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Filmkritik: "Howl"

Die Geburt der Beat Generation

Als Allen Ginsberg sein Gedicht "Howl" veröffentlichte, 1955 war das, muss es gewirkt haben wie ein frontaler Angriff auf nahezu alle Werte der bürgerlichen Gesellschaft. Bis heute sind die darin enthaltenen, drastischen Schilderungen von schwuler Sexualität und Drogenkonsum provozierend. Damals müssen sie die Menschen regelrecht fassungslos gemacht haben. Doch für viele Jugendliche in der Provinz und in den Suburbs der Großstadt war der Text sicher auch eine Erlösung, zeigte er doch, dass es ein Leben gab außerhalb des allgemeinen, scheinbar so festgefügten Konsens mit Heirat, Kindern, Eigenheim, festem Job und Einkommen. "Howl" beschrieb die Szene der Tramps, die auf Güterzüge aufsprangen und sich in leeren Waggons durchs Land tragen ließen, die Drogen nahmen, die die Mehrheit der Amerikaner noch nicht einmal dem Namen nach kannte, und die den Bebob-Jazz zu ihrer Musik erkoren hatten. Das Gedicht gab dieser Subkultur eine Stimme, es war die Geburtsstunde der Beat Generation. In Deutschland wurde Jack Kerouacs Roman "Unterwegs" ("On the Road") ihr bekanntestes literarisches Zeugnis.

Der Film erzählt die Entstehung und Wirkung von "Howl" und führt dazu mehrere Erzählebenen zusammen. Zum einen sieht man den jungen Allen Ginsberg (gespielt von James Franco, bekannt unter anderem aus "Spider-Man" und "Milk"), wie er das Gedicht 1955 zum ersten Mal live vorträgt, und die ungläubigen bis begeisterten Reaktionen der Zuschauer. Immer wieder dazwischengeschnitten ist eine Verfilmung des Textes, eine expressionistische Animation, die die Bilder des Gedichts umzusetzen versucht. Auf einer weiteren Erzählschiene spricht Ginsberg/Franco über sein Leben während der Jahre, in denen er den Text schrieb, was wiederum illustriert wird mit Rückblenden auf diese Zeit. Und großen Raum nimmt schließlich der Prozess gegen den Verleger Lawrence Ferlinghetti ein, der "Howl" in Form eines dünnen Hefts herausgebracht hatte und prompt wegen Verbreitung obszöner Schriften verklagt wurde. Das hört sich jetzt vielleicht nach einer recht komplizierten und verwirrenden Struktur an. Doch im Film ist dank Farbgebung und Bildkomposition jederzeit klar, welchem Erzählstrang man gerade folgt.

"Howl" wirkt an vielen Stellen wie ein Dokumentarfilm, ist jedoch keiner. Rob Epstein, der eine Teil des Regisseursduos, kommt jedoch aus der Dokumentarfilm-Szene und hat bereits zwei Oscars gewonnen, den ersten 1984 für "The Times of Harvey Milk" über den ersten offen schwulen Politiker der USA. Sein neuer Film ist im Tonfall ähnlich, verzichtet jedoch als Spielfilm auf eine Stimme aus dem Off und lässt seine Figuren selber sprechen. Für Hauptdarsteller James Franco ist das natürlich ein Traum: Etwa die Hälfte der Zeit ist nur er in Großaufnahme zu sehen, rauchend, deklamierend, erzählend, man sieht ihm zu, wie er sich an die vergangenen Jahre erinnert und erklärt, wie das Gedicht entstanden ist. Und Franco macht seine Sache gut. Der Film jedoch krankt etwas an seinem Zwitter-Dasein zwischen Spiel- und Dokumentarfilm. Für ein fiktionales Werk berührt er einen zu wenig, von einem Dokumentarfilm hätte ich mir mehr Informationen über das gesellschaftliche Umfeld und das Leben der Beat Generation gewünscht. "Howl" vermittelt jedoch immerhin eine Ahnung davon, welche Bedeutung dieses Gedicht für die amerikanische Subkultur gehabt haben muss.

Den vollständigen Text von "Howl" gibt es hier, eine deutsche Übersetzung findet man hier.

"Howl" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Freitag 07 Januar 2011 um 11:22 von Roland Freist

Bearbeitet: Sonntag 15 November 2015 10:24

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