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Filmkritik: "Philomena"

Der verlorene Sohn

Welch ein Kontrast zu M, der kalten und berechnenden Chefin des britischen Geheimdiensts CI5! Philomena Lee, die Judi Dench hier spielt, die Titelheldin dieses Films, ist eine Hausfrau und Krankenpflegerin aus der unteren Mittelschicht, ehrlich, anständig, gläubige Katholikin, mit einer Vorliebe für kitschige Liebesromane, eine Frau mit großem Herz, die manchmal einige Zeit braucht, bis sie eine Entscheidung getroffen hat, dann jedoch entschlossen danach handelt. Dench verkörpert diesen Charakter so überzeugend und mit so viel Ausstrahlung, dass sie dafür völlig zu Recht für einen Oscar nominiert wurde.

Der Film basiert auf einer wahren Geschichte, die der britische Journalist Martin Sixsmith in dem Buch "Philomena: Eine Mutter sucht ihren Sohn" niedergeschrieben hat. Philomena Lee wuchs in einem irischen Kloster auf. Während eines Ausflugs auf ein Volksfest wird sie geschwängert, das Kind bekommt sie im Kloster. Da Lust für die Nonnen Sünde ist, muss sie büßen: Drei Jahre muss sie ohne Bezahlung im Kloster schuften, ihren Sohn, den sie Anthony genannt hat, darf sie in dieser Zeit nur eine Stunde am Tag sehen. De facto ist sie eine Gefangene. Die Nonnen bringen sie sogar soweit, dass sie eine Verzichterklärung für ihn unterschreibt. Dann verkaufen sie den Jungen für 1000 Pfund an ein amerikanisches Ehepaar, das nach einem Adoptivkind sucht.

Diese Geschichte wird in Rückblenden erzählt. Der Film spielt im Jahr 2004. Philomenas Tochter lernt auf einer Party den gerade gefeuerten BBC-Journalisten Martin Sixsmith (Steve Coogan) kennen, der nach einer neuen Beschäftigung sucht. Eher widerwillig lässt sich der zynische, atheistische Politjournalist auf diese Human-Interest-Story ein, wie er sie nennt. Gemeinsam mit Philomena fährt er zu ihrem ehemaligen Kloster nach Irland, um herauszufinden, was mit ihrem Sohn geschehen ist. Sie hat lange nach ihm gesucht, hat ihn jedoch nie gefunden. Doch die Nonnen blocken ab und geben keine Informationen preis. Eher auf Verdacht fliegen Sixsmith und Philomena nach Washington, um dort die Unterlagen der Einwanderungsbehörde durchzusehen. Und durch Zufall stoßen sie tatsächlich auf den Namen ihres Sohnes. Er hatte es bis zum juristischen Berater der Präsidenten Reagan und Bush gebracht, war dann aber bereits 1985 gestorben. Und er war schwul. Gemeinsam gelingt es Sixsmith und Philomena, sich ein Bild von ihrem Sohn zu machen und seine letzten Jahre zu rekonstruieren. Und dabei kommt die brutale Wahrheit ans Licht.

Der Film funktioniert auf mehreren Ebenen. Zum einen, indem er die beiden gegensätzlichen Charaktere des Journalisten und der Pflegerin zusammenbringt und zusieht, was passiert. Sie gehen natürlich die ganze Zeit höflich miteinander um, natürlich, sie sind schließlich Briten, aber sie kann noch nicht einmal über seine Witze lachen. Er wiederum kann nicht verstehen, wie sie den Nonnen gegenüber, die sie jahrelang gequält und ihr Kind verkauft haben, so nachsichtig sein kann. Wie sich die beiden einander annähern und zum Schluss eine gemeinsame Linie finden, um mit dem Geschehen umzugehen, das ist schön zu sehen.

Zum zweiten wird auch ein recht aufschlussreiches Bild der britischen Presse gezeichnet. Denn Sixsmith betreibt die Recherchen nicht auf eigene Faust, sondern hat die Geschichte an eine Boulevardzeitung verkauft, die sich über den tragischen Ausgang begeistert zeigt.

Und zum dritten ist es eine der wütendsten Anklagen gegen die katholische Kirche, die in den letzten Jahren im Kino zu sehen war. Hinter den freundlichen Gesichtern der Nonnen zeigt Frears einen Abgrund an Lüge, Sadismus und Niedertracht, der den Journalisten Martin Sixsmith völlig zu Recht zu einem wütenden Ausfall gegen die Hauptverantwortliche treibt. Die Bigotterie und Selbstgerechtigkeit in Verbindung mit dem fehlenden Unrechtsbewusstsein sind wirklich kaum auszuhalten.

Die Story von "Philomena" ist düster, und der Film leider über weite Strecken sehr sentimental. Damit es kein reines Depri-Stück wird, hat Regisseur Steven Frears klug gegengesteuert und den Part des Journalisten mit ins Boot geholt, der im Buch die Geschichte erzählt (eigentlich kommt die Idee allerdings von Sixsmith-Darsteller Steve Coogan, denn er hat zusammen mit Jeff Pope auch das Drehbuch geschrieben). Sein illusionsloser Blick auf die Dinge und der trockene Humor bringen den Zuschauer nach einigen allzu gefühlsbeladenen Szenen wieder auf den Boden zurück. Frears hat einige meiner Lieblingsfilme gedreht ("High Fidelity"!), aber auch einige, die ich weniger gelungen fand. "Philomena" ist jedoch zweifellos eines seiner besseren Werke.

"Philomena" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Freitag 28 Februar 2014 um 22:44 von Roland Freist

Bearbeitet: Dienstag 04 März 2014 9:50

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