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Archiv vom Dezember 2012

Filmkritik: "Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger"

Geschrieben am Montag 31 Dezember 2012 um 17:51 von Roland Freist

Schwimmbecken mit Tiger

Hier kommt einer der poetischsten Filme des Jahres, ein Märchen, das sich anfühlt, als sei es der reichen Mythologie Indiens entnommen. Ein Junge treibt zusammen mit einem Tiger monatelang orientierungslos auf dem Meer, sie bilden eine Notgemeinschaft, hungern gemeinsam, haben Angst, Durst, und finden doch immer wieder Wege, um zu überleben. Doch zum Schluss stellt sich heraus, dass --- Stopp! Keine Spoiler an dieser Stelle.

Also noch einmal von Anfang an: Die Hauptperson, Pi (Suray Sharma), heißt eigentlich Piscine, wie das französische Wort für Swimming Pool. Da seine Klassenkameraden diesen Namen jedoch voller Wonne wie "Pisser" aussprechen, verkürzt er ihn schon bald zu Pi. Wohl um seinen Spitznamen vollends vergessen zu machen, eignet er sich in der Folge ein umfassendes Wissen über die Zahl Pi an und lernt unter anderem Dutzende ihrer Nachkommastellen auswendig.

Pis Vater (Adil Hussain) besitzt einen Privatzoo in Indien. Hier lebt auch ein Tiger, der infolge eines bürokratischen Irrtums den Namen Richard Parker trägt. Pi ist fasziniert von dem Tier, doch sein Vater zeigt ihm in einer eindringlichen Demonstration, dass es sich um ein gefährliches Raubtier handelt, und lässt den Tiger vor den Augen des Jungen eine Ziege töten und fressen.

Pi entwickelt sich zum Vegetarier. Der lange erste Teil des Films zeigt ihn bei seiner Suche nach Spiritualität, nacheinander probiert er es mit dem Christentum, dem Islam und dem Hinduismus. Zum Glück behält der Film immer seinen leichten Ton bei – Pis Familie begleitet seine religiösen Experimente mit der Bemerkung, dass sein Jahr, wenn er so weitermache, bald nur noch aus religiösen Feiertagen bestehe.

Wenn Sie sich beim Lesen des Artikels langsam fragen, wann denn endlich der Teil mit dem Schiffbruch und dem Tiger auf hoher See kommt – das Gleiche habe ich mich im Kino auch gefragt.

Da sich der Zoo finanziell nicht mehr rechnet, entschließt sich die Familie, nach Kanada auszuwandern. Die Tiere nehmen sie mit, da sie sie in der neuen Heimat teurer verkaufen können. Doch eines Nachts während eines Unwetters kentert das Schiff, und lediglich Pi, der Tiger Richard Parker, ein Gorilla, ein Zebra und eine Hyäne können sich mit einem Rettungsboot in Sicherheit bringen.

Es beginnt eine 227 Tage lange Odyssee. Schon bald sind nur noch Pi und der Tiger am Leben. Zu essen gibt es zumindest für den Jungen genug: Das Rettungsboot ist für 30 Personen ausgelegt und enthält daher ausreichend Schiffszwieback und Frischwasser, um ihn längere Zeit am Leben zu erhalten. Der Film erzählt in der Folge, wie Pi und der Tiger lernen, miteinander umzugehen, wie er Methoden entwickelt, Regenwasser aufzufangen und Fische aus dem Meer zu ziehen. Die Fahrt des Jungen und seines tierischen Begleiters in einer unbekannten Umgebung erinnert nun teilweise an ein Fantasy-Abenteuer. Regisseur Ang Lee ("Tiger and Dragon", "Brokeback Mountain") verstärkt diesen Eindruck noch durch die warmen Farben, in denen er die windstillen Tage auf dem spiegelglatten Meer dreht, sowie durch Lichteffekte wie das geheimnisvolle Fluoreszieren von Fischen und Quallen bei Nacht.

"Life of Pi" nutzt die Möglichkeiten der digitalen Tricktechnik voll aus, setzt die Effekte jedoch überlegt und sinnvoll ein, ohne damit zu protzen. So ist beispielsweise der Tiger in nahezu allen Aufnahmen erst nach den Dreharbeiten am Computer entstanden, wirkt jedoch in keinem einzigen Moment wie ein künstliches Wesen. Zudem hat Ang Lee den Film in 3D gedreht. Und auch diese Technik verwendet er nur für solche Szenen, bei denen sie eine echte Verbesserung bringt. Auf diese Weise sind einige atemberaubende Aufnahmen entstanden, in denen etwa die Kamera unter der Wasseroberfläche nach oben zielt und das Boot in der Luft zu schweben scheint. Neben Camerons "Avatar" und Scorseses "Hugo Cabret" ist dies der dritte Film, bei dem sich die Investition in eine 3D-Aufführung lohnt. Es braucht offensichtlich einen wirklich guten Regisseur, um diese Technik sinnvoll zu nutzen.

Der Film passt sich in seinem Rhythmus der gemächlichen Dünung des Ozeans an. Die Geschichte wird als Rückblende gezeigt, der ältere, erwachsene Pi erzählt sie einem jungen kanadischen Schriftsteller, der vermutlich für Yann Martel stehen soll, den Autor der Romanvorlage. Der Zuschauer weiß also von vornherein, dass Pi überleben wird, und kann sich auf das Geschehen im und rund um das Rettungsboot konzentrieren. Der Film trägt, wie anfangs bereits gesagt, märchenhafte Züge, und ist andererseits vom Aufbau her ein klassischer Abenteuerstreifen, mit Schiffbruch, Robinsonade und Rettung.

Doch das Ende wirft alles um. Pi erzählt dort eine alternative Version der Geschichte, und man erkennt, dass man sich von den meisterhaft komponierten Bildern hat täuschen lassen. Dabei gibt der Regisseur, sieht man genau hin, durchaus versteckte Hinweise, die man jedoch als Zuschauer nicht richtig interpretiert. Durch die Enthüllungen am Schluss gewinnt der Film eine Tiefe, die ihn endgültig abrundet und sein wahres Thema enthüllt. Ohne den Schluss hätte ich "Life of Pi" vermutlich drei oder dreieinhalb Sterne gegeben, für einen ruhig erzählten, etwas zu langen Abenteuerfilm mit einer Handlung ohne große Überraschungen, tollen Bildern und einigen schönen Details. Doch seine volle Wirkung entfaltet er erst nach Ablauf der ganzen 127 Minuten Laufzeit, und man erkennt in der Rückschau, dass es hier um wesentlich mehr ging als um die Irrfahrt eines Jungen auf dem Ozean. Denn mal ehrlich: Hat wirklich irgendjemand geglaubt, dass ein hungriger Tiger ein leckeres menschliches Horsd'œuvre auslassen würde, bloß weil es Freundschaft mir ihm schließen will?

"Life of Pi" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Donnerstag 14 Februar 2013 10:44

Rita Hayworth tanzt zu "Stayin' alive"

Geschrieben am Donnerstag 27 Dezember 2012 um 17:54 von Roland Freist

Mir war bislang nicht bewusst, in wie vielen Musicals Rita Hayworth mitgespielt hatte. Und sie konnte tatsächlich tanzen und machte selbst neben dem eleganten Fred Astaire eine gute Figur. Aber sehen Sie selbst:

Bearbeitet: Montag 14 Januar 2013 17:26

Filmkritik: "Beasts of the Southern Wild"

Geschrieben am Freitag 21 Dezember 2012 um 16:53 von Roland Freist

Der Film zum Weltuntergang

Die sechsjährige Hushpuppy (Quvenzhané Wallis) und ihr Vater Wink (Dwight Henry) leben in einer Gegend namens The Bathtub, einem weitgehend überfluteten Sumpfgebiet im Süden der USA, das durch einen Damm von der Außenwelt getrennt ist. Genau wie die anderen Familien, die hier ihre Hütten aus Müll, Brettern und Wellblech errichtet haben, sind auch sie bettelarm. Wink fischt Shrimps und Krebse, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, und schlachtet ab und zu ein Huhn. Hushpuppys Mutter ist kurz nach ihrer Geburt verschwunden oder vielleicht auch gestorben – Wink erklärt seiner Tochter, sie sei davongeschwommen. Die allgemeine Armut in der Gegend hat aber auch ihre Vorteile. Jeder kennt jeden, eine staatliche Aufsicht existiert nicht, auch der Schulunterricht für die Kinder wird intern organisiert. Nur für die ärztliche Versorgung müssen die Menschen aufs Festland fahren. Eines Tages ist Wink plötzlich verschwunden. Als er wieder auftaucht, trägt er ein Armband, wie es im Krankenhaus den Patienten gegeben wird, und er benimmt sich seiner Tochter gegenüber unfreundlich und abweisend.

"Beasts of the Southern Wild" wird aus der Sicht von Hushpuppy erzählt, immer wieder wird ihr innerer Monolog eingeblendet. Sie vermisst ihre Mutter, ruft oft nach ihr, und versteht ihren Vater nicht, der zum einen versucht, sie loszuwerden, und gleichzeitig Angst um sie zu haben scheint. Er bringt ihr Tricks und Kniffe bei, mit denen sie ohne seine Hilfe in der Wildnis überleben kann. Sie sieht, dass er viel trinkt, und sie sieht auch, dass er schwer krank ist.

In der Natur gehen zwischenzeitlich Veränderungen vor. Durch die Klimaerwärmung schmilzt das Eis in der Arktis, und Auerochsen, mystische, urtümliche Wesen, die hier aussehen wie überdimensionale Wildschweine mit Hörnern auf der Stirn, erwachen zum Leben und marschieren südwärts. Über der Bathtub geht ein gewaltiges Gewitter nieder, zerstört etliche Hütten und lässt den Wasserspiegel ansteigen. Nur noch eine Handvoll Bewohner bleibt zurück, ist nun aber größtenteils auf schwimmende Behausungen angewiesen. Als Wink und ein paar andere eines Tages eine Lücke in den Damm sprengen, fließt das Wasser zwar ab, doch ihre alte Heimat ist weitgehend zerstört. Die verbliebenen Bewohner werden zwangsweise evakuiert und aufs Festland gebracht. Wink wird operiert, und die Auerochsen kommen immer näher.

Man kann die Ereignisse im Film deuten als das Spiegelbild dessen, was in Hushpuppy vorgeht. Ihre Welt und darin vor allem ihr Vater werden durch dunkle Kräfte von außen bedroht, Kräfte, die sie nicht versteht, und wegen denen sie in ständiger Angst lebt. Oder man stellt sich die gesamte Erde vor wie The Bathtub, mit Menschen, die durch den steigenden Wasserspiegel ihre Heimat verlieren. Und vielleicht ist sogar beides richtig. Seine Wirkung bezieht der Film aber dennoch in erster Linie aus der Geschichte eines kleinen Mädchens, dessen Vater unheilbar krank ist, und der sie deshalb, auch wenn es ihn unendlich schmerzt, so von sich selbst abnabeln will, dass sie gezwungen ist, auf eigenen Füßen zu stehen.

Benh Zeitlin hat mit "Beasts of the Southern Wild" seinen ersten Spielfilm gedreht, praktisch keiner der Schauspieler hatte zuvor schon einmal vor einer Kamera gestanden. Das gilt auch für den Darsteller von Wink, der in diesen Film kam, weil er im realen Leben die Bäckerei gegenüber dem Produktionsstudio führte. Quvenzhané Wallis ist sogar so gut in ihrer Rolle, dass Zeitlin den Film nachträglich ganz auf sie zuschnitt. Von ihrer Darstellung der Hushpuppy sowie der Musik, einem ständig wiederholten, eindringlichen Motiv, bezieht "Beasts of the Southern Wild" seine hypnotische Kraft.

"Beasts of the Southern Wild" hat beim Sundance Festival, dem wichtigsten Treffen der Independent-Filmer, den großen Preis der Jury gewonnen, in Cannes gab’s für Benh Zeitlin die Goldene Kamera. Und das zu recht, denn dies ist einer der besten Filme der Saison.

"Beasts of the Southern Wild" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Montag 14 Januar 2013 17:29

Filmkritik: "Der Hobbit – Eine unerwartete Reise"

Geschrieben am Donnerstag 20 Dezember 2012 um 17:33 von Roland Freist

Mittelerde reloaded

"Jede gute Geschichte ist es wert, ausgeschmückt zu werden." So sagt es Gandalf (Ian McKellen) an einer Stelle in diesem überlangen Film. Und es scheint so, als habe sich Regisseur Peter Jackson diesen Satz während der Arbeit an "Der Hobbit – Eine unerwartete Reise" übers Bett gehängt. Denn der Film besteht zu einem großen Teil aus Nebenhandlungen und Erzählungen der Vorgeschichte, die im Buch entweder nur kurz angerissen werden oder auch überhaupt nicht vorkommen. Das geht natürlich in Ordnung: Wenn die Drehbuchautoren gute Geschichten zu erzählen haben, ist mir die Werktreue weitgehend egal. Puristen werden natürlich die Nase rümpfen. Auf der anderen Seite besteht allerdings die Gefahr, dass sich der Film aufgrund der ständigen Abschweifungen bei seiner Erzählung verzettelt und die Handlung aus dem Rhythmus gerät. Und genau das ist eines der Mankos dieses ersten Teils der Hobbit-Saga.

Doch zunächst zu den positiven Aspekten: "Der Hobbit" ist ein gut gemachtes, großes Epos, das nach einer langen Anlaufphase Spannung und Dynamik entwickelt und, abgesehen von einigen etwas langatmigen Dialogphasen, nie den Wunsch entstehen lässt, es möge hier doch bitteschön mal etwas vorangehen. Der Film erzählt die Geschichte einer Gruppe von zwölf Zwergen, die sich mit ihrem Anführer Thorin Eichenschild (Richard Armitage) aufgemacht haben, ihr verloren gegangenes Reich im Inneren eines Berges zurückzuerobern. Das wurde bereits vor längerer Zeit von einem Drachen erobert, der es sich mittlerweile inmitten des riesigen Goldschatzes der Zwerge gemütlich gemacht hat. Der Zauberer Gandalf vermittelt dem kleinen Zwergentrupp zudem den Hobbit Bilbo Beutlin (Martin Freeman, der Dr. Watson aus der TV-Serie "Sherlock") als Gefährten, den er als einen "Meisterdieb" anpreist. Womit sich Bilbo diese Bezeichnung verdient hat, kann Gandalf jedoch selber nicht genau sagen. Auf dem Weg Richtung Drachenberg muss die Gruppe mit Trollen und Orcs fertig werden, und Bilbo übernimmt von Gollum (Andy Serkis) den Ring "sie zu knechten, sie alle zu finden …".

Die literarische Vorlage, "Der Hobbit" von J.R.R. Tolkien, hat in meiner Ausgabe einen Umfang von 383 Seiten, die drei Bände von "Der Herr der Ringe" kommen zusammen auf über 1000 Seiten. Wenn beide Werke als Vorlage für jeweils drei Filme dienen sollen, muss die Handlung des "Hobbit" also stark gestreckt werden. Bei den Dialogen hat man regelmäßig den Eindruck, dass die Figuren mit ein oder zwei Sätzen weniger auch ausgekommen wären. Später im Film gibt es Einsprengsel wie etwa das Treffen der alten Gang, bestehend aus Gandalf, Elrond (Hugo Weaving), Galadriel (Cate Blanchett) und Saruman (Christopher Lee), die man deutlich hätte kürzen oder sogar komplett weglassen können, da sie für die Handlung kaum eine Bedeutung haben. Insgesamt muss man jedoch sagen, dass der Film weniger auf Zeit spielt, als es zu befürchten war. Zum Schluss findet er sogar zu einem Laufrhythmus, den man als schnelleres Joggen beschreiben könnte.

Die Faszination von "Der Herr der Ringe" will sich trotzdem nicht einstellen. Das liegt zum einen an den Bildern, an denen man sich in den vergangenen zehn Jahren im Kino, auf DVD und im Fernsehen einfach sattgesehen hat, diese Mischung aus dem grünen Irland-Kitsch des Auenlands, neuseeländischen Gebirgslandschaften und den orange-grauen Farbpaletten der Szenen untertage. Mittelerde hat schlichtweg den Reiz des Neuen verloren.

Zum anderen spielt auch das große Thema des Films eine Rolle. In "Der Herr der Ringe" ging es um den Kampf Gut gegen Böse und letztlich um nichts Geringeres als um die Rettung der Welt. "Der Hobbit" dagegen handelt von Zwergen, die ihr Gold zurückhaben wollen. Nun ja. Zwar erklärt ihnen Bilbo in einer der letzten Szenen des Films, dass es ihnen in Wahrheit um die Rückeroberung ihrer verlorenen Heimat ginge. Bezeichnend jedoch ist, dass den Zwergen dieser Gedanke bis dahin offenbar nicht selbst gekommen war.

Technisch ist der Film auf höchstem Niveau. Peter Jackson reizt die aktuellen Möglichkeiten der digitalen Special Effects voll aus und setzt sie kunstvoller ein als noch in "Der Herr der Ringe". Die 3D-Aufnahmen hingegen sind, wie bei so vielen anderen Filmen auch, überflüssig. In den meisten Szenen sind sie kaum wahrnehmbar, und auf die paar Gesteinsbrocken, die vermeintlich in den Zuschauerraum fliegen, hätte man verzichten können. Jackson hat zudem mit 48 Bildern pro Sekunde gedreht. Die Kinos benötigen dafür einen speziellen Projektor, ansonsten bleibt es bei den 24 Bildern des Standardformats. Die 48er Version von "Der Hobbit" bringt vielleicht zehn Prozent mehr Detailreichtum und Bildschärfe auf die Leinwand, unbedingt notwendig ist sie nicht. Man kann sich diesen Film in 2D und mit 24 Bildern pro Sekunde ansehen, ohne etwas zu verpassen.

"Der Hobbit" ist großes, gut gemachtes Unterhaltungskino. Wer ihn sich anschaut, wird den Kauf der Kinokarte nicht bereuen. Aber wer stattdessen auf den Weihnachtsmarkt geht und für das gleiche Geld mit Freunden zwei Becher Glühwein trinkt, hat einen genauso schönen Abend.

"Der Hobbit – Eine unerwartete Reise" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Montag 15 Dezember 2014 23:39

Filmkritik: "7 Psychos"

Geschrieben am Sonntag 09 Dezember 2012 um 22:41 von Roland Freist

No Country for Old Dogs

Eigentlich müsste dieser Film "6 Psychos" heißen, da sich zum Ende hin herausstellt, dass ein Psycho doppelt gezählt wurde. Andererseits fragt man sich an manchen Stellen, ob er nicht genauso gut auch "10 Psychos" oder "Ein Dutzend Psychos" heißen könnte, ohne dass der Film irgendjemandem Unrecht tun würde.

Der Schauplatz ist Los Angeles, was, wie wir seit "Pulp Fiction" und "The Big Lebowski" wissen, die Psycho-Hauptstadt der Welt ist. Dort lebt der Drehbuchautor Marty Faranan (Colin Farrell) und kämpft mit einer Schreibblockade. Dass er den gleichen Vornamen trägt wie der reale Regisseur und Autor des Films, Martin McDonagh ("Brügge sehen … und sterben?"), ist sicher kein Zufall. Martys bester Freund Billy (Sam Rockwell, "Moon") will ihm helfen und erzählt ihm Geschichten wie die von dem Quäker-Killer (in einer Traumsequenz gespielt von Harry Dean Stanton), der jahrzehntelang einem Mann nachjagt und sich, nachdem er ihn in den Selbstmord getrieben hat, selbst die Kehle durchschneidet. Eine andere Geschichte steuert Tom Waits bei, der hier Zachariah heißt: Er hat sich als Serienmörder darauf spezialisiert, andere Serienmörder umzubringen.

Im normalen Leben betätigt sich Billy gemeinsam mit einem älteren Herrn namens Hans (Christopher Walken) als Hundeentführer: Sie kidnappen die Tiere von reichen Hundehaltern und bringen sie zurück, sobald eine Belohnung ausgeschrieben ist. Leider haben sie dabei aus Versehen den Shih Tzu eines Mafiabosses namens Charlie (Woody Harrelson) erwischt, der bei der Suche nach seinem geliebten vierbeinigen Pelzknäuel nicht gerade zimperlich vorgeht. Zum Schluss kommt es in der Wüste zum Showdown zwischen Marty, Billy, Hans und Charlie, wobei Billy dem Hund von Charlie eine Signalpistole an den Kopf hält mit der Drohung, ihn zu erschießen …

Das alles könnten die Komponenten eines wunderbaren Films sein, witzig, unterhaltsam, phantasievoll und lakonisch erzählt. Leider funktioniert "7 Psychos" über weite Strecken nicht. Die ersten rund 75 Minuten bieten dabei zumindest noch einige gute Geschichten, die jedoch häufig einfach dadurch beendet werden, dass entweder der Erzähler oder der Zuhörer erschossen werden. So wie diese Szenen gefilmt sind, wirken sie nicht lustig. Auch ist der Rhythmus um einen Tick zu langsam, und es fehlen an einigen Stellen einfach die zündenden Ideen.

Schlimm wird es dann in der letzten halben Stunde in der Wüste. Es geschieht wenig, die Dialoge sind wortreich, aber zugleich zäh und langatmig, und wirken zudem an vielen Stellen krampfig. Langeweile kommt auf und gleichzeitig der Wunsch, dass im Kino bald das Licht angehen möge. Hätte Martin McDonagh hier nicht so ausgezeichnete Schauspieler zusammengebracht, allen voran der große Christopher Walken, würden diese Szenen in der Wüste wirken wie das selbstgeschriebene Stück eines Laientheaters.

"7 Psychos" zeigt die Entstehung eines Films in einem Film, er erzählt von den seltsamen Wegen, auf denen ein Filmdrehbuch zustande kommt und woher der Schreiber seine Inspiration bezieht. Er spielt teilweise in der Realität und teilweise in der Erinnerung beziehungsweise der Phantasie des Autors und der ihn umgebenden Figuren. Das Ergebnis hat etwas von einer Reihe von Insider-Witzen, die die Beteiligten sich und ihren Gästen abends am Lagerfeuer erzählen. Für den Gast ist der Erzähler dabei meist wesentlich witziger und sympathischer als seine Geschichte.

"7 Psychos" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Samstag 12 Januar 2013 16:32

Filmkritik: "Killing Them Softly"

Geschrieben am Sonntag 02 Dezember 2012 um 22:47 von Roland Freist

Auftragsmorde in Zeiten der Rezession

Die Elemente dieses Films kommen einem seltsam bekannt vor: Zwei Gangster von zweifelhafter Intelligenz, das Mobster-Milieu mit Auftraggebern, die wie Geschäftsleute aussehen, lakonisch ausgeführte, brutale Morde und dazwischen Dialoge über Frauen und Beziehungen. Doch "Killing Them Softly" reicht nicht einmal ansatzweise an die großen Vorbilder "Reservoir Dogs" und "Pulp Fiction" heran.

Es geht um die beiden kleinen Gangster Frankie (Scoot McNairy) und Russell (Ben Mendelsohn). Sie bekommen von einem Mann mit dem schönen Spitznamen Squirrel (Eichhörnchen, gespielt von Vincent Curatola) den Auftrag, eine Pokerrunde mit Mitgliedern des organisierten Verbrechens auszuheben und das Geld zu kassieren. Das wurde einige Jahren zuvor bereits schon einmal erfolgreich durchgeführt. Wie sich später herausstellte, steckte damals ausgerechnet der Organisator der Spieleabende dahinter, ein Mann namens Markie Trattman (Ray Liotta).

Damit diese Überfälle ein für alle Mal ein Ende haben, beauftragt die Mafia in Gestalt des sehr bürgerlichen Driver (Richard Jenkins) einen professionellen Killer namens Jackie (Brad Pitt), die Räuber zu finden und auszuschalten. Zunächst fällt der Verdacht natürlich wieder auf Markie Trattman. Doch der kann glaubhaft versichern, dass er mit dem Überfall nichts zu tun hat. Als Jackie die Täter schließlich identifiziert hat, beauftragt er seinerseits den Profikiller Mickey (James "Soprano" Gandolfini), Squirrel zu erschießen. Leider ist aus Mickey mittlerweile ein unzurechnungsfähiger Alkoholiker geworden, und so muss Jackie die Sache selber in die Hand nehmen.

Was von "Killing Them Softly" in Erinnerung bleibt, sind zwei Arten von Szenen: die mehr oder minder professionell ausgeführten Attentate von Gangstern auf andere Gangster, die allesamt in einem Blutbad enden. Und die Dialoge zwischen den Killern, bei denen es vorzugsweise um Frauen und Sex und manchmal auch ums Geschäft geht. Die mit vielen "fuck" angereicherten Gespräche sind denn auch die Highlights dieses Films, sie lassen recht tiefe und oftmals sehr witzige Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt der Protagonisten zu. In seinen besten Momenten erinnert der Film an Scorseses "GoodFellas" oder eben Tarantino und man staunt und ist belustigt über die Banalität der Gedanken, die diesen Mafiakillern durch den Kopf gehen. Dazu kommen einige schöne Ideen, wie etwa die Spülhandschuhe, die die beiden Gangster zum Vermeiden von Fingerabdrücken anziehen, oder auch die Demonstration, was beim Sprengen eines Wagens alles schief laufen kann.

Untermalt wird das Geschehen von den Fernsehbildern des Jahres 2008. Man hört George W. Bush, John McCain und Barack Obama über die Wirtschaftskrise und die Situation in den USA reden. Selbst die Mafia bekommt in dieser Zeit die Auswirkungen der Krise zu spüren, was bei den Beteiligten zu einigen heftigen Diskussionen über die Entlohnung von Auftragsmorden in Zeiten der Rezession führt.

Leider ist aus "Killing Them Softly" dennoch kein guter Film geworden, was unter anderem damit zu tun hat, dass Regisseur Andrew Dominik eben nicht Quentin Tarantino ist. Die Dialoge sind zwar teilweise witzig, geraten über weite Strecken aber auch recht langatmig. Die Themen wiederholen sich, auf originelle Gedanken und Überraschungen hofft man vergeblich. Und auch die Handlung erzeugt wenig bis gar keine Spannung – es ist letztlich egal, wer hier wen warum umlegt. Einige Szenen sind schön choreographiert, und es gibt eine spektakuläre Sequenz, in der Kugeln mit Highspeed-Kameras gefilmt in eine Autoscheibe einschlagen und die Glassplitter wie die Gischt eines Wasserfalls davonspritzen. Das ist dann auch eine der wenigen Szenen, die vielleicht längerfristig im Gedächtnis bleiben werden.

"Killing Them Softly" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Samstag 12 Januar 2013 16:32

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