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Filmkritik: "Total Recall (2012)"

Erinnerungen an Schwarzenegger

Wenn man alles sein könnte, was man will – würde man sich dann ausgerechnet für einen Doppelagenten entscheiden? Für einen Mann, der permanent gezwungen ist, seine gesamte Umgebung zu täuschen und zu belügen, um nicht aufzufliegen? Der daher unter einem enormen psychischen Stress steht? Wohl kaum.

Um so seltsamer erscheint es, dass genau dies die Rolle ist, die Douglas Quaid (Colin Farrell) für sich aussucht. Er arbeitet am Ende des 21. Jahrhunderts in einer Roboterfabrik. Nachdem sich in den vergangenen Jahrzehnten die meisten Länder gegenseitig mit Chemiewaffen ausgelöscht haben, sind nur noch zwei bewohnbare Gebiete übriggeblieben: ein von England aus regiertes Rest-Europa sowie Australien, das in alter britischer Tradition nur als "die Kolonie" bezeichnet wird und aussieht wie LA in "Blade Runner": Es regnet ständig, und die Mehrheit der Bewohner scheinen Asiaten zu sein. Quaid lebt in der Kolonie, arbeitet jedoch in London, das mit Australien über einen Tunnel quer durch den Erdball verbunden ist. Um auf die andere Seite des Planeten zu gelangen, steigt er jeden Morgen in eine mächtige Kapsel, genannt The Fall, die ihn und andere Reisende in 17 Minuten auf die andere Seite bringt, Umkehrung des Erdmagnetfelds inklusive. Abends kehrt er auf die gleiche Weise wieder zurück zu seiner schönen Frau Lori (Kate Beckinsale).

Bitte jetzt nicht anfangen zu rechnen, welche Geschwindigkeit eine Kapsel erreichen müsste, um rund 12700 Kilometer Erddurchmesser in 17 Minuten zurückzulegen und welche Beschleunigungswerte dazu notwendig wären. Logik und Plausibilität gehören nicht zu den Stärken dieses Films.

Eines Abends, nach einer frustrierten Zechtour mit seinem Kumpel Harry (Bokeem Woodbine), beschließt Quaid, noch bei Rekall vorbeizuschauen, einem Unternehmen, das sich auf synthetische Träume spezialisiert hat. Der Kunde sucht sich eine Rolle aus, eben beispielsweise einen Geheimagenten, und erlebt dann im künstlichen Schlafzustand die wildesten Abenteuer. Doch bei ihm geht etwas schief – seine Actionfigur aus dem Traum kollidiert offenbar mit tatsächlich erlebten Geschehnissen, an die er sich jedoch nicht mehr erinnern kann. Douglas Quaid ist nicht die Person, für die er sich hält. Das bestätigt ihm dann auch bald seine Freundin Melina, gespielt von Jessica Biel, die hier mal wieder ihr seltsam sicheres Gespür für Rollen in maximal durchschnittlichen Filmen beweist.

Die erste Version von "Total Recall" aus dem Jahr 1990 mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle konzentrierte sich auf die Frage nach der Identität ihrer Hauptperson. Wer und was Douglas Quaid wirklich ist, Rebell oder eingeschleuster Verräter, ob er also gut ist oder böse, ließ Regisseur Paul Verhoeven bis zum Schluss offen. Der Zuschauer meinte zwar, die wahre Identität zu kennen, doch der Reiz war, dass bis zum Schluss immer ein kleiner Rest Zweifel bestehen blieb.

Der neue "Total Recall" von Len Wiseman ("Underworld", "Stirb langsam 4.0") ist dagegen in erster Linie ein Science-Fiction-Actionfilm. Er übernimmt zwar die Doppelagenten-Story, macht aber kein Hehl daraus, dass für ihn die Frage nach dem wahren Wesen seines Helden bestenfalls zweitrangig ist. Im Vordergrund steht die Action: Eine Verfolgungsjagd geht nach nur wenigen Minuten Pause in die nächste über, jedes Feuergefecht wird in kürzester Zeit durch ein weiteres abgelöst. Auf die Dauer ist das etwas eintönig.

Der Film wäre ein Flop, wenn er nicht ein grandioses Gespür für Räume und gleichzeitig viel visuelle Phantasie hätte. Vor allem die Szenen in London sind grandios, die Flüge durch die City, die sich auf mehreren Ebenen Hunderte Meter in die Höhe erhebt, mit Straßen, Schienen, öffentlichen Plätzen, historischen und modernen Gebäuden, mit Fußgängern, Flugmobilen und Hubschraubern. Bei den Verfolgungsjagden wechseln Jäger und Gejagte ständig die Richtung, fliegen, rennen, fahren nach vorne, hinten, rechts, links, oben und unten. Das ist toll gemacht und beeindruckend in Szene gesetzt. Wenn doch nur die Story da mithalten könnte.

"Total Recall (2012)" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Freitag 24 August 2012 um 22:28 von Roland Freist

Bearbeitet: Samstag 12 Januar 2013 16:26

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