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Archiv der Kategorie Kino

Filmkritik: "Alita: Battle Angel"

Geschrieben am Dienstag 26 Februar 2019 um 23:19 von Roland Freist

Die Kampfmaschine

Wie sieht die Zukunft der Menschheit aus? Die Comic-Verfilmung "Alita" zeichnet ein düsteres Bild. 300 Jahre nach dem "Großen Krieg" zwischen Erde und Mars, im Jahr 2563, ist nur noch eine Stadt übriggeblieben. Iron City ist ein überfüllter Schmelztiegel der Kulturen und Sprachen, alle Überlebenden des Krieges haben sich hierher geflüchtet. Über der Stadt schwebt die letzte der vormals zwölf reichen Himmelsstädte, Zalem, eine große, am Boden verankerte Scheibe, auf der angeblich paradiesische Zustände herrschen. Wer jetzt sagt, das habe ich schon mal gesehen, hat völlig recht: Die Ausgangskonstellation erinnert stark an Filme wie etwa "Elysium".

In Iron City lebt der Wissenschaftler Dr. Dyson Ido (Christoph Waltz), der sein Geld mit der Reparatur defekter Cyborgs verdient. Er findet eines Tages auf dem Schrottplatz die Überreste eines älteren Modells, das Gehirn ist noch intakt. Ido nimmt den Körper mit nach Hause, vervollständigt ihn, weckt ihn wieder auf, und voilà, da ist Alita (Rosa Salazar) ein Teenager mit einer, wie sich herausstellt, etwas überdimensionierten Energiequelle als Herz (es würde ausreichen, um Iron City mehrere Jahre lang mit Strom zu versorgen, erklärt Dr. Ido), aber leider ohne Erinnerung daran, wer oder was sie zuvor war. Wie nicht anders zu erwarten, kommt die Erinnerung jedoch in kleinen Portionen wieder zurück (auch dieses Motiv kennen wir bereits, siehe etwa "Tödliche Weihnachten" mit Geena Davis) und es stellt sich heraus, dass es sich bei Alita um eine Kampfmaschine handelt, geschaffen, um keinem Konflikt aus dem Weg zu gehen.

Es folgen einer Reihe weiterer Elemente, die allesamt schon mal auf der Leinwand zu sehen waren: Ein rasantes Ballspiel namens Motorball, das verflucht an den SF-Klassiker "Rollerball" erinnert, Kopfgeldjäger, die die Rolle der Polizei übernommen haben, und ein Gangster, der in einer chaotischen Welt die Fäden in der Hand hält. Nichts davon ist neu. Das ist auch legitim, ein Regisseur muss nicht immer alles wieder neu erfinden. Doch wenn ein Film auf bekannte Versatzstücke zurückgreift, interessiert man sich vor allem dafür, was er daraus macht und wie er sie zusammenfügt. Und an dieser Stelle zeigt "Alita" beachtliche Qualitäten.

Das Drehbuch stammt von James Cameron und Laeta Kalogridis ("Shutter Island"), Cameron wollte ursprünglich auch die Regie übernehmen, sagte dann jedoch zugunsten seiner diversen Avatar-Projekte ab, und Robert Rodriguez ("Desperado") übernahm. "Alita" ist dennoch kein typischer Rodriguez-Film geworden, lediglich bei den Kämpfen der Cyborgs fühlt man sich teilweise an die Gewaltdarstellung seiner sonstigen Arbeiten erinnert.

Technisch ist der Film absolut perfekt. Er basiert auf dem Manga-Comic "Battle Angel Alita" von Yukito Kishiro. Um die Atmosphäre der Comics einzufangen, hat man der Hauptdarstellerin die typischen übergroßen Augen und die immer leicht unnatürlich wirkenden, tiefschwarzen Haare verliehen. Beeindruckend ist die Darstellung der Cyborgs, Roboter ohne Außenhaut, auf deren Stahlskulpturen menschliche Gesichter sitzen. Hinzu kommt das aufwendig inszenierte Gewusel auf den Straßen von Iron City. Bei der Produktion von "Alita" wurde nicht gespart, was sich James "Mir egal, was das kostet" Cameron wohl auch verbeten hätte. Davon zeugt auch die hochkarätige Besetzung, neben Christoph Waltz spielen auch die Oscar-Gewinner Mahershala Ali als Gangster und Jennifer Connelly als Idos Ex-Frau mit.

Wichtiger ist jedoch die Hauptdarstellerin. Rosa Salazar, bekannt geworden durch die Maze-Filme, gelingt es, ihrem Cyborg mit dem stählernen Herzen so viele menschliche Züge zu verleihen, dass man bereits wenige Minuten nach ihrer Auferstehung mit ihr mitfiebert und mitleidet. Eine bemerkenswerte Leistung wenn man bedenkt, dass große Teile ihres Körpers und vor allem des Gesichts per Computer verändert und animiert wurden.

"Alita" ist klassische, gut gemachte Mainstream-Science-Fiction. Sucht man nach einer tiefergehenden Bedeutung, so sind vor allem die Cyborgs interessant. Es wird nie geklärt, wo der Mensch aufhört und der Cyborg beginnt beziehungsweise, ob diese Wesen mit den Metallkörpern und den austauschbaren Gliedern ein menschliches oder ein Computer-Hirn besitzen. Die Grenzen zwischen Mensch und Maschine sind fließend, eine eindeutige Unterscheidung gibt es nicht mehr. Alita verliebt sich in den Schrottsammler Hugo (Keean Johnson) und zeigt dabei sehr menschliche Gefühle. Dennoch fragt sie zur Sicherheit noch einmal bei Christoph Waltz nach: Können Cyborgs und Menschen überhaupt eine Beziehung führen?

"Alita" wurde von den meisten Kritikern als eher mittelmäßig eingestuft, viele vermissten den Charme der Comic-Vorlage oder bemängelten das unbefriedigende Ende. Doch es ist ein guter Film, hochprofessionell gemacht und vielleicht einer der am meisten unterschätzten SF-Streifen der letzten Jahre.

"Alita: Battle Angel" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Freitag 01 März 2019 10:53

Filmkritik: "Green Book – Eine besondere Freundschaft"

Geschrieben am Sonntag 03 Februar 2019 um 18:28 von Roland Freist

Miss Daisy fährt ihren Chauffeur

Das hätte ein richtig guter Film werden können. "Green Book" hat vieles, was großes Hollywood-Kino ausmacht: ein gutes Thema (der Rassismus in den 60er Jahren), hervorragende Darsteller und ein stimmiges Design. Doch leider zeigen sich vor allem zum Ende hin einige Schwächen, die den gesamten Eindruck nachträglich beschädigen.

Die Geschichte wird erzählt aus der Perspektive von Tony Vallelonga (Viggo Mortensen), seinen Freunden besser bekannt als Tony Lip. Er arbeitet in New York als Türsteher und Rausschmeißer. Als sein Club wegen Renovierungsarbeiten für zwei Monate schließen muss, heuert er, ohne ihn zuvor zu kennen, bei dem klassischen Pianisten Dr. Don Shirley (Mahershala Ali) an, der gerade eine Tournee durch die amerikanischen Südstaaten beginnen will. Tony soll ihn im Auftrag der Plattenfirma von einem Tourneeort zum nächsten bringen und vor allem darauf achten, dass er immer pünktlich ankommt, egal mit welchen Mitteln. Dabei gibt es nur ein Problem: Shirley ist schwarz, Schwierigkeiten mit der Bevölkerung und der Polizei in den vom Rassismus geprägten Südstaaten der 60er Jahre sind damit nahezu unvermeidlich. Und auch in der italienischen Community in New York, aus der Tony kommt, werden Schwarze gewohnheitsmäßig diskriminiert und beleidigt.

Über weite Strecken des Films freut sich Regisseur Peter Farrelly ("Verrückt nach Mary") einfach nur über das Bild, das er hier zeigen kann: Ein weißer Chauffeur fährt einen schwarzen und offensichtlich wohlhabenden Fahrgast durch die Lande. Gleichzeitig lässt Farrelly genüsslich die beiden unterschiedlichen Welten der beiden aufeinanderprallen. Tony Vallelonga ist ungebildet, hat einen derben Humor und ist es gewohnt, Konflikte auch mal mit ein paar Faustschlägen zu lösen. Shirley hingegen versteht es sich auszudrücken (er formuliert später sogar die Briefe von Tony an seine daheim gebliebene Frau), er hat studiert und achtet auf korrektes Benehmen. "Green Book" folgt über weite Strecken einem sehr bekannten Muster: Zwei unterschiedliche Charaktere, die anfangs nur Verachtung füreinander empfinden, beginnen sich mit der Zeit immer besser zu verstehen, bis sie schließlich zu Freunden werden. Und je mehr sie zu Freunden werden, desto mehr erkennt Tony – dem abwertende Bemerkungen über Schwarze absolut nicht fremd sind – die brutale Ungerechtigkeit gegenüber der dunkelhäutigen Bevölkerung. Shelby hingegen erstickt beinahe an seinen eigenen Widersprüchen: Obwohl er selbst schwarz ist, hat er keine Ahnung vom wahren Leben der meisten Schwarzen in den USA. Das sind die interessanten Aspekte dieser Geschichte.

Doch leider ergeht sich der Film auch in zahlreichen Klischees: Alle weißen Südstaatler sind nach außen hin freundlich und liberal, tatsächlich jedoch ängstlich bemüht, die rassistischen Erwartungen ihrer Heimat zu erfüllen. So darf Shirley zwar in einem noblen Restaurant auftreten und spielen, dort als Schwarzer jedoch nicht essen. Er darf nicht die normale Toilette benutzen, sondern muss auf ein baufälliges Plumpsklo hinter dem Haus ausweichen. Die üblichen Hotels sind ihm verwehrt, er muss stattdessen in heruntergekommenen Bruchbuden übernachten. Bei der Suche nach diesen Unterkünften hilft Shirley und Tony das Green Book, ein Verzeichnis mit Adressen von zumeist heruntergekommenen Hotels und Restaurants, die sich auf schwarze Gäste konzentrieren.

Und es hört nicht auf mit den Klischees: Die Italiener aus Tonys umfangreicher Familie essen gern und viel, und natürlich haben sie Kontakte zu den örtlichen Mafiosi. Die Schwarzen im Süden treffen sich in schummrigen Musikkneipen und tanzen zu Musik von herausragend guten Musikern, wie man sie offenbar in jedem schwarzen Musikclub antrifft. Und als wäre das alles noch nicht genug, kommen die beiden ausgerechnet an Heiligabend wieder nach New York zurück, wo es so stark schneit, dass sie beinahe steckenbleiben und es gerade noch so zum Weihnachtsessen schaffen. Das ist dann nur noch Kitsch. Es gibt einige wenige Momente, in denen Regisseur Farrelly die Vorurteile und Klischees selbst ein wenig aufs Korn nimmt, etwa wenn Tony seinem Fahrgast Hähnchenstücke von Kentucky Fried Chicken anbietet ("Euereins liebt doch Fried Chicken."). Doch selbst diese Szenen wirken allesamt wie schon tausendmal gesehen.

Was den Film über weite Strecken rettet, sind die beiden Hauptdarsteller. Viggo Mortensen ist hier nicht mehr der schöne, schlanke Aragorn, Arathons Sohn, mit den romantischen langen Haaren. Er hat sich für diese Rolle mehrere Kilo angefressen und in erster Linie in einen kräftigen Wanst gesteckt, der zu einem bulligen Schläger wie Tony ausgezeichnet passt. Mahershala Ali hingegen bekam sogar eine Oscar-Nominierung für seine Darstellung des distinguierten Klavierspielers, in dessen Innerem heftige Gefühle von Wut, Angst und Einsamkeit um die Vorherrschaft kämpfen. Mir hat der Tony von Viggo Mortensen besser gefallen, aber ich kann die Entscheidung der Academy nachvollziehen.

Peter Farrelly hat früher zusammen mit seinem Bruder Komödien gedreht, die mal mehr und mal weniger lustig waren. Man spürt diese Vergangenheit noch bei einigen gelungen eingesetzten Gags. Doch das verstärkt nur noch das Gefühl der Irritation, das bei "Green Book" vor allem zum Ende hin immer stärker aufkommt. Sollte das jetzt ein Wohlfühlfilm für die ganze Familie sein oder doch eher eine Anklage gegen Rassismus?

"Green Book" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Sonntag 03 Februar 2019 18:54

Filmkritik: "Sicario 2"

Geschrieben am Dienstag 24 Juli 2018 um 22:13 von Roland Freist

Menschen statt Kokain

Der erste "Sicario"-Film des kanadischen Regisseurs Denis Villeneuve war brillant, wie übrigens alle seine Filme aus den letzten Jahren. Eine junge FBI-Agentin, gespielt von Emily Blunt, kommt zu einer geheimen Kommandoeinheit, die an der mexikanischen Grenze Jagd auf Drogenbarone machen soll. Staunend und mit immer größerem Entsetzen erkennt sie, dass sie bei einem Killerkommando gelandet ist, das sich um Gesetze und Moral schon lange nicht mehr schert.

"Sicario 2" konnte nach diesem furiosen Auftakt fast nur schlechter werden, zumal Villeneuve den Regiestuhl aus Zeitgründen an den Italiener Stefano Sollima abgeben musste. Doch die Fallhöhe ist nur sehr gering, man kann sich den Film durchaus ansehen.

Eins fällt jedoch sofort auf, und das ist dann auch gleich der größte Mangel des Streifens: Anstatt die Geschichte aus dem Blickwinkel einer Außenstehenden zu erzählen, so dass der wahre Charakter der Einsätze erst nach und nach offenbart wird, macht "Sicario 2" von vornherein kein Geheimnis daraus, um was er hier geht, nämlich um einen brutalen Krieg gegen die Drogenkartelle. Sie haben allerdings mittlerweile auf Menschenschmuggel umgesattelt, was angeblich lukrativer ist. Matt Graver (Josh Brolin) wird vom Verteidigungsminister (Matthew Modine) beauftragt, die Tochter eines Drogenbarons zu entführen und es wie die Tat eines Konkurrenten aussehen zu lassen. Auf diese Weise soll ein Krieg zwischen den Kartellen provoziert werden, was, so hoffen es zumindest das Verteidigungsministerium und die Terrorabwehr, die Kräfte der Kriminellen schwächt und die USA im Grenzgebiet wieder die Überhand gewinnen lässt.

Graver holt wieder seinen alten Kumpel Alejandro (Benicio del Toro) mit an Bord, und zusammen bekommen sie auch die Tochter des Drogenkartellbosses Carlos Reyes zu fassen. Wie nicht anders zu erwarten, geht danach jedoch etwas schief, und die Dinge nehmen eine düstere und äußerst blutige Wendung.

"Sicario 2" ist wesentlich zynischer und illusionsloser als der erste Teil, was in erster Linie daran liegt, dass die Hauptperson nicht mehr eine junge, idealistische Agentin ist. Stattdessen sind die Protagonisten Graver und Alejandro nur noch zwei alte Soldaten, wobei nur noch bei Alejandro ansatzweise erkennbar ist, warum er sich diesem Krieg angeschlossen hat – schon aus dem ersten Film wissen wir, dass die Kartelle seine Familie ermordet haben. Auch die Gewaltdarstellungen haben die artifizielle Spannung des ersten Teils verloren, stattdessen zeigt Regisseur Sollima harte, brutale Feuergefechte und Hinrichtungen. Am Schluss bleiben etliche Fragen offen, Handlungsfäden flattern lose herum. Es soll wohl einen dritten Teil geben, dem ich zwar nicht gerade freudig entgegensehe, den ich mir aber dennoch ansehen werde.

"Sicario 2" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Sonntag 03 Februar 2019 18:29

Filmkritik: "Solo: A Star Wars Story"

Geschrieben am Montag 28 Mai 2018 um 17:04 von Roland Freist

Missglücktes Solo

Mit "Solo" startet Disney eine neue Storyline innerhalb des "Star Wars"-Universums. Unschwer zu erraten, dass es um Han Solo geht, den von Harrison Ford einst so wunderbar verkörperten Schmuggler, und seine Vorgeschichte, bevor er, wir erinnern uns, von Obi-Wan Kenobi auf Tatooine engagiert wurde. Diese Geschichte könnte man durchaus interessant machen, mit Schmuggler-Abenteuern, wilden Ritten durch die Galaxis und der Allgegenwart des bösen Imperiums. Doch leider trifft der Film praktisch von Anfang bis Ende zahlreiche falsche Entscheidungen, die ihn, alles zusammengenommen, zum bislang schlechtesten "Star Wars"-Streifen aller Zeiten machen.

Es beginnt bereits mit dem Hauptdarsteller, dem 1989 geborenen Alden Ehrenreich. Auch Harrison Ford war nie ein großer Schauspieler, hatte aber Ausstrahlung. Ehrenreich hat nicht einmal das. Er beherrscht etwa zweieinhalb verschiedene Gesichtsausdrücke und sieht über weite Strecken des Films so aus, als verstünde er nur ansatzweise, was um ihn herum gerade vorgeht. Gerade zum Ende hin wirkt er mehr wie Indiana Jones als wie Han Solo, was seine hölzerne Performance aber auch nicht besser macht.

Für eine weitere schlechte Entscheidung im Zusammenhang mit Ehrenreich trägt das Synchronstudio die Verantwortung. Die Firma hat dem jungen Han Solo die Stimme von Harrison Ford gegeben, der in Deutschland von dem heute 73-jährigen Wolfgang Pampel gesprochen wird. Auch wenn Herr Pampel ein ausgezeichneter Sprecher ist, hört man seiner Stimme das Alter doch deutlich an. In Zusammenhang mit einer Figur, die im Film vielleicht Anfang/Mitte 20 ist, wirkt das äußerst befremdlich.

Die dritte falsche Entscheidung war, die romantische Konstellation von Schmuggler, Wookie und Schiff (natürlich ist der Millennium Falke Teil der Story), die sich mit kleinen Gaunereien ihren Lebensunterhalt verdienen, aufzugeben und stattdessen eine Art Überfall auf einen Geldtransporter mit verwirrend vielen Beteiligten zu inszenieren.

Unverständlich ist auch, wieso man den Höhepunkt des Films, eine Verfolgungsjagd durch einen Mahlstrom, nicht ganz an den Schluss setzte, sondern die Handlung danach noch einmal etwa 20 Minuten lang vor sich hin plätschern lässt. Die Spannung ist raus, man hätte sich noch eine schöne Abschlussszene gewünscht, stattdessen quält sich das Drehbuch noch bis zu einem Ende, das die Möglichkeit für ein Sequel offenlässt.

Aber die vielleicht schlimmste Entscheidung der Macher von "Solo" war, das vertraute und geliebte "Star Wars"-Universum nahezu komplett aufzugeben. Der Film spielt zu etwa 80 bis 90 Prozent der Zeit am Boden, das Weltall ist nur selten zu sehen, und wenn, dann hat man nicht das Gefühl, dass man sich in einem Raumschiff befindet. Überhaupt dauert es mehr als eine Stunde, bis die Kamera zum ersten Mal an Bord eines Schiffes abhebt. Wenn ein Film eine "Star Wars Story" verspricht, dann will ich auch Star Wars haben und nicht den großen Eisenbahnraub.

Und damit nicht genug: Drehbuch und Regie verzichten auch weitgehend auf die von den Fans so heiß geliebten Details. Von den Jedi ist in keiner einzigen Szene die Rede, ebenso wenig von der Macht. Nur kurz vor Schluss ist einen Moment lang ein einzelnes Lichtschwert zu sehen. Ein paar Vertreter der imperialen Sturmtruppen stehen verloren in der Gegend herum, spielen jedoch für die Handlung keine Rolle. Auch auf die politischen Verhältnisse selbst, die immer ein wichtiger Teil der "Star Wars"-Filme bildeten, geht der Film nicht weiter ein. Irgendwann bildet sich eine Rebellentruppe, gegen was sie sich jedoch auflehnt, bleibt unklar.

Immerhin ist nicht alles schlecht an diesem Film. Die Special Effects sind sorgfältig ausgeführt, wenn auch nicht spektakulär. Der Kameramann, Bradford Yound ("Arrival"), hat einen guten Job gemacht. Donald Glover lässt sehr überzeugend den öligen Charme von Lando Calrissian wiederauferstehen. Und Emilia Clarke ("Game of Thrones"), die die undankbare Aufgabe hat, die Freundin des jungen Han Solo zu spielen, gelingt eine der eindrucksvolle Frauengestalt.

Disney, das für die Rechte an "Star Wars" mehrere Milliarden Dollar hingegelegt hat, betrachtet die Reihe offensichtlich als Cash Cow, die bis zum letzten Tropfen gemolken werden soll. Aus "Solo" soll eine eigene Filmreihe werden, die in den kommenden Jahren parallel zum Stammprojekt "Star Wars" Geld einspielt. Ob das nach diesem Beginn noch gelingen kann, erscheint fraglich. Aber vielleicht ist diese Erfahrung ganz heilsam und zeigt dem Studio, dass die Serie trotz ihrer weltweiten Beliebtheit und der gigantischen Fanbasis kein Selbstläufer ist.

"Solo: A Star Wars Story" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "I, Tonya"

Geschrieben am Dienstag 03 April 2018 um 20:24 von Roland Freist

Tonya Harding schlägt zurück

Als 1994 am Vorabend der amerikanischen Meisterschaften ein bezahlter Schläger der Eiskunstläuferin Nancy Kerrigan mit einer Eisenstange die Kniescheibe zu zertrümmern versuchte, erregte das weltweit Aufsehen. Schnell fiel der Verdacht auf ihre Konkurrentin Tonya Harding, die von den Medien schnell als "Hexe" bezeichnet wurde. Zum Glück verfehlte der Attentäter die Kniescheibe, so dass Kerrigan lediglich eine Prellung davontrug. Sechs Wochen später konnte sie sogar an den Olympischen Spielen in Lillehammer teilnehmen, wo sie nach einer triumphalen Kür den zweiten Platz hinter der Russin Oksana Bajul erreichte. Harding hingegen wurde Achte und landete damit sogar noch einen Platz hinter Katarina Witt, die im Alter von 28 Jahren noch einmal angetreten war. Kurz darauf wurde sie als eine der Verantwortlichen für den Angriff auf Kerrigan zu einer hohen Geldstrafe, Sozialstunden und lebenslangem Startverbot verurteilt und schlug sich anschließend als Boxkämpferin durch. "I, Tonya" erzählt diese Geschichte aus Sicht von Tonya Harding.

Harding (Margot Robbie, "The Wolf of Wall Street") wächst in Verhältnissen auf, die man in Deutschland als "bildungsfern" bezeichnen würde. Ihre Mutter LaVona, großartig gespielt von Allison Janney, schickt sie bereits als Kind im Alter von drei Jahren aufs Eis. Sie selbst ist starke Raucherin, zynisch und hart gegenüber ihrer Tochter. Tonyas Vater (Jason Davis) jagt sie nach einigen Jahren davon, Mutter und Tochter leben anschließend zusammen in einem heruntergekommenen Haus in der Provinz. Die Umgebung färbt ab auf Tonya, kaum einer ihrer Sätze kommt ohne das Wort "Scheiße" aus, auch sie ist starke Raucherin. Doch sie ist gut, eine kräftige Sportlerin, und als sie älter wird, ist sie die erste Amerikanerin, die den dreifachen Axel springt. Zuvor hat sie ihren ersten Freund kennengelernt, Jeff (Sebastian Stan), der genau wie sie aus prekären Verhältnissen stammt, und sie heiratet ihn. Kurz darauf beginnt er sie zu schlagen. Jeff hat einen Freund, einen kleinen, untersetzten Typen namens Shawn (Paul Walter Hauser), ein Mann von zweifelhafter Intelligenz, der fortan Tonyas Bodyguard wird.

"I, Tonya" zeigt ein Milieu, welches das Zielpublikum dieses Films vermutlich nie kennengelernt hat. Es ist eine Welt voller Dummheit, Grausamkeit und Armut, in der Fluchen die normale Ausdrucksweise ist, in der die meisten Menschen eine Waffe besitzen und nicht nur Kinder regelmäßig geschlagen werden. Tonya sagt an einer Stelle des Films sinngemäß, alle Welt rege sich über den einen Schlag auf, den Nancy Kerrigan abbekommen habe, dabei sei sie selbst jeden einzelnen Tag ihres Lebens verprügelt worden. Überhaupt wendet sie sich des Öfteren an das Publikum, was Regisseur Craig Gillespie lustige Effekte erlaubt: Einmal artet ein Streit zwischen Tonya und ihrem Ehemann so aus, dass sie eine Schrotflinte herauszieht und auf ihn schießt. "Das hab ich nie gemacht", erklärt sie dann mit Blick in den Zuschauerraum und spielt damit offensichtlich auf die Berichterstattung der Medien an. Der Film ist über weite Strecken eine schwarze Komödie. Man amüsiert sich über das bizarre Verhalten seiner Hauptpersonen, wobei allerdings Harding immer außen vor bleibt. Für sie wird eher um Verständnis geworben, was dem Film in den USA den Vorwurf des Whitewashing einbrachte.

Zeitweise war sie tatsächlich die beste Eiskunstläuferin der USA, und Margot Robbie zeigt, wie wichtig diese Bestätigung ihrer Leistung und ihrer Person für Harding ist. Sie hat sich aus der Gosse nach oben gekämpft und ist stolz darauf. Doch ihren Bewegungen fehlt das Anmutige, das die Kunst ihrer behütet aufgewachsenen Konkurrentinnen auszeichnet. Sie ist kräftiger und auch technisch besser, dennoch landet sie in der Platzierung oft hinter ihnen. Einer der Preisrichter spricht es schließlich ganz direkt aus und erklärt Tonya, er wolle nicht, dass Personen wie sie die USA repräsentieren.

Es gibt in "I, Tonya" einige sehr schöne CGI-Aufnahmen von einzelnen Sprüngen, die meisten natürlich von ihrem dreifachen Axel. Es gibt tolle Darstellerleistungen von Margot Robbie und Allison Janney ("Juno", "Mom"), die letztere hat völlig zurecht einen Oscar als beste Nebendarstellerin erhalten. Es gibt einige wirklich lustige Szenen und viel schwarzen Humor. Doch das Beste an diesem Film ist die Geschichte, die er erzählt, von einem Mädchen, das sich nach oben kämpft und letztlich daran scheitert, dass sie die Verhältnisse, aus denen sie kommt, nicht hinter sich lassen kann.

"I, Tonya" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "Molly's Game – Alles auf eine Karte"

Geschrieben am Mittwoch 14 März 2018 um 22:42 von Roland Freist

Poker für Fortgeschrittene

Poker ist ein Spiel, bei dem es gleichermaßen um das Kalkulieren von Risiken und Gewinnchancen geht wie um Psychologie. Es ähnelt damit diesem Film, der einerseits recht nüchtern vom Kriminalfall der "Pokerprinzessin" Molly Bloom erzählt, mindestens genauso sehr aber auch in einer psychologischen Studie ihre Persönlichkeit erforscht.

Der Film basiert auf einer wahren Geschichte. Molly Bloom, gespielt von Jessica Chastain, wuchs als Kind eines gut verdienenden Psychologen (Kevin Costner) auf. In jungen Jahren war sie eine begabte Skiläuferin und stand kurz vor der Teilnahme an den Olympischen Spielen. Doch dann verunglückte sie und konnte ihren Sport nicht mehr ausüben.

Molly wollte eigentlich ein Jura-Studium beginnen. Jetzt jedoch nimmt sie eine Auszeit, zieht nach Los Angeles und jobbt als Kellnerin. In ihrer Bar bekommt sie Kontakt zu einem professionellen Organisator (Jeremy Strong) von Pokerrunden für Hollywood-Schauspieler und andere Leute mit viel Geld – angeblich gehörten damals unter anderem Leonardo DiCaprio, Ben Affleck und Tobey Maguire zu den Spielern. Sie ist schlau und lernt schnell, schon bald macht sie ihre eigene Pokerrunde auf. Der Buy-in beträgt 10.000 Dollar, was für die Teilnehmer jedoch kein Problem ist. Sie selbst lebt allein von den Trinkgeldern, die ihr Woche für Woche einen fünfstelligen Betrag einbringen. Doch nach einigen Jahren gibt es zunehmend Ärger mit einem der Spieler (Michael Cera), der schließlich sie ausbootet. Molly Bloom zieht nach New York und baut ihr Geschäft neu auf, dieses Mal liegt der Buy-in sogar bei 250.000 Dollar. Doch sie wird unvorsichtig, schon bald werden die Pokerrunden von Mitgliedern der italienischen und russischen Mafia besucht, und das FBI beginnt sich für die Treffen zu interessieren. Außerdem nimmt Molly mittlerweile Drogen und zweigt einen kleinen Teil der Einsätze für sich ab. Die Spieler stört das nicht, doch sie macht sich damit strafbar. Als sie schließlich verhaftet wird, nimmt sich nach einigem Zögern der Staranwalt Charlie Jaffey (Idris Elba) ihrer an.

Die Story von "Molly’s Game" ist sehr einfach und nicht sonderlich spannend. Dass trotzdem ein guter, unterhaltsamer Film daraus geworden ist, ist zum einen dem Drehbuch und den Dialogen von Aaron Sorkin zu verdanken, der hier zum ersten Mal auch Regie geführt hat, und zum anderen den tollen schauspielerischen Leistungen von Jessica Chastain und Idris Elba.

Sorkin wurde bekannt durch seine Drehbücher etwa für "Eine Frage der Ehre", "The Social Network" oder "Steve Jobs". Sein Markenzeichen waren schon immer die ausgefeilten Dialoge, und man erkennt seine Handschrift auch dieses Mal wieder. Molly Bloom ist jung, hochintelligent und selbstbewusst, und wenn sie mit ihrem Anwalt diskutiert, geht es in einem Tempo hin und her wie in einer Screwball Comedy aus den 40ern. Aber auch wenn sie mit einzelnen Spielern redet, sie aufmuntert oder ihnen rät, aufzuhören und nach Hause zu gehen, sind das wunderbare, stimmungsvolle Szenen. Jessica Chastain zeigt ihre ganze Schauspielkunst und schafft allein durch die Art, wie sie auf die Männer zugeht, atmosphärisch unglaublich dichte Szenen. Idris Elba kann sich mittlerweile ganz auf seine Ausstrahlung und seinen Charme verlassen. Kevin Costner schließlich hat bereits vor einigen Jahren zu seiner Seniorenrolle gefunden, die ihm hervorragend passt, den stets etwas müden, älteren, weisen Mann.

Der Film psychologisiert sehr stark, vielleicht sogar zu stark. In Rückblenden sieht man die junge Molly, wie sie von ihrem Vater gezwungen wird, nach einem ersten schweren Sturz wieder in den Wettkampfsport einzusteigen und man fragt sich, was das mit der Poker-Geschichte zu tun haben soll. Zum Schluss kommt es völlig überraschend zu einem Gespräch zwischen Vater und Tochter, das beinahe schon bizarre Züge trägt.

Da es nun mal um Poker geht, verzichtet Sorkin auch nicht auf die Diskussion einiger Kartenkonstellationen, die von Molly Bloom aus dem Off kommentiert werden. Doch so hastig, wie diese Szenen wieder beendet werden, wirken sie wie Zutaten, die der Regisseur eher widerwillig und zwangsweise in den Film aufgenommen hat. Besser wäre es gewesen, sie entweder ganz wegzulassen oder ausführlicher zu erklären, um die Spannung des Augenblicks zu vermitteln. In dieser Form jedoch bringen sie niemanden etwas.

"Molly’s Game" kann man sich anschauen, um etwas über zwei Stunden gut unterhalten zu werden und tollen Schauspielern zuzusehen. Wer jedoch mehr erwartet, wird enttäuscht.

"Molly's Game" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Mittwoch 14 März 2018 22:48

Filmkritik: "Die Verlegerin"

Geschrieben am Sonntag 25 Februar 2018 um 22:29 von Roland Freist

Gegen alle Widerstände

Die späten 60er und frühen 70er Jahre sind eine der wichtigsten Perioden der amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Mit Nixon hatte ein machtbesessener Paranoiker das Weiße Haus erobert, in einem Tausende von Kilometern entfernten Land lernten die USA, dass ihr moralischer Anspruch und die eigene militärische Überlegenheit mehr als zweifelhaft waren, und in der Heimat kämpfte eine starke Bürgerrechtsbewegung gegen Rassendiskriminierung und den Versuch, die Meinungs- und Pressefreiheit einzuschränken. Dutzende, vielleicht sogar Hunderte von Filmen sind über diese Zeit entstanden. Einer der besten ist der neue Film von Steven Spielberg, "Die Verlegerin".

Allerdings ist der deutsche Titel unglücklich gewählt. Im Original heißt der Film "The Post", weil er Geschehnisse rund um die Washington Post im Jahr 1971 erzählt. Vermutlich hatte der deutsche Verleih Angst, dass hierzulande zu wenig Menschen mit dem Namen der Zeitung etwas anfangen könnten. Und "Die Post" wäre ja nun wirklich keine passende Übersetzung gewesen. "Die Verlegerin" reduziert die Story jedoch auf Kay Graham, gespielt von Meryl Streep, die damalige, noch recht unerfahrene Verlegerin der Zeitung. Und das wird dem Film nicht gerecht, denn es geht nicht um eine einzelne Person, sondern um Journalismus und die politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Abhängigkeiten, in denen er sich befindet und gegen die er ständig ankämpfen muss.

Der Film erzählt von der Veröffentlichung der Pentagon Papers. Der ehemalige Verteidigungsminister Robert McNamara (Bruce Greenwood) hatte diese Studie einige Jahre zuvor in Auftrag gegeben, um mit internen Regierungsinformationen die Vorgeschichte und den Verlauf der amerikanischen Beteiligung am Vietnamkrieg für spätere Generationen zu dokumentieren. Viele der Ergebnisse der Studie standen im Widerspruch zu offiziellen Aussagen der amerikanischen Regierungen unter Truman, Eisenhower, Kennedy, Johnson und Nixon. Unter anderem zeigten die Pentagon Papers, dass McNamara den Krieg bereits Mitte der 60er Jahre verlorengegeben hatte. Die Studie wurde daher unter Verschluss gehalten.

1971 wurden die Dokumente jedoch der New York Times zugespielt, die in der Folge in mehreren Ausgaben Teile davon veröffentlichten und kommentierten. Die Washington Post war zu dieser Zeit ein Regionalblatt, außerhalb der Hauptstadt wurde sie kaum gelesen. Doch sie hatte mit Ben Bradlee (Tom Hanks) einen begeisterten Journalisten als Chefredakteur. Als es einem seiner Redakteure gelingt, eine Kopie der Pentagon Papers zu beschaffen, zögert er keine Sekunde, das Thema auf die Titelseite zu heben. Doch dem stehen die enge Freundschaft der Verlegerin Kay Graham mit Robert McNamara, der geplante Börsengang der Post und auch die Freundschaft von Bradlee mit dem ermordeten Kennedy entgegen.

Steven Spielberg spielt bei "Die Verlegerin" seine ganze Routine aus. Vielleicht sogar etwa zu viel: Der Film beginnt, natürlich, könnte man schon fast sagen, mit Szenen aus dem Vietnamkrieg, untermalt mit "Run through the jungle" von Creedence Clearwater Revival. "Nicht schon wieder", denkt man sich, doch dann wird’s schnell besser. Wie der Film anschließend die Vorgeschichte und die aktuelle Situation der Zeitung skizziert, die Figuren vorstellt und die Story an Fahrt aufnehmen lässt – das ist wirklich meisterhaft. Dazu kommen die Perfektion von Kamera (Janusz Kaminski) und Schnitt (Sarah Broshar, Michael Kahn) und die hohe Qualität der beiden Hauptdarsteller, von denen sich Tom Hanks in seiner Rolle ein klein wenig wohler zu fühlen scheint als Meryl Streep. Alles zusammen ergibt einen der besten Filme des Jahres.

"Die Verlegerin" ist ein altmodischer Film. Er arbeitet mit den jahrzehntelang erprobten Stilmitteln von Hollywood, baut Spannung und Emotion unglaublich präzise und gekonnt auf. Spielberg demonstriert, welche Kraft das Hollywood-Konzept immer noch entfalten kann, vor allem, wenn es um die Verteidigung der bürgerlichen Freiheiten geht. Der Film wurde in gerade einmal anderthalb Monaten im Sommer 2017 abgedreht, in einer Zeit also, in welcher der amtierende amerikanische Präsident die Presse der Verbreitung von Fake News beschuldigte und die freie Berichterstattung in Frage stellte. Spielberg hat darauf eine wunderbar souveräne Antwort gegeben.

"Die Verlegerin" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "Black Panther"

Geschrieben am Mittwoch 21 Februar 2018 um 22:09 von Roland Freist

Afrikanische Utopie

Superhelden-Filme sind nicht per se schlecht. Es gibt bessere ("Spider-Man I" und II, die beiden "Batman"-Filme von Tim Burton und "The Dark Knight", der erste "Superman") und es gibt schlechtere ("Avengers", "Elektra") unter ihnen. Doch nur selten gingen die Regisseure und Drehbuchautoren beim Konzipieren der Handlung über das alte Gute-gegen-Böse-Schema hinaus, ein Film wie der zweite Spider-Man, der den inneren, moralischen Konflikt seines Protagonisten abwog, war die ganz große Ausnahme. Doch jetzt scheint sich Hollywood ganz vorsichtig daran zu machen, aus den Superhelden-Geschichten mehr herauszuholen. "Wonder Woman", gedreht von einer Frau, war im letzten Jahr ein vorsichtiger Ansatz, eine starke, unabhängige Frau als Heldin zu etablieren. "Black Panther" geht noch einen Schritt weiter und setzt auf einen nahezu komplett schwarzen Cast mit einem schwarzen Superhelden als Mittelpunkt. Und mehr noch: Der Film hat sogar eine politische Botschaft, die der aktuellen Linie des Weißen Hauses diametral entgegensteht.

Der Black Panther heißt mit bürgerlichem Namen T’Challa (Chadwick Boseman) und kommt aus Wakanda, einem kleinen, von der Außenwelt weitgehend abgeschnittenen Land im Herzen von Afrika. Vor einigen Jahrhunderten ging dort ein Meteor nieder, der eine große Menge des Metalls Vibranium enthielt, das ansonsten nirgendwo auf der Erde existiert. Damit konnten die Bewohner nicht nur Energie erzeugen und eine blühende High-tech-Kultur aufbauen, Vibranium ermöglichte ihnen auch das Aufspannen eines Tarnschirms, der die Hochhäuser und futuristischen Fahrzeuge des Landes vor fremden Augen verbarg und es wie einen armen, von Ackerbau und Viehzucht geprägten Staat aussehen ließ.

Zu Beginn soll T’Challa als Nachfolger seines Vaters zum neuen König ernannt werden. Doch es gibt Herausforderer, allen voran sein verschollen geglaubter Cousin Killmonger (Michael B. Jordan), der ihn dann auch im Kampf besiegt. Nachdem er den Königsthron bestiegen hat, beginnt Killmonger, mit den Ressourcen und hochentwickelten Waffen von Wakanda unterdrückte Gruppen im Ausland zu unterstützen und Kriege anzuzetteln.

Tatsächlich passiert noch wesentlich mehr, die Handlung von "Black Panther" ist teilweise recht verworren. Es treten unter anderem noch ein weißer Waffenschmuggler (Andy Serkis), ein CIA-Agent (Martin Freeman), Verräter, Ex-Geliebte, ein weiser Berater (Forest Whitaker), eine superkluge Wissenschaftlerin (Letitia Wright) sowie die Mitglieder einer weiblichen Elitetruppe auf. Am Anfang tut sich der Film schwer, die Ausgangssituation und die Besonderheiten von Wakanda zu erklären. Der Erzählfluss ist stockend, dazu steht gleich zu Beginn eines dieser öden Mann-gegen-Mann-Duelle, auf welche die Marvel-Streifen offenbar nicht verzichten können. Später jedoch nimmt die Handlung Fahrt auf, findet ihren Rhythmus, und der Film wird tatsächlich recht unterhaltsam, selbst als es gegen Ende noch zu einem zweiten, episch ausgebreiteten Duell kommt.

Die Atmosphäre von "Black Panther" ist von Anfang bis Ende durchgehend afrikanisch, dazu tragen die bunten Gewänder und archaischen Riten genauso bei wie die wüste Trommelorgie, die der aktuell angesagteste Rapper der Welt, Kendrick Lamar, für den Score komponiert hat. Zusammen mit der technisch fortgeschrittenen Zivilisation von Wakanda ergibt das eine seltsame Mischung, die aber in sich stimmig ist – eine der größten Leistungen des Films. Wakanda ist erkennbar nicht aus den christlich-jüdischen Traditionen der westlichen Welt entstanden, sondern hat eine eigene Entwicklung durchgemacht. Das Land und seine Gesellschaft ist eine afrikanische Utopie.

Die einzelnen Figuren hingegen, allen voran T’Challa und Killmonger, entsprechen leider den üblichen Stereotypen von Hollywood und der amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Hinzu kommen die zahlreichen Anleihen, die "Black Panther" bei großen, erfolgreichen Filmen der Vergangenheit nimmt, angefangen bei "James Bond" über "Katzenmenschen" bis hin zu "Star Wars", was die Faszination der Kultur, die hier entworfen wird, deutlich abschwächt.

"Black Panther" hat einige großartige Ideen und Ansätze, setzt sie allerdings nicht konsequent genug um. Trotzdem gehört der Film trotz all seiner hektischen Handlungsentwicklung zu den besseren Superhelden-Streifen und funktioniert auf Wunsch sogar als reines Action-Spektakel noch recht gut.

"Black Panther" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "Shape of Water – das Flüstern des Wassers"

Geschrieben am Freitag 16 Februar 2018 um 0:09 von Roland Freist

Ich liebe einen Wassermann

Schau an, dieser Guillermo del Toro ist ja ein echter Romantiker. Man hätte es sich zwar denken können, nachdem er uns bereits in "Hellboy" eine Ausgeburt der Hölle vorgestellt hatte, die an fortgeschrittenem Liebeskummer litt. Dennoch kommt "Shape of Water" einigermaßen überraschend. Der mexikanische Regisseur, bekannt für seine Horror- und Superhelden-Filme, legt hier ein Märchen im Stil von "Die Schöne und das Biest" vor.

Allerdings ohne Schöne beziehungsweise ohne eine Frau von großer äußerer Schönheit. Elisa Esposito (Sally Hawkins) ist der Typ der unauffälligen Nachbarin, schüchtern und notgedrungen stumm – in ihrer Kindheit wurde ihr Kehlkopf beschädigt, seither kann sie nicht mehr sprechen. Sie arbeitet als Putzfrau in einem Gebäude des US-Militärs. Es sind die frühen 60er Jahre, jeder hat Angst vor einem Atomkrieg, gleichzeitig versuchen Amerikaner und Russen sich beim Wettlauf ins All zu übertrumpfen.

Da kommt ein neues "Objekt" in das Gebäude, ein Wasserwesen, gefangen im Amazonas. In der äußeren Form ähnelt es einem Menschen, doch seine Haut ist von Schuppen überzogen, es atmet durch Kiemen und hat die großen Augen eines Fisches. Mitgebracht hat es Richard Strickland (Michael Shannon), einer der größten Unsympathen der Kinogeschichte. Er ist ein rassistischer, gefühlloser Militärangehöriger, der das Wasserwesen mit einem Elektroschocker traktiert und foltert. Dass es sich um ein intelligentes Wesen handelt, will er nicht wahrhaben, ebenso wenig wie sein Vorgesetzter, ein General, der sich von der Untersuchung Aufschlüsse darüber verspricht, wie sich der Menschen an das Leben im Weltall anpassen könnte.

Elisa jedoch nimmt heimlich Kontakt mit dem Wassermenschen auf, bringt ihm die Gebärdensprache bei und verliebt sich in ihn. Schließlich schmiedet sie einen Plan, um ihn mithilfe ihrer Kollegin Zelda (Octavia Spencer, "The Help") und ihres Nachbarn, des erfolglosen, schwulen Werbegrafikers Giles (Richard Jenkins) zu entführen und in die Freiheit zu entlassen.

Diese Geschichte wird vor dem Hintergrund alter, schwarzweißer Liebesfilme und Musicals aus den 40er und 50er Jahren erzählt, die ständig irgendwo in einem Fernseher laufen. Auch der Score von "Shape of Water" ist gefüllt mit Musik aus jener Zeit, dazu wohnen Elisa und Giles auch noch über einem Kino. Del Toro stellt den Film in die große Tradition der Musikfilme aus Hollywood, die immer schon eine märchenhafte Atmosphäre zu vermitteln suchten.

Gleichzeitig verleugnet er aber auch nicht seine Wurzeln: Wenn Stricklands Finger, die das Wasserwesen ihm abgebissen hat, zusehends zu eitern und zu faulen beginnen, spielt er, vielleicht sogar mit einem leicht vergnügten Grinsen, mit den Mitteln des Horrorfilms. Auf der anderen Seite sorgt die wunderbare Octavia Spencer mit ihrem unfehlbaren Gespür für Timing immer wieder für komische Szenen. Allerdings hat auch allein schon die Idee, das Plappermaul Sally Hawkins ("Happy-Go-Lucky") mehr als zwei Stunden lang kein einziges Wort sagen zu lassen, einen gewissen Witz (zwar sagt sie zwischendurch dann schon einen Satz, allerdings ist unklar, ob es sich nicht um eine Traumsequenz handelt).

Schauspielerisch ist der Film toll. Hawkins, Spencer, Jenkins, Shannon und auch Michael Stuhlbarg ("Arrival") in einer Nebenrolle als Wissenschaftler agieren auf höchstem Niveau. Dazu kommt die gut getroffene, spießige Atmosphäre der frühen 60er, die tolle Ausstattung mit den zahlreichen Details, die ruhig durch die Räume gleitende Kamera – del Toro hat alles richtig gemacht.

Und doch will sich dann letztlich nicht das Gefühl einstellen, einen wirklich großen Film gesehen zu haben. Denn "Shape of Things" berührt einen nicht, lässt einen vielmehr mit dem Eindruck aus dem Kino gehen, einen zwar hervorragend gemachten, vielschichtigen Film gesehen zu haben, bei dem man jedoch mit der Hauptfigur ebenso wenig mitgefiebert hat wie mit Ginger Roberts bei einer Affäre mit Fred Astaire.

"Shape of Things – das Flüstern des Wassers" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Mittwoch 21 Februar 2018 22:36

Filmkritik: "Wind River"

Geschrieben am Dienstag 13 Februar 2018 um 21:50 von Roland Freist

Tod im Schnee

Moderne Western wie "Wind River" haben einen ganz eigenen Reiz: Sie arbeiten mit den Figuren und Klischees der großen amerikanischen Filmtradition, mit schweigsamen Männern, harten, duldsamen Frauen und einer weiten, lebensfeindlichen Natur, und verbinden sie mit aktuellen Problemen wie Drogensucht, brutalen sexuellen Übergriffen und bürokratischen Kompetenzstreitigkeiten. Das funktioniert mal besser und mal schlechter. Dieser Film gehört zu den besseren Beispielen.

Das beherrschende Thema ist die Kälte während der Winter im mittleren Westen der USA. Dort, in Wyoming, wo die Temperaturen bis auf minus 30 Grad rutschen können, lebt Cory Lambert (Jeremy Renner), der sein Geld als Jäger verdient. Die örtlichen Viehzüchter heuern ihn an, um Wölfe oder andere Raubtiere abzuschießen, die ihre Herden bedrohen. Eines Tages findet er die Leiche eines jungen Mädchens, wie sich herausstellt, eine Freundin seiner verstorbenen Tochter, das mit nackten Füßen vor etwas weggerannt und erfroren ist. Die Fundstelle liegt in einem Indianerreservat, der dortige Sheriff (Graham Greene, "Der mit dem Wolf tanzt") ruft das FBI. Das erscheint in Gestalt der Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen, "Godzilla"), die von ihrer Dienststelle in Las Vegas nach Wyoming geschickt wurde und von den Bedingungen und Gefahren des Lebens bei eisigen Temperaturen keine Ahnung hat. Daher engagiert sie Lambert als eine Art Berater, und gemeinsam beginnen sie die Suche nach den Ursachen für den Tod des Mädchens.

Die Hauptfigur ist Lambert, ein Einheimischer, der mit einigen der Indianer bereits zur Schule gegangen ist. Er war selbst mit einer Indianerin (Kelsey Asbille) verheiratet, bis die Beziehung nach dem Tod ihrer gemeinsamen Tochter auseinanderbrach. Er redet nicht viel, aber der Film gibt sich große Mühe, damit der Zuschauer das, was in ihm vorgeht, zumindest erahnen kann. Jeremy Renner ("Tödlisches Kommando – The Hurt Locker") macht das gut, er beherrscht die Kunst, mit minimalem Einsatz einen eindrucksvollen Charakter zu erschaffen.

Leider sind nicht alle Charaktere so detailliert gezeichnet. Elizabeth Olsen und Graham Greene sind zwar gut in ihren Rollen, aber ihr Background bleibt völlig im Dunkeln. Man weiß nicht, was sie antreibt, wo sie herkommen oder was sie denken. Sie bleiben Fremde in einem Film, der sich auf einige wenige Figuren beschränkt. Das ist schade, zumal es auch wenig Handlung gibt und es Regisseur Taylor Sheridan – er hatte zuvor die Drehbücher zu "Sicario" und "Hell or High Water" geschrieben – erkennbar weniger um die Auflösung des Mordfalls als um die Zeichnung seiner Hauptfigur geht.

"Wind River" erntet aber noch einen weiteren, großen Minuspunkt, und zwar für die klischeehaften Details. Dass ein Jäger wie Lambert natürlich ein einsames, schweigsames Leben führt, nimmt man sogar noch recht gerne in Kauf, denn es ist einem lieber als ein ständig von seinen Heldentaten plappernder Protagonist. Aber müssen junge Indianer im Reservat wirklich in jedem Film drogensüchtig sein? Und müssen sie tatsächlich immer wieder von der Langeweile und Perspektivlosigkeit ihres Lebens in die Sucht getrieben werden?

Ärgerlich ist auch, dass zwar ständig die Kälte und Grausamkeit des Wyoming-Winters beschworen wird, tatsächlich jedoch niemand und in keiner Situation eine Atemfahne vor dem Mund hat, und zudem in einzelnen Einstellungen deutlich zu erkennen ist, dass der Schnee auf den Straßen zu Matsch geschmolzen ist.

Die beiden großen Pluspunkte des Films sind Jeremy Renner und die realistische Darstellung des Lebens in dieser gottverlassenen Gegend, hinzu kommt eine außerordentlich gute Kamera. "Wind River" hat außerdem einen packenden, intensiven Rhythmus, der dafür sorgt, dass trotz der eher mäßigen Spannung bei der Verbrechensaufklärung keine Langeweile aufkommt.

"Wind River" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "Der seidene Faden"

Geschrieben am Mittwoch 07 Februar 2018 um 22:39 von Roland Freist

Schneider am Rande des Nervenzusammenbruchs

Dies ist ein langer, ein sehr langer Film und über weite Strecken auch ziemlich langweilig. Aber er strahlt eine gewisse Faszination aus, und zwar von der Sorte, dass man sich noch auf dem Nachhauseweg fragt, was da jetzt eigentlich geschehen ist. Es ist ein langer, aber guter Film.

Es sind die 50er Jahre in London. Daniel Day-Lewis spielt den Modeschöpfer Reynolds Woodcock, einen hypersensiblen Künstler mit genialischer Herbert-von-Karajan-Frisur, vom Typ her eine Mischung aus Yves Saint Laurent und Karl Lagerfeld. Er lebt und arbeitet in einem alten Haus, abgeschirmt von der Welt durch seine Schwester Cyril (Lesley Manville), die alles tut, damit er bei seiner Arbeit nicht gestört wird. Dazu gehört auch, seine wechselnden Frauen zu organisieren und wegzuschicken, wenn sich abzeichnet, dass sie für ihn zur Belastung werden.

Reynolds Woodcock ist ein schwieriger Charakter. Er kann wegen Kleinigkeiten ausrasten, etwa wenn jemand beim Frühstück, das er schweigend und Entwürfe zeichnend verbringt, den Toast zu laut streicht. Er wird wütend, wenn man seinen Spargel mit zerlassener Butter macht anstatt mit dem von ihm bevorzugten Öl. In solchen Situationen wird er ausfallend und beleidigend, ganz gleich, wer seinen Ärger provoziert hat. Diese übertriebenen Reaktionen wirken dann schon beinahe wieder komisch.

Eines Tages, er ist aufs Land gefahren, um ein wenig auszuspannen, lernt er in einem Cafe die Kellnerin Alma (Vicky Krieps) kennen, ein junges Mädchen, das sich sofort in ihn verliebt. Er nimmt sie mit nach London und macht sie zu seinem Model, an dem er seine neuen Kreationen ausprobiert. Sie wohnt auch bei ihm im Haus, und schon bald sind sie ein Paar.

Vicky Krieps ist faszinierend in dieser Rolle. Mit Daniel Day-Lewis steht ihr ein schauspielerisches Schwergewicht gegenüber, und die Rolle der Alma erfordert es, dass sie ihm selbstbewusst gegenübertritt. Das gelingt ihr mit einer Kraft, die überhaupt nicht zu ihrem püppchenhaften Gesicht passen will. Je weiter der Film vorankommt, desto stärker wird sie, dabei streift sie immer mehr die anfängliche Nervosität und Unsicherheit ihrer Figur ab.

Denn darum geht es: Reynolds und Alma kommen sich immer näher, heiraten sogar, doch sein skurriles Verhalten kann er nicht ablegen. Er ist wie er ist, doch sie will ihn anders, will eine größere Rolle in seinem Leben spielen. Und so eskaliert diese Beziehung.

"Der seidene Faden" ist ein Arthouse-Streifen mit minimaler Handlung und wenigen Hauptfiguren. Regisseur P. T. Anderson ("There Will Be Blood", "Inherent Vice") hatte schon immer ein Faible für Details, und so kann man üppige, historische Haute-Couture-Kleider und traditionelles Schneiderhandwerk bewundern. In erster Linie schaut man ihn sich jedoch wegen der beiden Hauptdarsteller an, vor allem auch, da Daniel Day-Lewis vor einigen Monaten ankündigte, dies würde sein letzter Film werden. Und man muss den Mut von P. T. Anderson bewundern, dem es, wie bereits bei "Boogie Nights" oder "Punch-Drunk Love" (mit Adam Sandler!) offensichtlich völlig wurscht ist, was die Leute von seinen Filmen und ihren Themen halten.

"Der seidene Faden" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Mittwoch 07 Februar 2018 23:08

Filmkritik: "Three Billboards outside Ebbing, Missouri

Geschrieben am Dienstag 30 Januar 2018 um 22:08 von Roland Freist

Wut und Vergebung

Dies ist ein Film über die Wut. Er zeigt, wie sie entsteht, wie sie aus den Menschen herausbricht und was sie mit ihnen macht. Aber er zeigt gleichzeitig, dass die Wut durch Verständnis und Vergebung überwunden werden kann und sollte. Ein großer Film.

Mildred Hayes (Frances McDormand) ist wütend. Vor einem halben Jahr ist ihre Tochter ermordet worden. Während das Mädchen bereits im Sterben lag, hat der Mörder sie auch noch vergewaltigt. Die örtliche Polizei mit Sheriff Willoughby (Woody Harrelson) an der Spitze hat den Täter bisher nicht gefasst, hat noch nicht einmal eine Spur. Sie geht in das Büro einer kleinen, lokalen Werbeagentur, bucht für 5000 Dollar drei Reklametafeln und lässt sie beschriften mit "Raped While Dying", "And Still No Arrests?", "How Come, Chief Willoughby?". Ab diesem Moment beginnt die Situation zu eskalieren.

Willoughby hat Krebs im Endstadium, er wird nicht mehr lange leben. Er hat einen Hilfssheriff, Dixon (Sam Rockwell), der nur mit Mühe die Abschlussprüfung an der Polizeischule geschafft hat. Er ist im Ort bekannt dafür, dass er in der Vergangenheit Schwarze gefoltert und verprügelt hat. Auch er wird wütend, geht zum Inhaber der Werbeagentur (Caleb Landry Jones), wirft ihn aus dem Fenster im ersten Stock und schlägt ihn auf der Hauptstraße von Ebbing vor den Augen des neuen Polizeichefs und des ganzen Ortes zusammen. Aber auch das ist noch nicht das Ende der Eskalation.

Frances McDormand ist in diesem Film von einer Reihe guter bis sehr guter Schauspieler umgeben (mit dabei sind unter anderem noch Abbie Cornish als Willoughbys Frau, Zeljko Ivanek als ein weiterer Polizist sowie Peter Dinklage ("Game of Thrones") als ein Verehrer von Mildred). Doch in jeder Situation beherrscht sie die Leinwand mit ihrem eiskalten Zorn, ihrem Sarkasmus, aber später auch mit ihrer Verletzlichkeit und Trauer. Für "Fargo" hat sie damals den Oscar als beste Hauptdarstellerin erhalten, jetzt könnte noch eine weitere Statue dazukommen. Mildred Hayes schlägt wild um sich, es ist ihr egal, wen sie dabei wie hart trifft. Sie beleidigt den örtlichen Priester, der sie zur Mäßigung auffordert, und erklärt ihm, sie würde keine Ratschläge annehmen von Männern, die im Hinterzimmer heimlich Ministranten ficken. Sie weiß auch von Willoughbys Krebserkrankung und sagt ihm, dass die Reklametafeln ja wohl keinen Sinn mehr machen würden wenn er bereits tot wäre. Als jemand eine Büchse auf ihr Auto wirft, während sie morgens ihren Sohn in die Schule bringt, steigt sie aus und tritt auf der Suche nach dem Täter zwei Kinder zusammen. Das alles ist so übertrieben, dass es schon wieder witzig ist. Doch je länger der Film dauert, desto deutlicher zeigen uns Frances McDormand und Regisseur Martin McDonagh ("Brügge sehen… und sterben?", "7 Psychos"), was tatsächlich hinter der versteinerten Fassade dieser Frau vorgeht. Und das ist dann nicht mehr lustig.

"Three Billboards" zeichnet das Bild einer Gruppe von Menschen, von denen keiner nur das ist, was er zu Anfang zu sein scheint. Keiner von ihnen ist nur schuldig oder verdammenswert, alle haben auch ihre guten Seiten. Sogar Hilfssheriff Dixon, der wegen seines Rassismus zur am stärksten diskutierten Figur des Films wurde, erweist sich zum Schluss als passabler Ermittler. McDonagh hat darauf verzichtet, die Welt von Ebbing, Missouri, in Gute und Böse einzuteilen. Es gibt nur normale Menschen. Und diese Menschen können einander auch vergeben, egal, was sie sich angetan haben. Das ist zum Schluss dann auch der Hoffnungsschimmer, mit dem der Film die Zuschauer aus dem Kino entlässt.

"Three Billboards outside Ebbing, Missouri" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "The Commuter"

Geschrieben am Dienstag 16 Januar 2018 um 22:23 von Roland Freist

Finde den Fremden

"The Commuter" ist ein ärgerlicher Film. Er hat ein Ensemble guter bis sehr guter Schauspieler, einen erfahrenen Action-Regisseur, ein offensichtlich sattes Produktions-Budget – und dennoch ist nur ein völlig unglaubwürdiger und mäßig interessanter Film entstanden. Da die Hauptdarsteller, allen voran Liam Neeson, ihren Job dennoch sehr ernst nehmen und so tun, als wüssten sie nicht, dass sie Teil einer absolut lächerlichen Handlung sind, entsteht sogar eine gewisse Fallhöhe und damit ein beinahe schon humoristischer Effekt.

Erzählt wird die Geschichte des New Yorker Versicherungsvertreters Michael MacCauley (Liam Neeson), der eines Tages völlig überraschend im Rahmen eines Personalabbaus gefeuert wird, in eine Bar geht, dort ein Bier mit einem alten Polizisten-Kumpel (Patrick Wilson) trinkt – er war früher selbst bei der Polizei – und ihm sein Leid klagt: keine Rücklagen, zwei Hypotheken, Familie zu versorgen. Außerdem ist MacCauley schon 60 Jahre alt. Danach steigt er in seinen Pendlerzug – englisch: Commuter – und fährt nach Hause. Im Zug spricht ihn eine Frau namens Joanna (Vera Farmiga) an: 100000 Dollar will sie ihm zahlen, wenn er eine Person findet, die nicht in diesen Zug gehört, also nicht jeden Tag in die Stadt und wieder zurück pendelt. MacCauley willigt ein. In der Folge stellt sich heraus, dass Joanna und ihre Helfershelfer ihn im Zug nicht nur permanent überwachen, sondern auch seine Familie entführt haben. Außerdem erfährt MacCauley, dass sie hinter einem Zeugen her sind, der einen Mord beobachtet hat und jetzt in diesem Zug zum FBI fährt, um seine Aussage zu machen.

Dass alles ist so konstruiert und an den Haaren herbeigezogen, dass man sich schon im Kino vor lauter Fremdschämen in seinem Sessel verkriechen möchte. Warum kann das FBI diesen Zeugen nicht in Manhattan befragen und dort wirksam beschützen? Warum hat eine offensichtlich professionell arbeitende Verbrecherorganisation eine Viertelstunde vor Abfahrt des Zuges noch keine geeignete Person, die für sie nach dem Zeugen sucht? Wie können sie so schnell eine etliche Kilometer entfernt wohnende Familie entführen? In der Schlussszene versucht sich der Film noch an einer Erklärung, die dann jedoch überhaupt keinen Sinn mehr ergibt.

Die gesamte Handlung ist hanebüchener Unsinn. Und das Schlimmste ist: Der Film unternimmt keine Anstrengungen, diesen Blödsinn wenigstens mit ein paar Tricks zu vertuschen, so dass man erst auf dem Nachhauseweg darauf kommt, dass sich die Ereignisse so nicht abgespielt haben können. Und so ärgert man sich eben.

Liam Neeson hat in den vergangenen Jahren einige saubere Actionfilme wie etwa "96 Hours" gedreht, mit dem gleichen Regisseur (Jaume Collet-Serra) und Diane Kruger an seiner Seite beispielsweise "Unknown Identity". "The Commuter" ist mehr Krimi als Actionstreifen, mehr Hercule Poirot als Bruce Willis. Sieht man sich das Ergebnis an, kann man nur hoffen, dass Neeson das nächste Mal wieder einen Ex-Geheimdienstmann spielt anstatt einen ins Versicherungsgeschäft gewechselten Polizisten.

"The Commuter" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "Star Wars: Die letzten Jedi"

Geschrieben am Sonntag 17 Dezember 2017 um 19:19 von Roland Freist

Die erste Ordnung schlägt zurück

Wird Luke Skywalker die junge Rey zum Jedi ausbilden, so wie es Yoda einst mit ihm gemacht hat? Wird sie auch das nächste Duell mit Kylo Ren gewinnen? Werden sie sich vielleicht sogar gemeinsam gegen Snoke stellen, in einer Reminiszenz an den finalen Kampf zwischen Luke, Darth Vader und dem Imperator? Und was ist mit den Rebellen, können General Leia, ihr fischiger Oberkommandierender und Fliegerass Poe Dameron die Flotte der Ersten Ordnung entscheidend schlagen? Was wurde eigentlich aus Finn?

Die achte Episode der Star-Wars-Saga muss viele Fragen beantworten und lose Enden verknüpfen. Dabei erinnert sie über weite Strecken an eine bereits sehr lang laufende Fernsehserie, eine Art "Lindenstraße" im Weltall, in der die immer gleichen, altbekannten Charaktere mehr oder weniger lange Auftritte haben, bis der Film dann zum nächsten Handlungsstrang wechselt. Für Fans mit Hang zum Nerdtum ist das ein Traum, für den Regisseur vermutlich der Horror. Zumal Rian Johnson ("Looper"), der den Job übernommen hat, erkennbar auch noch mehrere Zusatzaufgaben des Filmstudios und seiner Marketing-Abteilung lösen musste: Die Kreation putziger Außerirdischer, die sich gut zur Vermarktung als Plüschfiguren eignen (in diesem Fall die Porgs, pinguinähnliche Wesen, die Skywalkers Insel-Wohnsitz instandhalten), sowie ständige Rückverweise auf vergangene Teile der Saga und ihre beliebtesten Szenen und Figuren.

Herausgekommen ist bei alledem ein Film mit etlichen Längen und einer, setzt man sie in Bezug zur Laufzeit von 152 Minuten, recht dünnen Story. Letztlich lassen sich zwei wesentliche Handlungsstränge unterscheiden: Der eine beschäftigt sich mit der Jedi-Werdung von Rey (Daisy Ridley) und den Versuchungen, die dabei von der dunklen Seite der Macht ausgehen, die in diesem Fall durch Han Solos und Leias missratenen Sohn Kylo Ren (Adam Driver) verkörpert wird. Die Parallelen zu "Das Imperium schlägt zurück" sind unübersehbar. Der zweite Strang schildert die verzweifelten Rückzugsgefechte der Rebellen, die zwar immer wieder kleine Punktsiege verbuchen können, von der massiven Macht der Ersten Ordnung jedoch ständig weiter zurückgedrängt werden.

Alles wie gehabt also, die Episoden IV bis VI präsentieren sich in neuem Gewand. Doch dann gelingt es Drehbuch und Film, für einige echte Überraschungen zu sorgen. Regisseur Johnson weicht plötzlich vom scheinbar vorgezeichneten Pfad ab, zerstört einige Gewissheiten und macht neugierig, wie es im nächsten Teil weitergehen wird. Denn ohne zu viel verraten zu wollen: Einige der wichtigsten Handlungsfäden hat er kurzentschlossen und quasi mit dem Lichtschwert gekappt. Und noch etwas unterscheidet "Star Wars: Die letzten Jedi" von den bisherigen Titeln der Reihe: Der Film hat Humor. Es ist der erste Star-Wars-Streifen, der an einigen Stellen tatsächlich zum Lachen reizt. Bei George Lucas hatte man ja immer den Eindruck eines großen Kindes, das sich stundenlang über die gestelzte Ausdrucksweise einen Protokolldroiden vereumeln kann. Johnson hingegen macht Witze für Erwachsene.

Hinzu kommt die technische Brillanz des Films. Die Animationen und CGI-Effekte sind perfekt, die Raumschlachten präzise und aufwendig inszeniert, die Schnitte wie mit dem Metronom gesetzt. Umso erstaunlicher ist es dann, dass Disney bei der 3D-Nachbearbeitung geschlampt hat. Seit Jahren ist bekannt, dass 3D-Brillen das Bild für den Zuschauer etwa zehn Prozent dunkler machen. Die Studios hellen die Filme daher etwas auf, um den Effekt auszugleichen. Das ist hier offenbar unterlassen worden. Einige Szenen in Höhlen und an anderen finsteren Orten fallen so düster aus, dass man zwischendurch die 3D-Brille abnimmt, um überhaupt noch Details erkennen zu können. Soweit möglich, sollten Sie sich den Film daher lieber in 2D ansehen.

Insgesamt ist der Eindruck von "Star Wars: Die letzten Jedi" zwiespältig: Hätte man ihn beherzt um eine halbe bis dreiviertel Stunde gekürzt, wäre er vermutlich spürbar besser geworden. Er ist andererseits auch nicht schlecht, bringt einige Überraschungen mit und einige wirklich eindrucksvolle Szenen, in denen er viel grafische Fantasie beweist. Das Gesamturteil lautet daher: Daumen hoch, wenn auch erst nach einigem Zögern.

"Star Wars: Die letzten Jedi" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Dienstag 16 Januar 2018 23:04

Filmkritik: "Detroit"

Geschrieben am Mittwoch 29 November 2017 um 16:06 von Roland Freist

Eine Studie in rassistischer Gewalt

Im Juli 1967 kam es nach der Räumung einer illegalen Kneipe in Detroit fünf Tage lang zu Unruhen. Sie hinterließen 43 Todesopfer und 1189 Verletzte und zählen zu den schwersten Unruhen, welche die USA jemals erlebt haben. Befeuert wurden sie durch die rassistisch motivierte Gewalt der vorwiegend weißen Polizisten, die mit äußerster Brutalität gegen die vorwiegend schwarze Bevölkerung der Gegend vorgingen.

Kathryn Bigelows ("Blue Steel") neuer Film "Detroit" nimmt sich eine historische Episode aus den damaligen Geschehnissen vor und erzählt die Geschichte des Algiers Motel Incident, der in der Ermordung eines unschuldigen Mannes durch einen weißen Polizisten gipfelte. Was damals genau passierte, lässt sich heute teilweise mit den Akten des folgenden Gerichtsprozesses klären, viele Fragen blieben jedoch offen. Um diese Lücken zu füllen, haben Bigelow und Drehbuchautor Mark Boal ("Zero Dark Thirty") zum einen Zeugen der damaligen Geschehnisse befragt, zum anderen aber auch einige Details fiktionalisiert.

"Detroit" besteht aus drei klar voneinander abgegrenzten Teilen, von denen man jeden einem anderen Filmgenre zuordnen kann. Er beginnt als ein Schlachtenfilm: Die Panzer der Nationalgarde rollen durch die Straßen, überall Plünderungen, es wird geschossen. Auf den Straßen herrscht Chaos. Wir sehen zwei weiße Polizisten, die einen unbewaffneten Flüchtigen verfolgen, einer der beiden, wir erfahren später, dass er Krauss (Will Poulter, „Maze Runner“) heißt (die realen Namen wurden geändert), tötet den Mann mit einem Schuss in den Rücken.

Gleichzeitig versammeln sich die weiteren Hauptpersonen im Algiers Motel. Da sind die drei schwarzen Musiker von der Band The Dramatics, die nach einem ausgefallenen Gig einen Ort zum Übernachten suchen und dabei die beiden weißen Mädchen Julie Hysell (Hannah Murray, "Game of Thrones") und Karen Malloy (Kaitlyn Dever) aufgabeln. Hinzu kommen der schwarze Vietnam-Rückkehrer Robert Green (Anthony Mackie) und der ebenfalls schwarze Wachmann Melvin Dismukes (John Boyega, "Star Wars: Das Erwachen der Macht"), der bei einem benachbarten Firmengebäude eingesetzt ist und ins Algiers herüberkommt, als er sieht, dass hier etwas zu eskalieren droht. Und schließlich sind da die drei weißen Polizisten, Krauss und zwei seiner Kollegen, die auf das Motel aufmerksam werden als jemand aus einem der Zimmer mit einer Schreckschusspistole auf sie schießt.

Der zweite Teil des Films ist ein Kammerspiel, eng und bedrückend inszeniert wie eine Folterszene. Die Polizisten versuchen herauszufinden, wer womit auf sie geschossen hat, eine Waffe haben sie nicht gefunden. Sie stellen die Gäste des Motels nebeneinander an die Wand und setzen sie unter Druck, indem sie ihnen androhen, sie zu erschießen, wenn sie den Schützen nicht nennen. Aufgrund eines Missverständnisses wird schließlich tatsächlich eine Person ermordet.

Im dritten Teil entwickelt sich "Detroit" zu einem Gerichtsdrama. Die Polizisten werden unterstützt von ihren weißen Kollegen und von den schwarzen Besuchern des Gerichtssaals angefeindet. Doch auch der Richter und sämtliche Geschworenen sind weiß. Dies ist der schwächste Teil des Films. Nach den emotional intensiven Momenten des zweiten Teils wirken diese letzten 45 Minuten ein wenig grau und langweilig, zumal die Zeit nicht reicht, um das Aufeinandertreffen von Anklage und Verteidigung langsam vorzubereiten und auf diese Weise Spannung zu erzeugen.

Kathryn Bigelow hat darauf verzichtet, aus "Detroit" einen konventionellen Spielfilm mit einem klar erkennbaren Helden zu machen. Sie hält sich eng an die tatsächlichen Geschehnisse, bei denen es keine echte Hauptfigur gab. Da er aber dennoch typische Spielfilmtechniken benutzt – etwa Kameraeinstellungen, die die Dramatik eines Moments betonen, oder Schnitte auf die Gesichter der Motelbesucher, wenn aus dem Verhörzimmer Schüsse zu hören sind – ist "Detroit" ein interessanter und teilweise irritierender Zwitter. Wir haben es hier mit einem Dokumentarfilm zu tun, der von einer erfahrenen Spielfilm-Regisseurin mit ihren Mitteln gedreht wurde. Das ist natürlich ein Risiko, und schlug sich in den USA in eher mauen Zuschauerzahlen nieder. Doch zugleich ist diese Geschichte ohne Heldengestalten auch ein Ausdruck des Respekts gegenüber den Opfern jener Zeit.

"Detroit" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Mittwoch 29 November 2017 17:11

Filmkritik: "Atomic Blonde"

Geschrieben am Sonntag 27 August 2017 um 17:33 von Roland Freist

John LeCarré trifft John Wick

Während des kalten Kriegs hatte Berlin weltweit eine der höchsten Dichten an Agenten pro Quadratkilometer. Insbesondere der Westen der Stadt war ein Tummelplatz für Spione vor allem der drei westlichen Alliierten, aber auch aus der DDR und der Sowjetunion. Vor diesem Hintergrund entstanden zahlreiche Spionagekrimis und -filme, von John LeCarrés "Der Spion der aus der Kälte kam" über "Finale in Berlin" mit Michael Caine bis hin zu Spielbergs "Bridge of Spies". "Atomic Blonde" steht in der Tradition dieser Streifen, oder man könnte auch sagen, es kopiert viele der Klischees des klassischen Agentenkrimis.

Der Film spielt im Jahr 1989, kümmert sich allerdings nicht sonderlich um historische Genauigkeit. Zu Beginn meldet das Radio die Besetzung der Prager Botschaft, einige Tage später, zum Ende des Films, fällt die Mauer und es ist von Mauerspechten die Rede. Die Agentin Lorraine Broughton (Charlize Theron) erzählt übel zugerichtet im Londoner Hauptquartier des MI6 von den Geschehnissen in Berlin. In Rückblicken erfahren wir, dass man sie losgeschickt hatte, um eine Liste mit Agenten wiederzubeschaffen, die dem britischen Superagenten David Percival (James McAvoy) von einem Russen gestohlen worden war und die jetzt auf dem freien Markt angeboten wurde. Zudem sollte sie einen Doppelagenten identifizieren und ausschalten, der den MI6 bereits seit Jahren zum Narren gehalten hatte. Klassischer Krimistoff also. Allerdings stellt sich dieser Auftrag im weiteren Verlauf als recht kompliziert heraus, was dem Film insgesamt nicht guttut.

Doch nicht nur die Handlung lässt kaum eins der stilbildenden Elemente des Spionagethrillers aus. Auch bei der Gestaltung der Atmosphäre hat Regisseur David Leitch seine Vorbilder genau studiert. "Atomic Blonde" ist über weite Strecken ein Bilderbogen des alten Berlin der 80er Jahre, inklusive heruntergekommener, unsanierter Altbauten mit hohen Räumen, Graffitis an jeder Hauswand, der von oben bis unten besprühten Berliner Mauer und Punks mit Irokesenschnitt. Die Szenen in Ostberlin zeigen Trabis, Ladas und Wartburgs auf den Straßen. Es wird nicht wenige Menschen geben, bei denen Bilder diese Bilder nostalgische Gefühle auslösen, was durch den Soundtrack noch verstärkt wird: Er wird beherrscht vom europäischen Synthiepop der 80er Jahre, von Peter Schillings "Major Tom" bis zu "Blue Monday" von New Order. Die Atmosphäre des Films entspricht allerdings ziemlich genau der eines typischen Berliner Winters, es ist kalt, grau, ungemütlich. Kälter ist nur noch die wasserstoffblone Protagonistin des Films, die passend dazu am liebsten Wodka auf Eis trinkt.

Doch es gibt auch Unterschiede zu den Klassikern des Genres. Regisseur David Leitch hatte 2014 zusammen mit Chad Stahelski "John Wick" gedreht, den bislang besten Vertreter der neuen Garde des Actionfilms. Und während Stahelski "John Wick 2" machte, widmete sich Leitch "Atomic Blonde". Und so ist aus Lorraine Broughton nicht der übliche, leicht distanzierte und ironische James-Bond-Typ einer Agentin geworden, sondern eine wild um sich schlagende Kampfmaschine mit einer deutlich zur Schau getragenen Verachtung für Schusswaffen. Lorraine bevorzugt Martial Arts. Leitch hat lange Jahre als Stuntman gearbeitet, er weiß also, was bei Actionszenen möglich ist. Und dieses Wissen setzt er hier gekonnt ein. Seine Protagonistin schlägt, stößt, tritt ihre Gegner mit einer unglaublichen Fülle von Varianten. Sie springt, weicht aus, wirft sich auf den Boden und benutzt alles, was sie auf die Schnelle in die Hand bekommen kann, als Waffe, angefangen von einem Gartenschlauch über ihren Haustürschlüssel bis hin zu einem Korkenzieher. Charlize Theron hat bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass ihr Actionszenen liegen, am nachdrücklichsten zweifellos in "Mad Max: Fury Road". Hier ist sie sogar noch stärker gefordert, denn die Kampfszenen erfordern noch einmal mehr Kraft und Konzentration als das Endzeit-Spektakel von George Miller. Aber auch diese Herausforderung meistert sie mit Bravour.

Theron ist natürlich der Star des Films. Aber neben ihr tauchen noch eine ganze Reihe weiterer bekannter Gesichter auf. Allen voran ist James McAvoy zu nennen, der einst mit "Der letzte König von Schottland" bekannt wurde und in den letzten Jahren in der Rolle des jungen Charles Xavier in den X-Men-Filmen in Erscheinung trat. Dazu kommen John Goodman als CIA-Mann Emmett Kurzfeld, der wunderbare britische Schauspieler Toby Jones als Vorgesetzter von Lorraine Broughton, Eddie Marsan ("Ray Donovan") als Überläufer, Sofia Boutella ("Die Mumie") als französische Agentin sowie nicht zu vergessen Til Schweiger als mysteriöser Uhrmacher mit Kontakten.

"Atomic Blonde" hat während in der ersten Hälfte einige Längen, die vor allem durch die unnötig komplizierte Handlung zustandekommen. Im letzten Drittel nimmt er jedoch noch einmal Fahrt auf und lässt die anfänglichen Durchhänger vergessen. Ein filmisches Meisterwerk darf man zwar nicht erwarten. Doch auf seine Weise ist er mit seiner Mischung aus Agenten- und Actionthriller durchaus originell. Die guten Schauspieler und die gekonnt in Szene gesetzten Kampfsequenzen und Verfolgungsjagden tun ein Übriges, dass man den Kauf des Kinotickets nicht bereut.

"Atomic Blonde" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Mittwoch 29 November 2017 16:50

Filmkritik: "Planet der Affen: Survival"

Geschrieben am Dienstag 08 August 2017 um 22:50 von Roland Freist

Es lebe der Affe

2017 scheint das Jahr der sterbenden Filmserien zu werden, nach der "Alien"-Serie kommt nun nach beinahe 50 Jahren offenbar auch das Ende für "Planet der Affen". Der neu angelaufene "Planet der Affen: Survival" (der im Englischen wesentlich passender "War for the Planet of the Apes" heißt) zeigt in seinen letzten Einstellungen exakt den Ort, an dem ein paar Jahre später Charlton Heston im ersten PdA-Film mit seinem Raumschiff stranden wird. Der Kreis hat sich also geschlossen. Und da es sich voraussichtlich um den letzten Teil der Sage handelt – obwohl: you never know – haben sich alle Beteiligten noch einmal Mühe gegeben und einen der besten Filme dieser Serie produziert.

Das gilt nicht nur für Story und Umsetzung, sondern auch und vor allem für die Technik. Selten zuvor ist einem so deutlich vor Augen geführt worden, wie rasant sich die Möglichkeiten beim computerbasierten Design von Gesichtern in den vergangenen Jahren entwickelt haben. Noch nie zeigte der Schimpanse Caesar, der erneut als Anführer der Affen auftritt, eine so eindrucksvolle, individuelle Mimik. Nie zuvor konnte man in seinen Gesichtszügen so deutlich Andy Serkis entdecken, der die Figur auch dieses Mal wieder spielt. Gleichzeitig ist Caesar aber eindeutig ein fellbesetzter Hominide, der ohne Zweifel auch das Gesicht eines Affen besitzt. Der Effekt ist tatsächlich verblüffend und sogar leicht beunruhigend.

Die Story: Während die verbliebenen Menschen durch einen Virus einer nach dem anderen in ihren kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt und in ihrer Entwicklung zurückgeworfen werden, haben sich die Affen in den Wäldern der amerikanischen Westküste ein hölzernes Dschungelfort gebaut. Dort werden sie vom Colonel (Woody Harrelson) und seinen Leuten aufgespürt, die Caesars Frau und Sohn töten. Mit drei Getreuen bricht er auf, um Rache zu nehmen, und findet die Festung des Colonels, ein ehemaliges Munitionsdepot. Doch die Menschen waren schneller und haben während der Abwesenheit von Caesar die Dschungelstadt überfallen, alle Affen gefangen genommen und sie in eine Art Kriegsgefangenenlager eingesperrt, wo sie zur Arbeit in einem Steinbruch gezwungen werden. Doch der Colonel hat sich nicht nur die Affen zu Feinden gemacht, aufgrund seines brutalen Umgangs mit dem Gegner wird er auch von den gesamten verbliebenen Streitkräften der USA gejagt.

Colonel? Dschungelfestung? Das hat man schon einmal gesehen. Und es sind nicht die einzigen Hinweise auf "Apocalypse Now", die Regisseur Matt Reeves eingebaut hat. Das beginnt bei dem kahlgeschorenen Colonel (nebenbei: Woody Harrelson ist hier mal wieder ganz ausgezeichnet) und reicht bis hin zu der Reise durch den Dschungel und den teilweise absurden Begegnungen. Zudem nimmt "Planet der Affen: Survival" auch Anleihen bei anderen Klassikern des Kriegsfilms wie "Gesprengte Ketten" und "Die Brücke am Kwai". Ein solches Meisterwerk ist "Survival" natürlich nicht, doch er gehört auf jeden Fall zu den besseren, intelligenteren Sommer-Blockbustern.

Dazu trägt auch bei, dass es der erste der neuen Prequel-Filme ist, der seine Geschichte konsequent aus Sicht der Affen erzählt. Sie sind nicht nur die neuen Herren der Welt, sondern sie haben auch den Kampf um die Deutungshoheit gewonnen. Caesar ist der unbestrittene Held in diesem Krieg, die Menschen haben in die Rollen der Bösewichte gewechselt. Der Mensch ist tot, es lebe der Affe.

"Planet der Affen: Survival" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Mittwoch 09 August 2017 11:11

Filmkritik: "Dunkirk"

Geschrieben am Mittwoch 02 August 2017 um 10:54 von Roland Freist

Warten am Strand

Die Schlacht um die nordfranzösische Küstenstadt Dünkirchen im Mai und Juni 1940 war eine der größten Niederlagen der französischen und britischen Armee während des Zweiten Weltkriegs. Eingekesselt von deutschen Truppen, sammelten sich Hunderttausende Soldaten, darunter zahlreiche Angehörige des Britischen Expeditionskorps, am Strand, um per Schiff nach England evakuiert zu werden, während immer wieder neue deutsche Luftangriffe die wartenden Soldaten ins Visier nahmen.

Regisseur Christopher Nolan nimmt diese Ereignisse als Hintergrund für seinen neuen Film "Dunkirk". Allerdings versucht er nicht einmal, die Schlacht selbst darzustellen, das interessiert ihn offensichtlich nicht. Stattdessen konzentriert er sich auf drei Handlungsstränge mit einigen wenigen Personen, die er zum Schluss in gemeinsamen Szenen zusammenführt. Strang Nummer eins ist die Geschichte eines jungen Soldaten namens Tommy (Fionn Whitehead), der wohl nicht nur aufgrund seines Namens stellvertretend für die britischen Truppen steht. Der Film zeigt ihn, wie er versucht zu überleben und auf ein Schiff zu kommen, das ihn über den Kanal nach Hause bringt, während nahezu alle Personen um ihn herum nacheinander sterben. Der zweite Handlungsfaden verfolgt den britischen Spitfire-Piloten Farrier (Tom Hardy), der von England aus aufbricht, um die britischen Kriegsschiffe und die Truppen am Strand vor den Angriffen deutscher Bomber und Jagdflugzeuge zu schützen. Die dritte Story erzählt die Geschichte eines Fischers (Mark Rylance), der nach einem Aufruf der britischen Regierung mit seinem Boot nach Frankreich aufbricht, um bei der Evakuierung der Truppen zu helfen.

"Dunkirk" ist zwar ein Kriegsfilm, allerdings ein sehr ungewöhnlicher. Er spielt in einem Zeitrahmen von etwa einem halben Tag, als die Schlacht schon lange vorbei und verloren ist. Seine Dramatik gewinnt er allein durch die verzweifelte Lage der Soldaten am Strand, auf groß angelegte Gefechtsszenen verzichtet er. Mit Ausnahme einer wenige Sekunden dauernden Szene am Schluss sieht man während des gesamten Films keine deutschen Soldaten. Die Engländer nennen sie nur "die Krauts" oder "der Gegner", es bleiben anonyme Figuren. All das trägt zu dem Eindruck bei, dass die Geschichten, die der Film erzählt, in jedem beliebigen Krieg spielen könnten. Es geht um Soldaten, die nur noch nach Hause wollen, und um andere, die einfach das Richtige tun wollen. Ob das Szenario nun im besetzten Frankreich des Jahrs 1940, in Vietnam oder im Irak angesiedelt ist, wird zur Nebensache. Hier geht es um ganz normale Menschen in Kriegszeiten, was in ihnen vorgeht, wie sie handeln. Sehr wohltuend ist, dass Nolan auf patriotische Überhöhungen weitgehend verzichtet.

Leider gelingt es dem Regisseur aber auch dieses Mal nicht, seine Figuren zu echtem Leben zu erwecken. Seine Filme waren schon immer ein wenig zu kopflastig, zu konstruiert, nie hat man den Eindruck, dass er mit all seinem Herzblut hinter einem Projekt steht. Selbst bei einem so brillanten Streifen wie "Interstellar", der auf faszinierende Weise Astrophysik mit Reflexionen über die Liebe verknüpft und dessen Hauptfiguren von großartigen Schauspielern verkörpert werden, blieb zwischen den Charakteren und den Zuschauern immer eine gewisse Distanz bestehen.

"Dunkirk" ist aber vielleicht gerade deswegen ein sehr guter Film geworden. Natürlich sind auch die Bilder toll, die unübersehbaren Massen der Truppen am Strand, die in langen Schlangen auf Transportschiffe warten, die einfach nicht kommen wollen, die Luftkämpfe über dem Kanal zwischen den britischen Spitfires und den deutschen Messerschmidt-Jägern. Doch seine wahre Faszination entwickelt der Film, da er ein Massenereignis nimmt und es in drei einfachen Geschichten rund um ein halbes Dutzend Männer widerspiegelt.

"Dunkirk" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "Valerian – Die Stadt der tausend Planeten"

Geschrieben am Montag 24 Juli 2017 um 22:58 von Roland Freist

Der Film der tausend Planeten

Während die beiden Comic-Giganten Marvel und DC Comics seit Jahren einen Blockbuster nach dem anderen raushauen, war es um die europäischen Comics bislang verhältnismäßig still geblieben. Es mangelt vor allem an Realfilmen. Gut, es gab die Asterix-Verfilmungen mit Gérard Depardieu als Obelix, die man aber insgesamt eher als missglückt betrachten muss. Es gab den Tim-und-Struppi-Film von Spielberg, dem jedoch das Herz fehlte. Nun hat sich Luc Besson mit "Valerian – Die Stadt der tausend Planeten" darangemacht, mit großem Budget und hohem Aufwand einen der zahlreichen Action-Comics aus dem französischen Sprachraum zu verfilmen. Dort erschienen die Science-Fiction-Stories um die beiden Agenten Valerian und Laureline ab 1967 in der Zeitschrift Pilote. Ab 1973 wurde die Serie für den deutschen Markt durch das legendäre Zack-Magazin übernommen und aus ungeklärten Gründen in "Valerian und Veronique" umbenannt.

Der Film beginnt mit der Geschichte der Stadt der tausend Planeten. Ihr Herz bildet die ISS, die im Laufe der Jahrhunderte immer weitere Anbauten bekam und neue Besatzungsmitglieder aufnahm, darunter zunehmend Angehörige fremder Zivilisationen, mit denen die Menschheit in Kontakt trat. So wuchs sie zu einer riesigen Kugel heran, die irgendwann für den Erdorbit zu groß wurde und seither wie ein Raumschiff das All durchquert. Als der Film beginnt, leben mehr als 5000 Spezies auf der Station, die zu einer Großstadt namens Alpha herangewachsen ist.

Dort sind Major Valerian (Dane DeHaan) und Sergeant Laureline (Cara Delevingne) vom Raum-Zeit-Service stationiert. Der Film stellt sie vor mit einer schönen, actionreichen Verfolgungsjagd durch einen Basar in einer anderen Dimension, bei der sie ein gürteltierähnliches Alien sicherstellen, das die Fähigkeit besitzt, jeden beliebigen Gegenstand zu vervielfältigen. Es stammt von einem Planeten, der uns bereits in einer Eingangsszene des Films vorgestellt wurde, mit paradiesischer Natur und bevölkert von zartgliedrigen, friedfertigen Wesen, die vermutlich nicht ganz zufällig an die Na’vi, die blauen Hippies aus James Camerons "Avatar" erinnern.

Mit dem Alien im Gepäck reisen Valerian und Laureline zurück nach Alpha, wo sie den Oberkommandierenden Arun Filitt (Clive Owen) beschützen sollen, der jedoch trotzdem von geheimnisvollen Angreifern entführt und in einen entlegenen, angeblich radioaktiv verseuchten Bereich tief im Bauch von Alpha gebracht wird.

Spätestens ab diesem Punkt weiß man als Zuschauer, wie sich die Handlung voraussichtlich weiterentwickeln wird. Und tatsächlich hält die Story von "Valerian" im weiteren Verlauf keine großen Überraschungen bereit. Wesentlich interessanter sind denn auch die CGI-Effekte des Films. Besson hatte im Vorfeld erzählt, er habe den Comic – den Lieblingscomic seiner Jugend – schon seit Jahren verfilmen wollen. Doch erst jetzt sei die erforderliche Technik verfügbar. Und die nutzt er weidlich aus. Mit einer unglaublichen Liebe zum Detail beschreibt er etwa die Tausenden von Handelsständen im großen Basar und anschließend das Innere von Alpha, wo Wasserwesen neben kleinen Computer-Konstrukteuren mit flinken Händen und großen, ungeschlachten Höhlenbewohnern leben. Die Phantasie, die hinter all diesen Wesen und Welten steckt, die Faszination, die von den verschiedenen Körpern, Farben, Bewegungsarten ausgeht, ist das wichtigste Argument, das für diesen Film spricht.

Denn leider hat er auch etliche Schwächen. Neben der einfallslosen Story sind das vor allem die beiden Hauptfiguren, von denen man einfach zu wenig erfährt. Dane DeHaan ist ein gutaussehender Kerl und mag auch ein passabler Darsteller sein, doch hier wirkt er einfach nur glatt. Cara Delevingne dagegen, die Frau mit den eindrucksvollen Augenbrauen, in Deutschland vor allem durch die Zalando-Werbung bekannt, ist zwar keine sonderlich gute Schauspielerin – ihre Bewegungen wirken teilweise zu angestrengt und gekünstelt –, doch sie hat sich ganz offensichtlich Gedanken über ihre Figur gemacht, wie sie in einer bestimmten Situation reagieren, was sie tun würde. Ihre Laureline wirkt daher wesentlich lebendiger und zugänglicher als Valerian.

Neben diesen beiden treten noch eine Reihe weiterer bekannter Namen auf. So spielt Jazzmusiker Herbie Hancock den Verteidigungsminister von Alpha, Ethan Hawke gibt einen Zuhälter und Popstar Rihanna mimt eine Gestaltwandlerin, die sich als Schauspielerin versucht, was eine ganz eigene Ironie ergibt.

"Valerian" nimmt viele Anleihen bei "Avatar" und Bessons eigenem Film "Das fünfte Element". Technisch ist er brillant und daher einen Kinobesuch wert, doch das allein reicht für einen guten Film leider nicht aus.

"Valerian" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Montag 24 Juli 2017 23:44

Filmkritik: "Die Mumie (2017)"

Geschrieben am Dienstag 13 Juni 2017 um 22:46 von Roland Freist

Hätte man sie doch bloß nicht wiederbelebt

Mumien sind seit jeher beliebte Elemente des klassischen Horrorfilms, was wohl vor allem damit zu tun hat, dass bereits die Vorstellung, wie die Leiche unter den ganzen Mullbinden wohl aussehen mag, ein leichtes Gruselgefühl hervorruft. Wenn die in Jahrtausenden vertrockneten Körper dann noch aufstehen und die Lebenden mit allerlei altägyptischem Zauber bedrohen, hat man alle Zutaten für einen gelungenen Grusel beisammen. Eigentlich sollte dann nicht mehr viel schiefgehen können. Kann es aber doch, wie die 2017er Version von "Die Mumie" beweist.

Wohl jeder kennt die 1999er Version mit Brendan Fraser als zwielichtigem Grabräuber im Ägypten der 20er Jahre. "Die Mumie" von 2017 nun verlegt die Handlung in die Gegenwart und setzt auf die beiden Superstars Tom Cruise und Russell Crowe. Cruise spielt den amerikanischen GI Nick Morton, der während des Irakkriegs ausbüxt, um in der Wüste einen sagenhaften Schatz zu suchen. Zusammen mit seinem Kumpel Chris (Jake Johnson) und der hübschen Archäologin Jenny Halsey (Annabelle Wallis) stößt er tatsächlich auf eine Grabhöhle mit einem stark geschützten Sarkophag, der daraufhin nach London überführt wird. Warum Amerikaner ein archäologisches Fundstück nach England bringen, wird übrigens nicht weiter erklärt.

Wie auch immer: Der Sarkophag dient natürlich als Gefängnis für eine Mumie, in diesem Fall die Überreste einer ägyptischen Prinzessin namens Ahmanet (Sofia Boutella). Sie sollte ehemals als älteste Tochter des Pharaos das ägyptische Reich erben, was aber quasi in letzter Minute nicht klappte, woraufhin sie sich mit dem Gott Seth einließ und ihren Vater, dessen Frau und ihren gemeinsamen Sohn ermordete. Nachdem nun Nick ihre Fesseln gesprengt hat, macht sie sich auf zur Weltherrschaft. Dabei soll ihr Nick zur Seite stehen, der, man weiß nicht, wie's dazu kam, Ahmanets alten Verbündeten Seth in sich trägt. Er macht sich immer mal wieder durch Visionen aus dem alten Ägypten bemerkbar und steuert zeitweise auch Nicks Willen.

Diese Story hört sich nicht nur in der Nacherzählung dröge an, auch die Filmhandlung ist eher langweilig. Die Macher waren daher so klug, der Handlung keine größere Aufmerksamkeit zu schenken und sich voll und ganz auf die Horroreffekte zu konzentrieren. Hier liegen eindeutig die Stärken des Films, man spürt die Hollywood-Routine beim Aufbau der Buh-Effekte, wenn etwa die Protagonisten langsam auf einen Raum zugehen und plötzlich irgendwelche Monster oder Waffen ins Bild schießen. So gesehen erfüllt dieser Film seinen Daseinszweck, denn er ist gut geeignet für Teenager, die zusammen mit Freund oder Freundin ins Kino gehen und sich in Schreckmomenten aneinander kuscheln wollen. Ein typische Sommer-Blockbuster also.

Über die Handlung darf man sich freilich keine Gedanken machen. In London etwa taucht ohne ersichtlichen Grund der von Russell Crowe gespielte Dr. Jekyll auf, vielleicht weil dem Filmstudio ein Monster pro Film zu wenig war. Doch gerade als ich mich auf den Kampf zwischen Mumie und dem bösen Mr. Hyde zu freuen begann, war er auch schon wieder verschwunden und ward bis zum Ende des Films nicht mehr gesehen. Die Dialoge sind auf ähnlichem Niveau, Wortwechsel wie "Du hast seine Frau und ihr Kind getötet." "Das waren andere Zeiten damals." sind keine Seltenheit.

Immerhin macht Russell Crowe seine Sache noch recht gut. Das Gleiche kann man nicht über Tom Cruise sagen, der sich offensichtlich entschlossen hatte, eine Art Indy ohne den Professor-Jones-Überbau zu mimen. Das ist ihm weitgehend misslungen, sein Nick Morton ist einfach nur ein Hampelmann ohne jeden Charme. Angeblich hatte Nick bereits vor dem Eintreffen im Irak eine Affäre mit Jenny Halsey, was angesichts der Charaktere völlig ausgeschlossen erscheint. Die beiden Frauen übrigens, sowohl Annabelle Wallis wie auch die gebürtige Algerierin Sofia Boutella, erbringen zwar keine Meisterleistungen, agieren jedoch zumindest solide und ohne größere Ausrutscher.

Der 1999er Mumienfilm besaß Witz, Charme, eine nachvollziehbare Handlung und als glaubwürdiges Motiv eine sich über die Jahrtausende erstreckende Liebesgeschichte. Hinzu kamen einige für die damalige Zeit spektakuläre CGI-Effekte. Der "Mumie" von 2017 fehlt das alles, dies ist einfach nur ein zusammengeschustertes Stück Popcorn-Kino mit einigen gekonnt eingesetzten Horroreffekten. Wer seiner oder seinem Angebeteten im Kino näherkommen will, soll sich diesen Film ansehen. Alle anderen können darauf verzichten.

"Die Mumie" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Mittwoch 14 Juni 2017 15:18

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