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Filmkritik: "Nebraska"

Seitenwege

Schwarzweiß-Filme, vor allem wenn sie die Weite einer Landschaft zeigen, verbreiten immer eine melancholische Stimmung. Selbst wenn sie Szenen im strahlenden Sonnenschein präsentieren, bleibt immer eine leichte Traurigkeit zurück, die sofort verschwunden wäre, würde man die gleichen Bilder in Farbe sehen. Es wundert daher nicht, dass Alexander Payne ("Sideways", "The Descendants") seinen neuen Film in Grautönen auf die Leinwand bringt – das verleiht dem ansonsten über weite Strecken sehr komischen Streifen deutlich mehr Tiefe. Außerdem trägt es dazu bei, dass man die Geschehnisse aus einer gewissen nostalgischen Distanz betrachtet.

Die Hauptperson heißt Woody Grant (Bruce Dern), ein schätzungsweise etwa 80-jähriger Mann an der Grenze zur Senilität. Er lebt mit seiner Frau Kate (June Squibb) in Billings, Montana, wo auf den Straßen noch die Schneereste des letzte Winters liegen. In der ersten Einstellung sieht man ihn, wie er leicht schwankend, aber offenbar fest entschlossen eine typisch amerikanische Ausfallstraße entlanggeht, gesäumt von Fastfood-Läden, Tankstellen und kleinen Firmen aller Art. Er will nach Lincoln, Nebraska, um seine Million Dollar abzuholen.

Woody hat nämlich ein Schreiben bekommen, dass er in einer Lotterie gewonnen hat. Dass es sich um eine Werbeaussendung handelt und er die Million nur erhält, wenn eine Zahlenkombination im Brief mit den Zahlen übereinstimmt, die bei der versendenden Firma gezogen wurden, ignoriert er hartnäckig. Und da man ihm seinen Führerschein abgenommen und er sowieso keinen Wagen hat, macht er sich eben zu Fuß auf den Weg. Erst bringt ihn die Polizei wieder nach Hause, nach einem zweiten Ausbruchsversuch holt ihn sein Sohn David (Will Forte) zurück. Doch Woody bleibt hart: Er will nach Lincoln, um sein Geld zu holen. Schließlich willigt David ein, ihn die 900 Meilen zu fahren.

Unterwegs machen sie Halt in dem kleinen Ort, in dem die Familie früher lebte, ein Kaff mit 1300 Einwohnern irgendwo im Nichts der amerikanischen Prärie. Sie übernachten bei der Familie von Woodys Bruder, und plötzlich sind die ganzen alten Geschichten wieder präsent: Woodys Affären als junger Mann, der frühe Tod eines seiner Brüder, seine Zeit in der Gefangenschaft während des Koreakriegs, sein Alkoholismus. Einige seiner alten Freunde leben noch, und sie nehmen die Nachricht von seinem Millionengewinn teils mit echter Freude, teils aber auch mit Neid und Missgunst auf. Einige freuen sich auch einfach nur über die Lokalrunden, die sie ihn beziehungsweise seinen Sohn bezahlen lassen. Der Höhepunkt ist erreicht, als Kate und Davids Bruder Ross (Bob Odenkirk aus "Breaking Bad") mit dem Bus anreisen und es zum großen Familientreffen kommt.

"Nebraska" ist ein Roadmovie und handelt von einem alten Mann, der sein Ende kommen spürt, und seinem Sohn, der ihn besser kennenlernen will. Das ist nicht einfach, denn zum einen funktioniert Woodys Gedächtnis nicht mehr ganz störungsfrei, zum anderen war er noch nie ein großer Erzähler. Seinen einfachen, lakonischen Antworten auf die Fragen seines Sohns machen einen großen Teil der Komik dieses Films aus. Es ist aber auch die Umgebung des Mittleren Westens, dieser tiefsten aller Provinzen mit ihren endlosen Dustroads, einsamen Häusern und vor allem den Menschen, die wie aus der Zeit herausgefallen zu sein scheinen, die den Reiz von "Nebraska" ausmachen. So wie Alexander Payne seine Figuren zeichnet und filmt, genügen wenige Sekunden, bis die Zuschauer anfangen zu kichern. Diese langen Einstellungen von Menschen, die starr auf Fernseher schauen, stumm und mit unbewegten Gesichtern Bier trinken oder einfach nur die Autos beobachten in einer Straße, wo praktisch keine Autos fahren – das ist hochgradig komisch. Man wirft Payne immer wieder vor, dass er sich über einfache Menschen lustig mache, und tatsächlich hat er diese Bilder erkennbar mit viel Freude an den Motiven zusammengestellt. Doch sein Humor ist niemals von oben herab oder abwertend, es ist immer eine wehmütige Liebe zu diesen Charakteren spürbar. "Fargo" von den Coen-Brüdern hat vergleichbare Qualitäten.

Bruce Dern ist der Vater von Laura Dern ("Jurassic Park") und ein alter Routinier des amerikanischen Kinos. 1979 war er für seine Rolle in "Coming Home" für einen Nebenrollen-Oscar nominiert, 1982 bekam er in Berlin den Silbernen Bären für "Champions". In diesem Jahr hat er erneut Chancen auf einen Oscar, dieses Mal sogar als bester Hauptdarsteller. Und er ist wirklich gut: Wie er diesen Woody Grant spielt, der zwischen geistiger Klarheit und, sagen wir mal, schläfrigen Phasen hin und her schlingert, das ist sehr schön anzusehen. June Squibb ist ihm jedoch in jeder Beziehung ebenbürtig. Ihre Kate ist mit ihrer Lautstärke und Schlagfertigkeit in jeder Szene, in der sie auftritt, sofort der Mittelpunkt und zieht unwillkürlich die Blicke auf sich. Auch sie hat eine Oscar-Nominierung bekommen. Der Rest des Ensembles mit dem ehemaligen "Saturday Night Live"-Darsteller Will Forte, Bob Odenkirk und "Mike Hammer" Stacy Keach macht seine Sache ebenfalls beeindruckend gut.

"Nebraska" ist ein kleiner Film mit wenig Handlung, aber viel Gefühl. Zusammen mit dem ähnlich gelagerten "Sideways" ist er das Beste, was Alexander Payne bisher gemacht hat.

"Nebraska" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Sonntag 19 Januar 2014 um 21:46 von Roland Freist

Bearbeitet: Sonntag 19 Januar 2014 22:59

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