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Filmkritik: "Hugo Cabret"

Aus Liebe zum Kino

"Hugo Cabret" ist die große Überraschung des Filmjahres, der erste 3D-Film von Martin Scorsese und zugleich sein erster Kinderfilm. Obwohl: Wenn man genau hinschaut, ist es zwar ein Film mit Kindern in den Hauptrollen, und er ist auch durchaus geeignet für Kinder (FSK-Freigabe ab 6 Jahre), aber ein typischer Kinderfilm ist es eigentlich nicht.

Es geht um einen Jungen, Hugo Cabret (Asa Butterfield), der in einem Pariser Bahnhof lebt und dort die Uhren aufzieht und repariert. Er ist ständig in Gefahr, vom Stationsvorsteher (Sacha Baron Cohen) geschnappt zu werden, der alle elternlosen Kinder einsperrt und ins Waisenhaus bringen lässt. In seiner Freizeit repariert Hugo einen mechanischen Menschen, eine Art aufziehbaren Roboter, den sein Vater (Jude Law) einst in einem Museum gefunden hatte. Im Bahnhof gibt es mehrere Läden, eine Bäckerei, einen Blumenstand, auch ein Spielwarenhändler (Ben Kingsley) hat dort sein Geschäft. Zusammen mit dessen Tochter Isabelle (Chloë Grace Moretz) kommt Hugo dem Geheimnis des mechanischen Menschen auf die Spur und entdeckt, dass Isabelles Vater, der Spielwarenhändler, früher ein berühmter Stummfilm-Regisseur war.

"Hugo Cabret" ist gleich in doppelter Hinsicht ein großartiger Film. Zum einen, weil Scorsese die Faszination zeigt, die vom Kino ausgeht, seine Fähigkeit, Geschichten zu erzählen und Träume zu erschaffen. In der Figur des Hugo Cabret steckt sicher auch viel von Scorsese selbst – wenn der Film etwa zeigt, wie Hugo, verborgen hinter dem Zifferblatt der Bahnhofsuhr, das Leben in der Schalterhalle beobachtet, die kleinen Geschichten, die sich jeden Tag am Blumenstand oder vor der Bäckerei abspielen, dann sieht man den jungen Martin Scorsese vor sich, der am Fenster steht und auf das Straßenleben in Little Italy heruntersieht.

In der zweiten Hälfte des Films werden Ausschnitte aus frühen Stummfilmen eingeblendet und von den Figuren rund um Hugo erklärt und man versteht, warum diese Bilder damals so eine starke Wirkung auf die Menschen ausübten. Scorsese zeigt beispielsweise den ersten Kurzfilm der Brüder Lumière, den Zug, der in einen Bahnhof einfährt, und wie die Menschen vor dem Geschehen auf der Leinwand erschrocken zurückwichen.

Gleichzeitig – und das ist der zweite Grund, warum dies ein toller Film ist – gleichzeitig feiert Scorsese aber auch den technischen Fortschritt in Form der 3D-Technik und zeigt ebenfalls einen im Bahnhof ankommenden Zug, was in 3D einen ähnlichen Effekt auf die Zuschauer hat wie mehr als 100 Jahre zuvor der zweidimensionale Clip der Lumières.

Überhaupt ist die 3D-Technik noch nie so intelligent eingesetzt worden. Anstatt alberner Effekthascherei mit Gegenständen, die aus der Leinwand heraus auf die Zuschauer zuzufliegen scheinen, zeigt Scorsese in einer spektakulären Sequenz, welch atemberaubende Wirkung es hat, wenn man in 3D quasi in die Leinwand hineinfährt, wenn sich die Kamera einen Weg durch die Menschen in der Schalterhalle bahnt und uns so den Schauplatz des Geschehens vorstellt. Und: Statt Gegenstände dreidimensional nach vorne zu holen, so dass sie vor der Leinwand zu schweben scheinen, zoomt er auf die Gesichter der Personen und verleiht ihnen so eine wunderbar plastische Gestalt.

An zahlreichen Stellen spürt man, wie der Regisseur voller Neugierde die Möglichkeiten ausprobiert, die die neue 3D-Technik ihm bietet, die Effekte, die damit möglich sind – so schwebt beispielsweise während des gesamten Films ständig etwas in der Luft, außerhalb des Bahnhofs sind es Schneeflocken, innerhalb des Gebäudes kleine Staubteilchen. Zusammen mit dem ebenfalls allgegenwärtigen Nebel und dem Dampf und Rauch der Lokomotiven, entsteht so eine unwirkliche, märchenhafte Stimmung, die mit 2D-Technik so nicht zu verwirklichen wäre. Gleichzeitig vermeidet er die Fehler anderer Regisseure und leuchtet die Szenerie so aus, dass auch durch eine 3D-Brille gesehen alle Details erkennbar bleiben und die Farben nicht absaufen.

Nach James Camerons "Avatar" ist Hugo Cabret der erste 3D-Film, der wirklich zählt, der die Technik nicht nur perfekt einsetzt, sondern sich auch Gedanken über ihren sinnvollen Einsatz macht. "Hugo Cabret" ist die neue Referenzklasse. Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal schreiben würde, aber diesen Film sollten Sie sich auf jeden Fall in 3D anschauen. Aber auch, wenn Sie sich für die Technik nur wenig interessieren, ist dieser Film einen Besuch wert. Denn letztlich geht es im Kino immer darum, Geschichten zu erzählen. Und die Geschichte des Jungen Hugo Cabret und des frustrierten Stummfilmpioniers Georges Méliès ist eine der besten dieses Kinojahres.

"Hugo Cabret" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Montag 13 Februar 2012 um 17:02 von Roland Freist

Bearbeitet: Samstag 12 Januar 2013 16:21

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