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Filmkritik: "Interstellar"

Lonely Planets

Wenn es einen Film gibt, der einem die Reise zu fremden Planeten so richtig verleiden kann, dann ist es dieser hier. Mehr noch als die Nasa-Fotos von den felsigen Einöden auf Mond, Mars und Titan sind die deprimierenden, bleifarbenen Bilder von Christopher Nolan dazu geeignet, das Leben auf fremden Welten als eine eher unattraktive Alternative erscheinen zu lassen. Der britische Regisseur zeigt uns in "Interstellar" einen Planeten, der von einer knietiefen Wasserfläche bedeckt ist, die sich in regelmäßigen Abständen zu turmhohen Wellen erhebt, und einen zweiten, wo es so kalt ist, dass sogar die Wolken zu Eis gefrieren. Zum Schluss führt uns der Film noch einen dritten Planeten vor, der mit seiner marsähnlichen Oberfläche schon beinahe etwas Anheimelndes hat. Von den grünen Idyllen jedoch, die man ab und zu bei "Star Trek" oder "Stargate" zu sehen bekam, keine Spur.

"Interstellar" ist keins der Weltraum-Abenteuer, bei dem die Helden mit Hyper-Lichtgeschwindigkeit durchs All sausen und die gegnerischen Raumschiffe mit Laserkanonen und Photonen-Torpedos in gigantischen Feuerbällen explodieren lassen. Er zeigt die Raumfahrt als das, was sie ist: Ein nahezu unkalkulierbares Wagnis, bei dem die Menschen den gigantischen Kräften im All beinahe schutzlos ausgeliefert sind. Eine der großen Leistungen des Films ist es, trotz der phantastischen Aufnahmen von schwarzen Löchern und fremden Galaxien beim Zuschauer ein permanentes Gefühl der Bedrohung zu erzeugen. Den Astronauten geht es sogar noch schlechter.

Damit jemand solche Wagnisse auf sich nimmt, muss er gute Gründe haben. Und die gibt es. In einer nahen Zukunft ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann die Erde unbewohnbar wird. Weite Gebiete sind bereits versteppt, gigantische Sandstürme fegen über das Land. Die meisten Nutzpflanzen sind eingegangen, die Menschen verhungern. Der Farmer und ehemalige Pilot Cooper (Matthew McConaughy) stößt durch Zufall auf einen unterirdischen Komplex, in dem die Reste der Nasa ihr letztes Projekt planen: Die Suche nach einem Planeten, auf dem die Menschheit überleben kann. Dabei kommt den Wissenschaftlern um Professor Brand (Michael Caine) zugute, dass sich nahe des Saturn ein Wurmloch geöffnet hat, das den Weg in eine andere Galaxie öffnet. Mithilfe von Sonden wurden dort zwölf potenziell bewohnbare Planeten identifiziert. Zehn Jahre zuvor wurde bereits ein Dutzend Astronauten losgeschickt, um diese Planeten einer ersten Untersuchung zu unterziehen. Jetzt soll eine zweite Expedition hinterherfliegen, die Überlebenden und ihre Berichte einsammeln und entscheiden, ob man

- Plan A: ein riesiges Raumschiff mit den Resten der Menschheit dorthin schickt oder

- Plan B: tiefgekühlte, befruchtete Eizellen absetzt und die Kinder dann mehr oder weniger automatisiert von Robotern aufziehen lässt.

Wie man es nicht anders erwartet hatte, wird McConaughy für die Mission ausgewählt. Mit ihm fliegen die Physikerin und Tochter des Nasa-Chefs, Amelia Brand (Anne Hathaway), die beiden Wissenschaftler Doyle (Wes Bentley) und Romilly (David Gyasi) sowie der erstaunlich flexible und sogar humorbegabte Roboter TARS. Natürlich kommt es bei der Mission zu unvorhergesehenen Schwierigkeiten. Gemäß Murphy’s Law, das ausgiebig zitiert wird, geht sogar nahezu alles schief, was nur schiefgehen kann.

Auf der Erde hat Cooper seine beiden Kinder sowie seinen Schwiegervater Donald (John Lithgow) zurückgelassen. Vor allem seine Tochter Murph (Mackenzie Foy, später Jessica Chastain) nimmt ihm übel, dass er sie verlassen hat. Sein Versprechen, wieder zurückzukehren, kann sie nicht trösten. Sie wird Physikerin und arbeitet zusammen mit Professor Brand bei der Nasa an der Erforschung der Gravitation, die im Film als fünfte Dimension beschrieben wird. Mit ihr wäre es möglich, so hofft man, die Erde zu verlassen und der Menschheit eine neue Heimat zu geben.

Ähnlich wie Kubricks "2001: Odyssee im Weltall", der teilweise auch inhaltlich und ästhetisch Pate stand, lassen sich bei "Interstellar" drei Teile unterscheiden. Nach der ersten Dreiviertelstunde mit der Beschreibung des Lebens in der Staubhölle des mittleren Westens folgt nach einem abrupten Schnitt der Flug zu den Sternen. Nach 110 Minuten wechselt der Film dann zu Teil 3, dem esoterischen Schlusskapitel.

Christopher Nolan legt mit "Interstellar" einen großen, klassischen Science-Fiction-Film vor. Obwohl es im zweiten Akt einige spannende Actionszenen gibt, ist dies alles andere als eines der üblichen, ins Weltall verlegten Western-Abenteuer. Selten zuvor wurden einem die Effekte, die sich aus der Relativitätstheorie ableiten, so drastisch vor Augen geführt wie hier. Gleichzeitig geht es aber auch um Philosophie, um die großen Fragen des Menschseins, und nicht zuletzt um Gefühle und die Bedeutung der Bindung an andere Personen.

Matthew McConaughy zeigt ein weiteres Mal, welch guter Schauspieler er mittlerweile geworden ist. Das ist nicht einfach nur der übliche ehemalige Testpilot, der nach einem Crash seinen Beruf an den Nagel gehängt hat. Er vermittelt auch sehr eindringlich, wie die Beziehung zu seiner Tochter ihn geprägt hat und wie sie seine Entscheidungen fernab der Erde in einer lebensfeindlichen Umgebung beeinflusst. McConaughy spielt den gesamten Film über ruhig, sachlich, überzeugend.

Der Film hat allerdings auch Schwächen, und die finden sich vor allem im letzten Drittel. Dort stellt man mal wieder fest, dass schwarze Löcher aus Sicht von Filmregisseuren eine absolut segensreiche Erscheinung sind, denn weder weiß man so genau, was in ihnen passiert, noch ist eine Kommunikation zwischen innen und außen möglich. Was in einem schwarzen Loch geschieht, bleibt in einem schwarzen Loch. Der Phantasie sind also keine Grenzen gesetzt. Und das nutzt Nolan bis an die Schmerzgrenze aus, wenn er die Kausalketten auflöst und sich die Ereignisse im Kreis zu drehen scheinen. Leicht genervt war ich letztlich auch vom orgellastigen Soundtrack von Hans Zimmer. Doch insgesamt ist das angesichts der anderen Qualitäten des Films verzeihlich.

Ich bin mir nicht sicher, ob "Interstellar" in einigen Jahren als eines der großen Science-Fiction-Meisterwerke der Filmgeschichte angesehen werden wird. In diesem Filmjahr jedoch zählt er zum Besten, was im Kino gezeigt wird.

"Interstellar" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Donnerstag 06 November 2014 um 22:34 von Roland Freist

Bearbeitet: Montag 15 Dezember 2014 23:47

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