacht. Einige Jahre nach Margaret Keanes Anfängen malte Andy Warhol eine Suppendose und erklärte sie zur Kunst. Er soll übrigens auch erklärt haben, dass die Bilder von Keane hervorragend seien, immerhin würden viele Leute sie mögen. "Big Eyes" zeigt auch, wie Margaret darunter leidet, dass ihr ihre Gemälde weggenommen wurden. Sie sind ein Teil ihrer Identität, die ihr nun fehlt. Das enge Verhältnis zwischen Künstler und Werk wird auch dadurch demonstriert, dass Walter, angesprochen auf seine Gedanken bei der Entstehung eines Motivs, keine Antwort zu geben weiß, denn er ist nicht der Erschaffer dieses Werks.

Schließlich erzählt Tim Burton aber auch die Geschichte einer Frau, die sich nacheinander gegen zwei Männer durchsetzt, und das in einer Gesellschaft, in der Männer den Ton angeben. Als sie ihr Vorstellungsgespräch bei der Möbelfabrik hat, wird sie selbstverständlich gefragt, ob ihr Mann ihr überhaupt erlaubt habe zu arbeiten. Und sie setzt sich als Künstlerin durch. Obwohl ihre Bilder von der ernsthaften Kunstkritik angefeindet werden (und das zu Recht), obwohl sie auf die Frage nach dem Sinn der großen Augen nicht viel mehr zu sagen weiß als den abgedroschenen Satz von den Augen als dem Spiegel der Seele – sie lässt sich nicht beirren. Und auch, wenn sie ihren Stil später noch einmal ändert, bleibt sie sich doch selbst immer treu.

Amy Adams spielt das hervorragend, all die Unsicherheiten, Verletzungen und den Stolz dieser Frau. Sie ist bereits seit Jahren eine der besten amerikanischen Schauspielerinnen, und es ist wirklich bedauerlich, dass ihr der ganz große Durchbruch noch nicht geglückt ist. Die Bewertung von Christoph Waltz‘ Leistung ist schwieriger. Er ist ein Schauspieler, der gerne auf dem schmalen Grat zwischen Ernsthaftigkeit und Parodie balanciert und damit eigentlich der perfekte Kandidat für Tim-Burton-Filme. Hier jedoch zieht es ihn in den ersten drei Vierteln des Films ein wenig zu stark in Richtung Parodie, was zwar gut zu diesen – ich kann’s nur noch einmal wiederholen – wirklich lächerlich kitschigen Bildern passt, andererseits der Geschichte von Margaret Keane nicht gerecht wird.

"Big Eyes" ist ein sehr guter Film. Hervorheben muss man auch die Arbeit von Kameramann Bruce Delbonnel ("Die fabelhafte Welt der Amelie"), auch die Kostüme und die gesamte Ausstattung sind toll ausgewählt. Was dem Film ein wenig fehlt, ist die Dramatik. Die Geschichte entwickelt sich größtenteils linear, ohne große Überraschungen. Die Story ist interessant, und Tim Burton erzählt sie gut, doch es fehlt der letzte Kick. Trotzdem ist es einer der besten Filme, die er jemals gedreht hat.

"Big Eyes" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Freitag 01 Mai 2015 um 23:14 von Roland Freist

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