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Archiv vom Februar 2019

Filmkritik: "Alita: Battle Angel"

Geschrieben am Dienstag 26 Februar 2019 um 23:19 von Roland Freist

Die Kampfmaschine

Wie sieht die Zukunft der Menschheit aus? Die Comic-Verfilmung "Alita" zeichnet ein düsteres Bild. 300 Jahre nach dem "Großen Krieg" zwischen Erde und Mars, im Jahr 2563, ist nur noch eine Stadt übriggeblieben. Iron City ist ein überfüllter Schmelztiegel der Kulturen und Sprachen, alle Überlebenden des Krieges haben sich hierher geflüchtet. Über der Stadt schwebt die letzte der vormals zwölf reichen Himmelsstädte, Zalem, eine große, am Boden verankerte Scheibe, auf der angeblich paradiesische Zustände herrschen. Wer jetzt sagt, das habe ich schon mal gesehen, hat völlig recht: Die Ausgangskonstellation erinnert stark an Filme wie etwa "Elysium".

In Iron City lebt der Wissenschaftler Dr. Dyson Ido (Christoph Waltz), der sein Geld mit der Reparatur defekter Cyborgs verdient. Er findet eines Tages auf dem Schrottplatz die Überreste eines älteren Modells, das Gehirn ist noch intakt. Ido nimmt den Körper mit nach Hause, vervollständigt ihn, weckt ihn wieder auf, und voilà, da ist Alita (Rosa Salazar) ein Teenager mit einer, wie sich herausstellt, etwas überdimensionierten Energiequelle als Herz (es würde ausreichen, um Iron City mehrere Jahre lang mit Strom zu versorgen, erklärt Dr. Ido), aber leider ohne Erinnerung daran, wer oder was sie zuvor war. Wie nicht anders zu erwarten, kommt die Erinnerung jedoch in kleinen Portionen wieder zurück (auch dieses Motiv kennen wir bereits, siehe etwa "Tödliche Weihnachten" mit Geena Davis) und es stellt sich heraus, dass es sich bei Alita um eine Kampfmaschine handelt, geschaffen, um keinem Konflikt aus dem Weg zu gehen.

Es folgen einer Reihe weiterer Elemente, die allesamt schon mal auf der Leinwand zu sehen waren: Ein rasantes Ballspiel namens Motorball, das verflucht an den SF-Klassiker "Rollerball" erinnert, Kopfgeldjäger, die die Rolle der Polizei übernommen haben, und ein Gangster, der in einer chaotischen Welt die Fäden in der Hand hält. Nichts davon ist neu. Das ist auch legitim, ein Regisseur muss nicht immer alles wieder neu erfinden. Doch wenn ein Film auf bekannte Versatzstücke zurückgreift, interessiert man sich vor allem dafür, was er daraus macht und wie er sie zusammenfügt. Und an dieser Stelle zeigt "Alita" beachtliche Qualitäten.

Das Drehbuch stammt von James Cameron und Laeta Kalogridis ("Shutter Island"), Cameron wollte ursprünglich auch die Regie übernehmen, sagte dann jedoch zugunsten seiner diversen Avatar-Projekte ab, und Robert Rodriguez ("Desperado") übernahm. "Alita" ist dennoch kein typischer Rodriguez-Film geworden, lediglich bei den Kämpfen der Cyborgs fühlt man sich teilweise an die Gewaltdarstellung seiner sonstigen Arbeiten erinnert.

Technisch ist der Film absolut perfekt. Er basiert auf dem Manga-Comic "Battle Angel Alita" von Yukito Kishiro. Um die Atmosphäre der Comics einzufangen, hat man der Hauptdarstellerin die typischen übergroßen Augen und die immer leicht unnatürlich wirkenden, tiefschwarzen Haare verliehen. Beeindruckend ist die Darstellung der Cyborgs, Roboter ohne Außenhaut, auf deren Stahlskulpturen menschliche Gesichter sitzen. Hinzu kommt das aufwendig inszenierte Gewusel auf den Straßen von Iron City. Bei der Produktion von "Alita" wurde nicht gespart, was sich James "Mir egal, was das kostet" Cameron wohl auch verbeten hätte. Davon zeugt auch die hochkarätige Besetzung, neben Christoph Waltz spielen auch die Oscar-Gewinner Mahershala Ali als Gangster und Jennifer Connelly als Idos Ex-Frau mit.

Wichtiger ist jedoch die Hauptdarstellerin. Rosa Salazar, bekannt geworden durch die Maze-Filme, gelingt es, ihrem Cyborg mit dem stählernen Herzen so viele menschliche Züge zu verleihen, dass man bereits wenige Minuten nach ihrer Auferstehung mit ihr mitfiebert und mitleidet. Eine bemerkenswerte Leistung wenn man bedenkt, dass große Teile ihres Körpers und vor allem des Gesichts per Computer verändert und animiert wurden.

"Alita" ist klassische, gut gemachte Mainstream-Science-Fiction. Sucht man nach einer tiefergehenden Bedeutung, so sind vor allem die Cyborgs interessant. Es wird nie geklärt, wo der Mensch aufhört und der Cyborg beginnt beziehungsweise, ob diese Wesen mit den Metallkörpern und den austauschbaren Gliedern ein menschliches oder ein Computer-Hirn besitzen. Die Grenzen zwischen Mensch und Maschine sind fließend, eine eindeutige Unterscheidung gibt es nicht mehr. Alita verliebt sich in den Schrottsammler Hugo (Keean Johnson) und zeigt dabei sehr menschliche Gefühle. Dennoch fragt sie zur Sicherheit noch einmal bei Christoph Waltz nach: Können Cyborgs und Menschen überhaupt eine Beziehung führen?

"Alita" wurde von den meisten Kritikern als eher mittelmäßig eingestuft, viele vermissten den Charme der Comic-Vorlage oder bemängelten das unbefriedigende Ende. Doch es ist ein guter Film, hochprofessionell gemacht und vielleicht einer der am meisten unterschätzten SF-Streifen der letzten Jahre.

"Alita: Battle Angel" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Freitag 01 März 2019 10:53

Filmkritik: "Green Book – Eine besondere Freundschaft"

Geschrieben am Sonntag 03 Februar 2019 um 18:28 von Roland Freist

Miss Daisy fährt ihren Chauffeur

Das hätte ein richtig guter Film werden können. "Green Book" hat vieles, was großes Hollywood-Kino ausmacht: ein gutes Thema (der Rassismus in den 60er Jahren), hervorragende Darsteller und ein stimmiges Design. Doch leider zeigen sich vor allem zum Ende hin einige Schwächen, die den gesamten Eindruck nachträglich beschädigen.

Die Geschichte wird erzählt aus der Perspektive von Tony Vallelonga (Viggo Mortensen), seinen Freunden besser bekannt als Tony Lip. Er arbeitet in New York als Türsteher und Rausschmeißer. Als sein Club wegen Renovierungsarbeiten für zwei Monate schließen muss, heuert er, ohne ihn zuvor zu kennen, bei dem klassischen Pianisten Dr. Don Shirley (Mahershala Ali) an, der gerade eine Tournee durch die amerikanischen Südstaaten beginnen will. Tony soll ihn im Auftrag der Plattenfirma von einem Tourneeort zum nächsten bringen und vor allem darauf achten, dass er immer pünktlich ankommt, egal mit welchen Mitteln. Dabei gibt es nur ein Problem: Shirley ist schwarz, Schwierigkeiten mit der Bevölkerung und der Polizei in den vom Rassismus geprägten Südstaaten der 60er Jahre sind damit nahezu unvermeidlich. Und auch in der italienischen Community in New York, aus der Tony kommt, werden Schwarze gewohnheitsmäßig diskriminiert und beleidigt.

Über weite Strecken des Films freut sich Regisseur Peter Farrelly ("Verrückt nach Mary") einfach nur über das Bild, das er hier zeigen kann: Ein weißer Chauffeur fährt einen schwarzen und offensichtlich wohlhabenden Fahrgast durch die Lande. Gleichzeitig lässt Farrelly genüsslich die beiden unterschiedlichen Welten der beiden aufeinanderprallen. Tony Vallelonga ist ungebildet, hat einen derben Humor und ist es gewohnt, Konflikte auch mal mit ein paar Faustschlägen zu lösen. Shirley hingegen versteht es sich auszudrücken (er formuliert später sogar die Briefe von Tony an seine daheim gebliebene Frau), er hat studiert und achtet auf korrektes Benehmen. "Green Book" folgt über weite Strecken einem sehr bekannten Muster: Zwei unterschiedliche Charaktere, die anfangs nur Verachtung füreinander empfinden, beginnen sich mit der Zeit immer besser zu verstehen, bis sie schließlich zu Freunden werden. Und je mehr sie zu Freunden werden, desto mehr erkennt Tony – dem abwertende Bemerkungen über Schwarze absolut nicht fremd sind – die brutale Ungerechtigkeit gegenüber der dunkelhäutigen Bevölkerung. Shelby hingegen erstickt beinahe an seinen eigenen Widersprüchen: Obwohl er selbst schwarz ist, hat er keine Ahnung vom wahren Leben der meisten Schwarzen in den USA. Das sind die interessanten Aspekte dieser Geschichte.

Doch leider ergeht sich der Film auch in zahlreichen Klischees: Alle weißen Südstaatler sind nach außen hin freundlich und liberal, tatsächlich jedoch ängstlich bemüht, die rassistischen Erwartungen ihrer Heimat zu erfüllen. So darf Shirley zwar in einem noblen Restaurant auftreten und spielen, dort als Schwarzer jedoch nicht essen. Er darf nicht die normale Toilette benutzen, sondern muss auf ein baufälliges Plumpsklo hinter dem Haus ausweichen. Die üblichen Hotels sind ihm verwehrt, er muss stattdessen in heruntergekommenen Bruchbuden übernachten. Bei der Suche nach diesen Unterkünften hilft Shirley und Tony das Green Book, ein Verzeichnis mit Adressen von zumeist heruntergekommenen Hotels und Restaurants, die sich auf schwarze Gäste konzentrieren.

Und es hört nicht auf mit den Klischees: Die Italiener aus Tonys umfangreicher Familie essen gern und viel, und natürlich haben sie Kontakte zu den örtlichen Mafiosi. Die Schwarzen im Süden treffen sich in schummrigen Musikkneipen und tanzen zu Musik von herausragend guten Musikern, wie man sie offenbar in jedem schwarzen Musikclub antrifft. Und als wäre das alles noch nicht genug, kommen die beiden ausgerechnet an Heiligabend wieder nach New York zurück, wo es so stark schneit, dass sie beinahe steckenbleiben und es gerade noch so zum Weihnachtsessen schaffen. Das ist dann nur noch Kitsch. Es gibt einige wenige Momente, in denen Regisseur Farrelly die Vorurteile und Klischees selbst ein wenig aufs Korn nimmt, etwa wenn Tony seinem Fahrgast Hähnchenstücke von Kentucky Fried Chicken anbietet ("Euereins liebt doch Fried Chicken."). Doch selbst diese Szenen wirken allesamt wie schon tausendmal gesehen.

Was den Film über weite Strecken rettet, sind die beiden Hauptdarsteller. Viggo Mortensen ist hier nicht mehr der schöne, schlanke Aragorn, Arathons Sohn, mit den romantischen langen Haaren. Er hat sich für diese Rolle mehrere Kilo angefressen und in erster Linie in einen kräftigen Wanst gesteckt, der zu einem bulligen Schläger wie Tony ausgezeichnet passt. Mahershala Ali hingegen bekam sogar eine Oscar-Nominierung für seine Darstellung des distinguierten Klavierspielers, in dessen Innerem heftige Gefühle von Wut, Angst und Einsamkeit um die Vorherrschaft kämpfen. Mir hat der Tony von Viggo Mortensen besser gefallen, aber ich kann die Entscheidung der Academy nachvollziehen.

Peter Farrelly hat früher zusammen mit seinem Bruder Komödien gedreht, die mal mehr und mal weniger lustig waren. Man spürt diese Vergangenheit noch bei einigen gelungen eingesetzten Gags. Doch das verstärkt nur noch das Gefühl der Irritation, das bei "Green Book" vor allem zum Ende hin immer stärker aufkommt. Sollte das jetzt ein Wohlfühlfilm für die ganze Familie sein oder doch eher eine Anklage gegen Rassismus?

"Green Book" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Sonntag 03 Februar 2019 18:54

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