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Filmkritik: "Liebe"

Liebe bis in den Tod

Ein altes Ehepaar in Paris, beide in ihren 80ern. Sie, Anne (Emmanuelle Riva), war früher Konzertpianistin und gab Klavierunterricht, er, Georges (Jean-Louis Trintignant), hatte beruflich vermutlich ebenfalls mit Musik zu tun. Sie leben in einer Altbauwohnung mit altmodischen Möbeln aus dunklem Holz, umringt von Tausenden von Büchern, Platten und CDs, mit klassischen Ölgemälden an der Wand und einem Wandteppich im Flur. Es gibt eine Stereoanlage, aber weder Fernseher noch Computer. Finanziell haben sie ausgesorgt, Geld ist kein Thema. Sie lesen viel, gehen ins Theater, ab und zu bekommen sie Besuch von ihrer Tochter Eva (Isabelle Huppert) oder auch einem ehemaligen Schüler.

Die Beiden sind offensichtlich schon seit vielen Jahren verheiratet. Man erkennt das an den Routinen, die sie über die Jahre hinweg aufgebaut haben, an der Art, wie sie miteinander reden und sich ansehen, wie sie wissen, was der andere denkt, ohne dass es ausgesprochen werden müsste. Es ist ein sehr zärtlicher und liebevoller Umgang.

Eines Tages wird bei Anne eine Verkalkung der Halsschlagader festgestellt. Die folgende Operation geht schief, von fort an ist sie halbseitig gelähmt und muss im Rollstuhl sitzen. Beide reagieren sehr rational auf die neue Situation. Sie versuchen, ihr bisheriges Leben so gut es geht weiterzuführen – die gemeinsamen Mahlzeiten, das Schlafen in einem Bett – doch sie wissen, dass sich Annes Zustand vermutlich verschlechtern wird.

Nach einem zusätzlichen Schlaganfall kann Anne dann kaum noch sprechen, zudem ist sie nur noch selten bei klarem Bewusstsein. Sie muss nun den ganzen Tag im Bett liegen und braucht eine Krankenschwester, die sie regelmäßig versorgt. Georges ist überfordert, die gewohnten Routinen im Zusammenleben mit seiner Frau funktionieren nicht mehr. Er wird ungerecht gegenüber seinen Mitmenschen, auch seiner Frau gegenüber, verliert die Nerven, wenn sie sich nicht füttern lassen will. Er schottet sich und sie zunehmend von der Umwelt ab und will niemanden mehr zu ihr lassen.

"Liebe" zeigt zwei Menschen nach einer langjährigen und offenbar glücklichen Beziehung am Ende ihres Lebens. Es ist ein bildungsbürgerlicher Idealzustand, den Regisseur Michael Haneke ("Das weiße Band") hier vorführt, der verständnis- und respektvolle Umgang miteinander, Theaterbesuche, Gespräche über Literatur, das gemeinsame Interesse für Musik etc. Dann die beiden Schlaganfälle, die diese Idylle zerstören. In "Liebe" sieht man, wie Menschen reagieren, wenn sie mit einem solchen Ereignis konfrontiert werden. Anne und Georges sind zwei feinfühlige, gebildete Persönlichkeiten, seit vielen Jahrzehnten ein Paar: Was geschieht, wenn einer der Partner langsam verschwindet und für den anderen zu einer nicht mehr zu bewältigenden Last wird?

Michael Haneke erzählt diese Geschichte in langen, ruhigen Einstellungen und ohne auch nur eine Sekunde auf die Tränendrüse zu drücken. Der Ton des Films ist genauso kultiviert und kontrolliert wie die Charaktere, die er zeigt. Es ist ein Kammerspiel, mit Ausnahme einer Szene zu Anfang spielt sich alles in der etwas dunklen Wohnung ab. Michael Haneke hat für den Film seine Privatwohnung zur Verfügung gestellt, ihre Räume liefern die Kulissen für ungemein eindrucksvolle Bilder. Und Trintignant demonstriert, dass er immer noch ein großartiger Schauspieler ist.

Doch trotz der meisterhaften Regie und der dichten Atmosphäre habe ich mich nach etwa einer Stunde bei einem Blick auf die Uhr ertappt. Georges erklärt zwischendurch, der Krankheitsverlauf seiner Frau sei vorhersehbar. Das Gleiche gilt für die Handlung – es geschieht weitgehend genau das, was man erwartet. "Liebe" konzentriert sich auf die innere Entwicklung der beiden Hauptpersonen und insbesondere auf die von Georges. Doch auch sein Verhalten ist letztlich nicht überraschend. So ist "Liebe" ein Film geworden, den man wegen seiner genauen Beobachtungen, der eindrucksvollen Atmosphäre und den tollen Schauspielern genießt, der jedoch inhaltlich wenig Neues zu bieten hat.

"Liebe" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Montag 17 September 2012 um 17:23 von Roland Freist

Bearbeitet: Samstag 12 Januar 2013 16:27

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