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Filmkritik: "Angels' Share"

Malt macht glücklich

Schottischer Malt Whisky ist ein edles Getränk. Seit er Anfang der 90er Jahre (wieder) in Mode kam, sind die Preise für seltene, alte Abfüllungen aus den 60er oder 70er Jahren förmlich explodiert. Sammler bezahlen für solche Flaschen vierstellige Summen, bei Whiskys, die in den 40er oder 50er Jahren produziert wurden, werden auch schon einmal fünfstellige Zahlen auf das Preisschild gedruckt. Der einfache Getreideschnaps ist zu einem Luxusgut geworden, das sich nur noch begüterte Schichten leisten können.

Robbie, Albert, Rhino, Thaddeus und Mo, fünf Jugendliche aus dem Glasgower Arbeitermilieu, kamen jedenfalls mit Whisky bislang nicht in Berührung. Sie sind allesamt arbeitslos, hatten auch noch nie einen Job, dafür jedoch bereits mehrfach Ärger mit der Polizei, wegen kleinen Diebstählen, Prügeleien, Drogen oder irgendwelchen Dummheiten, die sie im Alkoholrausch begangen haben. "Angels' Share", der neue Film des britischen Regisseurs Ken Loach, konzentriert sich auf Robbie (Paul Brannigan). Robbie kämpft gleich mit mehreren Problemen: Er hat keinen Job, kein Geld und keine Wohnung, seine Freundin ist schwanger, ihre Familie hasst ihn und will ihn von ihr fernhalten, und jetzt ist er auch noch zu 300 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. Zum Glück hat Harry (John Henshaw), der Sozialarbeiter, der ihn und die anderen Jungs betreut, Mitleid mit ihnen. Er nimmt Robbie mit zu sich nach Hause, bietet ihm einen Whisky an, später macht er mit der ganzen Gruppe einen Ausflug zu einer Destillerie und schaut mit ihnen bei einer Whisky-Verkostung vorbei. Robbies Interesse ist geweckt, und es zeigt sich, dass er eine ausgezeichnete Nase hat und imstande ist, die feinen Nuancen eines Whiskys zu identifizieren.

Wenig später steht in der Whisky-Welt eine Sensation an: Das letzte Fass einer alten Spezialedition soll geöffnet werden. Der Besitzer will nur eine Flasche abfüllen und versteigern lassen, der Schätzwert liegt bei einer Million Pfund. Robbie und seine Freunde beschließen, dass dieser Whisky auch ihnen Geld bringen soll, und sie machen sich auf den Weg zu der Destillerie, in der die Auktion stattfinden soll.

"Angels' Share" erzählt eine sympathische Geschichte mit sympathischen Charakteren. Die jugendlichen Darsteller sind allesamt Laien und hatten zuvor noch nie vor einer Kamera gestanden, was die Street Credibility des Films noch einmal verstärkt. Wenn das bloß alles nicht so klischeehaft wäre: Die Kleinkriminellen, die zwar schon böse Sachen gemacht haben – Robbie wird in einer Szene mit einem Jungen konfrontiert, den er in einem Wutanfall so zusammengeschlagen hatte, dass er heute auf einem Auge blind ist – aber dennoch das Herz auf dem rechten Fleck haben. Der alte Sozialarbeiter mit der rauen Schale und dem weichen Kern. Robbies nette Freundin, die das Gute in ihm erkannt hat und ihn unbedingt als Vater ihres Kindes haben will.

Ärgerlich sind zudem die unglaubwürdigen Details: Der seltenste und teuerste Whisky der Welt wird in einem nahezu ungesicherten Lagerraum aufbewahrt, Robbie wird bereits durch eine einzige Verkostung zum Whisky-Experten. Und Preise von einer Million Pfund für eine Flasche sind (zum Glück) auch heute noch in weiter Ferne. Nicht mehr ärgerlich, sondern schlichtweg eine Katastrophe ist schließlich die deutsche Übersetzung. Vom Charme des schottischen Slangs ist nichts übrig geblieben, die Sätze wirken oft hölzern, und einige Figuren müssen sich mit Schachtelsätzen abquälen, dass man Mitleid mit den Synchronsprechern bekommt.

Whisky-Trinker werden den Film dennoch mögen, da er dem Mythos rund um ihr Lieblingsgetränk einen angemessenen Rahmen verleiht. Einige der großen Namen spielen eine wichtige Rolle – Cragganmore, Lagavulin, Glenfarclas –, und wenn Harry und Robbie zu Anfang einen 32jährigen Springbank probieren, würde man gerne mit am Tisch sitzen. Das immerhin leistet "Angels' Share" – man bekommt Lust, einen Whisky zu trinken. Das allein ist jedoch etwas wenig.

"Angels' Share" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Montag 22 Oktober 2012 um 17:17 von Roland Freist

Bearbeitet: Samstag 12 Januar 2013 16:28

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