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Filmkritik: "Inception"

Traumgebilde für Fortgeschrittene

Das Unterbewusstsein des Menschen ist wie ein Tresor, den man knacken kann. Das ist die These von "Inception", dem neuen Film des britischen Regisseurs Christopher Nolan ("The Dark Knight", "Memento"). Wenn man Geheimnisse aus dem Unterbewusstsein stiehlt, nennt sich das Extraction, eine Technik, auf die sich Cobb (Leonardo DiCaprio) und sein Team spezialisiert haben. Dazu betäuben sie ihr Opfer und dringen in seine Träume ein. Doch während der Überfallene sich der Gefahr nicht bewusst ist, ist Cobb hellwach und sucht in der Traumwelt nach der Information, die sein Auftraggeber haben will. Keine Frage, dass so etwas illegal ist.

Eines Tages erhält Cobb den Auftrag für den umgekehrten Vorgang: Im Rahmen einer Inception soll er im Auftrag eines Konzernchefs eine Idee in das Unterbewusstsein eines Konkurrenten einsetzen, und zwar so, dass der diesen Gedanken für sein eigenes Produkt hält. Eine schwierige Sache, da der menschliche Verstand gegen solche Einbruchsversuche normalerweise immun ist und sich zu wehren weiß.

Cobb muss also anders vorgehen. Er setzt auf die Psychologie und erforscht die Beziehungen seines Opfers, eines Mannes namens Robert Fischer (Cillian Murphy), zu seiner Familie und seinen engsten Mitarbeitern. Er und sein Team finden heraus, dass das Verhältnis von Fischer zu seinem Vater (Pete Postlethwaite), dem mittlerweile im Sterben liegenden, ehemaligen Firmenlenker, äußerst kompliziert und von widerstreitenden Gefühlen geprägt ist. Das will Cobb ausnutzen. Doch nicht nur Fischer besitzt einen solchen emotionalen Schwachpunkt. Quasi spiegelbildlich dazu kämpft Cobb mit den Erinnerungen an seine verstorbene Frau (Marion Cotillard, "La vie en rose") und seine von ihm getrennt lebenden Kinder, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Immer wieder tauchen sie aus den tiefsten Schichten seines Unterbewusstseins in seinen Träumen auf und bringen ihn in Gefahr.

Damit Fischer Cobbs Gruppe nicht auf die Schliche kommt, bauen die Mitglieder ein kompliziertes Konstrukt auf, das aus einem Traum in einem Traum in einem anderen Traum besteht. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zeit im Traum immer zehn Mal so schnell vergeht wie in der Wirklichkeit. Während einer Minute in der Realzeit vergehen also zehn Minuten im Traum. Das gilt auch für den Traum im Traum, er läuft also wiederum zehn Mal so schnell ab wie der Traum auf dem ersten Level. Und auf dem dritten Level geht alles eben noch einmal zehn Mal schneller. Damit zum Schluss alle handelnden Personen vom dritten Level wieder in einem Rutsch in die Realität zurückspringen können, ist also ein ungeheurer logistischer Aufwand zu bewältigen. Und noch ein Problem kommt hinzu: Robert Fischer hat ein Training gegen Traumdiebe wie Cobb absolviert. Sein Unterbewusstsein kann diese Form der Manipulation erkennen und schickt automatisch Abwehrkräfte in Form einer schwer bewaffneten Privatarmee los, die die Eindringlinge zu vernichten sucht.

Wie es Cobb gelingt, Robert Fischer auf die entscheidende Idee zu bringen, das macht die Spannung des Films aus. "Inception" ist keine Science Fiction, auch wenn man das bei der technischen Traumkonstruktion zunächst annehmen könnte. Christopher Nolan interessiert sich nicht dafür, wie man Träume manipulieren könnte. Es funktioniert einfach, das ist alles. Notwendig ist dafür lediglich eine koffergroße Maschine, an die die Teilnehmer einer Traumsequenz mit Elektroden angeschlossen werden. Auf der Oberseite prangt ein großer Knopf, den man auch einfach mit "Push me!" hätte beschriften können. Die gesamte restliche Ausstattung der Filmwelt, inklusive Autos, Kleidung, Waffen etc. entstammt eindeutig der heutigen Zeit.

Am besten lässt sich Inception vergleichen mit einem Film wie "Ocean’s Eleven". Die Amerikaner nennen diese Art von Filmen heist movies, sie leben von der Schilderung eines Raubs von der Idee über die Planung und die Rekrutierung des Teams bis hin zur Durchführung, wobei es immer zu unvorhergesehenen Problemen kommt, so dass die Akteure improvisieren müssen. Und immer kommt als Störfaktor eine Frau ins Spiel. Was Julia Roberts für Danny Ocean war, ist bei "Inception" eben Marion Cotillard für Cobb.

"Inception" ist der bis dato meistdiskutierte Film dieses Jahres. Einige amerikanische Kritiker bemängelten seine emotionale Kälte, die Bilder von Cobb mit seiner Familie etwa seien vergleichbar mit den Fotos, die man in neu gekauften Brieftaschen findet und dergleichen mehr. Damit haben sie nicht ganz unrecht. Trotz der eigentlich anrührenden Geschichte mit der verlorenen Familie bleiben die Figuren seltsam distanziert, sie berühren einen nicht besonders. Die Special Effects sind dagegen spektakulär. Die Szene, in der die Altstadt von Paris mitsamt fahrenden Autos und Passanten zusammengefaltet wird, kannte man ja schon aus dem Trailer. Besser noch hat mir eine Szene gefallen, in der auf der ersten Traumebene ein Lieferwagen voller Träumer bei einer rasanten Verfolgungsjagd durch die Stadt eiert, was sich dann auf die Träume auswirkt, in denen die Menschen in einem Hotel, ohne zu wissen warum, gegen die Wände geworfen werden. Und was passiert, wenn so ein Lieferwagen über eine Brückenbrüstung fährt, so dass die Personen darin während des Sturzes schwerelos werden? Eben.

"Inception" ist ein ausgezeichneter Film, wenn man ins Kino geht und sich einfach nur auf einen guten und originellen Gangsterfilm freut. Wer mehr erwartet, etwa neue Ideen zum Verhältnis von Traum und Realität, wird dagegen enttäuscht werden.

"Inception" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Dienstag 03 August 2010 um 16:40 von Roland Freist

Bearbeitet: Sonntag 03 Juli 2011 16:33

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