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Filmkritk: "Spectre"

Wer ist James Bond?

"James Bond ist wieder zurück. Und jetzt?" So ähnlich stelle ich mir die Gedanken vor, die durch Sam Mendes‘ Kopf gegangen sein müssen, als er im Auftrag Ihrer Majestät Barbara Broccoli mit den Arbeiten an "Spectre" begann. Mit "Skyfall" hatte er die Serie gerade noch einmal retten können, hatte den Fans mit dem Aston Martin DB5, Miss Moneypenny und dem nerdigen Q geliebte und unverzichtbare Elemente des Bond-Universums zurückgegeben. Mendes, das spürte man, hatte Respekt vor James Bond und allem, was den Geheimagenten mit der Lizenz zum Töten ausmachte. Doch wie sollten sich Figur und Filmreihe nun weiterentwickeln?

"Spectre" zeigt vielleicht auch deshalb einen James Bond auf der Suche. Die alte Chefin des MI6, die von Judi Dench gespielte M, hatte ihm vor ihrem Tod noch ein Video geschickt mit dem Auftrag, einen gewissen Marco Sciarra zu finden. Als der Film beginnt, hat Bond ihn gerade in Mexiko City aufgestöbert. Bei der Verfolgungsjagd wird allerdings in einer teuer aussehenden Action-Sequenz ein komplettes Stadtviertel zerstört. Zurück in London muss sich Bond, der auf eigene Faust unterwegs war, von dem neuen M (Ralph Fiennes) daher harsche Vorwürfe anhören und wird schließlich suspendiert. M steht allerdings auch selbst unter starkem Druck: MI5 und MI6 sollen fusioniert werden, und sein neuer Vorgesetzter in spe, der von Andrew Scott ("Sherlock") gespielte C, macht kein Hehl daraus, dass er die Doppel-Null-Agenten in Zeiten von NSA und GCHQ für überflüssig hält.

James Bond nutzt seine freie Zeit und folgt der Mexiko-City-Spur, die ihn zunächst nach Rom zu Sciarras schöner Witwe Lucia (Monica Belluci) führt, von ihrem Bett aus dann weiter in die verschneiten österreichischen Alpen und schließlich nach Marokko. Dabei wird er begleitet von Madeleine Swann (Léa Seydoux), der Tochter seines alten Widersachers Mr. White (Jesper Christensen) aus "Ein Quantum Trost", der zu einer Geheimorganisation mit dem Namen, Sie haben es erraten, Spectre gehört. Spectre wiederum tauchte bereits in den 60er Jahren in den Filmen mit Sean Connery auf – ein weiteres Element der früheren Filme, das Sam Mendes und seine Drehbuchautoren wiederauferstehen lassen.

Die Suche nach Spectre und ihrem geheimnisvollen Chef wird im Verlauf des Films immer mehr auch zu einer Recherche in der Vergangenheit von James Bond. Noch nie hat man so viele Details zu seinem Privatleben und seiner Vergangenheit erfahren. "Spectre" enthüllt Details zu seiner Kindheit und Jugend, wirft einen Blick in seine Londoner Wohnung und lässt erahnen, wie er zu dem Menschen wurde, der er heute ist. Es wird also ziemlich psychologisch und auch recht düster, was sich dann auch in der Farbskala des Films niederschlägt, die sich die meiste Zeit zwischen hell- und dunkelbraun bewegt und zum Schluss ins Dunkelgrau-Depressive wechselt. Mendes gibt sich Mühe, das Innenleben von James Bond zu erkunden, er sucht nach seinen innersten Beweggründen, seinen Motivationen und Dämonen. Die Frage ist nur: Wollen wir das wirklich wissen? Bond ist groß geworden als ein Held der Popkultur, reine Fassade, ein Mann mit einfachen Bedürfnissen (Martini, Frauen, Dolce Vita), seine Schauspieler sind austauschbar – will man das wirklich gefährden durch die Darstellung einer komplexen Persönlichkeit?

Ein weiteres Problem ist, dass Daniel Craig nicht unbedingt als Charakterdarsteller durchgeht. Er gibt sein Bestes, keine Frage, und es ist auch völlig klar, dass man sich Roger Moore oder Pierce Brosnan noch viel weniger als innerlich gequälte Persönlichkeiten vorstellen kann. Doch Craig, der am stärksten durchtrainierte Bond aller Zeiten, ist ebenfalls nicht die Idealbesetzung für den modernen Geheimagenten mit Kindheitstrauma.

Auf der anderen Seite ist auch Sam Mendes auf Dauer nicht der beste Regisseur für die Reihe. Die Welt hat ihm eine gelungene Auferstehung des Bond-Mythos zu verdanken, inklusive einiger notwendiger Aktualisierungen. Doch er hat sich in seinen Filmen noch nie durch übermäßig viel Humor ausgezeichnet. Immerhin sind in einigen Action-Sequenzen von "Spectre" Anflüge von Witz erkennbar, allerdings ohne dass sich das in den Gesichtern der Darsteller widerspiegeln würde. Ich muss zugeben, ich vermisse die elegante Ironie der früheren Filme.

"Spectre" ist ein guter Film geworden. Es gibt einige schöne Action-Szenen, die allerdings nie über das hinausgehen, was man bereits bei den Action-Spezialisten gesehen hat. Er schlägt ein mittelschnelles Tempo an, wird jedoch nie langweilig. Doch seine Grundstimmung ist für einen Bond-Film zu düster, als dass er wirklich Begeisterung auslösen könnte..

"Spectre" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Donnerstag 05 November 2015 um 23:55 von Roland Freist

Bearbeitet: Dienstag 10 November 2015 17:32

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