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Filmkritik: "Sin nombre"

Die Hoffnung liegt im Norden

Es gibt Filme, deren schonungsloser Realismus einem unter die Haut geht. Bei "Sin nombre" (was auf Deutsch "Ohne Namen" heißt) trifft das vor allem auf die Szenen aus der mexikanischen Gang-Szene am Anfang zu: Da sieht man einen etwa zwölfjährigen Jungen, wie er unter Anleitung eines älteren Mitglieds seinen ersten Menschen erschießt. Neue Mitglieder werden in einem blutigen Initiationsritus vom Rest der Gruppe brutal zusammengetreten. Dem Anführer ist unbedingt Gehorsam zu leisten, selbst wenn er wenige Minuten zuvor die eigene Freundin vergewaltigt und umgebracht hat. Doch an diesem Punkt macht Willy (Edgar Flores), der allgemein nur Casper genannt wird, nicht mehr mit. Als sein Boss Lil‘ Mago (Tenoch Huerta) ihn und den kleinen Smiley mitnimmt, um die illegal Mitreisenden eines Güterzugs zu berauben, und sich dabei schon wieder an einem Mädchen zu schaffen macht, bringt Willy ihn mit seiner Machete um. Er weiß, dass der Rest der Gang ihn nun jagen und versuchen wird, ihn zu töten. Da er keine andere Wahl hat, verscheucht er seinen Begleiter Smiley und bleibt selber auf dem Zug und bei dem Mädchen.

Sie heißt Sayra (Paulina Gaitan) und ist mit ihrem Vater und ihrem Onkel auf dem Weg in den Norden zur amerikanischen Grenze. Sie kommen aus Honduras, sahen dort keine Chance für sich, und wollen nun versuchen, über die Grenze und nach New Jersey zu kommen, wo es Leute gibt, die ihnen helfen können. Der ganze, lange Güterzug ist bedeckt mit Menschen, denen es genauso geht wie ihnen. Die Bahngesellschaft scheint das nicht zu stören. Die meisten haben kaum Geld, keine Habseligkeiten und nur die Hoffnung, dass es in den USA irgendwie besser wird als daheim. Sie laufen ständig Gefahr, von der Polizei erwischt und abgeschoben zu werden. Wer allein reist, bindet sich nachts mit seinem Gürtel irgendwo am Waggondach fest, damit er nicht hinunterfällt. Bei kleinen Gruppen bleibt immer jemand wach, um die anderen im Gefahrenfall zu warnen. Alles was sie zu essen bekommen, sind Spenden von Anwohnern der Bahnstrecke und wohl auch Hilfsorganisationen. Während eines längeren Halts lässt man sie sogar duschen, und sie bekommen eine warme Mahlzeit. In einer anderen Szene sieht man, wie die Bauern Orangen zu dem fahrenden Zug hochwerfen.

Der Film zeigt den langsam dahin rollenden Zug mit seinen Passagieren und die vorbeiziehende Landschaft in wunderschönen Bildern. Doch er gerät nie in Gefahr, in Sozialkitsch abzudriften, denn zu allgegenwärtig ist die Gefahr und auch die Angst der Menschen. Und man beginnt zu verstehen, wie hoffnungslos das Leben vieler Menschen in Mittelamerika sein muss, wenn sie sich trotz der ständig präsenten Todesgefahr auf eine solche Reise einlassen.

Der junge amerikanische Regisseur Cary Fukunaga soll bei der Vorbereitung des Films selbst auf einem dieser Züge mitgefahren sein. Und das ist auch glaubhaft, erklärt es doch die detailgetreue Darstellung dieser Reise quer durch Mexiko. "Sin nombre" hat beim Sundance Film Festival, dem wichtigsten Forum für Independent-Filme, die Preise für die beste Regie und die beste Kamera gewonnen, dazu kommen noch Auszeichnungen von einem Dutzend weiterer Festivals. In den USA ist der Film bereits im April 2009 gelaufen, schade, dass man hierzulande über ein Jahr darauf warten musste.

"Sin nombre" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Dienstag 04 Mai 2010 um 15:56 von Roland Freist

Bearbeitet: Sonntag 03 Juli 2011 16:36

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