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Filmkritik: "Inherent Vice – Natürliche Mängel"

Höherer Blödsinn

Die späten 60er und frühen 70er Jahre waren aus heutiger Sicht eine Märchenwelt aus Drogen, freier Liebe und psychedelischer Musik, und Kalifornien war das Zentrum. Dort gedieh das Marihuana wie in den Bergtälern Afghanistans, dort hatten alle Menschen diese coole, leicht goldfarbene Tönung der Haut, dort traten Bands wie Jefferson Airplane kostenlos in den Parks auf. Gleichzeitig war Kalifornien aber auch die Heimat der Schwarzen Serie Hollywoods, knallharten, in Schwarzweiß gedrehten Krimis aus den 40er und 50er Jahren nach Büchern von Dashiell Hammett und Raymond Chandler. Wirft man beides zusammen, die Krimis aus Los Angeles und die Hippie-Kultur aus San Francisco, und rührt einmal kräftig um, so kommt ein Film wie "Inherent Vice" dabei heraus.

Die Hauptperson heißt Larry Sportello (Joaquin Phoenix) und wird meist "Doc" genannt, vielleicht weil er ein Büro in einer Gemeinschaftspraxis angemietet hat. Er ist kein Arzt, sondern Privatdetektiv und die meiste Zeit bekifft. Das ist allerdings nichts Ungewöhnliches – es sind die frühen 70er Jahre in L. A., und Typen, die Gras rauchen, sind allgegenwärtig. Der Film beginnt, als Doc Besuch von seiner Ex bekommt, Shasta (Katherine Waterston), die gerade eine Affäre mit dem Bauunternehmer Michael Wolfmann (Eric Roberts) hat. Sie bittet ihn um Schutz für ihren Liebhaber, denn Wolfmanns Frau Sloane (Serena Scott Thomas) und deren Freund Riggs Warbling (Andrew Simpson) wollen ihn entführen und in eine psychiatrische Anstalt bringen, um sich anschließend mit dem Vermögen des Baulöwen aus dem Staub zu machen. Doch als Doc mit den Ermittlungen beginnt, ist Wolfmann plötzlich verschwunden, ebenso wie Shasta. Und der Privatdetektiv wacht auf einem Parkplatz neben einer übel zugerichteten Leiche auf, umringt von Polizisten des LAPD. Von nun an ist er gezwungen mit Detective Christian Bjornsen (Josh Brolin) zusammenzuarbeiten, einem Mann mit einem ausgeprägten Bürstenhaarschnitt, der sich von aller Welt "Bigfoot" nennen lässt. Und das ist erst der Anfang. In kurzer Folge wird Doc von weiteren Klienten um Hilfe gebeten, und sein Leben wird immer chaotischer.

Die literarische Vorlage zu "Inherent Vice" stammt von Thomas Pynchon, einem der größten Romanautoren der USA. Seine Bücher zogen nie ein Millionenpublikum an, haben jedoch zur Bildung einer großen, verschworenen Fangemeinde geführt, die sich immer wieder mit Eifer daran macht, die in den Texten enthaltenen, unzähligen Rätsel, Anspielungen und Querverweise aufzulösen. Mit "Inherent Vice" hat sich zum ersten Mal ein Regisseur getraut, einen Pynchon-Roman zu verfilmen. Und P. T. Anderson ("Boogie Nights", "There Will Be Blood") ist es tatsächlich gelungen, den typischen Tonfall der Bücher sehr adäquat wiederzugeben.

Ein Merkmal nahezu aller Pynchon-Romane ist der Versuch, den Leser zu verwirren, ihn aufs Glatteis zu führen, ihn immer wieder in Sackgassen zu locken. Alles scheint chaotisch zu sein, immer neue Figuren mit seltsamen Namen treten auf, irgendwann kann man sich nicht mehr merken, wer wie und warum in die Handlung verstrickt ist. Absurde Ereignisse geschehen, im Hintergrund scheinen obskure Vereinigungen die Fäden zu ziehen – hier etwa eine Firma namens "Golden Fang", angeblich ein Zusammenschluss von Zahnärzten (!), die auf diese Weise Steuern sparen wollen, vermutlich aber ein Ring von Drogenhändlern und -produzenten. Außerdem ankert im Süden von L. A. ein Segelschiff dieses Namens. Unter diesen ganzen absurden Details und Geschichten existiert jedoch ein Netzwerk, das alles miteinander verbindet, und erst nach und nach ans Tageslicht kommt. Doch wer als Leser oder Zuschauer versucht, dieses Netz zu ergründen und aufzudecken, verliert sich unweigerlich in ihm. Die bessere Strategie ist es, sich einfach auf die Komik des Geschehens einzulassen und sich zu amüsieren. "Inherent Vice" ist, neben "Punch-Drunk Love", der bislang lustigste Film von Anderson.

Aber er ist beileibe nicht perfekt. Die schauspielerischen Leistungen von Joaquin Phoenix und Josh Brolin sind gut, aber nicht überragend. In den Nebenrollen tauchen etliche bekannte Gesichter auf – neben Eric Roberts noch Benicio Del Toro, Owen Wilson, Reese Witherspoon und der Comedian Martin Short –, die sich ebenfalls nicht ins Langzeitgedächtnis spielen. Was jedoch vor allem fehlt, ist die Möglichkeit zur Identifikation mit einer Figur. Andersons Blick ist zu distanziert, Bilder und Handlung ziehen den Zuschauer nicht ins Geschehen hinein. Es ist daher kein großer Film geworden. Doch wer die Bücher von Thomas Pynchon kennt oder einfach nur absurden Humor schätzt, wird ihn mögen.

"Inherent Vice" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Donnerstag 12 Februar 2015 um 22:34 von Roland Freist

Bearbeitet: Mittwoch 07 Februar 2018 22:24

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