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Einige Anmerkungen zur aktuellen Urheberrecht-Debatte

Geschrieben am Montag 02 April 2012 um 11:04 von Roland Freist
- Zunächst einmal muss man konstatieren, dass die derzeitige Debatte um das Urheberrecht auf einem sehr niedrigen Niveau geführt wird. Urheberrecht und Nutzungsrecht werden genauso in einen Topf geworfen wie journalistische Texte, Literatur, Software, Musik, Film und Fernsehen und die jeweiligen Verwertungsmodelle. Zu allem Überfluss wird dann gerne auch noch das Leistungsschutzrecht in den Brei hineingerührt. Für eine gesellschaftliche Diskussion, die die aktuelle Situation analysieren und nach Antworten suchen soll, wie mit dem Urheberrecht im Zeitalter des Internet weiter verfahren werden soll und ob es überhaupt einer Änderung bedarf, ist das nicht hilfreich.

- Beigetragen zu dieser Situation haben sicherlich der spontane und emotionale Ausbruch von Sven Regener bei seinem Radiointerview und der offensichtlich sehr hastig verfasste Brief der Tatort-Autoren. Sven Regeners Ärger kann ich gut verstehen. Ich vermute, dass er wie viele andere Musiker auch in den vergangenen Jahren sinkende Einnahmen hinnehmen musste. Das hat niemand gern. Bei den Tatort-Autoren ist ein wenig unklar, was die Motivation hinter ihrem offenen Brief war. Doch egal: Durch den hohen Bekanntheitsgrad von Regener (den allerdings wohl nur wenige Menschen als Mitglied von "Element of Crime" kennen, sondern vor allem als Autor von "Herr Lehmann") und "Tatort" erreichte die Debatte dankenswerterweise auch eine größere Öffentlichkeit.

- Eine der bekanntesten Entgegnungen auf Sven Regeners Wutausbruch stammt von Fritz Effenberger, Vorsitzender des Bezirksverbands Schwaben der Piratenpartei, der in seinem privaten Blog "11k2" einen Beitrag mit dem Titel "Sven Regener, du erzählst Unsinn, und ich erklär dir, warum" veröffentlichte. Dort bezeichnet er das Internet als "so eine Art Radio- oder Fernsehsender" und gibt Regener den Tipp, seine Musik doch einfach auf Youtube zu stellen und die Werbeeinnahmen zu kassieren. Außerdem könne er noch mehr Geld machen, wenn er seine Werke direkt über Amazon vertreibe. Ganz abgesehen von der Frage, ob Künstler es tatsächlich erstrebenswert finden, dass ihre Videos von Youtube mit Werbeeinblendungen versehen werden, hat Effenberger offensichtlich auch unrealistische Vorstellungen davon, was man als Urheber ohne die Unterstützung einer erfahrenen Marketing- und Vertriebsorganisation mit Youtube-Videos verdienen kann. Trotzdem ist er von seinem Blog-Beitrag und den Reaktionen darauf so begeistert, dass er ihn als "sowas wie die inoffizielle Antwort des Internets auf Sven Regeners Kotztirade" bezeichnet.

- Besser durchdacht ist die Antwort des Chaos Computer Clubs auf den Brief der Tatort-Autoren. Doch drückt der Text des CCC über weite Strecken vor allem die von mir geteilte Ratlosigkeit aus, warum ausgerechnet diese Gruppe sich in der Debatte zu Wort meldet.

- Dass an den sinkenden Einnahmen der Musiker Google, Youtube und die Kostenlos-Kultur des Internet Schuld sind, ist lediglich eine Vermutung, schlüssig beweisen lässt sich diese Hypothese nicht. Das wird untermauert durch die Beobachtung, dass viele Menschen, die in den 70er Jahren aufgewachsen sind, ihre Art der Musikbeschaffung bis heute beibehalten haben. Lediglich die Medien haben sich geändert. Anstatt wie früher Schallplatten auf Musikkassetten aufzunehmen, kopieren sie heute Audio-CDs auf Rohlinge und haben es damit im Laufe der Jahre auf Sammlungen von mehreren Hundert oder sogar Tausend Titeln gebracht. Die CDs kommen genau wie früher die Vinylscheiben über Tauschringe im Freundeskreis oder Büro ins Haus – einer kauft die CD, alle anderen kopieren sie – oder sie stammen aus den mittlerweile oft gut ausgestatteten Medienarchiven der Stadtbibliotheken. Von Musik-Downloads übers Internet hat diese Generation zwar schon gehört, aufgrund mangelnder Vertrautheit mit dem Medium werden seine Möglichkeiten jedoch nicht ausgenutzt.

Der Wunsch nach kostenloser Musik hat sich in den vergangenen 40 Jahren kaum verändert. Es ist sehr fraglich, ob ohne Napster und seine Nachfahren heute mehr Musik verkauft würde. Meine Vermutung ist, dass seit den 70ern einfach das Warenangebot für Jugendliche zugenommen hat und viel Geld draufgeht für DVDs, Computerspiele, Klingeltöne, Apps etc. – alles Dinge, die es früher nicht gab. Das beschränkt das Budget für Musik.

- Die Piratenpartei erklärt in ihrem Programm, dass sich das Kopieren von digitalen Werken ohnehin nicht sinnvoll einschränken lasse. Daher solle die nichtkommerzielle Kopie nicht nur erlaubt, sondern sogar gefördert werden. Wie eine solche Förderung aussehen könnte, dazu schweigt sich das Programm aus.

Mit der geforderten Erlaubnis hingegen wäre das alte Recht auf Privatkopien wieder da. Das hätte zumindest den Vorteil, dass die immer fragwürdigere Abmahnpraxis der Musikindustrie ein Ende hätte.

- Häufig wird in dieser Debatte das Urheber- mit dem Nutzungsrecht verwechselt. Das Urheberrecht ist nicht übertragbar, das Nutzungsrecht kann an andere Personen oder Organisationen weitergegeben werden. Als etwa Michael Jackson 1985 für 47,5 Millionen Dollar einen prozentualen Anteil der "Rechte" an 251 Beatles-Songs kaufte, war damit das Nutzungsrecht gemeint. Aus den Beatles- wurden durch den Kauf keine Songs von Michael Jackson. Doch er kassierte von nun an Tantiemen, wenn ein Beatles-Song im Radio gespielt wurde (und auch, wenn Paul McCartney ein Stück seiner alten Gruppe bei einem Konzert sang).

Freie Autoren müssen heute normalerweise die Nutzungsrechte an ihren Drehbüchern, Artikeln etc. vertraglich an die Produktionsgesellschaft oder den Verlag übertragen. Wenn nicht, gibt’s auch keinen Auftrag. Die Auftraggeber nutzen dabei aus, dass sie bei den Vertragsverhandlungen am längeren Hebel sitzen. Dies sind keine Verträge, die zwischen gleichstarken Partnern geschlossen würden. Anstatt das Urheberrecht aufzuweichen, wäre es erforderlich, dass der Gesetzgeber die Position der Urheber bei der Wahrung ihrer Nutzungsrechte stärkt.

- Nachtrag: Nachdem ich diesen Beitrag online gestellt hatte, wurde ich auf einen weiteren Artikel zum Thema hingewiesen. "Shitstorm over Regener" von Markus Liske ist meiner Ansicht nach das Beste, was bisher im Rahmen dieser Debatte geschrieben wurde.

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