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Archiv vom November 2016

Filmkritik: "Florence Foster Jenkins"

Geschrieben am Mittwoch 30 November 2016 um 21:05 von Roland Freist

Florence singt

"People may say I can’t sing, but no one can ever say I didn’t sing." Diese Worte, die auch auf ihrem Grabstein stehen, pflegte Florence Foster Jenkins denjenigen entgegenzuhalten, die ihren Gesang kritisierten oder sich über sie lustig machten. Sie zeugen von einem großen, offensiv vorgetragenen Selbstbewusstsein. Der Film von Stephen Frears ("The Queen", "Pilomena"), der jetzt in die Kinos gekommen ist, zeichnet ein etwas anderes, differenzierteres Bild von der amerikanischen Sängerin, die berühmt wurde, weil sie weder die richtigen Töne traf noch den Rhythmus halten konnte.

Der Film setzt ein, als Jenkins, brillant gespielt von Meryl Streep, einen neuen Pianisten sucht, der sie bei ihren Übungen und Auftritten begleitet. Es sind die frühen 40er Jahre in New York, die USA befinden sich im Krieg. Jenkins‘ Leben und damit auch die Auswahl des Pianisten wird gemanagt von ihrem zweiten Ehemann, einem Engländer mit dem schönen Namen St. Clair Bayfield (Hugh Grant), einem mittelmäßigen Schauspieler, der ausschließlich von ihrem Geld lebt. Die Wahl fällt auf einen jungen Mann namens Cosmé McMoon (Simon Helberg, "Big Bang Theory"), der von nun an zum Inner Circle rund um Jenkins gehört.

Die Geschichte wird von fort an aus der Sicht von McMoon erzählt, ein dramaturgischer Kniff von Frears, der ihm die Möglichkeit gibt, nach und nach die bizarre Welt der Florence Foster Jenkins aufzublättern. Genau wie der Pianospieler entdeckt der Zuschauer immer weitere Details aus ihrem Leben. Sie ist die Tochter eines Bankiers und hat von ihm ein beträchtliches Vermögen geerbt, das ihr Mann dazu einsetzt, eine Art Schutzmauer um sie herum zu errichten, bestehend aus Menschen, die ihr immer wieder erklären, wie wundervoll ihr Gesang sei. Auch ihr Gesangslehrer, der stellvertretende Direktor der Carnegie Hall, macht da keinen Unterschied.

Dabei erkennt selbst ein Laie, wie schauderhaft schlecht sie ist. Bei ihren Übungen und den Auftritten, die Bayfield vor handverlesenem Publikum daheim organisiert, schmettert sie die falschen Töne voller Imbrunst in den Raum, es ist die pure Comedy.

Doch Stephen Frears ist ein viel zu guter Regisseur, als dass er einfach nur eine schlechte Sängerin mit viel Selbstüberschätzung vorführen würde. Je länger der Film dauert, desto klarer wird, dass es ihm nicht nur um Jenkins selbst, sondern vor allem auch um ihre Beziehung zu St. Clair Bayfield geht. In erster Ehe hatte sie einen Arzt geheiratet, der sie in der Folge regelmäßig betrog und ihr die Syphilis anhängte. Die Krankheit, oder vielleicht auch die Behandlung mit Arsen und Quecksilber, führten zu einem Nervenleiden, das ihren Traum von einer Karriere als Konzertpianistin zunichte machte. Bayfield erklärt ihrem Arzt, dass die Krankheit auch der Grund sei, warum sie keinen Sex haben, seine Frau wolle ihn nicht anstecken. Er wohnt nicht einmal bei Jenkins, sondern hat ein eigenes kleines Apartment, in das er sich abends zurückzieht, wo er seine Freundin trifft und mit seinen Schauspieler-Kollegen wilde Parties feiert.

Vermutlich ahnt Jenkins, was sich dort abspielt, doch sie toleriert es. Denn im Gegenzug kümmert sich Bayfield aufopferungsvoll um sie, hält jede negative Kritik an ihren Sangeskünsten von ihr fern, sorgt dafür, dass sie glücklich ist. Vielleicht hat er sie einst tatsächlich vor allem wegen ihres Gelds geheiratet. Doch mittlerweile liebt er sie wirklich, und sie spürt das. "Ich habe nie über dich gelacht", sagt er ihr zum Schluss, als sie erkennt, wie die Leute tatsächlich über sie denken. Und das genügt ihr.

Der Film lebt sehr stark von seiner großartigen Hauptdarstellerin. Meryl Streep geling das Kunststück, die ganze Komik ihrer Figur herauszuarbeiten, ohne sie dabei der Lächerlichkeit preiszugeben. Ihre Florence Foster Jenkins ist ein zutiefst guter und gleichzeitig sehr verletzlicher Mensch, der nichts Böses an sich heranlässt und ihre Umgebung mühelos mit ihrem Charme für sich einnimmt. Hugh Grant unterstützt sie dabei nach Kräften, gibt seine Paraderolle als englischer Gentleman mit leichtem Hand zur Ironie. Simon Helberg macht seine Sache gut, besser als man es ihm nach seinen Auftritten bei "Big Bang" zutrauen würde, doch gegen Streep und Grant fällt er natürlich ab.

"Florence Foster Jenkins" hat nicht viel Handlung. Er zoomt in das Leben seiner Hauptfigur hinein und begleitet sie bis zu dem legendären Auftritt in den New Yorker Carnegie Hall. Es ist großes Gefühlskino, das Frears hier zelebriert, und man wünscht sich zum Schluss, man selbst wäre dieser Klavierspieler gewesen, der das alles sehen und erleben durfte.

"Florence Foster Jenkins" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Mittwoch 30 November 2016 21:10

Filmkritik: "Arrival"

Geschrieben am Sonntag 27 November 2016 um 16:51 von Roland Freist

Hallo Aliens, ich bin Louise

Ein Science-Fiction-Schmankerl für Linguisten ist dieser Film. Zwölf außerirdische Raumschiffe haben die Erde erreicht, 400 Meter lange, dunkle Gebilde, die senkrecht in der Luft schweben. Doch anstatt wie bei Roland Emmerich auf ein Zeichen ihren Eroberungsfeldzug zu starten, geben sie keinen Mucks von sich geben. Sie sind zunächst einfach nur da und besitzen eine ähnlich ikonische Ausstrahlung wie damals die schwarzen Monolithen in Kubricks "2001". Sie parken rund um die Welt, in Sibirien, im Indischen Ozean, im Sudan, Venezuela, Australien etc. Und ein Exemplar hat sich Montana als Standort ausgesucht.

Schon bald entdecken die Menschen, dass die Raumschiffe eine Einstiegsluke besitzen, die sich auch bereitwillig öffnet, wenn man sich ihr nähert. Und auch die Insassen zeigen sich, hinter einer Glasscheibe erscheinen riesige, tintenfischähnliche Lebewesen, die wegen ihrer sieben Arme bald Heptapods genannt werden. Sie besitzen auch eine Sprache aus Knurr-, Brumm- und Zischlauten, die von den menschlichen Gästen jedoch weder nachgeahmt noch verstanden werden kann.

Die US-Army, die das Gebiet rund um den Landeplatz sofort evakuiert hat, holt sich daher die Linguistik-Professorin Louise Banks (Amy Adams) sowie den theoretischen Physiker Ian Donnelly (Jeremy Renner) zur Unterstützung. Sie sollen einen Weg finden, mit den Aliens Kontakt aufzunehmen. Denn eine Frage will das Militär in Gestalt von Colonel Weber (Forest Whitaker) möglichst schnell beantwortet haben: Was wollen sie von uns und warum sind sie hier?

Banks wird schnell klar, dass eine sprachliche Verständigung unmöglich ist. Also weicht sie aus auf eine zeichenbasierte Kommunikation und bringt bei ihren Besuchen Schrifttafeln mit. Und es funktioniert: Auch die Aliens besitzen eine Art von Schrift, Kreise aus mehreren Elementen, die zusammen einen Satz ergeben. In wochenlanger Arbeit beginnt sie Schritt für Schritt ein Vokabular aufzubauen, um sich mit der aus zwei Heptapods bestehenden Besatzung des Raumschiffs verständigen zu können. Ähnliches geschieht an den anderen Standorten, alle wissenschaftlichen Teams sind weltweit miteinander vernetzt. Doch dann führt eine unklare Übersetzung dazu, dass die Außerirdischen als Bedrohung wahrgenommen werden. Das Militär übernimmt die Regie, und es droht eine Katastrophe.

Man lernt in "Arrival" viel darüber, wie Sprache funktioniert und wie sie analysiert wird. Doch der Film ist alles andere als wissenschaftlich-nüchtern. Er wird erzählt aus der Sicht von Louise Banks – Amy Adams zeigt hier wieder einmal, was für eine großartige Schauspielerin sie ist. Natürlich hat sie Angst, als sie das Raumschiff betritt, in dem eine Schwerkraft senkrecht zu jener der Erde herrscht. Und bei der ersten Begegnung mit den Aliens sieht man ihr deutlich an, dass sie nur mit Mühe die aufsteigende Panik unterdrückt und sich bemüht, einen klaren Gedanken zu fassen. Auch Forest Whitaker und Jeremy Renner spielen ihre Rollen sehr überzeugend, allerdings zieht Adams jederzeit die Blicke auf sich.

Doch "Arrival" handelt nicht nur von Sprache und Kommunikation, es geht auch um die Zeit und die Frage, ob sich das Schicksal verändern lässt. Und wie bei allen Filmen, die sich an dieses Thema herantrauen, tauchen auch hier logische Probleme auf und man beginnt, Fragen zu stellen.

Der kanadische Regisseur Denis Villeneuve hat die Handlung kunstvoll verschachtelt, er spielt ein wenig mit den Sehgewohnheiten der Zuschauer und ihren Erwartungen, wann und wozu Rückblenden eingesetzt werden. Auf diese Weise erzielt er zum Schluss einen Wow-Effekt, allerdings hat man als Betrachter auch ein wenig das Gefühl, bewusst in die Irre geführt worden zu sein. Hinzu kommt, dass der Sprache ein wenig zu viel abverlangt wird. Vielleicht ist die Auflösung am Ende metaphorisch gemeint, was jedoch nicht so aussieht und den Film daher ein wenig unglaubwürdig erscheinen lässt.

Trotzdem ist "Arrival' einer der großen Filme dieses Jahres und es erscheint nahezu sicher, dass die Oscar-Jury ihn berücksichtigen wird. Freuen würde mich die Auszeichnung vor allem für Amy Adams, die sich in den letzten Jahren zu einer der besten amerikanischen Schauspielerinnen entwickelt hat.

"Arrival" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

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