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Filmkritik: "Foxcatcher"

Ringen um Anerkennung

Ringen ist in den USA genauso eine Randsportart wie hierzulande. Die Sportler sind Amateure, die von ihren Verbänden oder Sponsoren finanziert werden, die Kämpfe schaut sich kaum jemand an. "Foxcatcher" ist ein Film, in dem zwei Ringer die Hauptrolle spielen, sowie ein Milliardär, der ihnen ein professionelles Training ermöglicht. Doch der Sport bildet in diesem Fall lediglich den Hintergrund für die eigentliche Geschichte, die sich so ähnlich tatsächlich zugetragen hat.

Es geht um Mark Schultz (Channing Tatum), der bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles die Goldmedaille im Freistilringen gewann. Gemeinsam mit seinem älteren Bruder David (Mark Ruffalo), der ebenfalls Gold bekam, trainiert er in einer Provinzstadt in einer kleinen Halle und bereitet sich auf die Weltmeisterschaften vor. Es ist das Jahr 1987. Eines Tages erhält er eine Einladung in das Haus von John E. Du Pont (Steve Carell), einem Nachkommen des Du Pont-Clans, einer der reichsten Familien der USA. Der Milliardär ist bereits seit mehreren Jahren begeisterter Anhänger des Ringens und lädt Mark ein, auf seinem Anwesen in Pennsylvania zu leben und dort gemeinsam mit dem "Team Foxcatcher" zu trainieren, in einer bestens ausgestatteten Halle zusammen mit anderen Ringern. Du Pont will ihm auch ein Gehalt bezahlen. Auch David soll auf dem Gelände leben und trainieren, lehnt das allerdings zunächst mit Rücksicht auf seine Familie ab.

An dieser Stelle beginnt die eigentliche Story von "Foxcatcher". Zwischen Mark und Du Pont entsteht eine Liebesbeziehung, die allerdings nie in Worte gefasst wird, geschweige denn, dass es zu Sexszenen käme. Das Körperliche liefert allein das Ringen: Du Pont sieht sich selbst als Mentor, als väterlichen Freund der deutlich jüngeren Sportler. Nachdem Mark 1987 den Weltmeistertitel geholt hat, kommt es zur ersten innigen Umarmung zwischen ihm und Du Pont, den er fortan "John" nennen darf. Du Pont betätigt sich zwischendurch auch selbst als Trainer, zeigt den Sportlern einfache Griffe, es kommt zu den typischen verschwitzten Stellungen des Ringens. Kein Wunder, dass Du Ponts Mutter Jean (Vanessa Redgrave), die ebenfalls auf dem Anwesen lebt, das Ringen als "niederen Sport" verachtet. Bald verbringen Mark und John auch außerhalb des Trainings Zeit miteinander, Mark lässt sich die Haare färben, der Umgang der beiden wird immer vertrauter. Sie schnupfen gemeinsam Kokain, Mark beginnt zu trinken. Als sich das jedoch auf seine Trainingsleistungen auswirkt, kommt es zum Bruch zwischen den beiden. Kurz darauf trifft dann doch noch David Schultz auf dem Anwesen ein und beansprucht wieder die Trainer- und Leitbildfunktion für seinen Bruder. Bald wird klar, dass die Konstellation mit den beiden Brüdern und John Du Pont nicht lange gutgehen wird.

"Foxcatcher" ist jedoch nicht nur ein Liebesfilm vor dem Hintergrund eines Außenseitersports, sondern ebenso auch das Porträt und die Charakterstudie des Millardärs John E. Du Pont. Steve Carell spielt ihn als einen Sonderling, einen Mann mit einem reptilienhaften Blick, der im Gespräch mit anderen auf die Begrüßung verzichtet und zwischen seinen Sätzen immer wieder lange Pausen entstehen lässt. Wegen seines unbewegten Gesichts weiß man nie, was in ihm vorgeht. Er hat keine Freunde, hat nie welche gehabt. Er lebt in dem riesigen Haus im ländlichen Pennsylvania allein mit seiner Mutter und einigen Angestellten, es herrscht dort eine oft gespenstische Ruhe. Von Menschen, denen er vertraut, lässt er sich "Eagle" oder "Golden Eagle" nennen (das "E" in seinem Namen steht jedoch für "Eleuthère"). Dank des Reichtums seiner Familie ist er es gewohnt, für Geld alles zu bekommen, was er will, Menschen machen da keine Ausnahme. Die normalen Regeln des Umgangs zählen nicht für ihn, er hat seine eigene Moral. Er leidet unter seiner Mutter, die ihn und seinen Sport nicht anerkennt und selber lieber Rennpferde züchtet.

Steve Carell ist bei uns vor allem aus einigen seichten Komödien wie "Date Night" oder "Get Smart" bekannt, in den USA ist er vor allem durch seine Auftritte in "Saturday Night Live" und mit der amerikanischen Version der britischen Serie "The Office" populär geworden (der deutsche Ableger lief unter dem Namen "Stromberg"). Umso überraschender ist es, wie perfekt er John Du Pont spielt, wie er die diversen Marotten dieses Mannes entwickelt, den starren Blick und die eigenartig aufrechte Körperhaltung – das ist große Schauspielkunst, Carell wurde dafür zu Recht für einen Oscar nominiert. Oscar-Hoffnungen darf sich auch Mark Ruffalo als David Schultz machen, er verkörpert sehr überzeugend den kernigen, sympathischen und charismatischen Sportler, der am liebsten mit seiner Familie zusammen ist. Ich fand auch, dass Channing Tatum seine Sache nicht schlecht macht. Sein Mark Schultz ist ein einfacher, stiller Mann, der nur schwer Vertrauen zu anderen aufbaut, dann jedoch absolut loyal zu ihnen ist.

"Foxcatcher" ist ein langer und die meiste Zeit auch recht ruhiger Film. Er fasst Geschehnisse zusammen, die sich in der realen Welt über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren abspielten. Vieles lässt er aus, darunter vor allem die sportliche Karriere von David Schultz, die 1987 noch keinesfalls beendet war. Doch es handelt sich hier eben nicht um einen Sportfilm.

"Foxcatcher" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Samstag 07 Februar 2015 um 18:10 von Roland Freist

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