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Filmkritik: "Inside Llewyn Davis"

Die Odyssee des Dude

Ich fand schon immer, dass viele Folk-Gruppen und -Solisten aus den 60er Jahren eine gewisse Komik hatten. Das Musterschüler-Outfit, das sie Anfang der 60er Jahre noch trugen, ergab zusammen mit den oftmals schrillen, manchmal auch etwas zu schrillen Harmonien und den voller Inbrunst vorgetragenen Songs einen Effekt, der eine Parodie vermuten ließ. Die völlig ironiefreien Darbietungen wirken auf heutige Großstadtbewohner seltsam befremdlich und, ja, zu einem gewissen Grad komisch.

Das sehen die Coen-Brüder offensichtlich genauso. Denn ihr neuer Film, "Inside Llewyn Davis", spielt mit diesem Effekt, ohne sich jedoch über die Künstler lustig zu machen. Es hat ein wenig was von "Big Lebowski": Man trifft eine ganze Reihe seltsamer, teilweise skurriler Figuren, die sich oft auch seltsam verhalten. Doch der Film reißt keine Witze über sie, sondern präsentiert sie als originelle Bestandteile einer liebenswerten Szene. Man wünscht sich, man wäre dabei gewesen, hätte das alles miterlebt, dann würde man sich heute mit breitem Grinsen die alten Anekdoten ins Gedächtnis zurückrufen und seine Mitmenschen damit nerven.

Gezeigt wird eine Woche im Leben des Llewyn Davis (Oscar Isaac), eines wenig erfolgreichen Folksängers, der 1961 im New Yorker Greenwich Village bei Freunden und Bekannten auf der Couch schläft und ab und zu solo in einem Club auftritt. In dieser einen Woche geht bei ihm so ziemlich alles schief: Er wird verprügelt, weil er bei einem Konzert schlecht drauf war, verliert die Katze seiner Gastgeber, er hat kein Geld mehr, fährt vergeblich für ein Konzert nach Chicago und bekommt Streit mit so ziemlich jedem, der noch bereit ist, ihm zu helfen. Zu allem Überfluss eröffnet ihm die Freundin eines seiner besten Freunde, dass sie schwanger ist, und zwar möglicherweise von ihm. Dafür beschimpft sie ihn dann noch, und zwar auf die übelste Weise (Carey Mulligan, normalerweise spezialisiert auf die ruhigen Rollen, zeigt hier, dass sie auch mal laut werden kann). Außerdem verlangt sie, dass er die Abtreibung bezahlt. Für Llewyn Davis ist diese Woche die Hölle, der Film zeigt ihn als tragische und tieftraurige Figur.

Die Geschehnisse werden immer wieder unterbrochen durch Folk-Darbietungen. Doch während die Interpreten vielfach etwas strange wirken (wenn zum Beispiel das ehemalige Boygroup-Mitglied Justin Timberlake als Mitglied eines Folk-Trios präsentiert wird), nimmt der Film die Musik sehr ernst. Sämtliche Songs werden ausgespielt, Gitarre und Gesang sind perfekt ausgesteuert. Teilweise fühlt man sich an die Blues- und Country-Stücke aus "O Brother, Where Art Thou?" erinnert, einem Film, in dem die Coes Motive aus Homers Odyssee verwendeten und auf den sie hier mit einer Katze namens Odysseus verweisen.

"Inside Llewyn Davis" besitzt eine sehr dichte Atmosphäre. Er konzentriert sich auf seine Hauptfiguren, geht nah an sie heran, immer voller Neugierde und Sympathie. Oscar Isaac, der als Nebendarsteller in "Drive" recht eindimensional wirkte, zeigt hier, dass mehr in ihm steckt. Außerdem singt er die Titel von Llewyn Davis tatsächlich selbst. Den Auftritt der immer wieder gern gesehenen Carey Mulligan ("Drive", "Der große Gatsby") hatte ich bereits gewürdigt. Auf keinen Fall unerwähnt bleiben darf zudem, dass die Coens nach langer Zeit mal wieder mit John Goodman zusammengearbeitet haben, in früheren Jahren einer ihrer Lieblingsschauspieler. Hier spielt er sehr überzeugend einen drogensüchtigen Jazz-Musiker, der gemeinsam mit einem schweigsamen Beatnik namens Johnny Five (Garrett Hedlund, "On The Road") die Fahrt nach Chicago für Llewyn zum Albtraum werden lässt.

Der Film erzählt keine kontinuierliche Geschichte, sondern Anekdoten. In Zusammenarbeit mit den von einer leichten Patina überzogenen Bildern des Kameramanns Bruno Delbonnel beschwört er die Atmosphäre einer lange vergangenen Zeit herauf. Allerdings funktioniert er nur, wenn man den typischen Coen-Humor teilt, ansonsten wird’s schnell langweilig. Doch wer Gefallen an der Ironie und den kleinen Insider-Gags findet, bekommt mit "Inside Llewyn Davis" einen der besten Filme des Jahres geboten.

"Inside Llewyn Davis" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Freitag 06 Dezember 2013 um 22:26 von Roland Freist

Bearbeitet: Sonntag 15 Dezember 2013 16:32

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