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Filmkritik: "Verblendung" (2011)

Der Film mit dem Mädchen mit dem Drachentattoo

Die Millennium-Trilogie ist eines der größten Krimi-Phänomene der letzten Jahrzehnte. Ein linker Journalist, der im Hauptberuf eine kleine antifaschistische Zeitschrift herausgibt, schreibt aus dem Stand eine Krimireihe, die sich weltweit mehr als 30 Millionen Mal verkauft. Bereits die schwedische Verfilmung der Bücher ist ein großer Erfolg. Dann nimmt sich der amerikanische Starregisseur David Fincher der Sache an, verfilmt den ersten Band erneut, und wieder wird es ein Welterfolg. Dabei hat der Roman etliche Schwächen, die in der Verfilmung überdeutlich werden. Doch reden wir zunächst über die Stärken.

Vergleicht man "Verblendung" mit dem schwedischen Vorgänger, fällt vor allem auf, dass die neue Version handwerklich erheblich besser gemacht ist. Guter Hollywood-Standard eben. Die Kamera liefert interessantere, spannendere Bilder, die Drehorte sind besser ausgesucht. Schweden sieht so aus, wie man sich Schweden eben vorstellt: kalt, verschneit, mit protestantisch-nüchternen Herrenhäusern auf dem Land und sauber renovierten Altbauten in Stockholm. In der schwedischen Version wirkte die Hauptstadt dagegen wie ein weniger attraktives Viertel von Rosenheim.

Weiterhin standen Fincher die besseren Schauspieler zur Verfügung. Daniel Craig gibt einen überzeugenden Mikael Blomkvist ab, obwohl man sich den Journalisten irgendwie schwabbeliger und nicht so muskulös und durchtrainiert vorgestellt hätte. Auch bei den anderen Darstellern wie Christopher Plummer (Henrik Vanger), Stellan Starsgård (Martin Vanger) oder Robin Wright (Erika Berger) spürt man das ganze Können und die Routine bereits seit Jahrzehnten erfolgreicher Filmschauspieler.

Gespannt war man aber vor allem auf die Darstellerin der eigentlichen Hauptperson, auf Rooney Mara, die Lisbeth Salander spielt. Die Schwedin Noomi Rapace war mit ihrer Interpretation des punkigen Hackers zum internationalen Star geworden, wurde daraufhin von Guy Ritchie für seinen letzten Sherlock-Holmes-Film gecastet und von Ridley Scott für den im Sommer startenden "Prometheus". Eine schwierige Aufgabe für die Nachfolgerin, einen eigenständigen Charakter zu entwickeln. Doch Rooney Mara schlägt sich nicht schlecht. Ihre Lisbeth Salander ist ein Freak, und zwar genau so, wie sich Hollywood einen Freak in einer positiv besetzten Rolle vorstellt: schräges Aussehen und ungehobeltes Benehmen, doch innerlich weich und verletzlich. Das ist zwar klischeehaft, aber es funktioniert. Noomi Rapace war kompromissloser, härter, stattete Lisbeth Salander sogar mit einem angedeuteten Asperger-Syndrom aus. Doch andererseits sah sie fast schon zu gut aus für diese Rolle.

David Fincher hält sich bei seiner Verfilmung eng an die Buchvorlage, er lässt nur wenige Details weg. So kommt es, dass der Film auch die Schwächen übernimmt. Vor allem zum Schluss hin wird deutlich, dass "Verblendung" eigentlich drei, wenn nicht sogar vier Geschichten parallel erzählt. Und es ist nicht die interessanteste darunter, die im Mittelpunkt steht. Der am längsten verfolgte Handlungsfaden ist der vermutete Mord an Harriet, der Großnichte von Henrik Vanger. Das stellt sich jedoch zum Schluss als eine Art Missverständnis heraus. Die zweite, mit der Harriet-Story eng verwobene Geschichte ist die eines Serienmörders, der auf junge Frauen steht und diesen Trieb, kaum glaubhaft, an seinen Sohn weitergegeben hat, der seit mehr als 40 Jahren fröhlich weitermordet, ohne dass das jemandem aufgefallen wäre. Die dritte Geschichte ist die von Mikael Blomkvist, der die illegalen Rüstungsgeschäfte eines schwedischen Industriellen recherchiert hat und dafür ins Gefängnis muss – eigentlich die spannendste Story in Film und Buch. Und wenn man so will, kommt noch die Geschichte von Lisbeth Salander hinzu, sie handelt unter anderem von den Vergewaltigungen durch ihren Betreuer und dem Attentat auf ihren Vater. Das wird immerhin im zweiten Teil der Trilogie ausführlich erzählt.

Dieses Nebeneinander verschiedener Erzählstränge, die teilweise völlig unabhängig voneinander laufen, schafft einige Probleme. Denn so kann es keinen Schlusspunkt geben, der alle Geschichten auf einen Schlag beenden würde. Stattdessen springt der Film am Ende von einem Handlungsfaden zum nächsten und führt ihn seiner Auflösung zu: Zuerst werden die Serienmorde aufgeklärt, dann Harriets Verschwinden, danach nimmt sich der Film den verbrecherischen Rüstungsexporteur vor – spätestens an dieser Stelle ist die Spannung weitgehend verflogen, und man wartet nur noch darauf, dass im Kinosaal das Licht angeht. Doch zuvor macht Lisbeth Salander noch einige Andeutungen zu ihrer eigenen Lebensgeschichte.

„Verblendung“ ist ein atmosphärisch dichter, gut erzählter Thriller. Die Charaktere und der spannende Verlauf der Recherchen lassen einen über die zahlreichen Löcher in der Handlung und die logischen Ungereimtheiten hinwegsehen. Man hätte sich jedoch gewünscht, dass Fincher noch etwas mehr kürzt und einige Handlungsstränge komplett herausnimmt. Doch dem stand wohl die Spekulation entgegen, dass es ja vielleicht noch eine Fortsetzung geben könnte.

"Verblendung" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Samstag 14 Januar 2012 um 18:33 von Roland Freist

Bearbeitet: Sonntag 28 Dezember 2014 10:54

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