« Die James-Bond-Geschichte | Zurück zur Startseite dieses Blogs | "Breaking Bad" aus Sicht der Cousins »

Filmkritk: "Cloud Atlas"

Sechs Stories

"Cloud Atlas" – allein schon der Titel lässt einen schwere, intellektuelle Kost vermuten. Dazu kam das Marketing im Vorfeld: Der überlange erste Trailer, das Gerede von dem "unverfilmbaren" Roman, der als Basis diente ("Der Wolkenatlas" von David Mitchell), die Wachowskis, die sich zu "Matrix"-Zeiten weigerten, auch nur mit einem Journalisten zu sprechen, und dazu noch Tom Tykwer, der trotz Ausflügen ins Action-Genre ("The International") wie nahezu alle deutschen Regisseure tendenziell als Spaßbremse gilt. Als dann noch verbreitet wurde, dass der Film eine Botschaft habe und die Schauspieler in mehreren Rollen zu sehen sein würden, war es schon beinahe endgültig aus. Fast hätte ich mir stattdessen "Dredd" angeschaut (der im Übrigen gar nicht schlecht sein soll).

Aber das wäre ein Fehler gewesen. Denn "Cloud Atlas" ist ein ausgezeichneter Film, der weniger verkopft ist, als man vielleicht meinen könnte, und viel Spaß hat am Erzählen von Geschichten. Insgesamt sechs sind es, die kunstvoll ineinander verwoben sind:

- Im Jahr 1849 reist ein Notar (Jim Sturgess) von einer Südseeinsel mit dem Schiff zurück in seine Heimatstadt San Francisco. Während der Fahrt freundet er sich mit einem farbigen Sklaven (David Gyasi) an. Der rettet ihm später das Leben, der Notar verhilft ihm dafür zur Freiheit.

- Im Belgien des Jahres 1931 nimmt ein junger, schwuler Nachwuchsmusiker (Ben Whishaw) den Job eines Gehilfen bei einem älteren, berühmten Komponisten (Jim Broadbent) an. Als er eine eigene, geniale Symphonie mit dem Titel "Cloud Atlas" schreibt, versucht sein Arbeitgeber, ihn zu erpressen und das Stück als eigenes Werk auszugeben.

- Anfang der 70er Jahre stößt eine Journalistin (Halle Berry) bei einem großen Ölkonzern auf einen Umweltskandal. Der Chef der Firma (Hugh Grant) will sie daraufhin aus dem Weg räumen lassen.

- Ein älterer britischer Verleger (wieder Jim Broadbent) wird in der Jetztzeit von seiner Familie in ein geschlossenes Altenheim abgeschoben und entwirft dort mit einigen anderen Heiminsassen einen Fluchtplan.

- Im 22. Jahrhundert wird in New Seoul eine genetisch entworfene Kellnerin (Doona Bae) vom Mitglied einer Widerstandsgruppe befreit und verliebt sich in ihn.

- Im Jahr 2346 sind große Teile der Erde unbewohnbar. Da bekommt ein Stamm auf einer Insel im Südpazifik Besuch von einer Frau (Halle Berry) aus einer technisch fortgeschrittenen Kultur. Obwohl es düstere Mythen über diesen Ort gibt, erklärt sich ein Ziegenhirte (Tom Hanks) bereit, sie zum Gipfel eines nahegelegenen Berges zu führen, wo sie eine aufgegebene Funkstation finden.

Alle diese Geschichten sind toll bebildert, spannend erzählt und teilweise sogar sehr witzig. Damit die Spannung während der rund drei Stunden Laufzeit nicht nachlässt, wechseln die Regisseure zwischen den verschiedenen Erzählsträngen ständig hin und her, und zwar am liebsten dann, wenn das Geschehen einen dramatischen Höhepunkt erreicht. Der gute, alte Cliffhanger, er lebt. Dank dieser Technik vereint "Cloud Atlas" so unterschiedliche Genres wie Science Fiction, Abenteuerfilm und Umweltdrama à la "China-Syndrom" und passt dabei konsequent Stimmung, Kameraeinstellungen und Farbskala entsprechend an. Er führt die Zuschauer in futuristische Stadtlandschaften, subtropische Dschungel, britische Pubs, auf alte Segelschiffe und ins San Francisco der 70er Jahre. Es wird geschossen, mit Musketen, Revolvern und Laserpistolen, es gibt riesige, nächtliche Explosionen und Kämpfe mit Messern und Fäusten, daneben aber auch Gespräche über Musik, das Älterwerden und die Freiheit.

Und worum geht’s? In den Kritiken las und hörte man häufig, "Cloud Atlas" wolle wie das Buch zeigen, wie alles miteinander zusammenhängt. Im Film geschieht das vor allem mithilfe von Zitaten: Die Halle Berry der 70er Jahre etwa kommt in einen Plattenladen, in dem der Besitzer (Ben Whishaw) gerade die Cloud-Atlas-Symphonie spielt. Oder in New Seoul läuft in einer Szene ein Fernsehfilm, der auf den Geschehnissen rund um die Flucht von Jim Broadbent aus dem Altersheim basiert. Als Beweis für unsichtbare Verbindungen zwischen den Personen und Zeitaltern ist das jedoch zu wenig. Das Gleiche gilt für die unterschiedlichen Rollen, in die die Hauptdarsteller auf den verschiedenen Zeitebenen schlüpfen, wobei sie teilweise sogar das Geschlecht und die Hautfarbe ändern. Lediglich Hugo Weaving (der Agent Smith aus "Matrix") bleibt seiner Rolle weitgehend treu, denn er muss in allen sechs Stories den Bösen spielen.

Aber man kann "Cloud Atlas" auch ohne diesen philosophischen Überbau sehen. Je länger der Film dauert, desto mehr Parallelen zeigen sich zwischen den Geschichten, und es treten einige Grundmotive hervor. Alle sechs Erzählstränge zeigen auf die eine oder andere Weise Unterdrückung und wie Menschen sich mithilfe von geliebten (oder in sie verliebten) Personen daraus befreien. "Cloud Atlas" ist ein optimistischer Film. Und es ist vor allem ein sehr unterhaltsamer Film, mit guten Darstellern, schnellem Erzählrhythmus, professionellen Effekten und nicht zuletzt sechs interessanten Geschichten.

"Cloud Atlas" in dem IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Sonntag 18 November 2012 um 18:31 von Roland Freist

Bearbeitet: Samstag 12 Januar 2013 16:29

*
blog comments powered by Disqus

« Die James-Bond-Geschichte | Zurück nach oben | "Breaking Bad" aus Sicht der Cousins »

Impressum/Kontakt