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Filmkritk: "Ein Prophet"

Das Entstehen eines Gangsters

Dies ist eine Erfolgsgeschichte, die Geschichte eines Aufstiegs. Der französische Film "Ein Prophet" erzählt, wie aus einem schüchternen, kleinkriminellen Niemand ein führendes Mitglied des organisierten Verbrechens wird. Zu Anfang sehen wir wie Malik El Djebena (Tahar Rahim), ein 19jähriger, arabischstämmiger Junge, eine sechsjährige Haft in einem Pariser Gefängnis antritt. Was er getan hat, darauf gibt es nur vage Hinweise. Kannst du noch etwas anderes als Polizisten anzugreifen, fragt ihn einer der Wärter. Aber was da genau geschehen ist, unter welchen Umständen und mit welchem Ergebnis, erfährt der Zuschauer nicht. Er sieht lediglich einen verängstigten, mageren Jugendlichen, der die meiste Zeit auf den Boden schaut und auf dem Rücken sowie im Gesicht etliche, teilweise noch nicht verheilte Narben trägt. Als der Gefängnisbeamte ihn fragt, ob er noch Verwandte habe oder Bekannte hier im Knast, verneint er.

Das Gefängnis wird regiert von César Luciani (Niels Arestrup), einem Anführer der korsischen Mafia. Er ist ständig von Leibwächtern umgeben und kontrolliert den Knast, indem er die Wächter schmiert. Zum Gefängnis gehört jedoch noch ein zweiter Block, auf den er keinen Zugriff hat. Dort sind die Araber untergebracht. Einer von ihnen soll in einigen Tagen gegen ein Mitglied von Césars Organisation aussagen. Als Malik eintrifft, beschließen die Korsen, den jungen Araber für sich zu gewinnen und so unter Druck zu setzen, dass er den Verräter tötet. Malik hat noch nie jemanden umgebracht und ist verzweifelt. Doch er erkennt, dass er nur die Wahl hat, entweder den Auftrag auszuführen oder selbst zu sterben. Die Korsen zeigen ihm, wie man einen Menschen mit einer Rasierklinge ermordet, und César besticht die Wärter, damit sie wegschauen. Es wird ein blutiger Mord, doch er gelingt. César bezahlt Malik mit einer Stange Marlboro und seiner Protektion.

Im Lauf der folgenden Jahre gewinnt Malik immer mehr das Vertrauen des Korsen. Er beginnt, die Machtverhältnisse zu durchschauen und wird zunehmend selbstbewusster. Er ist nicht dumm. In der Gefängnisschule lernt er lesen und schreiben, und in seiner Freizeit vertieft er sich in ein korsisches Wörterbuch, um die Sprache seiner Bosse zu lernen. Als er nach drei Jahren zum ersten Mal Ausgang hat, nutzt er die Zeit, um für César einen Auftrag auszuführen und nebenbei auch noch für sich etwas Geld zu verdienen. Bald handelt er mit Drogen und baut mit dem verdienten Geld eine eigene Gefolgschaft auf.

Das könnte die Geschichte einer wunderbaren Freundschaft sein – der alte Mafiapatriarch übergibt sein Wissen und zum Schluss auch die Macht an den ehrgeizigen jungen Nachfolger. Doch dies ist nicht "Der Pate". In dieser Gesellschaft überlebt nur jemand, der sich durch Loyalität und Freundschaft in seinem Tun nicht einschränken lässt. Alte Bündnisse werden innerhalb von Minuten gekündigt, wenn jemand ein besseres Angebot macht. Weil Malik die Strukturen erkennt, die Reaktionen der Menschen in seiner Umgebung wie ein Prophet vorhersagen kann und kaltblütig immer nur an seinen eigenen Vorteil denkt, geht er zum Schluss als Sieger aus dem Knast.

Während des gesamten Films bleibt die Kamera extrem nah bei den Gesichtern der Protagonisten, so als suche sie darin etwas, Gefühle oder Gedanken. Doch die Menschen zeigen nie, was sie wirklich denken. In ihren Augen sieht man, dass es in ihnen arbeitet. Doch das Ergebnis lässt sich nur an ihren Taten ablesen. Umso erschreckender sind daher die rasend schnell entstehenden Gewaltszenen, in denen selbstgebaute, archaische Messer wie Blitze aus dem Nirgendwo zu kommen scheinen.

Kein Film hat in Frankreich jemals so viele Filmpreise abgeräumt wie "Ein Prophet". Insgesamt sind es neun Césars geworden, unter anderem für den besten Film, den besten Regisseur, den besten Hauptdarsteller und die beste Kamera, hinzu kam der große Preis der Jury in Cannes. Regisseur Jacques Audiard ist ein großer Knastfilm gelungen, der den Zuschauer ohne eine einzige Minute der Langeweile zweieinhalb Stunden lang in seinen Bann zieht.

"Ein Prophet" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Geschrieben am Dienstag 16 März 2010 um 17:51 von Roland Freist

Bearbeitet: Sonntag 03 Juli 2011 16:40

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