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Filmkritik: "J. Edgar"

Der König der Cops

J. Edgar Hoover ist einer der berühmtesten Polizisten aller Zeiten. In den 48 Jahren seiner Amtszeit als Leiter des Bureau of Investigations (das "Federal" kam erst 1935 hinzu), von 1924 bis zu seinem Tod 1972, machte er aus einem unbedeutenden Anhängsel des Arbeitsministeriums eine schlagkräftige, hervorragend organisierte Ermittlungsbehörde, die bei der Jagd nach Verbrechern und Staatsfeinden modernste wissenschaftliche Methoden einsetzt. Der Aufstieg des FBI ist untrennbar mit seiner Person verbunden. Clint Eastwoods neuer Film erzählt daher nicht nur die Geschichte von Hoover, seine Entwicklung von einem kleinen, ehrgeizigen Beamten zu einem der mächtigsten Männer der USA, sondern man erfährt auch viel über die Geschichte des FBI.

Im Mittelpunkt steht jedoch Hoover (Leonardo DiCaprio), der im Film fast ausnahmslos von allen Personen "Edgar" genannt wird. Eastwood zeigt ihn als einen stark widersprüchlichen Charakter: Bis zu ihrem Tod lebt er bei seiner Mutter (Judi Dench), die er abgöttisch liebt, und die ihn mit wenigen Sätzen aufrichten, aber auch fertigmachen kann. Sie sagt ihm, was gut und was böse ist – von ihr lernt er, auf gepflegte Kleidung zu achten (weshalb Hoovers FBI-Agenten später auch immer Anzug tragen müssen), andererseits übernimmt er von ihr den Hass auf Gedanken und Verhalten, die nicht der moralischen Norm entsprechen. Das Problem ist nur, dass er selbst schwul ist. Eastwood zeigt uns in langen Szenen, wie sich eine Beziehung aufbaut zwischen Hoover und seinem Freund Clyde Tolson (Armie Hammer), den er später zu seinem Stellvertreter macht. Man sieht, wie die beiden ausgehen, im Restaurant nebeneinander sitzen, sogar Händchen halten, wie sie zusammen in Urlaub fahren und gemeinsam im Doppelzimmer wohnen. In der deutschen Synchronisation behalten sie jedoch stets das förmliche "Sie" als Anrede bei, was einige Szenen tuntiger wirken lässt als sie ursprünglich wohl geplant waren. Und ob die beiden auch miteinander ins Bett gingen, bleibt bis zum Schluss ungewiss.

Was die Verbrechensbekämpfung anbelangt, war Hoover ein Besessener. Er hatte für die Kongressbibliothek ein Karteikartensystem entworfen, mit dem sich zu jedem Thema in wenigen Sekunden die passende Literatur finden ließ. Etwas Vergleichbares führte er beim FBI ein, nämlich eine zentrale, landesweite Fingerabdruckkartei. So wie es der Film darstellt, gelang vor allem im Umfeld des aufsehenerregendsten Kriminalfalls der 30er Jahre, der Entführung des Babys von Charles Lindbergh, der entscheidende Schritt vorwärts. Erstmals wurden bei der Suche nach dem Täter moderne wissenschaftliche Methoden eingesetzt, die schließlich auch zum Erfolg führten. Da die lokale Polizei bei der Aufklärung des Falls weitgehend versagt hatte, bekam das FBI in der Folge die Kompetenz zugestanden, bundesweit ermitteln und Waffen tragen zu dürfen.

Nicht verschwiegen wird aber auch, dass Hoover ein harter Law & Order-Mann mit paranoiden Zügen war, der sich überall von Kommunisten, Anarchisten und anderen Staatsfeinden umgeben sah. Zudem hasste er Schwarze, sammelte belastendes Material gegen Martin Luther King, und fühlte sich in der Gegenwart von Frauen unwohl. Außer seiner Mutter duldete er lediglich seine Assistentin Helen Gandy (Naomi Watts) in seiner Umgebung. Seine FBI-Truppe bestand aus gutaussehenden Männern in schicken Anzügen und stets blank geputzten Schuhen, die kein Problem damit hatten, einen Verdächtigen auch mal vorsorglich zu erschießen, bevor der selbst zur Waffe greifen konnte.

Leonardo DiCaprio liefert mit seiner Verkörperung von J. Edgar Hoover eine der besten Leistungen seiner Karriere ab. Der junge, übereifrige Beamte ist genauso glaubwürdig wie der grimmige, alte Kommunistenfresser mit der permanenten Zornesfalte auf der Stirn. Aber auch das blanke Unverständnis, wenn ihm jemand seine Fehler und Widersprüche vorhält, ist in seinen Augen ablesbar. Oscarreif.

"J. Edgar" ist der beste Eastwood-Film seit "Million Dollar Baby". Er schrammt nur knapp an einem Meisterwerk vorbei, vielleicht, weil er letzten Endes dann doch zu viel auf einmal will. Er zeigt uns einen sehr komplizierten Charakter, erzählt von seinen Beziehungen, seinem Privatleben, und nebenbei werden auch noch im Schnelldurchlauf die wichtigsten Stationen in der Geschichte des FBI gestreift. So ist eine Mischung entstanden, halb Biographie und halb Cop-Movie à la "Die Unbestechlichen". Vermutlich konnte überhaupt nur jemand wie Clint Eastwood diese Bestandteile zu einem so ausgezeichneten Ergebnis miteinander verbinden.

"J. Edgar" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Freitag 20 Januar 2012 um 17:25 von Roland Freist

Bearbeitet: Samstag 12 Januar 2013 16:19

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