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Archiv vom September 2014

Filmkritik: "Under the Skin"

Geschrieben am Freitag 26 September 2014 um 21:26 von Roland Freist

Der Film mit dem Motorradfahrer from Hell

Dies ist ein Film, auf den man sich einlassen muss, wenn er gefallen soll. "Under the Skin" lässt viele Fragen einfach unbeantwortet, viele Details muss der Zuschauer einfach so akzeptieren, wie sie sind. Die Geschichte wird eher angedeutet als erzählt, viel gesprochen wird ohnehin nicht. Visuelle Effekte ersetzen oftmals die Erklärung, was da gerade passiert oder warum es passiert. Und das Ende ist genauso unbefriedigend wie der Anfang.

Denn die Heldin der Geschichte, eine bis zum Schluss namenlose Frau, muss zu Beginn erst noch geschaffen werden. Dass es sich um einen Schöpfungsakt handelt, erraten wir aus dem Soundtrack, in dem man eine Stimme zu erkennen meint, die versucht, Wörter zu bilden. Die Bilder dazu sind abstrakt, nicht zuordbar. Doch dann ist da plötzlich die Iris eines menschlichen Auges, und siehe da, es gehört Scarlett Johansson. Zunächst ist sie nackt, doch dann trägt sie plötzlich eine Pelzjacke und darunter eine leuchtend rote Bluse. Zusammen mit ihren schwarzen Haaren und dem grellrot geschminkten Mund ergibt sich der Eindruck eines verführerischen Teufels. Sie ist ganz offensichtlich nicht auf der Erde aufgewachsen. Doch ob es sich bei ihr um ein Alien oder doch eher um einen Dämon handelt, von der Art, mit der sich die beiden Jungs in "Supernatural" immer herumschlagen müssen, wird nicht aufgeklärt. Ich tippe auf die zweite Möglichkeit, denn da ist noch ein Gehilfe, ein Motorradfahrer in voller Montur und mit einer Sportmaschine, der hinter ihr aufräumt, Leichen einsammelt, Spuren beseitigt. Er wirkt wie ein dienstbarer Geist, geschickt aus der Hölle, um sie bei ihrer Aufgabe zu unterstützen.

Und er hat gut zu tun. Denn Johansson hat eine Mission, die sie möglichst lange unerkannt fortsetzen soll: Sie fährt in einem weißen Lieferwagen durch Schottland und spricht Männer an, horcht sie aus, was sie so machen, wohin sie wollen, ob es jemanden gibt, der auf sie wartet. Sobald sie einen alleinstehenden Typen gefunden hat, den niemand so bald vermissen wird, lockt sie ihn mit ihren Reizen in ihr Zuhause, ein baufälliges Haus, in dem ein riesiger schwarzer Raum wartet, eigentlich viel zu groß, als dass er in das kleine, baufällige Gebäude hineinpassen könnte. Sie geht voraus, legt ihre Kleider ab, er folgt ihr und tut das gleiche. Doch während sie über den spiegelnden Boden laufen kann wie Jesus übers Wasser, taucht er mit jedem Schritt immer tiefer in eine dunkle, ölige Flüssigkeit ein. Die Opfer versinken und scheinen sich aufzulösen. Was der Sinn des Ganzen ist, bleibt ungeklärt. Irgendwann sieht man in einer Szene, wie die Flüssigkeit samt der teilweise aufgelösten Opfer durch einen feurig roten Schacht abfließt. Wohin? Tja.

Doch der Aufenthalt auf der Erde verändert Johansson. Sie gabelt einen Mann mit verunstaltetem Gesicht auf, das er unter einer Kapuze versteckt. Sie erkennt seine Einsamkeit, bekommt Mitleid, und sie lässt ihn laufen. Danach ist nichts mehr wie es war. Sie wechselt die Kleidung und flieht. Doch dann gerät sie an den falschen Mann.

Scarlett Johansson ist genau die Richtige für diese Rolle. Sie besitzt diesen leicht abwesenden Blick, der sie immer aussehen lässt, als sei sie nicht ganz bei der Sache und hinge insgeheim ihren eigenen Gedanken nach. Das prädestiniert sie für ein Wesen, offenbar künstlich erschaffen, das keine Vergangenheit hat und nur dem eingepflanzten Befehl folgt, junge Männer zu erbeuten, ohne dass sie selber den Sinn dahinter erkennen könnte. Und erst im letzten Akt des Films wird sie sich ihres eigenen Selbst und ihres Körpers bewusst.

"Under the Skin" wird als Science-Fiction- und Horror-Film vermarktet und lief auf dem diesjährigen Fantasy Filmfest. Doch es ist ein Horror, der ohne Erschrecken oder Grauen auskommt. Das Wort Mystery trifft es daher besser. Es ist eine recht einfache Geschichte, die hier erzählt wird, und die Erzählung ist, ehrlich gesagt, zeitweise ein wenig langweilig. Es dauert ewig, bis Johansson wieder einen geeigneten Kandidaten gefunden hat, den sie mit nach Hause nehmen kann. Dazwischen fährt sie durch das zumeist regennasse Glasgow und durch Highland-Landschaften, die von einem grauen Himmel erdrückt werden. Die wenigen Dialoge lösen nicht die Rätsel, die die Handlung umgeben. Dem Zuschauer bleibt nichts anderes übrig, als sich dem Fluss der Bilder anzuvertrauen. Diese Erzählweise ist das eigentlich Besondere an "Under the Skin". Sie sorgt dafür, dass man erst im Nachhinein, wenn man die Bilder noch einmal Revue passieren lässt, die Hinweise auf das tatsächliche Geschehen sieht und versteht. Und dann wird dieser Film auf einmal doch noch zu einem guten.

"Under the Skin" kommt in Deutschland am 10. Oktober auf DVD und Bluray heraus und läuft ansonsten ausschließlich in einigen ausgesuchten Programmkinos. Er wurde nicht synchronisiert und wird im englischen Original gezeigt (wobei die schottischen Darsteller nahezu unverständlich sind). Orte und Termine erfährt man auf der Website http://undertheskin-film.de.

"Under the Skin" in der IMDB

Der englische Trailer:

Bearbeitet: Sonntag 28 September 2014 10:32

Filmkritik: "A Most Wanted Man"

Geschrieben am Donnerstag 11 September 2014 um 22:23 von Roland Freist

Kein sicherer Hafen für Spione

John Le Carré hat mit seinen Spionage-Romanen seit den frühen 60er Jahren eine neue Perspektive auf die Agentenszene eröffnet. Anstatt smarten, sportlichen Superhelden à la James Bond erscheinen in seinen Büchern traurige ältere Männer, hochintelligent, loyal, aber im ständigen Zwiespalt mit sich selbst aufgrund der unmoralischen Entscheidungen, die der Beruf immer wieder von ihnen fordert. Die Arbeit eines Spions ist alles andere als ein Traumberuf. Und Le Carré muss es wissen, schließlich war er selber im Geheimdienst ihrer Majestät tätig. "A Most Wanted Man" entstand nach seinem Roman "Marionetten".

Günther Bachmann ist ein typischer Le-Carré-Spion: alt und melancholisch, ein starker Trinker und Kettenraucher. Er wird gespielt von Philip Seymour Hoffman, dazu weiter unten noch ein paar Worte mehr. Er ist Leiter einer geheimen deutschen Antiterror-Einheit mit Sitz in Hamburg. Sein Team entdeckt auf einem Überwachungsvideo einen Tschetschenen namens Issa Karpov (Grigoriy Dobrygin), der der Mitgliedschaft in einer islamischen Terrororganisation verdächtigt wird. Von nun an verfolgen sie jeden seiner Schritte. Nachdem die junge Menschenrechts-Anwältin Annabel Richter (Rachel McAdams) auf ihn aufmerksam geworden ist, übernimmt sie sein Mandat und will einen Asylantrag für ihn stellen. Karpov jedoch ist zunächst einmal auf der Suche nach dem Bankier Tommy Brue (Willem Dafoe), dessen Vater dem Vater von Karpov einst geholfen hat, einen zweistelligen Millionenbetrag Schwarzgeld zu waschen und auf einem sicheren Konto zu verstecken. Doch außer Bachmanns Leuten haben auch andere Dienste die Ankunft von Karpov registriert, darunter die CIA, die in Gestalt der eleganten Martha Sullivan (Robin Wright) auftritt. Und jede Gruppe verfolgt ganz eigene Interessen mit Karpovs Person.

"A Most Wanted Man" ist nicht nur ein Spionage-Thriller, sondern zumindest zum gleichen Teil das Porträt eines alternden Agenten, der zwar auch schon mal ein paar Gesetze bricht, jedoch nach einem Ehrenkodex handelt, zu dem unter anderem Ehrlichkeit und das Einhalten von Versprechen gehört. Günther Bachmann wird von Philip Seymour Hoffman brillant gespielt, wortkarg, übergewichtig, mit Asthma-Problemen. Er kennt das Geschäft in- und auswendig, legt Wert auf gute, altmodische Ermittlungsarbeit und hegt eine gesunde Verachtung gegenüber Behörden und Politikern. Doch man kann sich diesen Film nicht anschauen, ohne an Seymours Tod durch eine Überdosis im Februar dieses Jahres zu denken. Unwillkürlich zieht man Parallelen zwischen seinem realen Leben, der Drogensucht, die er nicht in den Griff bekam, und der Alkoholsucht seines Günther Bachmann. Und wenn er zwischendurch Momente hat, in denen seine Augen einen leeren Blick bekommen, fragt man sich, ob das noch der Agent ist oder bereits Hoffman selbst. Dennoch wird noch einmal klar, dass mit ihm einer der ganz Großen gegangen ist. Man wird ihn vermissen, seine brummige Bärbeißigkeit und diesen massigen und dennoch so aussagekräftigen Körper.

Rund um Hoffman hat Regisseur Anton Corbijn ("Control", "The American") eine ganze Reihe weiterer guter Schauspieler geschart, darunter Nina Hoss und Daniel Brühl. Beide arbeiten in Bachmanns Team. Während Brühls Rolle keine großen Entfaltungsmöglichkeiten bietet, gibt Hoss sehr überzeugend die nach außen hin freundliche, innerlich jedoch kühle und effiziente Analystin Irna Frey ab. Und wie sie ihren Chef zum Schluss ansieht, voller Mitleid, gleichzeitig aber auch mit dem Wissen, dass ihm und ihr gar nichts anderes übrig bleiben wird als in die Zukunft zu blicken – das ist schon sehr gut. Auch Willem Dafoe als Bankier, der trotz all seiner Angst bemüht ist, Haltung zu bewahren, ist eine der prägenden Figuren dieses Films.

Corbijn ist gelernter Fotograph und hat zunächst Musikvideos gedreht. Das sieht man dem Film an, die Kamera findet im grauen, herbstlichen Hamburg immer wieder stimmungsvolle Bilder und interessante Perspektiven. Außerdem hatte Corbijn einen guten Location Scout, der ihn zu den Ecken geführt hat, wo auf den Hauswänden mehr Graffiti als Putz sitzt und tätowierte Männer auf den Tischen heruntergekommener Eckkneipen zusammengesackt sind. Wer schon einmal durch Hamburg gestreift ist, weiß, dass diese Ecken viel zum Charakter der Stadt beitragen.

Doch man muss auch auf die deutlich erkennbaren Schwächen hinweisen. Da sind zum einen die Dialoge, die dringend einer Überarbeitung bedurft hätten. Beispiel: Eine Szene mit Bachmann und Irna Frey, sie beobachten die Anwältin Annabel Richter.

Frey: "Attraktiv."
Bachmann: "Nicht mein Typ."
Frey: "Was ist denn dein Typ?"
Bachmann: "Na, du natürlich."

Selbst wenn der letzte Satz ironisch gemeint ist – so darf man Menschen nicht reden lassen, wenn sie glaubwürdig erscheinen sollen.

Zum zweiten ist deutlich erkennbar, dass die Chemie zwischen den Schauspielern nicht stimmt. Sie werden nicht warm miteinander, was vor allem bei den gemeinsamen Auftritten von Deutschen und Amerikanern spürbar wird. Hoffman und auch Dafoe können darüber hinweg spielen, es scheint sie nicht zu kümmern, was um sie herum vorgeht. Doch ansonsten ist die Stimmung oft so grau wie der Hamburger Himmel. Ein Grund könnte sein, dass der Film komplett auf Englisch gedreht wurde. Am Set mussten auch die Deutschen Englisch sprechen, sie wurden später nicht synchronisiert. Andererseits hatten die amerikanischen Darsteller teilweise offenbar Schwierigkeiten mit der Aussprache der deutschen Namen. Beides könnte für eine gewisse Distanz gesorgt haben. Zum Schluss tritt übrigens noch Herbert Grönemeyer in einer kleinen Nebenrolle auf. Er lebt seit Jahren in London, spricht also vermutlich fließend Engllisch und scheint auch der Einzige zu sein, der beim Dreh wirklich Spaß hatte.

"A Most Wanted Man" hat keine großen Spannungshöhepunkte, sondern erzählt seine Geschichte ruhig, geradlinig und ohne große Änderungen bei Tempo und Rhythmus. Doch mehr noch als die Story oder die Machart ist der wahre Grund, warum man sich diesen Film ansehen sollte, Philip Seymour Hoffman in seiner letzten großen Rolle.

"A Most Wanted Man" in der IMDB

Der deutsche Trailer:

Die Kunst des Vorspanns

Geschrieben am Dienstag 09 September 2014 um 15:35 von Roland Freist

Durch einen Hinweis auf Twitter stieß ich vor kurzem auf Art of the Title, eine Website, die sich ganz der Kunst des Vorspanns verschrieben hat. Da viele der heutigen Filme jedoch auf die Vorstellung von Schauspielern, Regisseur etc. verzichten und direkt in die Handlung einsteigen, werden auch herausragende Abspänne vorgestellt. Zudem beschränken sich die Macher nicht auf Kinofilme, sondern berücksichtigen auch Fernsehserien und Computer-Spiele.

Einer meiner Favoriten ist denn auch der Vorspann der gefeierten Krimiserie "True Detective". Hier passt einfach alles: die mit den Bildern von Landschaften und Industrieanlagen überblendeten Gestalten, die verblassten Farben und die Musik von The Handsome Family.

Als eine der herausragenden Titelsequenzen der letzten Jahre wird der Abspann von "Iron Man 3" vorgestellt. Völlig zu Recht, was mich angeht, die Machart im Stil eines 70er-Jahre-Actionstreifens verlieh dem ansonsten sehr mittelmäßigen Film zum Schluss noch einmal eine schöne ironische Note.

Und natürlich wird auch auf die Klassiker verwiesen, etwa auf "Vertigo", den Alfred Hitchcock mit einer beeindruckenden Großaufnahme von Kim Novaks Gesicht beginnen ließ.

Bereits vor einigen Jahren hat das Team von Art of the Title eine kleine Geschichte des Titeldesigns zusammengestellt, die ich hier vorgestellt habe.

Bearbeitet: Dienstag 09 September 2014 16:54

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