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TV-Kritik: "True Blood"

Vampire is the Nigger of the World

Eine Fernsehserie als soziologische Studie. "True Blood" nimmt einen der beliebtesten Werbesprüche für Horror- und Science-Fiction-Filme ernst und sagt: Sie sind unter uns. Doch im Unterschied zu den Genrefilmen stellt die Serie gleichzeitig die Frage, was es konkret für eine Gesellschaft bedeutet, wenn plötzlich eine gänzlich fremde Bevölkerungsgruppe in ihrer Mitte auftaucht.

Es geht um Vampire. Die erste Staffel von "True Blood" reißt die Vorgeschichte an: In Japan wurde ein preiswerter, vollwertiger Ersatz für menschliches Blut erfunden, der nun unter dem Markennamen True Blood in Flaschen abgefüllt und in verschiedenen Blutgruppen verkauft wird. Für die Vampire heißt das, dass ihr Überleben nicht mehr von einem ständigen Nachschub an natürlichem, vorzugsweise menschlichem Blut abhängig ist. Sie müssen nicht mehr als Illegale leben und auf die Jagd gehen, sondern können ihre Nahrung aus dem Supermarkt beziehen und in jeder Bar bestellen. Die Vampir-Gemeinschaft beschließt daraufhin, sich zu outen, und fordert ihre Bürgerrechte ein.

Die Serie spielt in einem kleinen Ort namens Bon Temps in Louisiana. Als dort die ersten Vampire auftauchen, entwickeln sich beispielhaft die Konflikte, die nach dem Outing die gesamten USA beschäftigen und die ab und zu im Hintergrund in Fernseh-Talkshows diskutiert werden: Es geht um die Angst der Menschen vor dem Unbekannten, um die Angst, wie die neuen Nachbarn die vertraute Umgebung verändern könnten. Es geht um Vorurteile und Rassismus – viele der Weißen im Ort fühlen sich bedroht von der Sexualität der einstigen Blutsauger, während die Schwarzen misstrauisch registrieren, dass einige der zumeist weißen Vampire in früheren Jahrhunderten Sklavenhalter waren. Es geht aber auch um Toleranz und, ganz kitschig, um die Liebe zwischen Sookie Stackhouse, einer jungen Kellnerin (Oscar-Preisträgerin Anna Paquin, "Das Piano") und Bill Compton (Stephen Moyer), einem Vampir, der trotz seines fortgeschrittenen Alters von mehreren Hundert Jahren immer noch aussieht wie ein Dreißigjähriger.

"True Blood" zeigt, wie sich Menschen und Vampire allmählich aneinander gewöhnen und wie sie lernen, miteinander zu leben. Weitere Figuren aus Fantasy-Welten tauchen auf und werden nach und nach akzeptiert: Sookie entpuppt sich als Gedankenleserin mit übernatürlichen Kräften, ihr Chef, der Kneipenwirt Sam Merlotte (Sam Trammell), ist ein Gestaltwandler, und ab Staffel 3 treten dann auch noch die prolligen Werwölfe in ihren Biker-Klamotten auf. Anstatt allerdings Krieg gegeneinander zu führen, wie sie es wohl in anderen TV- und Kino-Produktionen tun würden, üben sich die Gruppen im Zusammenleben – nicht freiwillig, sondern weil ihnen letztlich keine Wahl bleibt. Sie beginnen sogar, einander beizustehen und sich gegenseitig zu helfen: Als in der zweiten Staffel eine Mänade ihr Unheil treibt, ein Wesen aus der griechischen Mythologie, kann sie erst durch die Zusammenarbeit zwischen Menschen, Vampiren und dem Gestaltwandler besiegt werden. Natürlich brechen die Konflikte immer wieder auf, Verbrechen werden verübt, es gibt Tote. Doch auf der anderen Seite ist immer auch eine Entwicklung hin zum Besseren erkennbar.

In gewisser Weise setzt Produzent Alan Ball mit "True Blood" fort, was er mit "Six Feet Under" begonnen hatte – auch diese Serie beobachtete, wie sich eine Gruppe äußerst unterschiedlicher Charaktere miteinander arrangierte. Den morbiden Touch lieferte in diesem Fall ein Bestattungsinstitut.

Mänaden, Vampire, Werwölfe, Gestaltwandler, Gedankenleser – das ist selbst für Zuschauer mit einer Harry-Potter-Vorgeschichte starker Tobak. Dass "True Blood" damit durchkommt, liegt in erster Linie an der Szenerie. Der großartige Vorspann der Serie beschwört die schwülwarme Athmosphäre des von Sümpfen durchzogenen Louisiana und die Rückständigkeit der Provinz. Er weckt Assoziationen von geheimen afrikanischen Naturreligionen, grausamen Voodoo-Ritualen, christlichem Aberglauben, Wahnsinn, Verwesung und Tod. Unterstützt durch die drastischen Sex- und Gewaltdarstellungen der Serie und die Bilder von blutverschmierten, nackten Körpern entsteht der Eindruck einer Welt, in der alte, archaische Kräfte am Werk sind. Alles zusammen stimmt den Zuschauer ein auf eine Handlung, die ganz selbstverständlich Figuren aus den alten Mythologien auferstehen lässt, um zu untersuchen, wie Menschen heute ganz banal miteinander auskommen können.

RTL II zeigt derzeit mittwochs gegen 23 Uhr die dritte Staffel von "True Blood".

"True Blood" in der IMDB

Das Intro der Serie. Der Song heißt "Bad Things" und ist von Jace Everett:

Geschrieben am Donnerstag 10 November 2011 um 15:17 von Roland Freist

Bearbeitet: Montag 14 Januar 2013 17:11

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