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Archiv vom Oktober 2011

Filmkritik: "Die Abenteuer von Tim und Struppi"

Geschrieben am Freitag 28 Oktober 2011 um 17:38 von Roland Freist

Ein Junge und sein Hund

Als Kind erschienen mir die Tim-und-Struppi-Hefte wie eine eigene Welt. Wir lasen damals Asterix, das war Pflicht, man musste immer ein Zitat von Obelix oder einem der Piraten parat haben. Tim und Struppi jedoch nahm ich nur am Rande wahr. Wenn ich durch Zufall einmal ein Heft in die Finger bekam, war ich zwar durchaus beeindruckt von den spannenden Geschichten, den Figuren und Zeichnungen. Doch vielleicht weil die Serie bereits seit Jahrzehnten lief und das Taschengeld für die ganzen Hefte ohnehin nicht gereicht hätte, konzentrierte ich mich lieber darauf, meine Sammlung an Asterix-Heften zu vervollständigen.

Daran musste ich denken, als ich "Die Abenteuer von Tim und Struppi" sah. Denn mit dem Film verhält es sich so, als würde man zufällig auf eines der alten Hefte stoßen: Man begleitet die beiden Titelhelden zwei Stunden lang bei einem ihrer zahlreichen Abenteuer. In dieser Zeit geht es in enormem Tempo per Schiff, Flugzeug und Motorrad übers Meer und durch die Wüste bis ins Morgenland und wieder zurück nach Belgien. Die Handlung dreht sich um einen verschwundenen Schatz und düstere Familiengeheimnisse, und zum Schluss, als alles vorbei ist, rennen Tim, Struppi und Captain Haddock weiter zum nächsten Abenteuer. Die Geschichte hat zwar einen konventionellen Anfang, doch es gibt keinen emotionalen oder durch die Spannungskurve ausgedrückten Schluss. Tims Leben, von dem man ansonsten so gut wie nichts erfährt, scheint unablässig auf der Überholspur stattzufinden, und wir dürfen ihn für eine Weile dabei begleiten.

"Tim und Struppi" ist von vorn bis hinten ein buntes, ausgelassenes, anarchisches Vergnügen, man spürt sehr deutlich den Spaß, den Steven Spielberg (Regie) und Peter Jackson (Produzent und außerdem Regisseur beim zweiten Filmteam) bei der Arbeit hatten. Die Special Effects tragen einiges dazu bei. Das Performance-Capture-Verfahren, das die realen Schauspieler zu dreidimensionalen Comic-Figuren macht, erzeugt einen surrealen Effekt – diese Figuren sind eindeutig keine Menschen, doch Marionetten oder Zeichentrick-Charaktere sind es auch nicht. Es ist eine eigene Welt, die hier erschaffen wird, eine Parallelwelt, die ein wenig an last year’s "Der fantastische Mister Fox" erinnert. Diese Welt ist in vielen Bildern sehr liebevoll ausgestaltet. Manche Szenen erinnern an Wimmelbilder – man kann Dutzende von Figuren bei ihren Alltagsbeschäftigungen beobachten, und wäre mehr Zeit, gäbe es bestimmt noch zahllose witzige Details zu entdecken.

Dieser Film ist wie ein Besuch auf dem Rummelplatz: Ein Karussell nach dem anderen wird ausprobiert, einige Überschläge, und weiter geht’s. Es hat etwas Rauschhaftes. Zum Schluss heißt das Fazit: Das hat Spaß gemacht. Doch man ist auch ganz froh, dass man wieder durchatmen kann.

Denkt man über eine Bewertung nach, muss man berücksichtigen, dass der Film für Kinder gemacht ist. Die Figuren, der Humor – alles zielt auf sagenwirmal Sechs- bis 14-jährige ab. Die lachten und kreischten denn auch während der Vorstellung und gingen vor allem bei den rasanten Verfolgungsjagden begeistert mit. So etwas hatten sie wohl noch nicht gesehen. "Tim und Struppi" ist vielleicht keine hohe Filmkunst, dazu ist er zu unreflektiert. Doch sein Zielpublikum stellt er zu 100 Prozent zufrieden.

Anmerkung: Im Münchner Cinemaxx kann man den Film wahlweise in 2D oder 3D sehen. Ich entschied mich für 3D, da ich wissen wollte, wie der Perfektionist Steven Spielberg die Technik einsetzt. Ein Fehler. Während die Szenen im Tageslicht gut ausgeleuchtet waren, gab es bei den Bildern aus dunklen Kellern, Schiffsbäuchen etc. das übliche Problem, dass die 3D-Brille Farben und feine Konturen absaufen ließ.

"Die Abenteuer von Tim und Struppi" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Samstag 12 Januar 2013 16:14

William Shatner singt "O Canada"

Geschrieben am Donnerstag 27 Oktober 2011 um 15:42 von Roland Freist

Auf seine alten Tage bekommt William "Tiberius" Shatner dann doch noch die gebührende Anerkennung für mehr als 50 Jahre Arbeit als Schauspieler. 2004 und 2005 gab's jeweils den Emmy, den wichtigsten Fernsehpreis der USA, für den besten Schauspieler in einer Nebenrolle, wobei Shatner das Kunststück fertigbrachte, den Preis für die gleiche Rolle in zwei Fernsehserien zu erhalten: 2004 verlieh man ihm den Preis für seine Verkörperung des Bostoner Anwalts Denny Crane in "Practice", 2005 für seinen Denny Crane im Spin-Off "Boston Legal". 2005 kam auch noch ein Golden Globe dazu, der Preis der in den USA tätigen, ausländischen Film- und Fernsehkorrespondenten. Bereits 2003 zeichnete man ihn mit dem ACTRA Award of Excellence aus (Alliance of Canadian Cinema, Television and Radio Artists), dem Preis der kanadischen Schauspieler-Gewerkschaft. Und in diesem Jahr übergab ihm der Generalgouverneur von Kanada den Lifetime Achievement Award für sein Lebenswerk.

Aus diesem Anlass drehte das National Film Board von Kanada mit Shatner das folgende kleine Video: Der berühmteste Raumschiff-Käptn aller Zeiten will die die kanadische Nationalhymne "O Canada" aufnehmen, wie üblich in seinem Barhocker-Sprechgesang. Doch die Aufnahme entwickelt sich etwas anders als geplant:

Filmkritik: "Contagion"

Geschrieben am Freitag 21 Oktober 2011 um 11:14 von Roland Freist

Der Weg der Ansteckung

"Contagion" (deutsch: Ansteckung) ist ein Film mit einem unsichtbaren Hauptdarsteller. Es ist ein Virus, übergesprungen vom Schwein auf den Menschen, das erst zu einer Art Grippe und dann zum Tod führt. Die Nebenrollen sind mit prominenten menschlichen Darstellern besetzt: Gwyneth Paltrow als Patient Nummer 1, also der erste Mensch, der die Krankheit in sich trägt, Matt Damon als ihr Mann, offensichtlich immun gegen das Virus, Laurence Fishburn als Leiter der Centers for Disease Control in Atlanta, dem amerikanischen Äquivalent zum deutschen Robert-Koch-Instituts, seine Mitarbeiterin Kate Winslet, Marion Cotillard als Ermittlerin der WHO sowie Jude Law als ein Medizin-Blogger. Sie beobachten den Aufstieg und Fall des Virus, das von Hongkong in die USA und von dort aus in die ganze Welt weitergegeben wird. Es sind Opfer, Bekämpfer und auch Profiteure der Seuche, die Regisseur Steven Soderbergh hier zeigt. Manchmal erinnert der Aufbau ein wenig an die klassischen Katastrophenfilme: Eine Vielzahl von Charakteren wird vorgestellt, und der Film begleitet sie, so lang die Bedrohung anhält – das sind etwa sechs Monate. Doch die Personen begegnen sich nicht persönlich, ihre Lebenswege sind lediglich durch das unsichtbare Virus miteinander verbunden.

Die Story wird mit den üblichen Mitteln eines Seuchen-Thrillers erzählt. Es kommen die Landkarten mit den rot eingefärbten und sich in der Prognose von Tag zu Tag vergrößernden Infektionsgebieten zum Einsatz, die Statistiken zur Zahl der voraussichtlichen Todesfälle und die Schutzanzüge mit der eigenen Sauerstoff-Versorgung. Dazu sieht man Bilder von Hamsterkäufen, Plünderungen und Auseinandersetzungen der aufgebrachten Bevölkerung mit der Nationalgarde. Das alles kennt man bereits aus ähnlich gelagerten Filmen, trotzdem entwickelt "Contagion" eine gewisse Spannung. Es ist ein verzweifelter Kampf, den die Wissenschaftler ausfechten, gegen einen zunächst völlig unbekannten Gegner, der erst nach und nach seine Geheimnisse preisgibt. Dutzende von Seren werden entwickelt und an Rhesusaffen ausprobiert, bis endlich ein wirksamer Impfstoff gefunden ist.

Eine der Stärken des Films ist, dass er immer wieder quasi nebenbei zeigt, auf welchen Wegen sich das Virus ausbreitet. Eine Kaffeetasse, aus der ein Infizierter auf dem Flughafen getrunken hat, wird von einer Bedienung abgeräumt. Ein Mann verliert seinen Geldbeutel, jemand anderes hebt ihn auf und gibt ihn ihm zurück. Ein Vater steckt seinem Kind einen Kartoffelchip in den Mund. Das Virus, so erfahren wir, wird bereits bei einer einfachen Berührung weitergegeben. Ist es erst einmal auf der Hand, ist der Rest kein Problem mehr, wie Marion Cotillard erklärt, denn der Mensch fasst sich jeden Tag einige Tausend Mal ins Gesicht. Dank des internationalen Luftverkehrs kann sich das Virus zudem in kürzester Zeit über die ganze Welt ausbreiten.

Gut dargestellt sind auch die logistischen Probleme, die eine massenhaft verbreitete Krankheit aufwirft. Wo kann man Millionen von Kranken behandeln? Selbst in den USA stehen dafür nicht genug Krankenhaus-Kapazitäten bereit. Leerstehende Industriehallen müssen angemietet und innerhalb von ein oder zwei Tagen mit Betten und medizinischem Equipment ausgestattet werden. Wie kann man die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln sichern, wenn alle Supermärkte entweder geschlossen oder geplündert sind? Wie kann man die Verteilung eines Impfstoffs möglichst gerecht organisieren?

Doch vielleicht liegt es gerade an dieser realistischen Darstellung, dass einen "Contagion" insgesamt recht kalt lässt. Der Film erinnert über weite Passagen an Reality-TV oder eine Fernseh-Dokumentation. Man wäre nicht überrascht, wenn eine Stimme aus dem Off käme, die die Vorgänge auf der Leinwand kommentieren würde. Es gibt keine menschliche Hauptperson, in die man sich hineinversetzen könnte – sobald der Film einer seiner Figuren etwa zehn Minuten gefolgt ist, wechselt er abrupt weiter zur nächsten. So erfährt man viel über die Geschichte einer Seuche und wie sie bekämpft wird, doch es berührt einen nicht. Und als dann in der letzten Szene gezeigt wird, wie der Erreger vom Tier auf den Menschen überspringen konnte, interessiert einen noch nicht einmal das mehr.

"Contagion" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Samstag 12 Januar 2013 16:15

TV-Kritik: "Bones"

Geschrieben am Mittwoch 19 Oktober 2011 um 11:12 von Roland Freist

Das Matriarchat im Leichenhaus

In den ersten Folgen war "Bones" lediglich eine originell gemachte Krimiserie mit guten Dialogen, eine Mischung aus Detektivserie und "CSI", was sich auch in den Hauptfiguren manifestierte, dem FBI-Agenten Seeley Booth (David Boreanaz) und der forensischen Anthropologin Dr. Temperance "Bones" Brennan (Emily Deschanel).

Doch je länger die Serie lief, desto mehr wurde die Krimihandlung zur Nebensache. Zwar hielten sich die Drehbücher immer noch an die üblichen Krimistandards, doch die Aufklärung über die Hintergründe der Todesfälle sowie die Überführung und Ergreifung des Mörders waren zunehmend nur noch dazu bestimmt, den Geschichten eine Struktur zu geben. Spannung kommt bis heute nur selten auf, die Charakterzeichnung von Täter und Opfer bleibt zumeist blass. Niemand schaut sich "Bones" wegen der Kriminalfälle an.

Was die Serie sehenswert und manche Folgen zu einem echten Vergnügen macht, ist die Interaktion zwischen den Hauptfiguren. Die meisten von ihnen arbeiten im (fiktiven) Jeffersonian Institute in Washington, D. C. – Bones selbst, ihre Vorgesetzte Dr. Saroyan, Angela, Hodgins sowie die von Folge zu Folge wechselnden Praktikanten. Es herrscht eine Stimmung wie in einer Wohngemeinschaft, die wirklich ausgezeichneten Dialoge springen von einem Satz zum nächsten vom Beruflichen ins Private und wieder zurück. Dieser Kontrast aus Leichen im fortgeschrittenen Verwesungszustand und den über sie gebeugten Jeffersonian-Mitarbeitern, die sich über ihre Beziehungsprobleme unterhalten, sorgt immer wieder für hochgradig komische Momente.

Hinzu kommt die Konstellation mit dem weiblichen Dreigestirn aus Bones, Saroyan und Angela an der Spitze des Instituts. Bei "Bones" kann man einem modernen, gut funktionierenden Matriarchat bei der Arbeit und im alltäglichen Leben zusehen. Die Männer besetzen lediglich die sympathischen Nebenrollen: Hodgins, der Nerd und geniale Entomologe, sowie die wunderbaren, ebenfalls ziemlich nerdigen Praktikanten des Instituts. Dr. Goodman, der in der ersten Staffel die Leitung des Instituts innehatte, wirkte dagegen immer wie ein Fremdkörper und wurde zu Beginn der zweiten Staffel zu Recht ausgetauscht.

Booth, die männliche Hauptfigur, übernimmt in dieser Serie den Part, den ansonsten immer die Frauen ausfüllen. Mit seinen oftmals emotionalen Reaktionen bildet er das Gegengewicht zu den nüchtern und sachlich denkenden und handelnden Wissenschaftlerinnen. Während es zwischen Bones und Saroyan in früheren Folgen immer mal wieder Eifersüchteleien um die Machtpositionen im Institut gab, scheint Booth überhaupt keinen Vorgesetzten zu haben und an einem Aufstieg in höhere Dienstränge völlig desinteressiert zu sein. Seine einzige Respektsperson ist wieder eine Frau, die Staatsanwältin Caroline Julian. Im Unterschied zu den Frauen, und vor allem zu Bones, die es mit ihren Büchern offenbar zu einigem Wohlstand gebracht hat, bezieht er auch kein hohes Einkommen.

Bones und Booth sind das Paar, das die Serie trägt. Es ist ein altes, einfaches Rezept: Nimm ein möglichst gegensätzliches Paar, füge sie zu einem Team zusammen, lass sie Sympathien füreinander entwickeln, und du bekommst eine zwischenmenschliche Spannung, die die Handlung jahrelang tragen kann. Bei "Bones" traten ab der zweiten Staffel zunehmend auch die Nebenfiguren ins Rampenlicht, man konnte den Schauspielern zusehen, wie sie zusammen mit den Drehbuchautoren die Rollen entwickelten. Das Traumpaar Bones/Booth ist seither zwar immer noch das Herzstück der Serie, doch mittlerweile ist es eingebunden in eine Familie.

Es gab und gibt immer wieder schwächere Folgen von "Bones". Zumeist sind es die, in denen dann doch wieder die Krimihandlung im Vordergrund steht. Aber dann spürt man, dass wieder ein Ruck durch die Mannschaft ging, sich alle etwas zusammenrissen und erneut ein echtes Highlight fabrizierten, mit neuen, überraschenden Geschichten aus der Jeffersonian-Familie, guten, schön albernen Gags und einem wieder einmal besonders unappetitlichen Leichenfund.

RTL zeigt donnerstags derzeit die sechste Staffel von "Bones", in den USA läuft bereits Nummer Sieben. Ob es eine achte Staffel geben wird, ist noch ungewiss.

"Bones" in der IMDB

Das Team stellt sich vor:

Bearbeitet: Montag 14 Januar 2013 17:12

Filmkritik: "Melancholia"

Geschrieben am Freitag 07 Oktober 2011 um 14:25 von Roland Freist

Melancholie überkommt die Erde

Den Weltuntergang sieht man bereits zehn Minuten nach Beginn des Films, es ist eine Außenansicht aus dem All. Von schwerer Wagner-Musik untermalt, kollidiert die Erde im Zeitlupentempo mit dem um ein Vielfaches größeren Planeten Melancholia, bricht auf und wird von ihm verschluckt. Wer sich auf die Effekte eines Science-Fiction-Films freute: Hier waren sie.

Zuvor gibt es jedoch noch eine Hochzeit. Justine (Kirsten Dunst), die Schwägerin des reichen Unternehmers John (Kiefer Sutherland), heiratet Michael (Alexander Skarsgård), einen gut aussehenden, netten jungen Mann. Es ist keine Frage, dass die beiden sich lieben, alles scheint perfekt. Die Feier wird organsiert von einem Hochzeitsplaner der Luxusklasse (Udo Kier), der nicht ein einziges Ritual auslässt: Reden von den beiden Vätern und vom Bräutigam, der erste Tanz des Brautpaars, gemeinsames Anschneiden des Kuchens, Papierballons mit den besten Wünschen der Gäste. Doch je weiter der Abend voranschreitet, desto mehr wird sichtbar, dass Justine überfordert ist. Sie setzt sich immer wieder ab, flieht in den weitläufigen Park oder schläft ein im Bett ihres Neffen oder nimmt ein Bad und weigert sich, wieder herauszukommen. Sie reagiert empfindsam auf die Zumutungen ihrer Umgebung, auf ihren Chef, den Leiter einer PR-Agentur, der einen Slogan für die neue Kampagne von ihr verlangt, auf das streng durchgeplante Programm, auf John, der ihr die Kosten für die Veranstaltung vorhält, ihren Mann, der bereits die nächsten Jahre ihres gemeinsamen Lebens plant. Man erkennt, Justine hat Depressionen, und das, wie man von ihrem Bräutigam erfährt, nicht erst seit diesem Tag. Und dann ist da dieser neue Stern am Himmel, leicht rötlich leuchtend, heller als alle anderen.

Plötzlich ist alles vorbei. Justine trinkt Cognac aus der Flasche, schreit ihren Chef an, beleidigt ihn, kündigt. Sie schläft mit einem anderen Mann, und ihr frisch gebackener Ehemann verschwindet. Damit endet der erste Teil des Films.

Im zweiten Teil geht es um Justines Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg), die ebenfalls bei der Hochzeit war und sich dort ständig um die Einhaltung des Programms sorgte. Er spielt einige Zeit nach den geschilderten Ereignissen. Justine geht es jetzt deutlich schlechter. Sie ist schwer depressiv, schläft die meiste Zeit, isst kaum etwas und ist noch nicht einmal in der Lage, ohne fremde Hilfe auch nur ein Bad zu nehmen. Außer den beiden Schwestern sind noch John, Claires Sohn Leo und ein Butler im Haus. Claire hat Angst, vor allem vor dem neu entdeckten Planeten, von dem man nun weiß, dass er der Erde gefährlich nahekommen wird. Obwohl John es ihr verboten hat, sucht sie im Internet nach Informationen, gibt "Melancholia" und "death" in die Suchmaschine ein. Und über Google und Wikipedia erfährt sie, wie der Weltuntergang ablaufen wird, es ist von einem Totentanz der beiden Planeten die Rede, bevor Melancholia die Erde schließlich zerstören wird. John, Vertreter des allzeit positiven Denkens, behauptet jedoch, die Wissenschaftler hätten berechnet, dass es nur zu einem Vorbeiflug kommen werde. Doch im gleichen Maße, wie Melancholia am Himmel immer größer wird, wachsen auch Claires Ängste.

Gleichzeitig kommt Justine langsam wieder auf die Beine. Zum Schluss wirkt sie gefasst, beinahe erleichtert, stützt ihre Schwester und deren Sohn und beobachtet voller Staunen die Naturphänomene, die bei der Annäherung der beiden Planeten auftreten, die Elmsfeuer, die aus Telegraphenmasten und schließlich sogar ihren Händen in den Himmel steigen, das bläuliche Licht, als die Erde in die Atmosphäre von Melancholia eintaucht.

Regisseur Lars von Trier hat im Interview erzählt, er habe in den vergangenen Jahren Depressionen gehabt und viel getrunken. Beides habe er mittlerweile überwunden. "Melancholia" ist die meisterhafte künstlerische Aufarbeitung seines früheren Gemütszustands: Der Planet, der unaufhaltsam wie eine Gemütsverstimmung auf die Erde zukommt und alles verschlingt. Das Leiden an der Welt bei der blonden Schwester, die Angst vor dem Chaos bei der Dunkelhaarigen. Justines Sensibilität für die Gedankenlosigkeit und die Unverschämtheiten ihrer Umgebung. Claire Angst um ihren Sohn und ihre angedeutete Tablettensucht. Justines angedeuteter Alkoholmissbrauch.

Aber "Melancholia" entfaltet auch wegen seiner Schauspieler eine ungeheure Wirkung. Neben den bereits genannten tritt auch noch Charlotte Rampling als die frustrierte, ausgebrannte Mutter der beiden Schwestern auf, John Hurt spielt ihren Ex-Mann und damit den leiblichen Vater der Mädchen, und Stellan Skarsgård ist Justines Chef. Überragend ist jedoch Kirsten Dunst. Sie hat bereits als Achtjährige ihre ersten Rollen in Hollywood bekommen, nachdem sie bereits als Dreijährige in Werbespots aufgetreten war. Sie ist mittlerweile also mehr als 20 Jahre im Filmgeschäft, und noch nie war sie so gut wie hier. Ich wusste beispielsweise nicht, dass sie so eiskalt und hasserfüllt schauen kann. Und gleichzeitig ist sie in den Hochzeitsszenen schöner als jemals zuvor.

"Melancholia" ist im Kern ein Film über seinen Regisseur. Das könnte eine uninteressante Nabelschau sein, wäre da nicht diese grandiose Umsetzung in ein vielschichtiges Science-Fiction-Drama. Dieses langsam aufgebaute Gefühl eines unausweichlichen Todes, der immer größer werdende Planet mit seinem kalten, blauen Licht und den sich verschiebenden Wolkenmustern auf der Oberfläche – das vergisst man nicht so schnell.

"Melancholia" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Freitag 04 April 2014 23:40

Filmkritk: "Der große Crash – Margin Call"

Geschrieben am Samstag 01 Oktober 2011 um 10:23 von Roland Freist

Krise? Welche Krise?

Als am 15. September 2008 die Investmentbank Lehman Brothers zusammenbrach, löste das eine verheerende Kettenreaktion im Bankensektor und nahezu zeitgleich eine Wirtschaftskrise aus. Die Börsenkurse implodierten, Institute wie die Commerzbank, die Hypo Real Estate und selbst gigantische amerikanische Hypothekenfinanzierer wie Fanny Mae und Freddie Mac konnten nur dank Milliarden an Staatshilfen überleben. Millionen von Menschen verloren ihre Jobs, ihre Ersparnisse und ihre Häuser, Staaten verschuldeten sich so sehr, dass sie bis heute kaum noch handlungsfähig sind.

"Der große Crash" baut auf diesen Ereignissen auf und zeigt die letzten 24 Stunden in einer fiktiven amerikanischen Investmentbank, bevor es zum Zusammenbruch kommt. Die Parallelen zu Lehman Brothers sind offensichtlich, doch werden weder die Bank noch das Datum jemals genannt. Es beginnt mit einer Kündigungswelle: Einige Dutzend Mitarbeiter werden entlassen und müssen das Haus sofort verlassen. Darunter ist auch der Analyst Eric Dale (Stanley Tucci, "Road to Perdition", "Terminal"), der im letzten Moment einem seiner Kollegen (Zachary Quinto, "Heroes", "Star Trek") einen USB-Stick mit den Daten seiner letzten Arbeit zustecken kann. Der schaut sich das nach Feierabend tatsächlich noch an und schlägt Alarm: Aufgrund der Entwicklung auf dem Hypothekenmarkt droht die Bank pleite zu gehen, und zwar schon innerhalb der nächsten Stunden.

Es beginnt die hektische Suche nach einer Lösung. Sämtliche leitenden Mitarbeiter werden noch in der Nacht in ihre Büros zurückgerufen. Da ist Sam Rogers (Kevin Spacey, "Sieben", "American Beauty"), seit mehr als 30 Jahren im Unternehmen, frustriert und erschöpft, sein Chef Jared Cohen (Simon Baker, "The Mentalist"), der nur seinen eigenen Kopf retten will, Will Emerson (Paul Bettany, "Master and Commander", "Priest"), der zynische und kalte Analyst, Sarah Robertson (Demi Moore, "Eine Frage der Ehre", "Enthüllung"), skrupellos für ihre Karriere kämpfend, und schließlich John Tuld (Jeremy Irons, "Die Affäre der Sunny von B.", "Wiedersehen in Brideshead"), der CEO der Firma, der Finanzkrisen und ihre Folgen für die Menschen schulterzuckend als zyklisch auftretendes Problem betrachtet.

Bei diesem Cast ist es kein Wunder, dass "Der große Crash" ein Schauspieler-Film geworden ist. Die Darsteller haben spürbar Spaß an ihren Rollen, es gibt viel Text, reihenweise kurze Monologe, Großaufnahmen von Gesichtern – ein Traum. Vor allem bei den Szenen, in denen die beiden Oscar-Preisträger Irons und Spacey aufeinandertreffen, merkt man, dass die beiden mit echter Vorfreude vor die Kamera treten. Unterstützt wird die Konzentration auf die Schauspieler noch durch die begrenzte Zahl und die Art der Schauplätze. Der Film spielt fast ausschließlich in einem nüchternen Büroumfeld in den oberen Etagen eines New Yorker Wolkenkratzers. Es ist über weite Strecken ein Kammerspiel, das der junge Regisseur J. C. Chandor hier inszeniert, gut geeignet auch für eine Umsetzung am Theater.

Doch genauso wie die Büros hier über der Stadt zu schweben scheinen, hat auch das Skript ein wenig die Bodenhaftung verloren. Man erfährt nichts über das Marktgeschehen, das die Krise auslöste, oder wie es kommen konnte, dass eine zuvor äußerst erfolgreiche Bank plötzlich vor dem Ruin steht. So wie "Der große Crash" es darstellt, sind die Fehler hausgemacht. Zwar ist dies kein Dokumentarfilm, dennoch wundert man sich ein wenig. Auf der anderen Seite fragt man sich, warum man mit irgendeinem der Protagonisten Mitgefühl haben sollte. Tatsächlich gibt es keine positiv besetzte Figur, alle auftretenden Personen sind mehr oder minder unsympathische, geldgierige Mistkerle. Wenn später im Film wegen der zu erwartenden Kündigung Tränen fließen, erinnert man sich an die Millionen von mittellosen, oftmals überschuldeten Arbeitslosen, die der Lehman-Crash produzierte, und ist von der Wehleidigkeit der Figuren eher abgestoßen.

"Der große Crash" lohnt sich in erster Linie wegen der tollen schauspielerischen Leistungen, auch ist er über weite Strecken durchaus spannend. Doch für einen Spielfilm fehlt ihm die emotionale Nähe zu seinen Protagonisten, als Dokumentarfilm wiederum ist er aufgrund der eher oberflächlichen Darstellung der Krise nicht geeignet.

"Der große Crash – Margin Call" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Bearbeitet: Samstag 12 Januar 2013 16:15

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