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Archiv vom November 2017

Filmkritik: "Detroit"

Geschrieben am Mittwoch 29 November 2017 um 16:06 von Roland Freist

Eine Studie in rassistischer Gewalt

Im Juli 1967 kam es nach der Räumung einer illegalen Kneipe in Detroit fünf Tage lang zu Unruhen. Sie hinterließen 43 Todesopfer und 1189 Verletzte und zählen zu den schwersten Unruhen, welche die USA jemals erlebt haben. Befeuert wurden sie durch die rassistisch motivierte Gewalt der vorwiegend weißen Polizisten, die mit äußerster Brutalität gegen die vorwiegend schwarze Bevölkerung der Gegend vorgingen.

Kathryn Bigelows ("Blue Steel") neuer Film "Detroit" nimmt sich eine historische Episode aus den damaligen Geschehnissen vor und erzählt die Geschichte des Algiers Motel Incident, der in der Ermordung eines unschuldigen Mannes durch einen weißen Polizisten gipfelte. Was damals genau passierte, lässt sich heute teilweise mit den Akten des folgenden Gerichtsprozesses klären, viele Fragen blieben jedoch offen. Um diese Lücken zu füllen, haben Bigelow und Drehbuchautor Mark Boal ("Zero Dark Thirty") zum einen Zeugen der damaligen Geschehnisse befragt, zum anderen aber auch einige Details fiktionalisiert.

"Detroit" besteht aus drei klar voneinander abgegrenzten Teilen, von denen man jeden einem anderen Filmgenre zuordnen kann. Er beginnt als ein Schlachtenfilm: Die Panzer der Nationalgarde rollen durch die Straßen, überall Plünderungen, es wird geschossen. Auf den Straßen herrscht Chaos. Wir sehen zwei weiße Polizisten, die einen unbewaffneten Flüchtigen verfolgen, einer der beiden, wir erfahren später, dass er Krauss (Will Poulter, „Maze Runner“) heißt (die realen Namen wurden geändert), tötet den Mann mit einem Schuss in den Rücken.

Gleichzeitig versammeln sich die weiteren Hauptpersonen im Algiers Motel. Da sind die drei schwarzen Musiker von der Band The Dramatics, die nach einem ausgefallenen Gig einen Ort zum Übernachten suchen und dabei die beiden weißen Mädchen Julie Hysell (Hannah Murray, "Game of Thrones") und Karen Malloy (Kaitlyn Dever) aufgabeln. Hinzu kommen der schwarze Vietnam-Rückkehrer Robert Green (Anthony Mackie) und der ebenfalls schwarze Wachmann Melvin Dismukes (John Boyega, "Star Wars: Das Erwachen der Macht"), der bei einem benachbarten Firmengebäude eingesetzt ist und ins Algiers herüberkommt, als er sieht, dass hier etwas zu eskalieren droht. Und schließlich sind da die drei weißen Polizisten, Krauss und zwei seiner Kollegen, die auf das Motel aufmerksam werden als jemand aus einem der Zimmer mit einer Schreckschusspistole auf sie schießt.

Der zweite Teil des Films ist ein Kammerspiel, eng und bedrückend inszeniert wie eine Folterszene. Die Polizisten versuchen herauszufinden, wer womit auf sie geschossen hat, eine Waffe haben sie nicht gefunden. Sie stellen die Gäste des Motels nebeneinander an die Wand und setzen sie unter Druck, indem sie ihnen androhen, sie zu erschießen, wenn sie den Schützen nicht nennen. Aufgrund eines Missverständnisses wird schließlich tatsächlich eine Person ermordet.

Im dritten Teil entwickelt sich "Detroit" zu einem Gerichtsdrama. Die Polizisten werden unterstützt von ihren weißen Kollegen und von den schwarzen Besuchern des Gerichtssaals angefeindet. Doch auch der Richter und sämtliche Geschworenen sind weiß. Dies ist der schwächste Teil des Films. Nach den emotional intensiven Momenten des zweiten Teils wirken diese letzten 45 Minuten ein wenig grau und langweilig, zumal die Zeit nicht reicht, um das Aufeinandertreffen von Anklage und Verteidigung langsam vorzubereiten und auf diese Weise Spannung zu erzeugen.

Kathryn Bigelow hat darauf verzichtet, aus "Detroit" einen konventionellen Spielfilm mit einem klar erkennbaren Helden zu machen. Sie hält sich eng an die tatsächlichen Geschehnisse, bei denen es keine echte Hauptfigur gab. Da er aber dennoch typische Spielfilmtechniken benutzt – etwa Kameraeinstellungen, die die Dramatik eines Moments betonen, oder Schnitte auf die Gesichter der Motelbesucher, wenn aus dem Verhörzimmer Schüsse zu hören sind – ist "Detroit" ein interessanter und teilweise irritierender Zwitter. Wir haben es hier mit einem Dokumentarfilm zu tun, der von einer erfahrenen Spielfilm-Regisseurin mit ihren Mitteln gedreht wurde. Das ist natürlich ein Risiko, und schlug sich in den USA in eher mauen Zuschauerzahlen nieder. Doch zugleich ist diese Geschichte ohne Heldengestalten auch ein Ausdruck des Respekts gegenüber den Opfern jener Zeit.

"Detroit" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Mittwoch 29 November 2017 17:11

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