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Archiv vom August 2010

Sylt 2010

Geschrieben am Montag 30 August 2010 um 11:14 von Roland Freist

Bearbeitet: Montag 30 August 2010 11:24

Die Top 10 meiner Lieblings-Alben

Geschrieben am Freitag 06 August 2010 um 0:13 von Roland Freist

1. The Velvet Underground & Nico:
The Velvet Underground & Nico (1967)

Eine Methode, um eine solche Liste zusammenzustellen, besteht darin sich zu fragen, welche Platten man bis heute immer noch hören kann, ohne dass sie sich abgenutzt haben und man selber sich langweilt. Bei den meisten Alben geht das bei mir sehr schnell. Ich höre sie zwei, vielleicht auch drei Mal von vorne bis hinten durch und wähle anschließend nur noch meine Lieblingstitel an.

Zu den Ausnahmen zählt "The Velvet Underground & Nico". Die Platte habe ich gekauft als ich 15 Jahre alt war, und ich lege sie bis heute immer wieder gerne auf (beziehungsweise ein, irgendwann habe ich mir das komplette Werk der Gruppe nochmal auf CD zugelegt). Und noch immer faszinieren mich die Soundeffekte dieses Albums. Andy Warhol, der die Gruppe gepusht und die Platte produziert hatte, kannte sich mit Aufnahmetechnik kaum aus. Entsprechend klingt das Ergebnis. Die Bässe saufen ab, Übersteuerungen sind der Normalfall, die Höhen sind entweder kaum vorhanden oder unnatürlich in den Vordergrund gerückt. Worauf sich Warhol jedoch verstand, das waren spektakuläre Effekte und ihre Wirkung.

Bei "I’m Waiting for the Man" etwa ist der Gesang von Lou Reed zu Anfang extrem in den Vordergrund gemischt, aufnahmetechnisch ist der Song eine Katastrophe. Doch der Effekt ist großartig. Die schneidende, metallisch scharfe Stimme kommt umso besser zur Geltung, da im Hintergrund der Bass nur als dumpfes Grollen zu vernehmen ist. Gleichzeitig hebt sie sich mit der coolen, die Vokale dehnenden Intonation ab von dem gleichbleibenden Hämmern von Klavier und Rhythmus-Gitarre. Dieser beinahe schon schmerzhaft in den Vordergrund gemischten Stimme hört man an, dass sie in der Großstadt aufgewachsen ist, mit all ihrem Slang, den Insider-Witzen und dem coolen, die Silben und Wörter verschluckenden Sound der Typen, die in den dunkleren Vierteln von New York Tag und Nacht die Straßen bevölkern. Entsprechend sind die Themen der Songs: Hier geht es nicht um Mädchen und Romantik, Tanzen und unglückliche Liebe. "I’m Waiting for the Man" ist der Song eines Drogensüchtigen, der auf seinen Dealer wartet, "twenty-six dollars in my hand".

Auch bei den anderen Songs vertraute Warhol weniger auf Melodie und Komposition, als vielmehr auf Soundeffekte: Die Peitschenhiebe von John Cales elektrischer Viola in "Venus in Furs" und der galoppierende Pulsschlag des Junkies in "Heroin" sind Beispiele dafür. Dazu kam Nico, ein deutsches Fotomodell, geboren in Köln als Christa Päffgen, die Warhol der Gruppe aufs Auge gedrückt hatte, wohl um ihr etwas mehr Glamour zu verschaffen. Sie sah fantastisch aus, schlank, groß und mit langen, blonden Haaren, sang jedoch mit einer dunklen, alt und müde klingenden Stimme. "All Tomorrow’s Parties" und "Sunday Morning" wurden durch sie zu Geschichten aus der Gruft.

Warhol hat aus "The Velvet Underground & Nico" mehr als eine Platte gemacht, das Album ist ein auf den Effekt setzendes Kunstwerk. Die Songs sind grell und effekthascherisch wie ein Comic, eine Sammlung von Pop-Bomben in giftigen Farben, abgeworfen im gleichen Jahr, in dem die Love & Peace-Bewegung der Hippies ihren Höhepunkt erreichte. Ich werde die CD wohl auch dann noch einlegen, wenn eines Tages die ersten Rentenüberweisungen auf meinem Konto eintreffen.

Es gibt nur wenige Videos von The Velvet Underground, vor allem Filme aus der Zeit mit Nico (die nach dem ersten Album wieder verschwand) sind absolute Mangelware. Das folgende Video, in dem die Gruppe "Venus in Furs" spielt, hat Warhol wohl selbst gedreht. Es handelt sich eher um ein Musikvideo als um den Film von einem Live-Auftritt, die Musik wurde offensichtlich erst später über die Bilder gelegt:

2. The Beach Boys:
Pet Sounds (1966)

Wenn "The Velvet Underground & Nico" Über-Pop ist, so ist "Pet Sounds" Pop in seiner perfekten Form. Das habe ich allerdings erst recht spät festgestellt. Bis in die 70er, 80er Jahre verband ich mit den Beach Boys Titel wie "California Girls", "I get around" und "Barbara Ann" – Fun-Pop von ewig gut gelaunten, bronzefarben gebräunten Surfern aus Kalifornien. Um es vorsichtig auszudrücken: Das ist nicht meine Welt.

"Pet Sounds" und seine Geschichte lernte ich, wie gesagt, erst recht spät kennen, irgendwann in den 90er Jahren. Aber je öfter ich diese Platte höre, und ich höre sie ziemlich regelmäßig, desto klarer wird ihr Konzept. Denn das macht "Pet Sounds" aus – es ist nicht nur eine Zusammenstellung der musikalischen Produktion der Gruppe aus den vorangegangenen Monaten. Stattdessen drehen sich alle Songs auf der Platte um die gleichen Themen. Es geht um frühe Liebe, den Verlust der Unschuld und ersten Liebesschmerz. Zugegeben, das ist nichts, was einen heute noch vom Hocker haut. Aber es war ein deutlicher Fortschritt gegenüber der früheren Politik der Plattenfirmen, die einfach wahllos die zehn letzten Stücke einer Band auf Vinyl pressten und damit kalkulierten, dass vielleicht zwei davon hitparadentauglich waren, während der Rest teils Ausschuss, teils einfach nur unkommerziell war und dem Käufer mehr oder weniger aufs Ohr gedrückt wurde.

Die erste Platte, die sich diesem Konzept nicht fügen wollte, war "Rubber Soul" von den Beatles. Die Gruppe hatte die Stücke für dieses Album sorgfältig ausgewählt. Die Songs sollten eine Einheit bilden und nicht einfach wahllos auf eine Platte gepresst werden. Der Legende nach hörte Brian Wilson, der Mastermind der Beach Boys, das Album und sagte: "Es ist brillant. Aber das kann ich besser." Die Beach Boys standen damals kurz vor einer Tournee durch Japan und nach Hawaii. Wilson hatte ohnehin keine Lust mitzukommen und mietete stattdessen ein Studio an. In den folgenden Wochen komponierte er sämtliche Songs für "Pet Sounds" und arrangierte die Musik. Ein junger Lyriker namens Tony Asher, den Brian Wilson erst einige Monate zuvor kennengelernt hatte, schrieb nach seinen Vorgaben die Texte. Wilson lud Dutzende von Studio- und Orchester-Musikern ein, um die Stücke einzuspielen, sang zunächst alles selbst und mischte alles ab. Als seine Jungs von der Tournee zurückkamen, übergab er bei einigen Songs noch den Lead-Gesang an Carl Wilson und nahm mit der Band die Background-Gesänge auf. Das Album war fertig.

Die ersten Reaktionen waren negativ. Die anderen Beach Boys hatten halb im Spaß gesagt, die Musik höre sich an wie die Geräusche von Haustieren (pet sounds) – prompt übernahm Brian das als Titel des Albums. Die Plattenfirma weigerte sich zunächst gar, die Platte überhaupt zu veröffentlichen, da sie nicht dem Fun & Surf-Image der Gruppe entsprach.

Und das stimmte sogar: Auf "Pet Sounds" gibt es mit "Wouldn’t it be nice" gerade noch einen Song, der in Rhythmus und Machart den Surf-Hymnen der früheren Jahre entspricht. Hinzu kam die erfolgreiche Single-Auskopplung "Sloop John B", im Original ein Folksong von den Westindischen Inseln, den Brian Wilson neu arrangiert und im Text verändert hat. Der Rest der Songs jedoch entsprach absolut nicht dem, was man bis dato mit den Beach Boys verbunden hatte. Es sind großartige Balladen, nachdenklich, teils philosophisch, mit wunderschönen Harmonien und in der Aufnahmetechnik ihrer Zeit weit voraus. "Pet Sounds" ist perfekter, intelligenter Pop, niemals übertroffen. Im Video spielen die Beach Boys "God Only Knows", einen der besten Songs des Albums. Carl Wilson übernimmt den Lead-Gesang, der Typ mit der Pelzmütze ist sein Cousin Mike Love. Brian Wilson trat zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr live auf.

3. John Cale:
Paris 1919 (1973)

Eine weitere Platte, die ich seit Jahrzehnten besitze und mir immer noch anhören kann. Was vielleicht daran liegt, dass "Paris 1919" ein sehr zeituntypisches Werk ist. Auf dem Cover sieht man John Cale in einem altmodischen, weißen Dreiteiler am Fenster sitzen, das Foto wirkt leicht vergilbt. Die Schrift scheint irgendein Jugendstil-Font zu sein.

Die Songs passen dazu. Es sind Erinnerungen an die Kindheit ("Child’s Christmas in Wales") und ferne Orte ("Andalucia", "Half past France" und "Paris 1919" selbst), verträumt und sehnsuchtsvoll. Was die Musik vor dem Abgleiten in den Kitsch bewahrt, ist zum einen Cales heisere Stimme, zum anderen aber auch die Texte, die alle einen leicht surrealen Touch aufweisen: "As the crowds begin complaining / How the Beaujolais is raining / Down on darkened meetings on the Champs Elysée" (aus "Paris 1919"). Der "Rolling Stone" schrieb damals, die Platte verzerre "die gesamte europäische Hochkultur durch eine dadaistisch-surrealistische Perspektive".

Hinzu kommen die Arrangements, abwechslungsreich zwischen Hardrock und Klassik hin und her wechselnd. Mit beidem kannte sich Cale aus. Er hatte mit einem Leonard-Bernstein-Stipendium die Berkshire School of Music in der Nähe von Boston besucht, später gehörte er zur Ur-Besetzung von Velvet Underground. John Cale war Mitte der 70er Jahre, zu einer Zeit also, als die Popmusik einen fürchterlichen Durchhänger hatte, einer der wenigen Künstler, die Platte auf Platte gute Qualität ablieferten (zusammen mit David Bowie und, mit Einschränkungen, Lou Reed). "Paris 1919" ist sein Meisterstück.

Das Video zeigt Cale mit "Paris 1919" bei einem Konzert im Paradiso in Amsterdam, vermutlich in den 90er Jahren:

4. The Go-Betweens:
Liberty Belle and the Black Diamond Express (1986)

Nachdem ich meine Top 10 zusammen hatte, habe ich die Titel etwa eine halbe Stunde lang hin und her geschoben, bis mir die Reihenfolge richtig schien. Als ich dann sah, dass The Go-Betweens auf Platz 4 gelandet waren, begann ich zu zweifeln: Gehören die da wirklich hin? Sooo oft habe ich die Platte nun auch wieder nicht gehört.

Aber doch, die Go-Betweens gehören dahin. Sie waren eine der besten Gitarrenpop-Bands der 80er, wurden allerdings Zeit ihres Bestehens chronisch unterschätzt. Ihre Songs bohrten sich nahezu unmerklich ins Unterbewusstsein, so lange, bis sie die Herrschaft übernommen hatten und man, ohne es selbst zu bemerken, auf der Straße wie ein Idiot die Basslinie von "The Wrong Road" vor sich hin summte. Doch doch, die Platzierung passt.

Hier ist das Video zu "Spring Rain", dem ersten Stück auf der Platte, das erfolgreich als Single veröffentlicht wurde:

5. A Tribe Called Quest:
Midnight Marauders (1993)

Von Ende der 80er bis Mitte der 90er Jahre habe ich viel Hiphop gehört, vor allem Jungle Brothers, Boogie Down Productions, Gang Starr, Cypress Hill und De La Soul. Am unterhaltsamsten und abwechslungsreichsten fand ich jedoch A Tribe Called Quest. Schon auf ihrem ersten Album, "People’s Instinctive Travels and the Paths of Rhythm", hatten sie mit "Can I kick it?" einen der besten und witzigsten Hiphop-Tracks aller Zeiten vorgelegt. Ihr Meisterwerk war jedoch das dritte Album "Midnight Marauders", ein perfekter, schwarzer Rhythmusteppich, in den sie Dutzende kleiner Melodien verwoben hatten. Eine weibliche Stimme führt durch CD und gibt den einzelnen Songs einen Zusammenhalt. Ein tolles Album.

Nur zu einem Song aus "Midnight Marauders" wurde ein Video gedreht, nämlich zu "Oh My God". Hier ist es:

6. Jefferson Airplane:
Surrealistic Pillow (1967)

"Surrealistic Pillow" war die zweite Platte von Jefferson Airplane und die erste mit Sängerin Grace Slick. Sie brachte von ihrer vorherigen Gruppe The Great Society die beiden größten Hits der Platte mit, "Somebody to love" und "White Rabbit". Wichtiger war jedoch, dass sie einer Gruppe von eher laschen Hippies mehr Aggressivität injizierte. Slick sorgte immer wieder für Skandale – einmal wollte sie Ronald Reagan bei einem Besuch in ihrem früheren College LSD in sein Wasser kippen, scheiterte jedoch an der Security. Solche Sachen eben, albern und letztlich harmlos. Trotzdem, sie provozierte und war sarkastisch. Gleichzeitig sah sie sehr gut aus, und sie wurde das Sexsymbol der amerikanischen Hippie-Bewegung.

Auf "Surrealistic Pillow" stoßen diese beiden Welten erstmals aufeinander, die Aggressivität von Grace Slick und die ruhigen, melodischen Songs der Ur-Besetzung der Gruppe. Jefferson Airplane wussten zu dieser Zeit offensichtlich noch nicht so recht, wie es weitergehen sollte. Auf dem Cover sind die Bandmitglieder mit akustischen Instrumenten und dem Gesichtsausdruck von ernsthaften Musikern zu sehen, die Gruppe wirkt wie eine Folkband. Die Platte jedoch bietet überwiegend elektrisch verstärkte Musik, aufgepusht mit bombastischen Halleffekten.

Ich mag das Album, eben weil es aufgrund dieser Gegensätze eine gewisse Spannung ausstrahlt. Auf der einen Seite Grace Slick, die die Refrains ihrer Songs intoniert wie die Parolen einer Anti-Kriegs-Demo, auf der anderen Seite die ruhigen, schönen Balladen wie "Today" oder "How do you feel". Eine Platte aus einer Zeit, als Hippies noch einen Ruf zu verlieren hatten.

Jefferson Airplane waren 1967 einer der Haupt-Acts auf dem Monterey Pop Festival, das zum großen Love & Peace-Happening der Hippies wurde. Dort entstand auch die folgende Aufnahme von "Somebody to Love".

7. The Fall:
This Nation’s Saving Grace (1985)

The Fall war, ist und wird immer sein Mark E. Smith, der Sänger und Songschreiber der Gruppe. Alle anderen Positionen haben mehrfach gewechselt, bloß Smith ist immer geblieben. Mitte der 70er Jahre gründete er The Fall in Manchester als reine Punk-Band. In den 80er Jahren entwickelte die Gruppe eine Art gitarrenlastigen Garagen-Punk in der Tradition von Spät-60er-Jahre-Gruppen wie The Seeds oder The 13th Floor Elevators. Aber auch Einflüsse von Velvet Underground und den deutschen Avantgarde-Elektronikern von Can sind spürbar.

Mitte der 80er Jahre war Mark E. Smith auf dem Höhepunkt seines musikalischen Könnens. Alben wie "The Wonderful and Frightening World of the Fall" und eben "This Nation’s Saving Grace" wechselten von Song zu Song den Charakter und die Stimmung, waren abwechslungsreich, witzig, ironisch und intelligent. Dazu beigetragen hat vielleicht auch, dass Mark E. Smith zu dieser Zeit verheiratet war mit der amerikanischen Sängerin und Gitarristin Laura Elisse Salenger, die sich in der Folge Brix Smith nannte und bei The Fall die Gitarre übernahm. Mit ihr kam eine popartige Leichtigkeit in die Songs, was der Gruppe sehr gut tat.

Trotzdem hatte The Fall nie großen kommerziellen Erfolg. Bis heute gilt die Gruppe als Insider-Tipp von Musikern und Journalisten, für das breite Publikum lagen die oftmals schrägen Akkorde und der wie durch ein Megaphon verzerrte Sprechgesang von Mark E. Smith zu sehr neben dem Mainstream. Auf der anderen Seite konnte die Gruppe dadurch eine verschworene Fangemeinde aufbauen, was sich zum Beispiel in einer so unglaublich detailverliebten Website wie The Fall Online (www.visi.com/fall) ausdrückt. Übrigens: Das dort in der Gigography abgebildete Ticket vom 6. Februar 1987 stammt von mir.

Nahezu jedes Konzert von The Fall wird von ihren Fans heimlich mitgeschnitten, von vielen Auftritten existieren auch Videos. Und nahezu alle zeichnen sich durch eine schauderhafte Bild- und Tonqualität aus. So auch das folgende. The Fall spielen hier "I am Damo Suzuki", natürlich aus "This Nation’s Saving Grace". Kenji "Damo" Suzuki, das muss man wohl erklären, war einige Zeit Sänger der deutschen Band Can und genießt heute Kultstatus:

8. Roxy Music:
Roxy Music (1972)

Nachdem die Popmusik in den späten 60er Jahren förmlich explodiert war, herrschte in den 70ern zunächst Flaute. Die alten Bands hatten sich entweder aufgelöst (wie die Beatles), verloren an Qualität (Rolling Stones, Who, Kinks etc.), flüchteten sich in die Gigantomanie (Pink Floyd, Genesis, aber auch Gitarrenbands wie Led Zeppelin) oder begannen mit Klassik-Experimenten (Emerson, Lake & Palmer, Deep Purple). Der nächsten Generation von Jugendlichen blieb nur simpler Mainstream-Pop à la The Monkeys, The Sweet oder Bay City Rollers. Eine neue, coole 70er-Jahre-Musik fehlte.

Doch dann entwickelten in England David Bowie auf der einen und Roxy Music auf der anderen Seite ein völlig neues Pop-Universum. Es war im Grunde eine Gegenbewegung gegen die alten Rocker mit ihren phallischen Gitarrenhälsen, den verdreckten Jeans-Klamotten und T-Shirts. Aber auch mit der neu aufkommenden Folk- und Songwriter-Bewegung und ihrer Beschwörung des einfachen, natürlichen Lebens auf dem Lande wollte sie nichts zu tun haben. Gefragt waren stattdessen schummrige Diskotheken, sorgfältig geschminkte Gesichter, Klamotten mit Kunstpelzbesatz und Glitzereffekten, hochhackige Schuhe und gegelte Frisuren. Die Protagonisten dieser Szene nahmen offen Anleihen bei der Schwulen- und Transvestiten-Bewegung, David Bowie, der sich öffentlich zu seiner Bisexualität bekannte, wurde ihr Superstar.

Die Musik auf der ersten LP von Roxy Music passt perfekt dazu. Am Anfang hört man die Geräusche einer Party, Small Talk und Gläserklirren, es folgen einige Klavierakkorde, dann beginnt ein Beat, trocken wie ein Martini. Bryan Ferrys pathetischer und zugleich leicht affektierter Gesang setzt ein, dazu kommen wildes Gitarren-Geschrammel, Andy Mackays Saxophon und die Synthesizer von Brian Eno. In den weiteren Stücken erzeugen die sphärischen Synthesizer-Klänge und die Oboe (!) von Andy Mackay eine seltsam abgehobene, leicht entrückte Stimmung, bevor die Songs von dem nüchternen Schlagzeug und dem Gesang wieder auf den Boden zurückgeholt werden.

Roxy Music sahen nicht nur aus wie Paradiesvögel, auch ihre Musik war komplett abgedreht. Die Songs haben kaum eingängige Melodien, es sind eher kleine, plüschige Kunstwerke, denen man in jedem Moment anhört, dass ihre Schöpfer viel Zeit in teuren Nachtclubs und auf ausgeflippten Partys verbracht haben. Stärker noch als Bowie gelang es Roxy Music, mit ihren ersten beiden Platten die Mode und Kultur des England der frühen 70er Jahre in Musik umzusetzen.

Das Video zeigt einen Auftritt der Gruppe im London Art College im Jahr 1972. Sie spielen "Re-Make/Re-Model", den ersten Song der Platte:

9. Phoenix:
Alphabetical (2004)

Entweder Air oder Phoenix, eine der beiden Gruppen musste in diese Liste mit rein. Beides sind französische Bands, die ich in den vergangenen zehn, zwölf Jahren recht häufig gehört habe. Sie spielen leichten, angenehmen Independent-Pop, der sich auch nach mehreren Jahren nicht abnutzt. Letztlich habe ich mich für Phoenix entschieden, Air zu sind mir auf Dauer dann doch etwas zu lieblich und verliebt in ihre altmodischen Synthesizer. "Alphabetical" ist mein Lieblingsalbum von ihnen, wunderschöne Songs für Zeiten, in denen es einem gut geht. Es folgt das Musikvideo zu "Run Run Run", einem der größten Hits der Gruppe:

10. The Flaming Lips:
The Soft Bulletin (1999)

Die Flaming Lips fingen in den frühen 80er Jahren als gitarrenlastige Hardrock-Band an und entwickelten sich bis Mitte der 90er zu einer experimentierfreudigen Indie-Rock-Gruppe mit von Synthesizern geprägtem, orchestriertem Sound und versponnenen Texten. Bestes Beispiel dafür ist die CD "The Soft Bulletin", die mit einem Gongschlag beginnt und anschließend zu einer Art musikalischem Tetris wird. Das Album lässt immer neue, bunte Melodien, Tempi und Instrumente auf den Hörer herabregnen, in einer Vielfalt, die sich schon bald nicht mehr ordnen lässt. Der englische New Musical Express erklärte es 1999 zum "Album of the Year", für mich ist es eine der besten CDs der 90er Jahre. Hier das Video zu "Race for the Prize", das genauso rätselhaft ausfällt wie die Texte der Gruppe.

Bearbeitet: Donnerstag 25 Januar 2018 18:12

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