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Archiv vom November 2014

Filmkritik: "Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil 1"

Geschrieben am Donnerstag 20 November 2014 um 23:01 von Roland Freist

Die Spiele sind vorbei

In der deutschen Übersetzung der Romanvorlage wird Mockingjay mit Spotttölpel übersetzt (to mock = spotten, ein jay ist ein Eichelhäher, im Slang aber auch ein Depp oder Tölpel), was wie eine Beleidigung klingt, tatsächlich aber einen (fiktiven) Vogel bezeichnet, das Symbol der Widerstandsbewegung von Panem. Der deutsche Verleih hat gut daran getan, den Begriff zumindest für den Titel einfach aus dem Englischen zu übernehmen, denn im Deutschen klingt es so, als gäbe es in diesem Film etwas zu lachen. Und davon ist der dritte Teil der "Tribute von Panem" weit entfernt.

Tatsächlich ist dies der bislang düsterste Teil der Panem-Reihe, die wohl aufgrund des großen Erfolgs der beiden ersten Filme zur Tetralogie gemacht wurde und so die Einnahmen des Filmstudios auch für das nächste Jahr sichert. Nachdem Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) am Ende des zweiten Teils mit einem Pfeil die Kuppel über der Arena für die Hunger-Games zerschossen hatte, brachen in mehreren Distrikten Aufstände auf. Die Zentralmacht im Kapitol reagierte auf Befehl von Präsident Snow (Donald Sutherland) mit brutaler Gewalt und zerstörte den gesamten Distrikt 12, die Heimat von Katniss. Zu Beginn von "Mockingjay" befindet sie sich zusammen mit den restlichen Überlebenden in einem unterirdischen, turmartigen Gebäude, einem geheimen Bunker, genannt Distrikt 13, wo auch die neue Präsidentin Alma Coin (Julianne Moore) residiert. Seit der letzten Ausgabe der Hungerspiele ist Katniss bereits das Aushängeschild der Rebellion, hält sich jedoch im Hintergrund. Coin und Plutarch Heavensbee (Philipp Seymour Hoffman), der ehemalige oberste Spielleiter, wollen jedoch, dass sie aktiver wird. Nach einem schweren Luftangriff des Kapitols auf eine Sanitärstation beginnt sie endlich, ihre Rolle zu akzeptieren. Mit ihrem Vorbild als Motivation gehen die Rebellen zum Gegenangriff über.

Dieser dritte Film der Reihe hat mit den ersten beiden nicht mehr viel gemein. Aus den Hunger-Games ist blutiger Ernst geworden, die Spielshow hat sich in Realität verwandelt. "Mockingjay" ist seinem Wesen nach ein Kriegsfilm, und was er an blutüberströmten und zerfetzten Leichen zeigt ist hart an der Grenze dessen, was die FSK Zwölfjährigen noch zu sehen erlaubt. Trotzdem ist der Film deutlich besser als Teil 2, das Tempo wurde erhöht, der Politik weniger Raum gegeben. Stattdessen haben sich die beiden neuen Drehbuchautoren Peter Craig ("The Town") und Danny Strong (vor allem als Schauspieler bekannt, unter anderem aus "Buffy") dazu entschlossen, den Hauptfiguren mehr Emotionen zuzugestehen, was die Handlung gleichzeitig interessanter wie auch glaubwürdiger macht. Dass das Ende unbefriedigend ist und nach der Auflösung im vierten und letzten Teil schreit, liegt in der Natur eines so brutal auseinandergeschnittenen Plots.

Jennifer Lawrence liefert als Katniss Everdeen erneut eine gute, solide Leistung ab. Mit dem Oscar im Rücken ist sie zu einer ruhig agierenden, selbstbewussten Schauspielerin geworden. Sie tritt hier zwei Stunden lang vermeintlich ungeschminkt auf, das Makeup hat ihr sogar die kleine Narbe auf der Stirn gelassen. Umso leichter fällt es ihr, das junge, unauffällige Mädchen zu geben, das durch die Umstände in eine Führungsrolle gedrängt wird, um die es sich nie beworben hatte. Ihr alter Partner Peeta ist Gefangener des Kapitols und hat nur einige Kurzauftritte. Liam Hemsworth dagegen, der wieder ihren Verlobten Gale spielt, hat dieses Mal zwar viel Screentime, dennoch gelingt es ihm erneut, weitgehend blass zu bleiben. Philipp Seymour Hoffman zeigt in den letzten Bildern, die vor seinem Tod entstanden sind, noch einmal, wie gut er selbst grob konturierte Nebenrollen zum Leben erwecken konnte. Und der Newbie Julianne Moore bringt genau die Ruhe und Anspannung zusammen, wie man sie sich bei einer Rebellen-Präsidentin vorstellt. Donald Sutherland schließlich ist ein sehr schön diabolischer Diktator.

Nach dem misslungenen zweiten Film hatte ich nicht viel Hoffnung für Teil 3 der "Tribute". Doch der Wechsel der Drehbuchschreiber hat viel bewirkt, "Mockingjay" wirkt erheblich frischer und ist weitgehend frei von Langeweile. Bleibt zu hoffen, dass das große Finale im kommenden Jahr das gleiche Niveau erreicht oder sogar noch eine Schippe drauflegt.

"Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil 1" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Sonntag 23 November 2014 16:59

In der Vorspannhölle

Geschrieben am Sonntag 16 November 2014 um 18:55 von Roland Freist

Das Video "Too Many Cooks" ist eine brillante Satire auf einen bestimmten Typ Vorspann, der bei amerikanischen Sitcoms der 80er Jahre äußerst beliebt war. Es lohnt sich, den kleinen Film bis zum Ende zu sehen. Zwar meint man nach zwei bis drei Minuten den Witz verstanden zu haben. Doch der echte Wahnsinn beginnt erst etwa ab der fünften Minute.

Gedreht wurde der Film von Casper Kelly, einem erfahrenen TV-Regisseur und -Produzenten. Er arbeitet seit Jahren für Adult Swim, einem in den USA über Kabel ausgestrahlten Fenrnsehprogramm, das sich die Frequenz mit dem Cartoon Network teilt. Adult Swim sendet von 22 Uhr bis 6 Uhr morgens vor allem Zeichen- und Puppentrickfilme für Erwachsene. Weitere Hintergrundinformationen zu "Too Many Cooks" liefert dieser Text.

Filmkritik: "Interstellar"

Geschrieben am Donnerstag 06 November 2014 um 22:34 von Roland Freist

Lonely Planets

Wenn es einen Film gibt, der einem die Reise zu fremden Planeten so richtig verleiden kann, dann ist es dieser hier. Mehr noch als die Nasa-Fotos von den felsigen Einöden auf Mond, Mars und Titan sind die deprimierenden, bleifarbenen Bilder von Christopher Nolan dazu geeignet, das Leben auf fremden Welten als eine eher unattraktive Alternative erscheinen zu lassen. Der britische Regisseur zeigt uns in "Interstellar" einen Planeten, der von einer knietiefen Wasserfläche bedeckt ist, die sich in regelmäßigen Abständen zu turmhohen Wellen erhebt, und einen zweiten, wo es so kalt ist, dass sogar die Wolken zu Eis gefrieren. Zum Schluss führt uns der Film noch einen dritten Planeten vor, der mit seiner marsähnlichen Oberfläche schon beinahe etwas Anheimelndes hat. Von den grünen Idyllen jedoch, die man ab und zu bei "Star Trek" oder "Stargate" zu sehen bekam, keine Spur.

"Interstellar" ist keins der Weltraum-Abenteuer, bei dem die Helden mit Hyper-Lichtgeschwindigkeit durchs All sausen und die gegnerischen Raumschiffe mit Laserkanonen und Photonen-Torpedos in gigantischen Feuerbällen explodieren lassen. Er zeigt die Raumfahrt als das, was sie ist: Ein nahezu unkalkulierbares Wagnis, bei dem die Menschen den gigantischen Kräften im All beinahe schutzlos ausgeliefert sind. Eine der großen Leistungen des Films ist es, trotz der phantastischen Aufnahmen von schwarzen Löchern und fremden Galaxien beim Zuschauer ein permanentes Gefühl der Bedrohung zu erzeugen. Den Astronauten geht es sogar noch schlechter.

Damit jemand solche Wagnisse auf sich nimmt, muss er gute Gründe haben. Und die gibt es. In einer nahen Zukunft ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann die Erde unbewohnbar wird. Weite Gebiete sind bereits versteppt, gigantische Sandstürme fegen über das Land. Die meisten Nutzpflanzen sind eingegangen, die Menschen verhungern. Der Farmer und ehemalige Pilot Cooper (Matthew McConaughy) stößt durch Zufall auf einen unterirdischen Komplex, in dem die Reste der Nasa ihr letztes Projekt planen: Die Suche nach einem Planeten, auf dem die Menschheit überleben kann. Dabei kommt den Wissenschaftlern um Professor Brand (Michael Caine) zugute, dass sich nahe des Saturn ein Wurmloch geöffnet hat, das den Weg in eine andere Galaxie öffnet. Mithilfe von Sonden wurden dort zwölf potenziell bewohnbare Planeten identifiziert. Zehn Jahre zuvor wurde bereits ein Dutzend Astronauten losgeschickt, um diese Planeten einer ersten Untersuchung zu unterziehen. Jetzt soll eine zweite Expedition hinterherfliegen, die Überlebenden und ihre Berichte einsammeln und entscheiden, ob man

- Plan A: ein riesiges Raumschiff mit den Resten der Menschheit dorthin schickt oder

- Plan B: tiefgekühlte, befruchtete Eizellen absetzt und die Kinder dann mehr oder weniger automatisiert von Robotern aufziehen lässt.

Wie man es nicht anders erwartet hatte, wird McConaughy für die Mission ausgewählt. Mit ihm fliegen die Physikerin und Tochter des Nasa-Chefs, Amelia Brand (Anne Hathaway), die beiden Wissenschaftler Doyle (Wes Bentley) und Romilly (David Gyasi) sowie der erstaunlich flexible und sogar humorbegabte Roboter TARS. Natürlich kommt es bei der Mission zu unvorhergesehenen Schwierigkeiten. Gemäß Murphy’s Law, das ausgiebig zitiert wird, geht sogar nahezu alles schief, was nur schiefgehen kann.

Auf der Erde hat Cooper seine beiden Kinder sowie seinen Schwiegervater Donald (John Lithgow) zurückgelassen. Vor allem seine Tochter Murph (Mackenzie Foy, später Jessica Chastain) nimmt ihm übel, dass er sie verlassen hat. Sein Versprechen, wieder zurückzukehren, kann sie nicht trösten. Sie wird Physikerin und arbeitet zusammen mit Professor Brand bei der Nasa an der Erforschung der Gravitation, die im Film als fünfte Dimension beschrieben wird. Mit ihr wäre es möglich, so hofft man, die Erde zu verlassen und der Menschheit eine neue Heimat zu geben.

Ähnlich wie Kubricks "2001: Odyssee im Weltall", der teilweise auch inhaltlich und ästhetisch Pate stand, lassen sich bei "Interstellar" drei Teile unterscheiden. Nach der ersten Dreiviertelstunde mit der Beschreibung des Lebens in der Staubhölle des mittleren Westens folgt nach einem abrupten Schnitt der Flug zu den Sternen. Nach 110 Minuten wechselt der Film dann zu Teil 3, dem esoterischen Schlusskapitel.

Christopher Nolan legt mit "Interstellar" einen großen, klassischen Science-Fiction-Film vor. Obwohl es im zweiten Akt einige spannende Actionszenen gibt, ist dies alles andere als eines der üblichen, ins Weltall verlegten Western-Abenteuer. Selten zuvor wurden einem die Effekte, die sich aus der Relativitätstheorie ableiten, so drastisch vor Augen geführt wie hier. Gleichzeitig geht es aber auch um Philosophie, um die großen Fragen des Menschseins, und nicht zuletzt um Gefühle und die Bedeutung der Bindung an andere Personen.

Matthew McConaughy zeigt ein weiteres Mal, welch guter Schauspieler er mittlerweile geworden ist. Das ist nicht einfach nur der übliche ehemalige Testpilot, der nach einem Crash seinen Beruf an den Nagel gehängt hat. Er vermittelt auch sehr eindringlich, wie die Beziehung zu seiner Tochter ihn geprägt hat und wie sie seine Entscheidungen fernab der Erde in einer lebensfeindlichen Umgebung beeinflusst. McConaughy spielt den gesamten Film über ruhig, sachlich, überzeugend.

Der Film hat allerdings auch Schwächen, und die finden sich vor allem im letzten Drittel. Dort stellt man mal wieder fest, dass schwarze Löcher aus Sicht von Filmregisseuren eine absolut segensreiche Erscheinung sind, denn weder weiß man so genau, was in ihnen passiert, noch ist eine Kommunikation zwischen innen und außen möglich. Was in einem schwarzen Loch geschieht, bleibt in einem schwarzen Loch. Der Phantasie sind also keine Grenzen gesetzt. Und das nutzt Nolan bis an die Schmerzgrenze aus, wenn er die Kausalketten auflöst und sich die Ereignisse im Kreis zu drehen scheinen. Leicht genervt war ich letztlich auch vom orgellastigen Soundtrack von Hans Zimmer. Doch insgesamt ist das angesichts der anderen Qualitäten des Films verzeihlich.

Ich bin mir nicht sicher, ob "Interstellar" in einigen Jahren als eines der großen Science-Fiction-Meisterwerke der Filmgeschichte angesehen werden wird. In diesem Filmjahr jedoch zählt er zum Besten, was im Kino gezeigt wird.

"Interstellar" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Montag 15 Dezember 2014 23:47

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