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Filmkritik: "The Tree of Life"

Der Film des Lebens

"The Tree of Life" ist der fünfte Film von Terrence Malick, und in mancherlei Hinsicht ist er eine Art Zusammenfassung des bisherigen Werks dieses Regisseurs, seines eigenen Lebens und seiner Philosophie. Man findet darin Elemente aus "Badlands", seinem ersten Film von 1973 – die Ruhe und der Frieden der Provinz, die manchmal in Einsamkeit umschlagen können, oder das Wispern der Stimmen, das bereits in "Der schmale Grat" zu hören war. Und immer wieder die Beschäftigung mit der Natur, das Staunen über ihre Schönheit und ihre vielfältigen Erscheinungsformen und natürlich, ebenfalls immer wieder, der Blick zum Himmel.

Das Thema des Films ist schwer zu beschreiben. "The Tree of Life" vermischt eine Meditation über die Entstehung der Welt mit Erinnerungen an eine Kindheit in den 50er Jahren. Doch am Anfang steht zunächst ein Todesfall: Mr. O'Brien (Brad Pitt) und seine Frau erfahren, dass einer ihrer drei Söhne gestorben ist. In wunderschönen Bildern blickt der Film nun zurück und erzählt von der Kindheit der Jungen und vom Leben der Familie in einem kleinen Ort in Texas. Hier spielen offensichtlich zahlreiche autobiographische Elemente mit hinein – Malick wuchs auf in Waco, Texas. Es sind Erinnerungsfetzen, die er nun aneinanderreiht, unzusammenhängende Szenen wie ein Ballspiel auf einer Wiese, ein Einbruch mit anderen Kindern in ein verlassenes Haus, Abendessen im Kreis der Familie, Auseinandersetzungen mit dem autoritären Vater, der warme Wind, der durch die stets offenen Fenster streicht und die Vorhänge bewegt. Es gibt keine Story, stattdessen sieht man zu, wie die Bilder im Bewusstsein aufsteigen. Und immer wieder der Blick zum Himmel, in die Baumkronen, durch die die Strahlen der Sonne fallen.

Zwischendurch gleitet der Film hinüber in die Jetztzeit. Sean Penn spielt dort den ältesten Bruder, der mittlerweile ein erfolgreicher Architekt geworden ist. Es sind teilweise auch seine Erinnerungen, die der Film zeigt.

Und dann der Schnitt zum Anbeginn der Zeit. Bilder des Hubble-Teleskops, ferne Sternennebel, man sieht, wie sich der Staub zusammenballt und Planeten formt. Die Erde entsteht, ist zunächst bedeckt von Magma-Strömen, die allmählich abkühlen. Es bilden sich die Ozeane, das erste Leben, Einzeller, dann komplexere Organismen, die schließlich auch das Land erobern. Man sieht Dinosaurier an den Ufern eines Flusses, es folgt der Einschlag eines Asteroiden, Malick zeigt ihn von außen, aus dem Weltall, die gewaltige Welle aus Wasser und Staub, die er auslöst und die das urzeitliche Leben auslöscht. Und plötzlich sind wir wieder in den 50er Jahren, und die Kamera blickt wieder nach oben, folgt Treppen in den ersten Stock von Familie O’Brien oder sieht in der Kirche hinauf zur Orgel.

Terrence Malick dreht mit "The Tree of Life" das ganz große Rad. Es geht um das Leben an sich, um seine Entstehung, seine Schönheit und seine Vergänglichkeit. Der Mann ist Pantheist, das wusste man vorher bereits, der Mensch ist für ihn immer ein Teil der Natur. Die atemberaubenden Bilder, die er von der Entstehung der Galaxien zeigt, stehen gleichberechtigt neben Aufnahmen von den spielenden Kindern. Überhaupt: die Bilder. Neben anderen Filmen – und vor allem neben den von Grauschleiern überzogenen 3D-Machwerken des letzten Jahres – wirkt "The Tree of Life" wie ein HD-Film neben dem Bild eines älteren Röhrenfernsehers. Die Bilder weisen eine wunderbare Klarheit auf, sie sind in einem sanften, weichen Licht fotografiert. Teilweise fühlt man sich durch ihre Komposition an Naturaufnahmen in teuren, großformatigen Kunstdruckkalendern erinnert, trotzdem wird der Film niemals effekthascherisch. Bei der Szene mit den Dinosauriern allerdings, die ein wenig an die Raptoren aus "Jurassic Park" erinnerten, kam schon der Eindruck auf, dass Malick sich teilweise etwas verrannt hat. War dann aber schnell wieder vorbei.

"The Tree of Life" ist ein guter Film, aber kein Film für jedermann. Es gibt, wie gesagt, keine Handlung im eigentlichen Sinne, stattdessen muss man bereit sein, sich auf den Bilderfluss einzulassen und auf die Stimmungen, die er transportiert. Das Leben, wie Malick es beschreibt, ist wie ein Bewusstseinsstrom ohne Ziel und festgelegte Dramaturgie, und sein Film setzt das meisterhaft um.

"The Tree of Life" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Eine Einführung in die vorherigen Filme von Terrence Malick gibt es hier in diesem Blog.

Geschrieben am Freitag 17 Juni 2011 um 23:02 von Roland Freist

Bearbeitet: Sonntag 03 Juli 2011 16:16

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