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Archiv vom Oktober 2015

Tod eines Notebooks

Geschrieben am Freitag 30 Oktober 2015 um 16:29 von Roland Freist

Ein schöner, kleiner Film von Reto Hochstrasser, wie man alte Hardware fachgerecht und mit viel Freude an der Sache zerlegt.

Filmkritik: "The Walk"

Geschrieben am Dienstag 27 Oktober 2015 um 17:18 von Roland Freist

Hoch hinauf

Es ist selten, dass ein Film bei den Zuschauern physische Reaktionen hervorruft. Doch auf dem Höhepunkt von "The Walk" begannen die beiden älteren Damen rechts neben mir, unruhig in ihren Sesseln herumzurutschen und nervös miteinander zu tuscheln, während der Vater der Familie auf der linken Seite sich immer wieder zu Frau und Tochter drehte und den Blick auf die Leinwand ansonsten nur noch durch die Finger der rechten Hand wagte.

"The Walk" ist ein Horrorfilm für Menschen mit Höhenangst. 1974 spannte der Hochseilartist Philippe Petit gemeinsam mit einigen französischen Hippies ein Drahtseil zwischen den beiden Türmen des New Yorker World Trade Center und spazierte eine dreiviertel Stunde ungesichert und ohne Netz hin und her, wobei er sich zwischendurch sogar hinkniete und auf das Seil legte. Die ganze Aktion wurde 2008 in dem feinen Dokumentarfilm "Man on Wire" gezeigt, der damals sogar den Oscar bekam. Robert Zemeckis ("Zurück in die Zukunft") hat daraus nun einen Spielfilm gemacht, bei dem eines der wesentlichen Elemente die Bilder von der schwindelerregenden Höhe sind, in der sich die Protagonisten bewegen.

Durch den Film führt Philippe Petit (Joseph Gordon-Levitt, "Looper"), der dabei auf der Aufsichtsplattform auf der Fackel der Freiheitsstatue steht, in Rückblenden die Vorgeschichte erzählt und leider auch ein wenig nervt. Lang, sehr lang geht er auf seine Jugend ein, wie er zum Zirkus kam, das Balancieren auf dem Seil für sich entdeckte und von dem berühmten Artisten Papa Rudy (Ben Kingsley) ausgebildet wurde. Er etabliert sich als Hochseilartist, als er über ein Seil zwischen den beiden Türmen von Notre Dame läuft. Kurz darauf entdeckt er in einer Zeitung ein Bild der Twin Towers und beschließt, die Notre-Dame-Aktion auf einem höheren Level zu wiederholen. Er schart eine Gruppe von Unterstützern um sich, die er im Slang der terrorerfüllten 70er Jahre Sympathisanten nennt, und zieht mit ihnen nach New York. In wochenlanger Arbeit kundschaften die vier Männer sowie Petits Freundin Annie (Charlotte Le Bon) das World Trade Center aus, dessen oberste Stockwerke gerade fertiggestellt werden, und machen einen Plan, wie sie das Drahtseil auf das Dach des Gebäudes bekommen, aufspannen und gegen Schwingungen schützen können. Am 6. August 1974, kurz nach Sonnenaufgang, ist es dann soweit, und Petit setzt den ersten Fuß aufs Seil.

Zemeckis hat "The Walk" größtenteils im Studio gedreht, die Bilder des World Trade Center, der Blick vom Seil hinunter auf die Straße und die Panorama-Ansichten von New York wurden am Computer erzeugt und per Green-Screen-Technik eingefügt. Das Ergebnis ist perfekt und von realen Ansichten nicht zu unterscheiden. Selbst die 3D-Effekte funktionieren. Zemeckis setzt sie behutsam ein und verwendet sie in erster Linie, um den Realismus der Bilder zu unterstreichen. Es erweist sich wieder einmal, dass es einen guten Regisseur braucht, damit ein 3D-Film Sinn ergibt. Der letzte Akt des Films zeigt dann die nächtlichen Vorbereitungen, all die Pannen, die in letzter Minute noch geschehen, die Angst vor den Wachleuten, vor denen sich die Akteure verstecken müssen, endlich dann das Festzurren des Seils, ungesichert, an der Außenseite des Gebäudes – dieser Part ist spektakulär und voll mit einer Spannung, die der erste Teil leider vermissen lässt.

"The Walk" ist nebenbei auch ein nostalgischer Rückblick auf die 70er Jahre. Man sehnt sich zurück nach der Unschuld dieser Jahre, nach einer Zeit ohne Zukunftsängste. Petit und seine Freunde hatten keinen Sponsor, nur wenig Geld, alle lebten in einem kleinen Zimmer in New York zusammen. Die meisten von ihnen wussten nicht, wie es nach der Aktion mit ihnen weitergehen würde. Heute würde ein solcher Drahtseilakt vermutlich von Red Bull gesponsert und einen Tag lang mit viel Werbung im Fernsehen übertragen ("Red Bull verleiht Flüüügel"). Der Sensationswert wäre sicherlich höher und die Teilnehmer könnten sogar Geld verdienen. Doch für die ganze Poesie, die von dem Bild des Seiltänzers zwischen den Bürotürmen ausgeht, wäre das tödlich.

Der Film lohnt sich wegen der grandiosen Bilder von den Dächern des World Trade Centers, vom Anbringen der Seile in schwindelerregender Höhe und vom Spaziergang zwischen den beiden Türmen. Es wäre ein besserer Film geworden, hätte man die ersten beiden Drittel etwas zusammengekürzt.

"The Walk" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Filmkritik: "Black Mass"

Geschrieben am Sonntag 18 Oktober 2015 um 19:30 von Roland Freist

Der Aufstieg und Fall des Jimmy Bulger

2011 war das auch bei uns den Medien eine Meldung wert: James "Whitey" Bulger, einer der meistgesuchten Verbrecher der USA, war nach 15 Jahren auf der Flucht in Santa Monica verhaftet worden. Bereits vorher war er jedoch schon eine Filmlegende. Jack Nicholson spielte ihn in Martin Scorseses "Departed", ohne dass allerdings der Name genannt wurde. In den letzten Jahren tauchte eine Figur, die ihm stark ähnelte, in der feinen, in Deutschland mal wieder untergegangenen Serie "Ray Donovan" auf, und jetzt ist Johnny Depp in die Rolle geschlüpft. Und auch wenn "Black Mass" ein eher mittelmäßiger Film ist, wegen Johnny Depp lohnt sich der Kinobesuch.

Jimmy Bulger war Mitte der 70er Jahre ein eher unbedeutender Krimineller aus dem Milieu von Southie, wie das Arbeiterviertel South Boston von den Einheimischen genannt wird. Das FBI war zu dieser Zeit vor allem hinter der Mafia her, die sich im Norden der Stadt ausgebreitet hatte und dort ihre üblichen Geschäfte abzog, Drogen, Glücksspiel, Prostitution, man kennt das aus den einschlägigen Filmen. Um an den örtlichen Paten heranzukommen, brauchte man Spitzel und Verräter. Im Film ist es der FBI-Mann John Connolly (Joel Edgerton), der den Vorschlag einbringt, mit Bulger zusammenzuarbeiten. Connolly kennt ihn seit seiner Kindheit, sie sind zusammen in Southie aufgewachsen. Bulger erkennt seine Chance und macht einen Deal: Das FBI lässt ihn in Ruhe seinen Geschäften nachgehen, dafür liefert er ihm die Spitze der Bostoner Mafia. Zunächst geht alles gut. Der Pate wird verhaftet, die Organisation zerschlagen. Doch an ihrer Stelle macht sich Bulger mit seinen Männern in ganz Boston breit und wird zum mächtigsten Verbrecher der Stadt.

Die Maskenbildner haben bei diesem Film ganze Arbeit geleistet. Sie statteten Johnny Depp mit einer Stirnglatze und der Frisur eines Reeperbahn-Luden aus, und sie verpassten ihm nach dem Vorbild des echten James Bulger große, strahlendblaue Augen, die ihn aussehen lassen wie einen Dämon. Und Depp erfüllt diese Erscheinung tatsächlich mit Leben. Er ist hier meilenweit entfernt von seinem Jack Sparrow und all den anderen Figuren, die er im Laufe seiner Karriere gespielt hat. Bulger hat eine weiche Seite, er liebt seine Frau, seinen Sohn und die alten Menschen aus der Nachbarschaft. Wenn es jedoch um seine Geschäfte geht, ist er eine eiskalte, brutale Sau, der Menschen ohne zu zögern erschießt, mit einem Seil erwürgt oder sogar mit bloßen Händen tötet. Er verwandelt sich dann in das absolut Böse. Schon in "Public Enemies" hatte Depp mit der Figur des John Dillinger einen neuen, originären Typ von Leinwand-Gangster geschaffen. In "Black Mass" setzt er noch einmal eins drauf.

Der Film erzählt vom Aufstieg und Fall eines Verbrechers. Zugleich ist es jedoch auch die Geschichte von Kindern und Freunden aus einem irisch geprägten Arbeiterviertel, die später verschiedene Lebenswege einschlagen und selbst als Antagonisten versuchen, ihre alten Ideale von Freundschaft und Loyalität aufrechtzuerhalten. Alle engen Vertrauten von Bulger stammen natürlich aus Southie, dazu kommen Connolly, der Verbindungsmann beim FBI, sowie diverse Randfiguren. Eine der interessantesten Rollen spielt Benedict Cumberbatch ("Sherlock") als James Bulgers Bruder Billy, der sich für eine Karriere in der Politik entscheidet und bis zum Senator aufsteigt. Auch er weiß natürlich über die kriminellen Machenschaften von James und seiner Bande Bescheid, Verrat kommt allerdings auch für ihn nicht in Frage.

Doch trotz guter Schauspieler und einer interessanten Story ist aus "Black Mass" kein herausragender Film geworden. Zum einen will er einfach zu viel: Die Geschichte deckt den langen Zeitraum von Mitte der 70er bis Mitte der 90er Jahre ab, sämtliche Ereignisse werden daher notgedrungen in großer Eile erzählt. Besser wäre es vielleicht gewesen, ein paar zentrale Storys herauszugreifen und sich dafür mehr Zeit zu nehmen. Der zweite große Fehler ist, dass ständig die Perspektive wechselt, von Connolly zu Bulger zu den Mitgliedern seiner Gang und den FBI-Männern. Es gibt tatsächlich keine eindeutige Hauptfigur. Oft hat man das Gefühl, dass Connolly der zentrale Charakter ist, doch dann wechselt die Geschichte wieder zu Bulger. Letztlich führt das dann dazu, dass einem sämtliche Figuren mehr oder weniger egal sind, weshalb dann auch keine Spannung aufkommen will. Zudem besitzt Regisseur Scott Cooper ("Crazy Heart") nicht die Meisterschaft eines Martin Scorsese, es fehlen die eindrücklichen Szenen und Einstellungen, die sich ins Gedächtnis brennen. So ist es denn nur das maskenhafte Gesicht mit dem unangenehmen, durchdringenden Blick von Johnny Depp als James Bulger, das von diesem Film in Erinnerung bleiben wird.

"Black Mass" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Sonntag 18 Oktober 2015 19:34

Filmkritik: "Der Marsianer – Rettet Mark Watney"

Geschrieben am Samstag 10 Oktober 2015 um 18:10 von Roland Freist

Robinson auf dem Mars

Das Motiv des einsamen Astronauten, der ohne Verbindung zur Erde versucht zu überleben, ist in den letzten Jahren schon zwei Mal verwendet worden. Einmal in dem unterschätzten "Moon", in dem Sam Rockwell auf der Rückseite des Mondes allein mit seinen Robotern lebt, zum anderen in "Gravity", der Sandra Bullock bei dem verzweifelten Versuch zeigt, von der ISS wieder heil auf die Erde zurückzukommen. Doch die Traditionslinie ist noch wesentlich länger: "2001: Odyssee im Weltraum", "Lautlos im Weltraum" oder auch der erste "Alien"-Film: Immer geht es um die Einsamkeit des Menschen in den riesigen Weiten des Universums und um den Kampf ums Überleben.

"Der Marsianer" schließt sich dieser Tradition an und fügt noch einen großen Batzen Robinson Crusoe hinzu. Der einsame Inselbewohner ist in diesem Fall Mark Watney (Matt Damon), Mitglied einer internationalen Expedition zum Mars, wo das Team bereits in den ersten fünf Minuten des Films von einem Sandsturm überrascht wird. Da die Fähre, welche die Astronauten zurück zum Mutterschiff bringen soll, im heftigen Wind umzukippen droht, beschließt Commander Melissa Lewis (Jessica Chastain), die gesamt Mission abzubrechen und vorzeitig zurückzufliegen. Im Sturm wird Watneys Raumanzug beschädigt und das Team verliert ihn. Im Glauben, dass er tot ist, fliegen sie zurück zur Erde.

Doch Watney ist nicht tot. Er weiß, dass die nächste Expedition erst in einigen Jahren kommen wird. Bis dahin ist er auf sich allein gestellt. Er findet einen Weg, Wasser herzustellen und Kartoffeln anzubauen. Nach einigen Wochen kann er sogar mit der Erde kommunizieren, zunächst nur zeichenweise im Hexadezimalcode, später über einen alten Marsrover sogar per Notebook. Damit beginnt der letzte Akt des Films, die Rettungsaktion.

Ridley Scott hat einen nahezu perfekten Film gedreht, zwar nicht übermäßig spannend, aber unterhaltsam, teilweise sogar witzig und mit guten Darstellerleistungen. "Der Marsianer" ist kein Actionthriller wie "Gravity", auch wenn einige Szenen am Schluss stark an den Oscar-Gewinner von 2014 erinnern. Was ihn interessant macht, das sind die Überlebens- und Rettungsstrategien, die Watney und später auch die Nasa entwickeln. Mit einer solchen Situation hatte bei der Planung der Mission niemand gerechnet, also muss stets aufs Neue improvisiert, müssen unkonventionelle Lösungen gefunden werden. Watney muss Geräte umfunktionieren und Ressourcen anders einsetzen, die Nasa Flugbahnen und Zeitpläne neu berechnen. Es macht Spaß, dabei zuzusehen. Allerdings fragt man sich auch, warum eine Mars-Basis, in der die Crew wochenlang leben soll, nicht mit einem simplen Funkgerät ausgestattet ist.

Es ist klar, dass Mark Watney die zentrale Figur des Films ist. Ob der Film funktioniert oder nicht, hängt stark davon ab, ob Matt Damon diese Rolle zum Leben erwecken kann. Und es gelingt. Sicher und souverän macht er aus Watney einen echten Menschen, der mit seiner Situation mit viel Optimismus und trockenem Humor, aber auch mit Anfällen von Wut und Resignation begegnet. Auch die Nebenrollen sind ausgezeichnet besetzt. Außer der bereits erwähnten Jessica Chastain (die ebenso wie Matt Damon bereits im 2014er SF-Epos "Interstellar" mit dabei war) spielen unter anderem auch Kristen Wiig ("Brautalarm") als die PR-Verantwortliche der Nasa, Jeff Daniels ("Looper") als Nasa-Direktor, Michael Peña ("American Hustle"), Sean Bean ("Der Herr der Ringe"), Kate Mara ("House of Cards") und Chiwetel Ejiofor ("12 Years a Slave") mit.

Dennoch ist aus "Der Marsianer" kein Vier-Sterne-Film geworden. Zwar ist er in der Machart, wie bereits gesagt, perfekt. Doch ist die Handlung auf der anderen Seite auch sehr vorhersehbar. Man weiß von vornherein, dass Watney überleben wird. Und wenn er nach etwa der Hälfte des Films seine ersten Kartoffeln erntet und mit der Erde chattet, dann weiß man, dass da noch ein fürchterlicher Rückschlag kommen muss. Und es ist auch von vornherein klar, dass die Rückholaktion nicht wie geplant ablaufen kann. Es fehlen der Handlung ein wenig die Überraschungsmomente, die Ausbrüche aus dem Robinson-Crusoe-Schema. Was nichts daran ändert, dass es sich um einen ausgezeichneten, sehenswerten Film handelt.

"Der Marsianer – Rettet Mark Warney" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Samstag 10 Oktober 2015 18:14

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