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Filmkritik: "Selma"

Entscheidung in Montgomery

Wenn es um die Darstellung historischer Persönlichkeiten geht, bekommen Filmemacher oft ein Problem. Vor allem wenn es sich um Politiker handelt, die ihre Erfolge mühsam gegen interne und externe Widersacher durchsetzen mussten, wird jeder Versuch einer filmischen Interpretation ihres Lebens misstrauisch beobachtet. Zu groß ist die Angst, dass man dem politischen Gegner die Munition liefern könnte, mit der er die eigene Symbolgestalt beschädigt. Man stelle sich beispielsweise vor, ein Regisseur kündigte einen Film über Willy Brandt an – die Debatten in den Feuilletons, unter den Historikern und nicht zuletzt in der SPD würden in wenigen Wochen ganze Bücherwände füllen, Rechteinhaber würden klagen, Nachkommen sich protestierend zu Wort melden. Die Durchführung eines solchen Projekts wäre quasi unmöglich.

Das ist auch das Problem von "Selma", dem Film über den Kampf für eine gerechte Wählerregistrierung in den USA. Er verkrampft in seinem Versuch, die Geschehnisse der Jahre 1964 und 65 möglichst detailgenau zu erzählen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die strahlende Symbolfigur Martin Luther King jr. eine strahlende Symbolfigur bleibt. Dabei wäre das vermutlich überhaupt nicht notwendig gewesen. Kings Bedeutung und Persönlichkeit ist stark genug, dass er auch einen etwas gelasseneren Umgang mit der Geschichte ausgehalten hätte.

"Selma" erzählt vom Höhepunkt der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung Mitte der 60er Jahre. Die Rassentrennung wirkte sich auch auf die Wählerregistrierung aus, schikanöse Gesetze verhinderten vielfach, dass sich die zumeist ärmere, schlechter gebildete schwarze Bevölkerung in die Wählerlisten eintragen konnte. Seit Anfang der 60er Jahre begann sich Protest gegen diese Form der Diskriminierung zu regen. Die Stadt Selma in Alabama, wo die Zustände besonders schlimm waren, wurde zu einem der Zentren des Protests. Als sich der 1964 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Martin Luther King (David Oyelowo) zusammen mit seiner Southern Christian Leadership Conference (SCLC) der Bewegung anschließt, richtet sich auch das Interesse der überregionalen Zeitungen und des Fernsehens auf die Proteste. Präsident Lyndon B. Johnson (Tom Wilkinson) gerät zunehmend unter der Druck, die diskriminierenden Gesetze zu streichen. Schließlich entscheidet sich Martin Luther King für einen Protestmarsch von Selma in das 80 Kilometer entfernte Montgomery, wo mit Gouverneur George Wallace (Tim Roth) ein besonders hartnäckiger Vertreter der Rassentrennung sitzt. Es kommt zu den drei berühmten Selma-nach-Montgomery-Märschen.

Diese drei Märsche liefern auch die stärksten Momente des Films. Beim ersten Marsch werden die Demonstranten zusammengeprügelt, die Polizei setzt Tränengas und berittene Staffeln gegen sie ein. Umso bewegender, aber auch pathetischer, sind dann die Bilder vom zweiten und dritten Marsch, bei denen die schwarzen Aktivisten dank der Fernsehbilder Unterstützung aus dem ganzen Land bekommen. Überhaupt schrammt der Film in vielen Szenen nur knapp am Pathos vorbei. Dazu tragen an vielen Stellen auch die etwas hölzernen Dialoge bei, was allerdings auch ein Problem der Synchronisation sein kann. Störend wirkt auch, dass Martin Luther King während des gesamten Films eine Art Heiligenverehrung entgegengebracht wird. Seine eheliche Untreue, mit der ihn J. Edgar Hoover (Dylan Baker) und das FBI erpressten, wird zwar zum Thema gemacht, die diesbezüglichen Szenen wirken jedoch wie eine Art Pflichterfüllung.

Am meisten stört jedoch, dass Martin Luther King vollkommen hinter seiner Rolle verschwindet. Man ahnt zwar oft, was in ihm vorgeht – David Oyelowo spielt ihn mit sparsamer, sehr zurückgenommener, aber dafür in vielen Szenen umso eindrucksvollerer Mimik -, doch man erfährt nicht, was ihn antreibt, wie es zu seiner Ablehnung von Gewalt kam, woher er seine Kraft bezieht. Martin Luther King bleibt einem in diesem Film fremd.

Im Grunde ist "Selma" ein Dokudrama: Reale Geschehnisse werden von Schauspielern nachgestellt, dazu kommen einige Szenen, von denen es keine Zeugnisse gibt, die sich jedoch so oder so ähnlich zugetragen haben könnten. Das spricht nicht gegen ihn: Die Geschichte, die er erzählt, ist spannend, das meiste davon war mir bislang unbekannt. Auch handwerklich ist der Film gut gemacht. Kameramann Bradford Yound findet eindrucksvolle Bilder für die entscheidenden Personen und Momenten, Schnitt und Rhythmus lassen keinen Leerlauf entstehen, die Casting-Liste ist gespickt mit den Namen von ausgezeichneten Darstellern. Doch letztlich kann er beide Ansprüche nicht erfüllen, weder die einer Doku noch die eines Dramas. Denn für einen Dokumentarfilm ist "Selma" zu emotional und pathetisch, für ein Drama lässt er zu wenig Einblicke in die handelnden Personen zu.

"Selma" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Sonntag 22 Februar 2015 um 23:21 von Roland Freist

Bearbeitet: Dienstag 24 Februar 2015 16:12

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