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Filmkritik: "Flight"

Absturz

Definitiv kein Film fürs Bordkino. Gleich am Anfang von "Flight" steht eine Notlandung, die man als Zuschauer im Cockpit miterlebt. Sie beendet einen rund 20minütigen Horrorflug von Atlanta nach Orlando. Am Steuer sitzen Kapitän Whip Whitaker (Denzel Washington) und sein erster Offizier Ken Evans (Brian Geraghty). Bereits beim Start machen ihnen Seitenwinde, kräftige Turbulenzen und schlechtes Wetter zu schaffen, beim Anflug auf Orlando fällt dann noch das Höhenleitwerk aus. Die Maschine geht in den Sturzflug über, was Whitaker nur stoppen kann, indem er das Flugzeug auf den Rücken legt, so dass es kopfüber fliegt. Erst knapp über dem Boden dreht er es wieder in die richtige Lage und landet mit brennenden Triebwerken auf einem Feld. Von 102 Menschen an Bord, die Besatzung mitgezählt, überleben 96. Eine fliegerische Meisterleistung, für die Medien ist Whitaker ein Held.

Im Krankenhaus stellt sich jedoch schnell heraus, dass Whitaker nicht nur nicht nüchtern war, als er sich in den Pilotensessel setzte, sondern sturzbetrunken. Man misst 2,4 Promille in seinem Blut, dazu kommen Spuren von Kokain. Die Nacht zuvor war er mit einer der Flugbegleiterinnen im Bett, den mangelnden Schlaf wollte er mit einer Line Koks zum Frühstück, Zigaretten und viel schwarzem Kaffee kompensieren. An Bord hatte er sich sofort zwei Fläschchen Wodka genehmigt. Das alles ist normal für ihn, Whitaker ist seit Jahren Alkoholiker und hat aus diesem Grund bereits seine Frau und seinen Sohn verloren.

Im Krankenhaus konfrontieren ihn sein alter Freund Charlie Anderson (Bruce Greenwood) und der Anwalt Hugh Lang (Don Cheadle) mit den Tatsachen, und Lang erklärt ihm zudem, dass er für den Tod der sechs Menschen zur Rechenschaft gezogen werden könnte – irgendjemand muss schließlich als Schuldiger benannt werden. Whitaker drohen eine Klage wegen Totschlags und im Falle eines Schuldspruchs eine lebenslange Gefängnisstrafe.

"Flight" stellt einige interessante Fragen: Ist Whitaker ein Held, weil er 96 Menschen das Leben rettete? Oder verdient er eine Strafe, weil er betrunken geflogen ist und damit Menschenleben gefährdet hat? Könnten die sechs Toten noch leben, wenn er nüchtern gewesen wäre? Oder war es vielleicht nur einem Betrunkenen möglich, ohne nachzudenken dieses wahnwitzige Flugmanöver einzuleiten, das schließlich der Mehrheit der Passagiere und Besatzungsmitglieder das Leben rettete?

Whitaker will seinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Er ist stolz darauf, dass er das Flugzeug noch landen konnte und verweist darauf, dass das nur wenigen Piloten gelungen wäre. Eine Simulation der Untersuchungsbehörde gibt ihm Recht. Seinem Anwalt gelingt es, die Ergebnisse der Blutuntersuchung anzufechten, sie dürfen im Untersuchungsverfahren nicht verwendet werden. Wenn Whitaker nun behauptet, er sei nüchtern gewesen, kann niemand ihm das Gegenteil beweisen. Mittlerweile hat er wieder begonnen zu trinken, an manchen Tagen bis zur Bewusstlosigkeit.

Denzel Washington spielt in "Flight" einen Alkoholiker, der, wie viele Alkoholiker, der Überzeugung ist, alles im Griff zu haben. Doch der Film zeigt, wie alles um ihn herum in die Brüche geht, wie er im Suff seine wenigen Freunde vor den Kopf stößt und sie ihn verlassen. "Flight" ist in erster Linie ein Film über die Sucht.

Neben der erwähnten Flugsequenz am Anfang ist es vor allem die darstellerische Leistung von Denzel Washington, die diesen Film außergewöhnlich macht. Was in ihm vorgeht, verraten nur ganz kleine Gesten, ein Zusammenpressen der Lippen etwa oder ein flackernder Blick. Gefühlvolle Szenen, die andere Schauspieler genüsslich ausgewalzt hätten, um ihre Charakterstudien zu präsentieren, spielt er mit ein paar unkontrollierten Zuckungen der rechten Gesichtshälfte. Große Kunst, die so vermutlich auch nur auf der Kinoleinwand erkennbar ist. Auf dem Fernseher wird der Film einiges an Qualität verlieren.

Regisseur Robert Zemeckis ("Zurück in die Zukunft", "Forrest Gump") hat mit "Flight" nach langen Jahren wieder einen Film mit realen Darstellern gedreht, nachdem er sich zuletzt auf Animationsfilme wie "Der Polarexpress" konzentriert hatte. Es ist ein guter, aber seltsam langer Film geworden, bei dem man allerdings bereits zur Halbzeit weiß, wie er nach den Regeln des Kinos ausgehen muss. Zwar kommt nie Langeweile auf, dazu sind die Szenen zu abwechslungsreich und die Schauspieler zu gut. Doch als zum Schluss das erwartete Ende kommt, ist das trotzdem etwas enttäuschend, auch wenn einem der Verstand sagt, dass jede andere Schlussszene letztlich unbefriedigend und nicht möglich gewesen wäre.

"Flight" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Sonntag 27 Januar 2013 um 22:00 von Roland Freist

Bearbeitet: Freitag 01 März 2013 16:35

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